Dem globalen Wettbewerb unterliegen längst nicht mehr nur einzelne große Unternehmen und multinationale Konzerne, auch kleine und mittlere Betriebe aller Branchen sind in ihrer Praxis davon betroffen. Um hier zu bestehen, sind Qualität, größere Kundennähe, schnelle Innovation und günstige Preisgestaltung erforderlich.
Die in den letzten Jahren vollzogenen Veränderungen der Produktions-, Organisations- und Entscheidungsstrukturen in Betrieben erfordern Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die diesen Anforderungen nicht nur entsprechen, sondern selbst in der Lage sind, in diesem schnellen Wandel aktiv mitzugestalten. Vor diesem Hintergrund müssen Ausbildungsberufe den Einstieg in ein offenes und dynamisches Berufsmodell unterstützen, das die klassischen Grenzen zwischen technischen und kaufmännischen Qualifikationen überwindet.
Ein modernes Ausbildungskonzept muß auf zwei sehr gegensätzlich wirkende Trends reagieren: Einerseits verlangt der gerade für die Informationstechnik typische schnelle Wandel mehr Generalisten, anderseits spezialisieren sich immer mehr Firmen und Fachleute auf einen eng abgegrenzten Sektor, in dem hochgradige Spezialisten in der Lage sind, in Nischen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern.
Deshalb brauchen wir in der Weiterentwicklung der Berufsbildung die Verbindung einer breiten Basisausbildung mit spezialisierenden Elementen, und wir brauchen ein Konzept lebenslangen Lernens, das es ermöglicht, die berufliche Weiterbildung stärker als integrales Element des Bildungswesens zu verstehen.
Die in dem Antrag der SPD-Fraktion in den Punkten 1 und 3 formulierten Zielstellungen stehen im Einklang mit den Empfehlungen des Bündnisses bzw. der Arbeitsgruppe „Aus- und Weiterbildung“ des Bündnisses einer
seits sowie den stärker auf die Situation in Sachsen-Anhalt ausgerichteten Empfehlungen des bereits zitierten Gutachtens von Professor Lutz.
Wenngleich die Reform der dualen Berufsausbildung und die Umsetzung der Empfehlungen dazu beitragen werden, die Ausbildungsbereitschaft der Wirtschaft insbesondere in neuen und zukunftsorientierten Berufen zu stimulieren, wird mittelfristig bis etwa 2007 weiterhin die Notwendigkeit bestehen, mit außerbetrieblichen Ausbildungsplatzprogrammen die Ausbildungslücke in Sachsen-Anhalt zu schließen. Auch in diesem Bereich wird eine stärkere Zukunftsorientierung und eine bessere Orientierung an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes notwendig sein. Dies gilt für alle außerbetrieblichen Sonderprogramme, in verstärktem Maße aber für das Sonderprogramm „Berufsfachschule in Kooperation mit der Wirtschaft“, das in der bisherigen Form als Lückenschlußprogramm auf das unbedingt notwendige Maß zurückgeführt werden muß.
Meine Damen und Herren! Die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen ist und bleibt primär Aufgabe der Wirtschaft und liegt in ihrem eigenen Interesse. Nicht zuletzt die gegenwärtige Diskussionen um eine Greencard für IT-Berufe, um einen Technikermangel und eine Lücke bei den Fachkräften im Metall- und Elektrobereich zeigen, daß unterlassene langfristige Ausbildungsbemühungen im Hinblick auf den eigenen betrieblichen Nachwuchs am Ende ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung und die Wettbewerbsfähigkeit werden.
In Sachsen-Anhalt werden ab dem Jahr 2005 die Schulentlaßjahrgänge drastisch schrumpfen. Gleichzeitig wird in diesen Jahren altersbedingt eine größere Zahl von Erwerbstätigen aus dem aktiven Berufsleben ausscheiden. Professor Lutz nennt das die demographische Falle, in die wir hineinzulaufen drohen. Der Wirtschaft ist deshalb zu raten, schon jetzt entsprechend dem mittel- und langfristigen Fachkräftebedarf verstärkt auszubilden und dementsprechend betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen.
Vor diesem Hintergrund sind unseres Erachtens die notwendigen Fragen in dem Antrag der SPD-Fraktion angesprochen. Die Landesregierung empfiehlt die Zustimmung zu diesem Antrag. Der im CDU-Antrag vorgesehenen Reduzierung der Fragestellung können wir nicht zustimmen. - Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Frau Dr. Hein, PDS, von Frau Stolfa, PDS, und von der Regierungsbank)
Herr Minister Dr. Harms, der Abgeordnete Herr Dr. Bergner hat eine Frage. Sind Sie bereit zu antworten? - Bitte, Herr Dr. Bergner.
Herr Minister, Sie haben noch einmal hervorgehoben, daß sich die Vermittlungszahlen des Landes SachsenAnhalt im Vergleich der Länder durchaus sehen lassen können. Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang den Umstand, daß sich diese relativ günstige Vermittlungsquote in der Statistik der Jugendarbeitslosigkeit überhaupt nicht niederschlägt und daß sie offensichtlich mit höheren Kosten als in anderen neuen Bundesländern bei der staatlichen Begleitung bzw. Förderung pro Ausbildungsplatz erkauft ist?
Das bewerte ich wie folgt: Das eine ist, die Entwicklung der Jugendarbeitslosigkeit drückt die generelle wirtschaftliche Situation aus, die wir aus strukturbedingten Gründen auch in den anderen Arbeitslosenzahlen finden. Daher sind wir zu der Auffassung gekommen, daß wir den jungen Leuten eine bessere Möglichkeit schaffen, wenn eine Basisausbildung vorhanden ist. Es zeigt sich, daß langfristig die Arbeitsmarktchancen mit einer Ausbildung immer größer sind, als wenn auf diese Maßnahmen verzichtet würde.
Die Landesregierung und ich sind sicher mit Ihnen einig, daß wir hier tatsächlich so etwas wie ein Lückenschlußprogramm haben. Wir haben eine Ausbildungslücke, die auch aufgrund der Kraft der Wirtschaft und der Zahl der vorhandenen Betriebe nicht aus betrieblicher Kraft allein zu schließen ist. Hier ist der Staat zu Handlungen gefordert und - jedenfalls nach unserem politischen Verständnis - geradezu gezwungen.
Daß das zu höheren Kosten führt, ist vor dem Hintergrund dieser Argumentation eine Selbstverständlichkeit. Ich glaube, es ist gut angelegtes Geld, möglichst vielen Jugendlichen eine Ausbildung zu verschaffen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion greift Zielstellungen und Maßnahmen zur Gewährleistung der beruflichen Erstausbildung in Sachsen-Anhalt auf. Er nimmt dabei Bezug auf den Ausbildungskonsens im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit auf Bundes- und Landesebene. Hierzu muß folgendes angemerkt werden:
Bereits vor einem Jahr hatte die SPD-Fraktion einen ähnlichen Antrag in der Drs. 3/1146 eingebracht. Darin wurden die Landesregierung und die Bündnispartner zur Nutzung aller gebotenen Möglichkeiten aufgefordert, den Anteil an betrieblichen Ausbildungsplätzen zu erhöhen. Jetzt machen Sie die gleiche Forderung nochmals auf und untersetzen diese Forderung mit Berufsanforderungen und begrenzten Fördertatbeständen.
Offenbar hat sich, was notwendige Abstimmungen mit den Tarifpartnern und das Setzen ausreichender Rahmenbedingungen in der Wirtschaft betrifft, nichts Entscheidendes bewegt. Das Wesentliche, was in der parlamentarischen Ausschußarbeit zur beruflichen Erstausbildung erkennbar war, sind Zweifel am Koopera- tionsmodell „Schule/Wirtschaft“.
Alljährlich, meine Damen und Herren, erwarten wir im ersten Quartal den Berufsbildungsbericht der Landesregierung. Er wurde erst gestern den Fraktionsvorsitzenden zugestellt. Seine Auswertung ist unumgänglich für die weiteren Arbeitsschritte und auch für Schlußfolgerungen zur Erweiterung der betrieblichen Erstausbildung in Sachsen-Anhalt.
Der Berufsausbildungsbericht muß neben dem von der Landesregierung in Auftrag gegebenen Gutachten zur Evaluierung der Vorhaben zur Förderung der beruflichen
Erstausbildung als Diskussionsgrundlage in den Fachausschüssen dazu dienen, die weiteren Zielstellungen und Maßnahmen im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit zu erläutern und ihre Sinnhaftigkeit auch politisch einzuschätzen. Hierzu fordern wir die Landesregierung mit unserem Änderungsantrag auf. Dabei muß auch die Entwicklung des künftigen Fachkräftebedarfs unter Einbezug unserer Wirtschaftsinstitute eruiert werden.
Meine Damen und Herren! In Auswertung der bisherigen analytischen Unterlagen ist folgende Einschätzung berechtigt:
Erstens. Die Ausbildungsqualität ist noch unzureichend, was hohe Ausbildungsabbruchquoten, Prüfungsdurchfallquoten und Unterrichtsausfälle sowie der noch hohe Anteil an Altnachfragen belegen. Der äußerst hohe Anteil der Bewerber ohne Schulabschluß - immerhin 8,7 %, alte Bundesländer 4,5 % - gibt sehr zu denken. In dieser Hinsicht stehen wir an letzter Stelle.
Zweitens. Die Überführung und Nutzbarmachung neuer Ausbildungsberufe erfolgt in Sachsen-Anhalt zu zögerlich. Auch auf diesem Gebiet lagen wir im Jahr 1999 beim Zuwachs bundesweit an letzter Stelle.
Drittens. Das Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze ist unzureichend und nach 1997 bei steigendem Bedarf gesunken.
Es ist aber unsinnig, von einem Scheitern der dualen Ausbildung zu sprechen, wie es die PDS auf ihrer bildungspolitischen Konferenz am vergangenen Wochenende darstellte.
- So war es jedenfalls laut der Einladung erkennbar. - Diese Einschätzung dient nur der Einforderung einer Ausbildungsplatzumlage. Deren Einführung wäre allerdings fatal und - ich sage es noch einmal - das Ende für eine betriebliche Ausbildungskooperation.
Allerdings wird im Vergleich zu 1999 im Jahre 2000 eine leichte Stabilisierung bei den betrieblichen Ausbildungsplätzen erwartet. Insbesondere bis in das Jahr 2005 - erst danach gibt es eine demographische Atempause - stehen Wirtschaft, Landesregierung, Tarifpartner und Politik weiterhin in der Pflicht, um den Andrang der ausbildungsbedürftigen Jugendlichen sinnvoll zu steuern.
Es ist berechtigt, die entsprechenden Fördertöpfe neu zu ordnen bzw. zu füllen. Es darf aber keinen abrupten Abbruch geben. Eine ausschließliche Förderung von Berufen mit hohem Zukunftspotential wäre allerdings überzogen.
Ebenso besteht die Notwendigkeit, betriebliche Neugründungen für eine Ausbildung oder Ausbildung über den Bedarf hinaus und vieles mehr zu fördern. Es muß dringend gewährleistet werden, daß bis zum Jahr 2005 die Ausbildungsbereitschaft weiter gefördert wird. Da- zu zählt auch der Einsatz in Form eines externen Ausbildungsmanagements, wie es sich in Ausbildungsverbünden einbringen läßt. Ebenso muß oder kann zu den neuen Modellen - Satellitenmodell, Modulverkettung usw. - Stellung bezogen werden.
Das und eine Vielzahl weiterer Erfordernisse zur Sicherung der dualen Ausbildung sowie der Bedarf an weiteren staatlichen Sonderprogrammen sind in den oben genannten Ausschüssen zu bewerten.
Unser Änderungsantrag liegt Ihnen vor. Ich meine, er behandelt umfassender das Thema der beruflichen Erstausbildung. Ich könnte Sie nun im Ihre Zustimmung bitten. Da aber geäußert worden ist, daß Sie ihn ablehnen wollen, was mir unverständlich erscheint, da die Punkte, die Sie im konkreten genannt haben, die aber nicht alle so mitgetragen werden können - darüber muß diskutiert werden -, darin enthalten sind,
- ja - schlage ich vor, daß wir unseren Änderungsantrag als Ergänzung des Antrages der SPD um die Punkte 5 und 6 zur Abstimmung bringen. Ich bitte darum, daß über die einzelnen Punkte getrennt abgestimmt wird. - Vielen Dank.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der DVU-FL hat auf einen Beitrag verzichtet. Somit spricht jetzt die Abgeordnete Frau Ferchland für die PDS-Fraktion. Bitte, Frau Ferchland.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zur Erinnerung: Im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit wurde im Sommer 1999 verabredet, daß jeder Jugendliche, der ausgebildet werden will, auch einen Ausbildungsplatz erhält und daß allen bis zum 30. September bei den Arbeitsämtern nicht vermittelten Bewerbern ein wohnortnahes Ausbildungsverhältnis im gewünschten Berufsfeld angeboten wird. Die Wirtschaft unterstrich dies noch einmal, bekräftigte ihre Ausbildungszusage und erklärte, sie werde bundesweit mindestens 10 000 Ausbildungsplätze zusätzlich bereitstellen. - Soweit zur Zielstellung in Punkt 1 des Antrages. Das unterstützen wir.
Unter Punkt 2 des Antrages wird die Landesregierung gebeten, ergänzende Maßnahmen zu ergreifen, um das duale System zu sichern. - Die Zielsetzung ist das eine. Wie aber sieht die Bilanz des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit aus?
Zur Erinnerung: Jährlich bewerben sich ca. 40 000 Jugendliche in Sachsen-Anhalt um einen Ausbildungsplatz. Das Angebot an betrieblichen Ausbildungsstellen in Sachsen-Anhalt ging auch im letzten Jahr um 3,7 % zurück. Vor allem im Handwerk, im öffentlichen Dienst und bei den freien Berufen verringerte sich das Angebot an betrieblichen Stellen spürbar. Um jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu gewähren, werden außerbetrieblichen Ausbildungsplätze angeboten. 41 % aller gemeldeten Ausbildungsverhältnisse in SachsenAnhalt sind außerbetriebliche. Hier haben wir eine Steigerung um 3 % zu verzeichnen.
In Sachsen-Anhalt wurden zum Stichtag 30. September nur noch 48 % der Jugendlichen in das duale System vermittelt. Mädchen werden besonders aus dem dualen System verdrängt. Das haben wir im letzten Jahr schon des öfteren festgestellt.
Herr Dr. Sobetzko, das duale System wird seit Jahren durch Sonderprogramme künstlich beatmet und durch die Förderpraxis künstlich ernährt. Ich erinnere daran, daß 89 % aller betrieblichen Ausbildungsplätze im Land gefördert werden. Offensichtlich ist das duale System mit Verabredungen und Appellen an die Wirtschaft nicht zu sichern oder auszuweiten, wie Sie in dem Antrag schreiben. Es ist nämlich kaum noch existent.
Nun werden wir das duale System nicht gleich über Bord werden, Herr Dr. Sobetzko; denn es hat international einen guten Ruf. Das Zusammenwirken von Theorie und Praxis, von Lernen und Arbeiten, von Berufsschule und Betrieb im dualen System der Berufsausbildung führte immerhin zu qualifizierten Facharbeiterinnen und Facharbeitern.
Was wir benötigen, ist eine strukturelle Weiterentwicklung der dualen Berufsausbildung. Diese muß sich an den gegenwärtigen und zukünftigen Veränderungen in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft sowie den Bildungs- und Qualifikationsinteressen der Menschen orientieren. Die Entwicklung hin zur Informationsgesellschaft in einem zunehmenden globalen Wettbewerb erfordert eine flexible Anpassung auch der Berufsaus- bildung.
Dazu müssen die Strukturen der dualen Berufsausbildung stärker so gestaltet werden, daß Betriebe und Berufsschulen die erforderlichen Handlungsspielräume für eine bedarfsgerechte Berufsausbildung erhalten. Auf diese Weise kann ein stärkeres Auseinandertriften von Berufsbildung und Beschäftigungssystem verhindert werden. Dies entspricht nicht nur wirtschaftspolitischen Anliegen, sondern sichert gleichzeitig Zukunftschancen von Jugendlichen.
Sie sehen, Ihr Antrag geht uns leider nicht weit genug. Wir wissen jedoch auch, daß eine strukturelle Weiterentwicklung bundespolitisch durchgesetzt und gewollt werden muß. Allerdings, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, habe ich den Eindruck, daß es hierzu an Konzepten mangelt. Wir werden sehen, ob es eine dritte Auflage von „Jump“ geben wird.