Protokoll der Sitzung vom 04.05.2000

Auf eine betriebliche Ausbildungsstelle bewarben sich im Jahr 1999 rein statistisch sage und schreibe 2,73 Bewerberinnen und Bewerber, meine Damen und Herren. Zum Vergleich: Im Jahr 1992 waren es noch 1,54 Bewerberinnen und Bewerber auf eine Stelle.

Fazit unter Berücksichtigung des Erfolges der oben genannten Vermittlungsquote: Die Verringerung des Angebotes an betrieblichen Ausbildungsstellen während der schwierigen wirtschaftlichen Lage mußte zwangsläufig zu einem Mißverhältnis zwischen betrieblicher und außerbetrieblicher Ausbildung führen. Im Jahr 1999 waren mit 17 171 Bewerberinnen und Bewerbern lediglich 42,9 % in betrieblicher Ausbildung, was einem Rückgang in sieben Jahren um etwa ein Fünftel entspricht.

Ich bin hoffentlich des Schlechtredens unverdächtig, wenn ich eine so drastische Zunahme des Ausmaßes betriebsferner Ausbildung kritisch zur Kenntnis nehme. Es ist augenscheinlich und wurde kürzlich gutachterlich festgestellt, daß etwa ab der Mitte dieses Jahrzehnts allein demographisch bedingt betrieblich oder wenigstens betriebsnah ausgebildete junge Fachleute zunehmend gefragt, jedoch immer weniger vorhanden sein werden.

Die Stärkung des Systems der dualen Berufsausbildung vor allem durch die Steigerung des Angebots an betrieblichen Ausbildungsplätzen ist deshalb ein zentrales Anliegen in unserem Antrag. Dabei - um das vorwegzuschicken - haben wir sehr wohl auch diejenigen Jugendlichen nicht aus den Augen verloren, die hinsichtlich ihrer Entwicklungsfähigkeit und sozial bedingt im Kampf um die Teilhabe an dualen Ausbildungsmöglichkeiten benachteiligt sind.

Die in diesem Zusammenhang angewandten Programme verstärkt auch auf Möglichkeiten betrieblicher Anbindung hin zu untersuchen bzw. spezifischer auf tatsächliche Fördertatbestände hin auszurichten, ist ein Anliegen, das wir begrüßen würden.

Ich gebe meinem Kollegen Andreas Siegert recht: Die Regulierung von Programmen wird mit Besonnenheit vorgenommen werden müssen. Eine Erhöhung der Zahl der betrieblichen Ausbildungsplätze wird nicht durch den Landtag zu beschließen sein. Sehr wohl aber lohnt sich der offene Dialog, er ist sogar erforderlich.

Der als vielgefragter Analytiker geschätzte und heute schon zitierte Professor Burkhard Lutz bezeichnete das, was jetzt an politischem Handeln notwendig ist, als „die Stunde der Politik“. Damit hat er wohl recht, und ich habe meine Überschrift, wie Sie bemerkt haben werden.

Zunächst freut es mich, daß seit dem Herbst 1998, spätestens ab dem Ausbildungskonsens vom 22. Oktober des letzten Jahres, die Politik offensichtlich auch auf Bundesebene die Stunde der Politik in Sachen beruflicher Ausbildung und entsprechender notwendiger Veränderungen erkannt hat.

Um beim Thema zu bleiben: Der Konsens darüber, das System der dualen Berufsausbildung zu stabilisieren und unter Einbeziehung des Satellitenmodells der Kammern weiterzuentwickeln und zu flexibilisieren, ist dafür ein beredtes Beispiel und ist uns dabei besonders wichtig, und zwar aus mehreren Gründen.

Betrachten wir die Möglichkeiten der Beschäftigung der Jugendlichen nach der Berufsausbildung, haben wir festzustellen, daß

a) der Anteil der Jugendlichen, die zwar betrieblich ausgebildet, jedoch vom Ausbildungsbetrieb nicht übernommen werden, kontinuierlich angestiegen ist und daß

b) folgerichtig die Zugänge an Arbeitslosigkeit nach der betrieblichen Ausbildung von 0,6 % im Jahr 1991 auf 3,5 % im Jahr 1999 angestiegen sind.

Und dennoch - und das ist uns wichtig - ist die Verweildauer dieser Jugendlichen in der Arbeitslosigkeit gegenüber Jugendlichen ohne betriebliche Ausbildung erheblich geringer.

Somit stellt sich die Frage, ob und wie denn das Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze erhöht werden kann. Zwei Problemfelder, die dem im Wege stehen könnten, sind heute in der Debatte zur Großen Anfrage der PDSFraktion bereits genannt worden, nämlich strukturelle Defizite und demographische Faktoren.

Dennoch scheint es Sinn zu machen, über Möglichkeiten veränderter Rahmenbedingungen auch auf Landesebene zu sprechen. Selbst das Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit hat vernünftigerweise - wie ich finde - zur Erschließung zusätzlicher Kapazitäten an betrieblichen Ausbildungsplätzen die Umwidmung von Mitteln nicht ausgeschlossen. Also lohnt sich zunächst ein Blick auf die Branchen und Unternehmen, in denen ausgebildet wird.

Selbst wenn ich weiß, daß die Bereitschaft zur Ausbildung mit zunehmender Größe des Unternehmens steigt, selbst wenn ich berücksichtige, daß kleine Betriebe wegen des zugegebenermaßen geringeren eigenen Bedarfs zum Teil in längeren Abständen ausbilden, bleibt die Tatsache bestehen, daß 49 % der Unternehmen in Sachsen-Anhalt ohne Ausbildungsberechtigung sind, 51 % also über eine Ausbildungsberechtigung verfügen, aber nur 30 % ausbilden.

Wenn ich in diesem Zusammenhang von veränderten Rahmenbedingungen spreche, dann soll der Rahmen anreizende Bedingungen enthalten, die Ausbildungsbereitschaft bei nichtausbildenden Unternehmen unterstützen und nicht an zwingenden Fesseln Druck ausüben.

Ich habe, wenn ich in die Geschichte zurückblicke, meine Zweifel daran, ob die CDU-Fraktion immer bereit war, sich den Beschlüssen der von ihr getragenen Landesregierung zu widersetzen.

(Unruhe bei der CDU)

Wir jedenfalls tun dies.

Ob nun die vom DGB gemachten Vorschläge zur Verbesserung der Ausbildungssituation in den neuen Bundesländern unter dem Kurzwort „Triale Ausbildungsinitiative“ - kürzer als „Trabi“ bekannt - Ansätze dafür enthalten, darf durchaus Gegenstand einer ernsthaften Erörterung sein. Ohne eine Empfehlung vorzugeben,

möchte ich jedenfalls davon ausgehen, daß die Landesregierung diesen Vorschlag in den Bündnisgesprächen diskutieren und sich dazu in den Ausschüssen äußern wird.

Ein anderer Aspekt wäre beispielsweise die Betrachtung der Bewerberinnen- und Bewerberstrukturen und der Strukturen der neu abgeschlossenen Berufsausbildungsverträge. Die zu treffende Feststellung, daß 3 240 Studienberechtigte im Markt der dualen Berufsausbildung Ausbildungsverträge binden, muß zu weiteren Überlegungen führen, wie ich deren Studierwilligkeit wecke, stimuliere und unterstütze, wie auch immer. Immerhin sind das 14 % der Plätze in der dualen Ausbildung, die klassisch für Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Hochschul- bzw. Fachhochschulreife geeignet wären, die aber durch eigentlich zu anderer Ausbildung Berufene besetzt sind.

Richtig spannend machen - dafür bitte ich um Ihr Verständnis - werden wir es bei tieferer Betrachtung zum Bespiel der Entwicklungen in den einzelnen Branchen oder neuer Berufe, aus Zeitgründen aber nicht heute, sondern in den Ausschüssen. Interessant wird dann dort auch sein, zu beobachten, wie Ausbildungsverbünde und Verbundstrategien auf die Akquise zusätzlicher betrieblicher Ausbildung wirken.

Meine Damen und Herren! Abschließend sei mir die Bemerkung erlaubt: Es handelt sich wohl tatsächlich um die Stunde der Politik, wenn wir bemerken, daß trotz gestiegener staatlicher Förderung der Berufsausbildung keine Steigerung der betrieblichen Ausbildung erfolgt, sich Verzerrungen der Berufsstrukturen ergeben, Fördermittelmentalitäten und Mitnahmesüchte sich verbreiten und deshalb die Gefahr besteht, daß bei Fördermittelrückgängen die Ausbildungsbereitschaft nachlassen könnte. Dann - jedenfalls schätzen wir das so ein - bedarf es gemeinsamer Diskussionen vor der gemeinsamen Anstrengung.

Unsere Erwartung, daß auch bei veränderten Förderstrukturen die Wirtschaft ihrer Ausbildungsverantwortung nachkommt, bleibt davon unberührt; denn - mit ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, verlese ich ein letztes Zitat von Professor Burkhard Lutz im Zusammenhang mit dem künftigen Bedarf an industrieller Facharbeit -:

„Es ist offenkundig eine Aufgabe von hoher Dringlichkeit, die noch vorhandenen Elemente und Strukturen arbeitsmarktgängiger industrieller Qualifikation zu bewahren, soweit sie bedroht sind, und ihre schrittweise Überleitung in lang- fristig stabile Verhältnisse einzuleiten.“

Nach dem, was ich beobachte, haben wir in der Landesregierung und bei den Bündnispartnern die Kompetenz und die Bereitschaft. Lassen wir es gemeinsam darauf ankommen. Darauf freue ich mich.

Was den Änderungsantrag der CDU betrifft, so halte ich unseren Antrag für weitreichender und für an wesentlichen Punkten konkreter, so daß wir den Änderungs- antrag ablehnen werden.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von der Regie- rungsbank - Herr Dr. Bergner, CDU: Na klar!)

Danke sehr. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Dr. Harms, Kultusminister. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Namens der Landesregierung möchte ich den vorliegenden Antrag der Fraktion der SPD in seinen vier Punkten unterstützen und dieses begründen.

Das Sonderprogramm zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit „Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung Jugendlicher“ hat sich auf Bundesebene und auch in Sachsen-Anhalt als ausgesprochen erfolgreich herausgestellt. Bei der Erstauflage im Jahre 1999 wurden hierfür in Sachsen-Anhalt allein 151 Millionen DM bereitgestellt, wobei insbesondere Maßnahmen der beruflichen Erstausbildung mit 1 600 Jugendlichen, der beruflichen Nach- und Zusatzqualifikation mit 1 300 Jugendlichen, Qualifizierungs-ABM für 2 300 Jugendliche und Lohnkostenzuschüsse für arbeitslose Jugendliche für 1 400 Jugendliche umgesetzt wurden. Dies hat insbesondere dazu geführt, daß die Altnachfrage abgebaut werden konnte.

Die Partner im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben sich im Ausbildungskonsens zum Ziel gesetzt, daß jeder junge Mensch, der will und kann, ausgebildet wird. Dies ist auch eine Zielstellung, die wir in Sachsen-Anhalt mit großem Nachdruck verfolgen. Die Ergebnisse zeigen - ich will das noch einmal ganz deutlich sagen -, daß wir durchaus auf diese Politik stolz sein können. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wie auch der Blick auf andere Länder zeigt, und man sollte nicht immer mit roten Laternen winken, sondern auch sagen, was richtig gut gelaufen ist.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Minister- präsident Herrn Dr. Höppner)

Die Bündnispartner auf Bündnisebene haben sich im Oktober 1999 auf gemeinsame Grundlagen verständigt. Ich will einige Eckpunkte nennen:

Erstens die strukturelle Weiterentwicklung der Berufsausbildung in Anpassung an den technologischen Wandel gemäß den Ansätzen zur stärkeren Ausprägung einer Grundqualifikation und einer berufsspezifischen Vertiefung,

zweitens die Verbesserung der Kooperation zwischen Betrieb und Schule - eine alte Forderung -,

drittens die Differenzierung der Berufsausbildung gemäß dem Leistungsvermögen der Jugendlichen - eine zunächst plausible, in der Umsetzung aber außerordentlich schwierige Frage -,

viertens die Neugestaltung der Abschlußprüfungen am Ende der Ausbildung.

Zugleich wird an zentralen Merkmalen des dualen Systems der Berufsausbildung festgehalten, nämlich dem Ausbildungsziel der Berufsfähigkeit, das die Fähigkeit zur Weiterbildung einschließt; die Orientierung am Berufskonzept, wonach die Ausbildung durch Zusammenführung von Grund- und Fachqualifikation zu möglichst breit angelegten, bundeseinheitlich geregelten Ausbildungsberufen führt; das Konsensprinzip zwischen den Sozialpartnern über die Eckdaten der einzelnen Ausbildungsberufe und über die Kooperation von Ausbildungsbetrieb und Berufsschule.

Die Bündnispartner haben sich im Ausbildungsbereich weiterhin auf folgende Maßnahmen verständigt:

- Eine Offensive zum Abbau des IT-Fachkräfte-Mangels. Hierzu wird auch gegenwärtig in Sachsen-An

halt an einer Offensive zur Ausbildung in Medien- und IT-Berufen gearbeitet.

- Maßnahmen zur Sicherung und Weiterentwicklung des Ausbildungsplatzangebotes in den neuen Ländern - das ist das Thema, das uns hier schwerpunktmäßig beschäftigt - mit dem Schwerpunkt der Ausweitung des betrieblichen Ausbildungsplatzangebotes sowie der Weiterentwicklung und Umstrukturierung der öffentlich finanzierten Ausbildungsplatzprogramme. Wir haben unter dem letzten Tagesordnungspunkt über die Probleme in diesem Bereich gesprochen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.

- Die Früherkennung neuen Qualifikationsbedarfs und die Schaffung neuer Berufe.

- Die inhaltliche und organisatorische Verknüpfung von berufsvorbereitenden Maßnahmen und anschließender Berufsausbildung.

- Die Weiterentwicklung der Konzepte zur Förderung benachteiligter Jugendlicher.

Lassen Sie mich einen Schwerpunkt des Reformbedarfs durch einige Thesen zu den Bildungsanforderungen im Übergang zur Informationsgesellschaft kurz begründen.

Die Entwicklung der Mikroelektronik, die Standardisierung von Hard- und Softwarekomponenten und der damit einhergehende Preisverfall haben zu einer raschen Zunahme der Anwendungsmöglichkeiten in allen Tätigkeitsbereichen geführt.

Dem globalen Wettbewerb unterliegen längst nicht mehr nur einzelne große Unternehmen und multinationale Konzerne, auch kleine und mittlere Betriebe aller Branchen sind in ihrer Praxis davon betroffen. Um hier zu bestehen, sind Qualität, größere Kundennähe, schnelle Innovation und günstige Preisgestaltung erforderlich.