Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Es gibt einen Schrumpfungsprozess und einen Alterungsprozess. Das beschwört vor allem zwei Verteilungskonflikte zwischen den Generationen herauf, nämlich einen schon bestehenden kurzfristigen auf dem Arbeitsmarkt und einen vorhersehbar eintretenden Verteilungskonflikt in der Alterssicherung.

Die langfristigen Gestaltungsaufgaben wie die Alterssicherung stellen die Politik vor Probleme ganz eigener Art.

(Frau Stange, CDU: Die Sie immer nicht hören wollten!)

Man kann über wesentliche Parameter nur anhand von statistischen Erhebungen die Prognosen stellen. Es gilt der allgemein bekannte Satz: Prognosen sind eine schwierige Sache, insbesondere die, die sich auf die Zukunft beziehen. Außerdem sind uns die Interessen noch nicht oder gerade geborener Generationen letztlich unbekannt. Wir wissen nicht, ob sie an einem besonders hohen sozialen Versorgungsniveau interessiert sind oder ob sie bereit sind, mehr Risiken auf sich zu nehmen.

Die Politik hat die schwierige Aufgabe, für die zukünftigen Generationen ein Mandat zu übernehmen, das diese ihr nicht übertragen haben. Das ist sehr schwierig. Deswegen kann die Politik auch Fehler machen, Herr Bergner und Herr Böhmer, darin gebe ich Ihnen Recht.

Nun haben die Vereinten Nationen die demografische Entwicklung in Deutschland für die Jahre 1995 bis 2050 analysiert.

(Herr Scharf, CDU: Das war vorher unbekannt!)

Angenommen wird eine Steigerung der Geburtenrate, ein positiver Wanderungssaldo von 200 000 Personen pro Jahr und der Anstieg der Lebenserwartung.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Besonders aufschlussreich ist der so genannte Altenquotient.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Oh!)

Er sagt aus, wie viele Personen über 95 Jahre auf 100 Personen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren entfallen.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Über 65! - Herr Dr. Daehre, CDU: Über 65, nicht über 95!)

Dieser Altenquotient wird bis zum Jahr 2050 von jetzt 24 auf 57 steigen. Das bedeutet, dass sich die Beiträge zur Rentenversicherung, die sich in den letzten Jahren, nämlich zu Kohls Regierungszeit, von 14 auf reichlich 19 Beitragssatzpunkte steigerten, verdoppeln müssten oder die Leistungen halbiert werden müssten.

Man kann andere Parameter zu Rate ziehen, beispielsweise die Zuwanderung oder die Steigerung der Geburtenrate. Was wäre die Folge? Um den jetzigen Altenquotienten, den jetzigen Versorgungsgrad zu erhalten, müsste Deutschland nach den Berechnungen der Vereinten Nationen bis 2050 netto zusätzlich 188 Millionen Einwanderer und Einwanderinnen aufnehmen. Halten Sie das für realistisch? - Ich nicht.

(Frau Wiechmann, FDVP: Nur Beitrag zahlende, Frau Kuppe!)

Wenn wir von einem realistischen Wanderungssaldo von 200 000 Personen pro Jahr ausgehen, steigt der Altenquotient trotzdem von 24 auf 49. Die Steigerung der Geburtenrate, selbst wenn wir zwei Kinder pro Frau annehmen, wird die Verdopplung des Altenquotienten nicht verhindern; denn die Alterskohorten sind schwach besetzt. Nicht vorhandene Eltern können keine Kinder bekommen. Das werden Sie vielleicht auch wissen, Herr Bergner.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist alles nicht neu!)

Bei aller Skepsis gegenüber Langzeitprognosen bleibt das Fazit, dass Handlungsbedarf besteht. Den werden Sie hoffentlich nicht leugnen.

Nun hat die Bundesregierung bereits gehandelt. Sie hat die Einnahmensituation für die gesetzliche Rentenversicherung in den Jahren 1998 und 1999 verbessert. Sie

hat die geringfügig Beschäftigten und die Scheinselbständigen in die Versicherung mit aufgenommen. Das war ein Versprechen, das eingelöst worden ist. Übrigens hat im Gegensatz zu Herrn Blüm Frau Stamm, meine Kollegin aus Bayern, mitgezogen; das war auch ihr Interesse.

Weiter hat die Bundesregierung für die Kindererziehungszeiten einen Bundeszuschuss in einer Größenordnung von 25 Milliarden DM in die gesetzliche Rentenversicherung eingespeist - auch das ein Wahlversprechen, das eingelöst worden ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Blüm hat in seinem Konzept genau die Einnahmeverbesserung für die gesetzliche Rentenversicherung negiert.

Jetzt hat die Bundesregierung ein Konzept vorgelegt, das Älteren Sicherheit bringen soll

(Herr Dr. Bergner, CDU: Inflationsanpassung!)

und das für die Jüngeren die Bezahlbarkeit des Systems gewährleisten soll, und zwar gestützt auf drei Säulen: die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersvorsorge und die private Altersvorsorge.

Das Konzept besteht aus drei Teilen, zunächst aus dem Gesetzentwurf zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, einem Vorschaltgesetz. Herr Dr. Bergner, Sie haben überhaupt nicht erwähnt, dass das Blüm‘sche Konzept dazu katastrophal war.

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Das hätte zu Leistungsminderungen geführt, die mindestens die Hälfte der Betroffenen in die Sozialhilfe getrieben hätten,

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

und hier hat die SPD-Regierung gegengesteuert.

(Beifall bei der SPD - Herr Dr. Daehre, CDU, lacht)

Es geht des Weiteren um den Gesetzentwurf zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung des Aufbaus eines kapitalgedeckten Vermögens zur Altersvorsorge und es geht um das Euroeinführungsgesetz. In Letzterem wird die sozialversicherungsrechtliche Absicherung von flexiblen Arbeitsverhältnissen geregelt.

Das Vorschaltgesetz wird auch bei verschlossenem Arbeitsmarkt wieder eine volle Erwerbsminderungsrente für Behinderte oder vom Arbeitsmarkt Ausgeschlossene möglich machen.

Die Schwerpunkte des Rentenreformgesetzes sind, die Rentenanpassung ab dem Jahr 2001 wieder entsprechend der Nettolohnsteigerung wachsen zu lassen. Es soll ein Ausgleichsfaktor eingeführt werden, von dem Sie gesprochen haben,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das war eine ziemliche Willkür, sie überhaupt abzusetzen!)

und zwar ab dem Jahr 2011, der dafür sorgen soll, das Zugangsrentenniveau auch nach dem Jahr 2030 nicht unter 64 % sinken zu lassen und die Beitragssätze nicht über 22 % wachsen zu lassen.

(Herr Scharf, CDU: Das stimmt doch gar nicht! - Herr Dr. Bergner, CDU: 64 % sind doch lächer- lich!)

Auch in der Rentenversicherung ist die Beitragsstabilität ein wichtiger Faktor, und der sollte für Ostdeutschland ein besonders wichtiger Punkt sein.

(Zustimmung bei der SPD)

Damals wollte Herr Blüm auch in die Bestandsrenten eingreifen, Herr Dr. Bergner. Auch das muss man einmal bedenken. Das ist im jetzigen Konzept der Bundesregierung nicht enthalten.

(Zuruf von der CDU: Noch nicht!)

Dagegen ist der Ausbau kindbezogener Leistungen enthalten, der Ausbau einer eigenständigen Alterssicherung der Frau und die Verhinderung von Altersarmut, insbesondere der verschämten Altersarmut. Das ist allerdings ein Punkt, an dem ich bedauere, dass die steuerfinanzierte Grundsicherung jetzt nicht mehr Element im Gesamtkonzept der Alterssicherung ist.

Hierzu habe ich noch einige Nachfragen - und dazu sind unsere Berechnungen im Hause auch nicht abgeschlossen -, ob über die Qualifizierung der Zusammenarbeit zwischen Rentenversicherung und Sozialämtern im Hinblick auf die Frage, ob durch die Nichtheranziehung von Kindern und Eltern auch tatsächlich die Altersarmut insbesondere bei Frauen im Osten, deren Erwerbsbiografien in den letzten zehn Jahren unterbrochen worden sind, verhindert werden kann. Der Aspekt der Altersarmut bei unterbrochenen Erwerbsbiografien wird ein Schwerpunkt in der Debatte aus unserem Haus sein.

Herr Bergner, ich halte das, was die Bundesregierung jetzt als Gesamtkonzept vorgelegt hat, für einen Beleg dafür - das sage ich unumwunden -, dass einige Positionen, die noch Mitte der 90er Jahre in der SPD diskutiert worden sind, verändert wurden; aber ich denke, Sie müssen einer großen Partei auch zugestehen, dass sie ihre Positionen weiterentwickelt. Daher können Sie nicht nur Äußerungen von 1997 zitieren, sondern müssen auch aus den aktuellen Papieren und Konzepten zitieren.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen ist es keine Willkür, sondern es geht hier um Generationengerechtigkeit.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Entscheidend ist, dass es im Wahlkampf war!)

Ich wundere mich schon ein bisschen, Herr Bergner und Herr Böhmer, dass Sie für die Fraktion und auch für den Landesverband der CDU jetzt, da die Diskussion bundesweit seit anderthalb Jahren läuft, auf die Idee kommen, eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema zu beantragen.

(Beifall bei der SPD)