Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Der Rechtsextremismus ist eine Bedrohung der Demokratie, selbst wenn wir im Deutschland von heute nicht grundsätzlich um ihren Fortbestand fürchten müssen. Unsere Demokratie ist gefestigt und wehrhaft, und damit das so bleibt, müssen wir Demokraten weiterhin Dialogbereitschaft und Kompromissfähigkeit untereinander üben. Das heißt, wir müssen täglich um sie kämpfen; denn die beste Vorsorge gegen die Gewalt ist die Erziehung zur Demokratie. Je geringer die Identifikation mit dem politischen System ist, desto größer ist die Gefahr der Radikalisierung und Gewaltbereitschaft.

Der Rechtsextremismus hemmt auch die Entwicklung der Unternehmen in unserem Land. Er gefährdet die gesamte wirtschaftliche Entwicklung in einer vernetzten Welt, die kein Verständnis hat, wenn das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern in Deutschland massiv gestört ist. Wenigstens das sollte auch all jenen zu denken geben, die die Grundwerte allein nicht so hoch zu schätzen bereit sind.

Meine Damen und Herren! Rechtsextremistische Gewalt gibt es nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

(Frau Wiechmann, FDVP: Aha!)

Aber wir Deutschen sind besonders gefährdet; denn schließlich ging vom deutschen Rechtsextremismus das Schlimmste aus, was auf dieser Welt je geschehen ist. Es gibt ihn nicht nur in den neuen Bundesländern, sondern in ganz Deutschland. Aber in den neuen Bundesländern hat er eine besondere Ausprägung, weil man sich in ihnen jahrzehntelang nicht ernsthaft oder wenigstens nicht ernsthaft genug damit auseinander ge

setzt hat und die Umbruchszeit viele Menschen besonders anfällig dafür gemacht hat.

Rechtsextremismus gibt es nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in den anderen neuen Bundesländern. Aber wir nehmen unter ihnen wenigstens in Teilen der Statistik und der öffentlichen Wahrnehmung leider einen besonders schlechten Platz ein. Schließlich bezieht sich unsere Verantwortung in erster Linie auf das Land Sachsen-Anhalt. Deswegen ist es richtig und wichtig, wenn wir uns auf unsere Aufgaben konzentrieren.

(Herr Miksch, fraktionslos: Dann schafft Arbeits- plätze!)

Meine Damen und Herren! Was ist zu tun? Was sind die Ursachen, die Wurzeln und wo liegt die Entstehung? Wo müssen wir mit unserem Wiederstand beginnen?

Hass und Gewaltbereitschaft sind in unserer Gesellschaft leider weit verbreitet. Der Rechtsextremismus hat schon oft bewiesen, dass er diese Bereitschaft zur Gewalt kanalisiert, in eine Richtung lenkt und für seine menschenverachtenden Zwecke missbraucht. Besonders jungen Menschen liefert er eine verhängnisvolle scheinbare Rechtfertigung für Gewalttaten, die damit die scheinbare Erlaubnis erhalten, ihre Gewaltbereitschaft auszuleben, statt dass sie gedämpft wird. Daraus entsteht wiederum neue Gewalt.

Aber ehe es zur materiellen Gewalt kommt, gibt es viele Vorstufen, zum Beispiel in der Sprache, in Gesten, in der Kleidung, in Symbolen und auch in der Musik, wie wir inzwischen aus einschlägigen Erfahrungen wissen. Insbesondere der Ausländerhass beginnt bereits mit der Wahl der Sprache.

Es gilt also, eine Kette vom Hören und Denken über das Sprechen bis hin zum Handeln zu durchbrechen. Je früher die Kette durchbrochen wird, desto besser.

Entgegen einer immer wieder zu hörenden Meinung ist es offenbar nicht in erster Linie die Arbeitslosigkeit, die Menschen, vor allem junge Menschen, zum Rechtsextremismus treibt. Jedenfalls sagen die Zahlen etwas anderes aus. 85 % der im Land Sachsen-Anhalt gestellten rechtsradikalen Tatverdächtigen hatten einen festen Arbeitsplatz, nur 15 % waren arbeitslos. Das lässt bei einer Arbeitslosenquote von 20 % jedenfalls nicht den genannten Schluss zu.

Umgekehrt wissen wir, dass auch der Wohlstand und die Entwicklung eines Landes offensichtlich keinen sicheren Schutz vor Gewalt und Rechtsextremismus bieten.

Adriano Massalo, der Vater des Ermordeten Alberto Adriano, wird mit der Frage zitiert: „Wie können Menschen in einem so reichen und entwickelten Land so barbarisch sein?“ - Sie können es, meine Damen und Herren, sie können es!

In dem Stück „Die Wannsee-Konferenz“, das jahrelang auf dem Spielplan des neuen theaters in Halle stand und auch in vielen anderen Städten aufgeführt wurde, hat mich eine Stelle besonders erschüttert. Es ist die Szene ganz am Anfang, in der sich die Organisatoren des Holocaust einzeln kurz mit ihrer Herkunft, Ausbildung und Beruf vorstellen. Sie stammten fast alle aus so genannten gutbürgerlichen Familien, hatten eine vorzüglichen Ausbildung an deutschen Universitäten genossen und hatten einen beruflichen Aufstieg genommen. Das alles ist offensichtlich kein Schutz vor Barbarei.

Meine Damen und Herren! Auch Versäumnisse gehören zu den Ursachen der Gewaltbereitschaft und des Rechts

extremismus. Unterlassungen können, wie wir alle wissen, genauso verurteilenswert sein wie Handlungen. Also müssen wir auch auf sie verweisen. Die Gefahr ist schließlich nicht neu.

Wenn ich richtig informiert bin, kamen im Jahre 1980 bei rechtsextremistischen Terroranschlägen in Deutschland insgesamt 17 Menschen ums Leben. Jahrelang wurde auf den Rechtsextremismus hingewiesen und jahrelang wurde er verharmlost. Politik und Justiz waren in Deutschland sehr lange auf den Linksextremismus fixiert und wiegelten den von rechts kommenden Terror ab. Bei den Tätern sprach man meist von so genannten Einzeltätern.

Auch diese Versäumnisse müssen jetzt korrigiert werden. Zusammen mit der entstehenden Gegenbewegung kommt das zwar spät, aber nicht zu spät.

Meine Damen und Herren! Es ist hier nicht der Ort für eine eingehende Analyse der Ursachen des Rechtsextremismus. Doch wer sich näher damit beschäftigt, gelangt zu der Einsicht, dass er aus der Mitte unserer Gesellschaft kommt. Wenn das so ist, muss er aus der Mitte der Gesellschaft heraus bekämpft werden.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Auch dem alltäglichen Rechtsextremismus ist ständig entgegenzutreten. Nur dann wird der Kampf erfolgreich sein.

Allerdings bin ich der Ansicht, dass man es sich nicht zu leicht machen darf und nicht die Gesellschaft in der Gesamtheit zu Schuldigen erklären darf. Jeder muss etwas tun und muss sich fragen lassen, ob es genug ist. Die Frage sollte allerdings nur von denjenigen gestellt werden, die sich auch selbst danach fragen.

Beginnen wir bei uns, bei den Parteien und Politikern, bei den Volksvertretern und Gesetzgebern. Zunächst dürfen wir feststellen, dass wir nicht gänzlich untätig gewesen sind.

Die Landesregierung hat bereits Anfang des Jahres 1999 das „Handlungskonzept für ein demokratisches und weltoffenes Sachsen-Anhalt“ verabschiedet, in dem vielfältige Aktivitäten, die schon lange vorher begonnen hatten, zusammengestellt und ergänzt wurden. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat am 16. April 1999 auf der Grundlage eines Antrages der SPD-Fraktion darüber diskutiert.

Die SPD-Fraktion hat am 29. Januar dieses Jahres im Landtag eine viel beachtete und gut besuchte Tagung mit dem Thema „Strategien gegen Rechtsextremismus - Was können Gesellschaft und Politik tun?“ durchgeführt. Auch dabei wurde freilich klar, dass sich bei solchen Gelegenheiten vornehmlich nur diejenigen treffen, die sich in dieser Frage ohnehin einig sind.

Der Deutsche Bundestag hat am 8. Juni 2000 eine umfangreiche Erklärung zum Rechtsextremismus abgegeben. In unserem Land Sachsen-Anhalt gibt es inzwischen zahlreiche kommunale Gremien, Kreistage und Stadträte, die Initiativen gegen Rechts in Gang gesetzt haben. Aber es hat bisher nicht gereicht. Jedenfalls wird der gewünschte Erfolg noch lange auf sich warten lassen.

Was können wir weiter tun? Auf keinen Fall darf man das Problem an irgendeiner Stelle abladen, beispiels

weise bei einem Beauftragten. Jeder Mensch, insbesondere auch jeder Abgeordnete muss sich in seinem Wahlkreis und in seinem Verantwortungsbereich als Beauftragter gegen den Rechtsextremismus verstehen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von der Regierungsbank)

Vielleicht können wir Abgeordneten noch etwas mehr tun. Ich denke beispielsweise an den Besuch von berufsbildenden Schulen gemeinsam mit Unternehmern, die in ihren Betrieben auch Ausländer beschäftigen oder im Export tätig sind und somit unmittelbar vor den Folgen des Rechtsextremismus warnen können. Es gibt schließlich bereits Betriebe, die wegen Ausländerfeindlichkeit Entlassungen vorgenommen haben; selbst Entlassungen aus der Lehre, weil es rechtlich möglich ist. So etwas setzt Zeichen.

(Zuruf von Herrn Weich, FDVP)

Es gibt Banken, die die Konten der NPD nicht mehr führen, weil sie eine solche Partei nicht mehr unterstützen wollen oder um ihren Ruf fürchten.

Es gibt Vereine und Verbände, die sich dem Kampf gegen den Rechtsextremismus in jeglicher Form verschrieben haben. Denen können wir beitreten, sofern wir nicht schon Mitglied sind, und können ihnen bei ihrer Arbeit helfen. In Sachsen-Anhalt ist es der Verein „Miteinander“ e. V. und bundesweit der Verein „Gegen Vergessen - für Demokratie“. Beide Vereine werden am 20. und 21. September 2000 in Halberstadt eine große Veranstaltung zu diesem Thema durchführen.

Und wie steht es heute mit der Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaates? Wie steht es mit den Gerichten? Natürlich müssen sie auf der Grundlage der bestehenden Gesetze hart bestrafen. Das tun sie auch. Wir begrüßen beispielhaft das Urteil des Oberlandesgerichts Naumburg im Mordprozess Alberto Adriano. Die Strafe soll auch potenzielle Straftäter zum Nachdenken bringen. Aber wenn es zu Straftaten gekommen ist, ist es leider schon zu spät.

Die Polizei muss selbstverständlich mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft hart durchgreifen, die Täter überführen und dingfest machen. Aber auch dann ist es in der Regel schon zu spät.

Die politische Bildung muss verbessert werden, aber sie erreicht gerade die Gefährdetsten am allerwenigsten. Die Schule muss auch in dieser Hinsicht ihre Erziehungsaufgabe erledigen - unser Antrag enthält dazu einige Hinweise -, aber vieles entscheidet sich bereits im Vorschulalter. Die Elternhäuser und das familiäre Umfeld müssen ihrer hohen Verantwortung bei der Erziehung gerecht werden, aber viele sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen, um es milde auszudrücken. Manche Erwachsenen tragen selbst rechtsextremistisches Gedankengut mit sich und geben es weiter an die Kinder und Jugendlichen.

Aber das alles kann man nicht zum allgemeinen Vorwurf gegen ganze Institutionen erheben und meinen, die Schuldigen seien nun gefunden. Bei diesen kann es sich stets nur um eine Mitschuld handeln. Aber es gibt auch individuelle Schuld, die wir klar benennen müssen.

Meine Damen und Herren! Es hilft also nicht weiter, den schwarzen Peter ins Namenlose weiterzureichen. Im Gegenteil gilt es, alle gleichermaßen in die Pflicht zu nehmen. Der wehrhafte Rechtsstaat muss auch prüfen,

inwieweit im Rahmen der Gesetze ein NPD-Verbot erreicht werden kann und auf welcher Grundlage bestimmte Demonstrationsverbote erteilt werden können.

Mit Freude können wir feststellen, dass eine umfangreiche Bekenntniswelle gegen Rechts durch Deutschland geht. Auf jeden Fall sind wir im Begriff, die allgemeine Gleichgültigkeit abzulegen. Schließlich wissen wir, dass die Weimarer Republik unter anderem auch an der Gleichgültigkeit von Millionen Menschen zugrunde gegangen ist.

Aber bei dem Bekenntnis darf man nicht stehen bleiben, ebenso wie ungerichtete Aktionen meist ins Leere gehen. Es ist richtig, wenn man verlangt, die Zivilgesellschaft müsse mobilisiert werden. Es ist richtig, wenn man eine breite Bewegung in der Gesellschaft fordert. Aber dies alles ist zunächst noch sehr abstrakt.

In Wirklichkeit müssen wir einzelne Gruppen von Menschen, besonders aber die einzelnen Menschen selbst erreichen. Eine allgemeine Ächtung des Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Gewalttaten auf der Grundlage vieler überzeugter einzelner Menschen ist erforderlich.

Er gehört an den Pranger; alle sollen sein schreckliches Gesicht sehen können. Vor allen Dingen muss überall der Ruf ertönen: Seht nicht weg, wenn in eurer Umgebung etwas gegen Fremde und Ausländer, gegen Behinderte und viele andere Benachteiligte oder Minderheiten in unserem Land geschieht!

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung bei der CDU und von der Regierungsbank)

Seht nicht weg, wenn sich Menschen, zumal junge Menschen mit faschistischen Symbolen zeigen! Geht hin und fragt: Wisst ihr denn nicht, dass Blut an diesen Zeichen klebt? - Bringt die jungen Menschen damit zum Nachdenken!

Gerade das Umfeld dieser verbrecherischen Umtriebe muss erreicht werden. Mancher ist von dort noch wegzubekommen, wenn andere die Kraft dazu aufbringen. Vielen muss wohl noch klar gemacht werden, dass es sich bei rechtsextremistischen Parolen nicht um die Volksmeinung handelt. Die Mehrheit des Volkes in Sachsen-Anhalt und in Deutschland gehört immer noch zu jenen, die sich durch solche Taten ebenso diskriminiert fühlen, wie es mit den Menschen geschieht, die zu Opfern werden, denen unser Mitgefühl gilt und denen unsere Hilfe zuteil werden muss.

Es gilt, Entschlossenheit zu zeigen. Das Problem darf nicht verwässert und verharmlost werden, sondern dem Rechtsradikalismus müssen wir alle, meine Damen und Herren Abgeordneten, - alle - entschieden und konsequent mit den zu Gebote stehenden Mitteln entgegentreten.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zustim- mung von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU, von Herrn Schomburg, CDU, und von der Regie- rungsbank)

Unser Antrag soll dazu einen Beitrag leisten und soll ein Zeichen setzen. Auch wenn mir die Form missglückt erscheint und es offensichtlich, wie wir bei dem Tagesordnungspunkt 22 sehen, auch anders geht, wenn ich also lieber einen Antrag von drei Fraktionen statt zwei Anträgen gesehen hätte, werbe ich dennoch unein