Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

(Lachen und Unruhe bei der SPD und bei der PDS - Frau Fischer, Leuna, SPD: Das kann doch wohl nicht wahr sein! - Herr Dr. Brachmann, SPD: Es folgt ein kleiner Erfahrungsbericht! - Herr Met- ke, SPD: Ein kleiner Erfahrungsbericht!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es nicht der Stil der DVU-FL-Fraktion, Stellung zu nehmen zu populistischen Anträgen der FDVP-Fraktion.

(Lachen bei der PDS)

Aber nach einer vorausgegangenen internen Diskussion möchte ich hier im Namen meiner Fraktionskollegen folgendes zum Ausdruck bringen:

Vom Prinzip her bejaht unsere Fraktion eine sofortige Überprüfung der Mitglieder dieses Landtages. Das könnte auch dem Ansehen des Landesparlamentes in der Öffentlichkeit nur dienlich sein. Aber für die Fraktion der DVU-FL hat diese Sache doch einen gravierenden Pferdefuß. Dieser Antrag auf Überprüfung der Mitglieder des Landtages auf eine eventuelle Stasi-Mitarbeit wird von einer Fraktion gestellt, deren Fraktionsspitze noch bis 1989 Mitglied der SED war,

(Unruhe bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS - Herr Kühn, SPD: Was?)

also Mitglied einer Partei war, deren Schwert und Schild - nach offiziellem SED-Jargon - das Ministerium für Staatssicherheit war.

Diese Tatsache allein ist für uns Heuchelei und nicht hinnehmbar. Mitglieder einer Partei, die die Menschenrechte mit Füßen getreten hat, sind unserer Meinung nach nicht legitimiert, sich hier noch als Stasi-Aufklärer zu verdingen. Dies ist eine Verhöhnung tausender StasiOpfer.

Wir appellieren an den Antragsteller: Spielen Sie sich nicht als Anwalt politisch Verfolgter der DDR auf, sondern kommen Sie selbst erst einmal mit Ihrer politischen Vergangenheit ins reine. Sie versuchen mit Ihrem Antrag

nur, Ihre eigenen politischen Interessen populistisch an den Mann zu bringen.

Ich möchte es auf einen Nenner bringen: Der Antrag ist unglaubwürdig und kann somit nicht unsere Zustimmung finden, obwohl unsere Fraktion der Meinung ist - wie ich schon eingangs meines Redebeitrages betonte -, daß dieser Landtag nichts notwendiger braucht als die sofortige Einsetzung dieses Überprüfungsausschusses.

Ich bedanke mich. Sie können zwar weiterlachen - -

(Unruhe bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS - Zurufe von Frau Fischer, Naumburg, SPD, und von Herrn Halupka, SPD)

Die PDS-Fraktion hat ebenfalls auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die CDU-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Schomburg. Bitte, Herr Schomburg.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits im Juli 1998 hatten sich die Fraktionen von SPD und CDU darauf geeinigt, einen Ausschuß nach § 46 a des Abgeordnetengesetzes einzurichten. In dieser Forderung wurden sie auch vom Landtagspräsidenten Herrn Schaefer unterstützt, der dies in einer Presseerklärung vom 16. Juli 1998 ebenfalls forderte.

Die CDU-Fraktion will sich an den parlamentarischen Spielchen, die hier von der FDVP-Fraktion initiiert wurden, nicht beteiligen. Hinzu kommt, daß der Antrag an einigen Stellen ungenau abgefaßt worden ist. Deshalb haben wir den Änderungsantrag in der Drs. 3/3078 formuliert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist die letzte Chance, einen Untersuchungsausschuß nach § 46 a einzusetzen. Denn aus den bisherigen Erfahrungen können wir ableiten, daß etwa zwei Jahre notwendig sind, ehe die nötigen Zustimmungserklärungen der Abgeordneten eingeholt sind, ehe die Unterlagen der Gauck-Behörde im Landtag liegen und dann die entsprechenden Auswertungen in dem Ausschuß vonstatten gehen können.

Wenn es heute nicht zu einer Einsetzung dieses Ausschusses kommt, wird dieser Landtag damit für die restliche Legislaturperiode auf eine Überprüfung verzichten.

Immer wieder ist das Argument zu hören: Jeder ist schon mehrmals überprüft worden, was soll dann diese Überprüfung noch im Jahre 2000, im Jahre 10 nach der Wende?

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn ich die Bescheide der Gauck-Behörde richtig in Erinnerung habe, dann lauteten sie jeweils sinngemäß: Bis zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine Erkenntnisse vor über eine Zusammenarbeit mit den entsprechenden DDRBehörden.

(Herr Dr. Daehre, CDU: So ist es!)

Es ist kein Freibrief auf die Zukunft. Und solange nicht alle Unterlagen der Stasi aufgearbeitet sind, wird es mit der CDU auch keinen Schlußstrich unter dieses dunkle Kapitel der DDR-Vergangenheit geben.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU-FL)

Dies sind wir nicht zuletzt den Opfern dieses Regimes schuldig.

Im Zusammenhang mit den politischen Affären der letzten Monate wurde immer wieder in der Öffentlichkeit gefordert, daß an Politiker zusätzliche Forderungen zu richten sind.

Wenn ich die Diskussion richtig verfolgt habe, dann dürfen bzw. müssen an den, der über das politische Geschick dieses Landes bestimmt, auch besondere Anforderungen gestellt werden können. Wenn dies wiederum richtig ist, dann muß für uns in Sachsen-Anhalt auch noch im Jahr 2000 die Forderung nach Freiheit von Vorwürfen im Hinblick auf eine Stasi-Verstrickung gelten.

Deshalb, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD-Fraktion, werden wir diesen An- trag heute in Verbindung mit unserem Änderungsantrag unterstützen, und ich werbe insbesondere bei Ihnen ebenfalls um Zustimmung zu diesem Verfahren. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der DVU-FL - Zu- stimmung bei der FDVP)

Für die Fraktion der FDVP hat noch einmal der Abgeordnete Herr Wolf das Wort. Herr Wolf, bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der skandalöse Umstand, daß mindestens zwei Fraktionen dieses Landtages mit IMs infiziert sind, erfordert in regelmäßigen Abständen solche Anträge. Das ist notwendig wegen einer Regierung, deren Ministerpräsident sich vehement gegen § 46 a des Abgeordnetengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt stemmt und damit dem Problem nicht entrinnt, sondern in ihm versinkt.

Verschwundene Akten ergeben keine reine Weste, sondern mahnen uns, tätig zu werden. Wir wissen genau, daß die Stasi aus Kirchenkreisen erhebliche Hilfe und Informationen erhielt; Zusammenarbeit war durchaus die Regel. Immer neue Ungeheuerlichkeiten der Stasi treten ans Tageslicht, einer Stasi, die ihre Substanz aus Zuträgern und Denunzianten gewann, den IMs.

Die rücksichtslose Staatssicherheit und die politische Justiz der DDR standen unter dem Kommando des Politbüros der SED. Mehr als 200 000 Menschen wurden aus politischen Gründen zu einer Haftstrafe verurteilt.

Die Schandtaten der Staatssicherheit und der inoffiziellen Mitarbeiter sind nahezu grenzenlos. Jedes Mittel gegen Oppositionelle war recht, auch die Radioaktivität. Havemann und Bahro waren Opfer dieses perfiden Vorgehens. Bei den Strahlenanwendungen wurde weder bei den Zielpersonen noch bei den IMs Rücksicht auf mögliche Gesundheitsschäden genommen.

Erfunden und durchgeführt wurde die Operation vom operativ-technischen Sektor des MfS. Verantwortlich für die Schaffung chemischer, physikalischer und fotografischer Verfahren war die Abteilung 34 mit fünf Referaten und 107 Mitarbeitern. Hier wurde auch der Einsatz von radioaktiven Cäsiumstrahlen zur Durchleuchtung von Westautos auf Flüchtlingsverstecke an der Grenze in Marienborn ausgetüftelt.

In die Zeit der Enthüllung der Ungeheuerlichkeiten der Staatssicherheit greift nun der aktuelle Streit um die

Zulassung von Abhörprotokollen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit für den Untersuchungsausschuß des Bundestages unter der Maßgabe, das Stasi-Unterlagengesetz zu ändern, die Stasi-Akten zu vernichten und einen Schlußstrich unter die Vergangenheitsbewältigung zu ziehen. Diese Forderungen sind nicht neu; sie werden in Abständen wiederkehrend erhoben, sobald sich geeignete Anlässe dazu bieten.

Dem aber ist entgegenzuwirken; denn bei der Besetzung der Stasi-Zentrale im Jahr 1990 verlangten die Bürgerrechtler den uneingeschränkten Zugang der Opfer zu den widerrechtlich angelegten Spitzelakten des MfS. Es ging und geht um die Aufklärung der SED-Diktatur und ihres Terrorapparats. Politisch Verfolgte, Bürgerrechtler, Parlamentarier, Journalisten und Juristen diskutierten über den Umgang des Rechtsstaates mit den Akten des DDR-Unrechtsregimes.

Das Ergebnis ist das Stasi-Unterlagengesetz. Es regelt den Zugang zu den Spitzelakten des MfS und muß nicht geändert werden, weil den Opfern dabei ein besonde- rer Persönlichkeitsschutz eingeräumt wird. Sie können ohnehin entscheiden, ob sie ihre Stasi-Akten veröffentlichen oder nicht. Für die Zuträger und inoffiziellen Mitarbeiter des MfS kann und darf das nicht gelten. Sie müssen ständig damit rechnen, enttarnt zu werden. Jeder, der Opfer von Stasi-Bespitzelung wurde, kann diesen Persönlichkeitsschutz für sich beanspruchen und die Veröffentlichung der Abhörprotokolle verweigern.

Dennoch kann der Opferschutz seine Wirkung verlie- ren, sobald sich das Interesse einer Person der Zeitgeschichte nähert. Das gilt auch für die Person des Altbundeskanzlers Dr. Kohl.

Dennoch wird in der aktuellen Diskussion die vom Gesetzgeber bewußt getätigte Unterscheidung absichtlich unterschlagen. Während Herr Höppner einen künstlichen Ost-West-Konflikt konstruiert, geradezu hinterhältig vorgeht, fordert Herr Diestel die Vernichtung der Akten. Hierbei wird aber der innerdeutsche Ost-WestGegensatz instrumentalisiert und mit der Stasi-Problematik unzulässig vermengt. Die Aufarbeitung der Vergangenheit wird als westgesteuert diffamiert.

Es ist geradezu eine arglistige Täuschung der Öffentlichkeit, wenn MfS-Zuträger wie Stolpe und Gysi mit Stasi-Opfern auf eine Stufe gestellt werden. Aber gerade das verlangen auch die Genossen Thierse und Höppner in der ihnen eigenen Art.

Entsprechen Sie bitte unserem Antrag, es zur Installierung des Stasi-Sonderausschusses kommen zu lassen, damit die Öffentlichkeit erfährt, wer sich zu den nächsten Wahlen stellt und gegebenenfalls gewählt werden will.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Richtig!)

Die lebenden Opfer sollen und müssen wissen, wer ihre inoffiziellen und wer ihre offiziellen Peiniger waren. Den Hinterbliebenen der Ermordeten gilt unser Mitgefühl.

Herr Höppner, geben Sie den Weg frei, vertreten Sie nicht die Position der Verbrecher. Jeder Abgeordnete, der sein Gewissen befragt, kann sich dem Anliegen ohnehin nicht entziehen.

Im Interesse der Sache übernehmen wir den CDUÄnderungsantrag vollinhaltlich und fordern eine namentliche Abstimmung. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Herr Abgeordneter Wolf, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage - - Nein, wird zurückgezogen. Danke schön. Dann hat sich das erledigt.

Bevor die Debatte beendet wird, hat der Abgeordnete Herr Oleikiewitz um das Wort gebeten. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mir in den letzten Monaten und Jahren angewöhnt, etwas mehr Gelassenheit zu zeigen als am Anfang der Legislaturperiode. Was ich eben von Herrn Wolf und von Herrn Büchner gehört habe, hat dazu geführt, daß ich trotzdem das Wort ergreife, obwohl ich eigentlich nichts sagen wollte.

Herr Büchner, ich kann es nicht fassen, daß Sie sich hier hinstellen und daß Sie sich überhaupt nicht schämen, zu diesem Thema in diesem Hause das Wort zu ergreifen.