Protokoll der Sitzung vom 14.09.2000

Jeder kennt die Uhr und jeder Abgeordnete kann sich auch eine leisten. Also fangen wir an.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren! Wir setzen die durch die Mittagspause unterbrochene Beratung fort. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Zweiten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 3/3580

(Unruhe)

- Die Damen und Herren Innenpolitiker, die das Thema schon kennen, können ja nachher diskutieren; sie müssen nicht jetzt schon anfangen.

(Heiterkeit)

Der Gesetzentwurf wird vom Herrn Minister des Innern Dr. Püchel eingebracht. Herr Minister, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe an der Verwaltungs- und Kommunalreform interessierte Kolleginnen und Kollegen!

(Heiterkeit)

Bei der Vorstellung des Leitbildes für Sachsen-Anhalt im Dezember des vergangenen Jahres habe ich im Geleitwort ausgeführt, wer die Fakten sehe, werde feststellen, dass im Land Sachsen-Anhalt Reformbedarf auf allen Ebenen bestehe. Eine Reform müsse daher ganzheitlich und in möglichst konzentrierter Form erfolgen.

Mit dem Ihnen vorliegenden Entwurf eines Zweiten Vorschaltgesetzes zur Kommunalreform und Verwaltungsmodernisierung wird dieser Ansatz konsequent fortgesetzt. Außerdem kommen wir einer Forderung des Landtages nach, vor der Verabschiedung des Ersten Vorschaltgesetzes den Entwurf für ein zweites Gesetz vorzulegen, ein bisschen nach dem Motto: Gesundes Misstrauen schadet nicht.

Mit dem Ersten Vorschaltgesetz hat die Landesregierung im Juni die im Vorfeld einer Kommunalreform notwendigen Regelungen zur Erleichterung und technischen Steuerung des Prozesses vor allem in der Freiwilligkeitsphase in den Landtag eingebracht. Während dieser Gesetzentwurf konkrete Änderungen von Gemeinde- und Landkreisordnung sowie des Kommunalwahlgesetzes beinhaltete, folgt mit dem Zweiten Vorschaltgesetz die Festlegung von Reformzielen, verbunden mit grund

sätzlichen Aussagen über den Verwaltungsaufbau, der für das Erreichen dieser Ziele für erforderlich gehalten wird.

Oberstes Ziel der Verwaltungsmodernisierung ist dabei eine an Effizienz und Qualität ausgerichtete bürger- nahe Dienstleistungsverwaltung. Der damit verbundenen Schaffung zeitgemäßer und leistungsfähiger Verwaltungsstrukturen kommt eine entscheidende Bedeutung bei der Stärkung der Position Sachsen-Anhalts im internationalen Standortwettbewerb zu. Sie ermöglicht den Ausbau und die Festigung der Handlungsspielräume unseres Landes in einem immer mehr zusammenwachsenden Europa.

Durch einen gestrafften und übersichtlichen Verwaltungsaufbau werden Verfahren beschleunigt und die Verwaltung insgesamt vereinfacht. Die öffentlichen Haushalte werden mittelfristig entlastet und die politische Gestaltungsfähigkeit damit gesichert.

Die konsequente Aufgabenverlagerung von oben nach unten soll dazu einen sehr wesentlichen Beitrag erbringen. Nach dem Gesetzentwurf sind alle unverzichtbaren Aufgaben einschließlich der Bündelungsaufgaben grundsätzlich auf die Kommunen zu übertragen, sofern es die Leistungsfähigkeit der kommunalen Körperschaften zulässt und eine Übertragung wirtschaftlicher und zweckmäßiger ist.

Mit diesem grundsätzlichen Bekenntnis zur Kommunalisierung von Aufgaben unter dem Vorbehalt der entsprechenden Leistungsfähigkeit der Kommunen wird der von mir immer wieder betonte ganzheitliche Ansatz der Reform nunmehr auch gesetzlich eindeutig dokumentiert. Zugleich entspricht dies auch der Auffassung der kommunalen Spitzenverbände. Als Voraussetzung für eine Kommunalreform hatten sie eine zumindest zeitgleiche Reform der Landesverwaltung eingefordert, unter anderem mit dem Ziel einer weiteren Aufgabenverlagerung auf die dann größeren und auch leistungsstärkeren Kommunen.

Dieses Gesetz dokumentiert damit, dass sich die von der Landesregierung initiierte Kommunalreform nicht in einfachen Zahlendiskussionen erschöpft, sondern im Gegenteil erst die Voraussetzungen für eine gleichzeitige und frühzeitige Funktionalreform schafft.

Diese Voraussetzungen sind bei der derzeitigen kleinteiligen Kommunalstruktur zum Teil nicht einmal mehr für die jetzt schon gesetzlich zugeordneten Aufgaben gegeben. Diese Auffassung hat auch der Städte- und Gemeindebund in seiner Stellungnahme vom 8. Mai vertreten. Er geht dabei zum Beispiel davon aus, dass Mitgliedsgemeinden von Verwaltungsgemeinschaften mindestens 3 000 bis 4 000 Einwohner haben müssten, um die ihnen gesetzlich zugeordneten Aufgaben des eigenen Wirkungskreises alle erfüllen zu können, einschließlich der Grundschulträgerschaft.

Umso mehr würde die derzeitige Struktur einer Umsetzung des in diesem Gesetz festgeschriebenen Grundsatzes der Verlagerung von Aufgaben auf die Kommunen entgegenstehen. Hierzu dürfte nach meinen bisherigen Erfahrungen, insbesondere auch nach vielen Veranstaltungen vor Ort, zu denen das Innenministerium eingeladen war, ein breiter gesellschaftlicher Konsens bestehen.

Eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn ich an die ersten Reaktionen insbesondere auch von PDS und CDU auf das von mir im letzten Dezember vorgestellte

Leitbild denke. Frühere Positionen sind in der Zwischenzeit überdacht und zum Teil revidiert worden.

(Herr Becker, CDU: Wo? Bei der CDU? - Herr Gallert, PDS: Keine Unterstellung!)

- Ich komme noch dazu, Herr Becker. Einen kleinen Augenblick, bitte. - Sie wollen also konservativ bleiben.

(Herr Becker, CDU: Das ist allerdings richtig! Wir wollen konservativ bleiben! - Herr Dr. Bergner, CDU: Sie haben die Journalisten besoffen ge- macht, aber uns nicht!)

Niemand kann sich der Dynamik des sich zwischenzeitlich entwickelnden Prozesses und den eigentlichen sachlichen Notwendigkeiten entziehen. Dabei will ich gerne einräumen, dass diese Dynamik in den letzten Monaten auch mich selbst etwas überrascht hat.

Für die CDU-Fraktion hatte sich Herr Dr. Bergner am 6. April in der Aussprache zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten einer tief greifenden inhaltlichen Diskussion vor allem mit dem Vorwurf an die Landesregierung entzogen, es fehle ein Gesamtkonzept zur Verwaltungsreform.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist wahr und bleibt auch wahr!)

Auch Kollege Jeziorsky hat noch in der Debatte über den Entwurf des Ersten Vorschaltgesetzes am 20. Juni erklärt, seine Fraktion könne über diesen Gesetzentwurf nur dann beraten, wenn wenigstens grundsätzlich ein paar Pflöcke eingeschlagen seien, die über die Struk- tur der Landesverwaltung und über die zukünftige Aufgabenverteilung Auskunft gäben.

Meine Damen und Herren von der CDU! Das Gesamtkonzept, das der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung in Grundzügen bereits vorgestellt hat, liegt nun auch in Form eines ersten Gesetzentwurfes vor.

(Herr Becker, CDU: Ist doch schon wieder verän- dert, Herr Minister! Bei der Zweistufigkeit zum Beispiel! - Herr Sachse, SPD: Zum Positiven!)

Herr Kollege Becker, Sie haben später noch Rederecht.

Ich glaube, Sie haben nachher noch Gelegenheit zu reden.

Lieber Herr Jeziorsky, die Pflöcke sind eingeschlagen. Jetzt bin ich auf Ihre inhaltliche Position gespannt. Ich glaube, Herr Becker wird etwas dazu sagen. Er äußert sich schon jetzt so massiv, dass er wahrscheinlich dazu sprechen wird.

Angesichts der in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit getätigten Äußerungen von Kommunalpolitikern der CDU scheint mir das Stimmungsbild in Ihrer Fraktion allerdings der Entwicklung hinterherzuhinken. Leider nahm niemand von Ihnen an der letzten Kreisvorstandssitzung des Städte- und Gemeindebundes in Dessau teil. Die Redner haben sich bis auf eine Ausnahme eindeutig zum Leitbild bekannt. Unter ihnen waren mehrere bekannte und auch kompetente Kommunalpolitiker der CDU.

Vielleicht müssten Sie stärker den Kontakt zur eigenen Basis suchen, auch Herr Becker. Kommen Sie doch endlich aus Ihrer Schmollecke heraus.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Oh! - Herr Becker, CDU, lacht)

Als ich kürzlich las, dass die CDU sich ebenfalls für die Zweistufigkeit der Verwaltung ausgesprochen hätte, dachte ich zuerst, dass wir nun von beiden Seiten überholt werden würden.

(Herr Dr. Bergner, CDU: So stand es nicht da!)

Mittlerweile hat man aber anscheinend den geordneten Rückzug angetreten.

Die PDS-Fraktion hat dagegen nicht nur ihre weitgehende Ablehnung des umfassenden Reformvorhabens der Landesregierung aufgegeben, sondern auch inhaltliche Forderungen formuliert, die sich in eigenen Punkten im Gesetzentwurf wiederfinden.

Die Ursache liegt auch darin, dass die Forderungen weitgehend deckungsgleich mit den Vorschlägen der kommunalen Spitzenverbände sind. Deren Diskussionsbeiträge werden gerade von mir als Kommunalminister ohnehin sehr ernst genommen. Das heißt allerdings nicht, dass man die Vorstellungen der kommunalen Spitzenverbände im Verhältnis 1 : 1 übernehmen kann; denn das Land und die kommunalen Spitzenverbände haben naturgemäß bei der Beurteilung derartiger Sachprobleme unterschiedliche Interessen und Blickwinkel.

Bei der PDS war die Übereinstimmung sogar so groß, dass ich das Parteikürzel „PDS“ fast als „Position der Spitzenverbände“ gedeutet hätte.

Aber damit Sie mich nicht falsch verstehen: Ich begrüße diese Entwicklung. Warum soll man nicht Positionen übernehmen, wenn sie in der Sache richtig sind? Ich habe es ja auch getan.

Meine Damen und Herren! In der Folge dieses Prozesses und des sich ändernden Meinungsbildes ist es nunmehr möglich, im heute vorgelegten Gesetzentwurf die für eine Funktionalreform notwendige Leistungsfähigkeit der Kommunen auch in Zahlen festzuschreiben. Ich darf dabei mit einer gewissen Freude feststellen, dass diese Zahlen im Wesentlichen denen des von mir im Dezember vorgestellten Leitbildes entsprechen. So wird die notwendige Leistungsfähigkeit in der Regel unterstellt: bei kreisfreien Städten und Landkreisen mit mindestens 150 000 Einwohnerinnen und Einwohnern, bei Einheitsgemeinden mit mindestens 7 000 Einwohnerinnen und Einwohnern und bei Verwaltungsgemeinschaften, deren Mitgliedsgemeinden insgesamt mindestens 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner haben.

Ich möchte dabei betonen, dass insbesondere die Stellungnahme des Städte- und Gemeindebundes einen wesentlichen Anteil daran gehabt hat, dass ich heute einen diese Zahlen enthaltenden Gesetzentwurf vorlegen kann, einen Gesetzentwurf, der gute Aussichten auf eine Mehrheit im Landtag hat.

Bei der Einbringung des Ersten Vorschaltgesetzes hatte ich gesagt, dass ich es begrüßen würde, wenn sich der Landtag bei der Verabschiedung des ersten Gesetzes in Form einer Entschließung zu den Eckpunkten des Leitbildes bekennen könnte. Der jetzt gewählte Weg über das Zweite Vorschaltgesetz ist der bessere, weil dadurch die Zahlen gesetzlich fixiert werden und der direkte Zusammenhang zur Funktionalreform hergestellt wird.

Meine Damen und Herren! Anders als im Leitbild ist in diesem Gesetzentwurf ferner eine Qualifizierung des Modells der Verwaltungsgemeinschaften vorgesehen. Wir folgen damit den Vorschlägen des Städte- und Gemeindebundes. Ich hatte bereits bei der Entwicklung des Leitbildes über diese Frage diskutiert. Ich habe sie jedoch dann nicht weiterverfolgt, weil ich die Kommunen damit nicht überfrachten wollte. Wenn nun die Betroffenen diesen Vorschlag selbst unterbreiten, nehme ich ihn sehr gern auf.