Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

(Beifall bei der SPD)

Frau Dr. Kuppe, der Abgeordnete Herr Scharf hat eine Frage. Sind Sie bereit, diese zu beantworten?

Ja.

Bitte, Herr Scharf.

Ich habe zwei Fragen, Frau Ministerin. Meine erste Frage: Sie haben nach meiner Ansicht richtigerweise ausgeführt, dass demografische Entwicklungen sehr langfristig sind und auch langfristig zu beurteilen sind. Sagen Sie doch einmal, welche gravierenden neuen Erkenntnisse es zwischen Mitte 1998 und dem Jahr 2000 auf dem Gebiet der Demografie gegeben hat, sodass Sie jetzt plötzlich meinen, zu vollkommen anderen Schlussfolgerungen kommen zu müssen?

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Ich will die zweite Frage gleich anschließen. Wie empfinden Sie es denn unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit, dass nur bei demjenigen die private Vorsorge unterstützt wird, der auch in der Lage ist, die vollen Beiträge zur privaten Vorsorge zu leisten?

Ich befürchte, dass gerade diejenigen, denen es schwer fällt, private Vorsorge zu betreiben, und die es nötig haben, nur die Absenkung des Berechnungsniveaus ihrer Renten werden hinnehmen müssen, aber selbst nicht in der Lage sein werden, die private Vorsorge aufzubauen.

(Zustimmung bei der CDU)

Zur ersten Frage: Die demografischen Erkenntnisse insgesamt sind sicherlich nicht so besonders neu. Sie sind in den letzten Jahren präzisiert worden; die Demografie wird natürlich fortgeschrieben.

Bei der Diskussion um das Blüm‘sche Rentenkonzept hat auch für mich persönlich die Betrachtung beider Seiten, nämlich der Einnahmen- und der Ausgabenseite, eine ganz wichtige Rolle gespielt. Ich habe es dem Bundesminister Blüm sehr übel genommen, dass er damals die Einnahmenseite überhaupt nicht betrachtet hat.

Ich denke, da liegen auch jetzt noch Reserven; da sind wir immer noch nicht am Ende. Das Gesamtsystem besteht nun einmal aus Einnahmen und Ausgaben. Deswegen gehört das zusammen.

Bei den Einnahmen ist vonseiten der Bundesregierung schon gegengesteuert worden, indem versicherungsfremde Leistungen oder nicht über Beiträge gedeckte Leistungen umfinanziert worden sind und Mehreinnahmen zumindest in den ersten Ansätzen in die Rentenversicherung gesteuert worden sind. Das ist in Ordnung.

Zu der Frage nach der Unterstützung der kapitalgedeckten Eigenvorsorge: Es gibt ja jetzt schon Eigenvorsorge. Sie soll auch weiterhin freiwillig sein, obwohl die Diskussion über freiwillige und Zwangsvorsorge ja auch noch nicht am Ende ist. Sie soll freiwillig sein, aber staatlich unterstützt. Es gibt also Förderung, und darüber lässt sich im Detail noch reden.

Es gibt jetzt einen Diskussionsentwurf der Bundesregierung. Es ist im Vorfeld über die Eckpunkte lange diskutiert worden und es ist dieses Konzept des Aufbaus der freiwilligen Vorsorge bis 2008, also praktisch in acht Jahresstufen, diskutiert worden. Ich halte das für machbar; ich halte es auch für Menschen in Ostdeutschland für machbar, weil es ja wirklich ein Stück Eigenverantwortung umzusetzen hilft, und zwar mit der Unterstützung, die über die staatliche Förderung - entweder über steuerliche Abschreibung oder über direkte Finanzzuwendun

gen und die entsprechende Kinderkomponente - gewährt wird.

Ich bin gern bereit, dass wir uns über Details fachlich noch einmal unterhalten und uns auch die Berechnungen anhand einzelner Biografien vornehmen. Das wäre sogar sehr hilfreich, um die Auswirkungen, die Chancen und Risiken gerade für Biografien hier im Osten im Detail bewerten zu können.

Frau Dr. Kuppe, Herr Dr. Bergner hat ebenfalls eine Frage. - Bitte, Herr Dr. Bergner.

Ich wollte an dem Punkt einfach noch einmal nachhaken. Ich habe hier ein Rechenbeispiel, ein Familienvater mit zwei Kindern und 60 000 DM rentenversicherungspflichtigem Einkommen. Sie geben vielleicht zu, dass das für die neuen Bundesländer keine ungewöhnliche Einkommenssituation ist. Er muss einen Eigen- anteil von 1 800 DM sparen,

(Frau Dr. Sitte, PDS: Vor zwei Wochen wollten Sie noch einen Rentenkonsens!)

um die Prämie von 600 DM und eine Kinderkomponente von insgesamt 720 DM zu bekommen. Nun stellen Sie sich die Situation diese Mannes einmal vor, alle möglichen konkreten Dinge, die in der Familie noch sein können. Er schafft es nun tatsächlich nur 1 000 oder 1 200 DM zu sparen.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Herr Bergner, bis vor zwei Wochen wollte Ihre Partei noch mit der SPD den Rentenkonsens machen! Was ist denn jetzt?)

Ich bin leider in meiner Redezeit nicht dazu gekommen, unsere Position noch einmal genau zu beschreiben. Ich halte es im Übrigen - wenn ich das nebenbei in die Frage verpacken darf - für sehr, sehr wichtig, weil inzwischen genug Misstrauen gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist, dass - -

Aber nicht erst seit heute, sondern schon seit vorgestern, Herr Bergner.

Dazu hat Ihre Wahlkampfpolemik im Jahr 1998 eine ganze Menge beigetragen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der CDU und von der SPD)

Also, Herr Bergner, da sind 16 Jahre Ihrer Regierung im Vorfeld gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Die gesetzliche Rentenversicherung lebt aber davon, dass junge Menschen Vertrauen haben, in sie einzuzahlen.

Richtig, sehr richtig. Darin stimme ich voll mit Ihnen überein.

Deshalb sollten wir, wenn auch im Streit, doch versuchen, uns auf ein gemeinsames Ziel hin zu bewegen.

Deswegen lassen Sie uns doch wirklich sachlich diskutieren.

Deshalb, Frau Minister, die Frage, die sich aus diesem Rechenbeispiel ergibt: Halten Sie es denn wirklich für gerecht, dass man diesen Familienvater unter allen Umständen dazu zwingt, diese 1 800 DM zusammenzubekommen, damit er für seine Kinder die entsprechenden Zuschläge bekommt - es geht ja darum, den Ausgleich zwischen Kinderlosen und Eltern von Kindern sicherzustellen - und die Prämie dafür, dass er eine private Vorsorge aufbaut, oder ist das mit dieser strikten Linie nicht tatsächlich Solidarität mit den Starken und nicht Solidarität mit den Schwachen?

(Beifall bei der CDU)

Herr Bergner, andersherum ist es doch richtig. Die private Altersvorsorge findet doch jetzt schon statt. Die findet auch seit DDR-Zeiten bei uns in Ostdeutschland statt. Es gibt viele Einzelpersonen, die privates Kapital ansparen, um im Alter etwas auf der hohen Kante zu haben. Das ist absolut nichts Neues.

Jetzt kommt als neuer Aspekt hinzu, dass der Staat für eine konsequente private Altersvorsorge Unterstützung leistet. Das ist etwas Neues, und wir können darüber diskutieren, wie diese staatliche Unterstützung gestaltet ist. Ich finde es primär wichtig, dass der Staat die einzelnen Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt, privat für das Alter Vorsorge zu treffen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr. - Eine dritte Frage kommt von Herrn Professor Böhmer. Frau Dr. Kuppe, möchten Sie antworten?

Ja.

Bitte, Herr Professor Böhmer.

Frau Ministerin, weil ich hoffe, dass wir uns auch diesbezüglich näher kommen, will ich wenigstens fragen. Wir sind uns einig, dass die öffentliche Hand, das heißt der Steuergesetzgeber, in das System Finanzmassen ein

fließen lassen muss. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

Sind Sie nicht auch der Meinung, dass diese Belastung möglichst gleichmäßig verteilt werden sollte, auch einnahmeseitig bei der Erhebung der Steuer, oder halten sie es für richtig, dass besondere Berufe, die berufsbedingt viel für Benzin ausgeben müssen, auch allein diese Last schultern sollen?

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU - Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Wir können gern noch einmal eine Debatte über die Ökosteuer führen. Ich halte die Ökosteuer für ein sinnvolles Instrument.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Mit einer anderen Zielrichtung! - Weitere Zurufe)

- Gut. Aber die Ökosteuer hat, indem sie in die Rentenversicherung eingespeist wurde, dazu beigetragen, die Lohnnebenkosten zu senken und damit die Wirtschaft und den Faktor Arbeit zu stärken. Das ist wiederum eine richtige Zielstellung.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Sachse, SPD: Das Ziel ist richtig! - Frau Wiechmann, FDVP: 100 000 Arbeitslose! Warum erzählen Sie das? - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Auf der Zuschauertribüne hat ein Wechsel stattgefunden. Wir begrüßen nun Gäste der Landeszentrale für politische Bildung.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die Fraktion der DVU-FL hat die Abgeordnete Frau Brandt das Wort.