Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Zehntausende Kriegsflüchtlinge kamen nach Deutschland, wenige Tausend in die Nato-Partnerländer, fast keine in die USA.

Jedem in diesem Hohen Hause ist klar, dass die Vertreibung und die Entrechtung von Menschen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Der Krieg ist zu ächten, jede Form der Diktatur und Undemokratie ist zu ächten, weil immer die Menschen die Leidtragenden sein werden.

Bevor der Landtag einen Beschluss fasst, die Landesregierung aufzufordern, sich für das Recht auf Heimat in der Grundrechtscharta und für die völkerrechtliche und strafrechtliche Ahndung von Vertreibungsverbrechen einzusetzen, geben wir noch Folgendes zu bedenken:

Die Vertreibung durch soziale Ungerechtigkeit von Bundesland zu Bundesland muss natürlich ebenfalls unterbunden werden; denn man kann international nur wirksame gesetzliche Regelungen gegen Vertreibung und Entrechtung einfordern, wenn man in der Heimat für nationale Gerechtigkeit gesorgt hat.

Wir unterstützen einen Beschluss, die Landesregierung aufzufordern, sich gegen Vertreibung und Entrechtung einzusetzen, und appellieren an die Bundesregierung, schnellstens internationale Verhandlungen zu führen. - Danke.

(Zustimmung bei der DVU-FL)

Vielen Dank. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Dr. Fikentscher.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema ist so ernst und auch so kompliziert, dass man eigentlich auf vieles genauer eingehen müsste, was der Kollege

Schomburg gesagt hat und was auch die Ministerin vorgetragen hat. Aber das entzieht sich natürlich einer Fünfminutendebatte. Ich will mich daher auf das beschränken, was unmittelbar zur Abstimmung steht.

Der Antrag der CDU-Fraktion ist im ersten Absatz des ersten Punktes so unstrittig, dass man dazu gar nichts sagen, sondern einfach nur zustimmen muss. Deshalb haben wir diesen Absatz in unserem Änderungsantrag wörtlich übernommen.

Ich habe vorhin von Herrn Schomburg gehört, dass ein gleich lautender Antrag schon einmal

(Herr Schomburg, CDU: 1997!)

im Jahr 1997 im Bundestag von allen Parteien unterstützt worden ist.

Obwohl das der Fall ist, müsste man über einige Punkte doch noch etwas mehr reden; denn ein internationales Strafrecht gibt es schließlich nicht. Man kann es sicherlich fordern und für wünschenswert halten, aber die Rechtsauffassungen in den einzelnen Staaten, insbesondere in den verschiedenen Kulturkreisen, sind so unterschiedlich, dass man in unserer Lebenszeit wahrscheinlich nicht davon ausgehen kann, dass es überhaupt möglich ist und auch gewünscht wird, ein solches internationales Strafrecht einzuführen.

Ein anderer Punkt: Es werden künftig weitaus energischere Bemühungen der Staatengemeinschaft gefordert.

Herr Kollege Fikentscher, es gibt eine Anfrage von dem Abgeordneten Herrn Remmers. Wollen Sie diese zwischendurch beantworten?

Ich will nur diesen Punkt noch zu Ende bringen.

Das ist natürlich die Forderung nach militärischem Einsatz. Letzten Endes ist das ein Einsatz, der in seiner Folge unbeteiligten Menschen zum Verhängnis werden kann. Das muss außerordentlich wohl bedacht sein. Das kann man nicht ohne weiteres in einem solchen Antrag mit unterbringen.

Wir haben uns aus diesem Grund bemüht, im zweiten Punkt unseres Änderungsantrages das Anliegen, dem wir durchaus zustimmen können und müssen - das ist doch gar keine Frage -, so zusammenzufassen, dass diese problematischen Punkte nicht enthalten sind.

Bevor ich auf den zweiten Punkt genauer eingehe, können Sie Ihre Frage stellen, Herr Remmers.

Herr Fikentscher, wenn ich Frau Ministerin Schubert eben richtig verstanden habe,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

dann hat sie gesagt, das Bestreben, die strafrechtlichen Sanktionen zu schaffen, sei vorhanden, man sei sich insofern einig. Sie sagen aber - ich hoffe, dass ich Sie richtig verstanden habe -, dass Sie das nicht wollen, weil es das noch nicht gibt.

In unserem Antrag heißt es nicht, dass es das schon gibt. Vielmehr strebt das unser Antrag an. Ich bin also über den Widerspruch etwas verwirrt und bitte um Aufklärung.

Ich habe festgestellt, dass es ein internationales Strafrecht nicht gibt und dass gegenwärtig auch keinerlei Aussicht besteht, ein solches internationales Strafrecht zu schaffen, weil die Rechtsauffassungen in den Ländern und Kulturkreisen so verschieden voneinander sind, dass dies nicht zu erreichen ist. Von dieser Aussage sind natürlich die Menschenrechtsprobleme - ich gebe zu, das ist miteinander verzahnt - unberührt.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Herr Dr. Fikentscher, sind Sie bereit, eine weitere Frage von Herrn Remmers zu beantworten? Es gibt zwei Fragen.

Dann bitte ich Herrn Remmers darum, seine Frage zu stellen.

Mich würde interessieren, Herr Dr. Fikentscher, wie Sie die Kriegsverbrecherprozesse in Europa einordnen. Sind das internationale Strafverfahren? Wie muss ich Ihre Aussage, dass es kein internationales Strafrecht gibt, weil sich die Länder diesbezüglich in vielen Punkten nicht geeinigt haben, verstehen?

Herr Kollege Remmers, Sie behaupten doch sicher nicht, dass es ein internationales Strafrecht gibt?

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das hat er doch gesagt!)

Das gibt es nicht, das wissen Sie doch.

Lassen Sie mich doch einfach weiterfragen, Herr Dr. Fikentscher. Wie beurteilen Sie denn, da Sie unserem Antrag nicht zustimmen wollen - ich glaube, dass ich Frau Schubert vorhin aufmerksam zugehört habe -, das, was in den Kriegsverbrecherprozessen in Europa passiert? Sind das internationale Strafverfahren? Ist das interna- tionales Strafrecht oder nicht?

Die Frage ist, auf welcher Rechtsgrundlage das geschieht. Diese Prozesse haben ja als Rechtsgrundlage die Menschenrechte. Es sind die Menschenrechte, die als Rechtsgrundlage für diese Prozesse herangezogen werden.

(Herr Remmers, CDU: Aber es gibt ein Strafrecht! - Unruhe bei der CDU)

Ein kodifiziertes internationales Strafrecht gibt es nicht, darin sind wir uns doch einig. Die Problematik, die wir bei diesen internationalen Prozessen haben, beruht gerade darauf, dass es immer wieder auch auf diese Frage hinausläuft.

Entschuldigen Sie bitte, Herr Dr. Fikentscher, Herr Dr. Bergner möchte auch noch eine Frage stellen.

Ich möchte die Frage gern noch etwas simpler stellen. Welche Schwierigkeiten haben Sie mit einem Wortlaut, dem Ihre Kollegen, also SPD-Mitglieder im Deutschen Bundestag, zustimmen konnten?

Ich will nicht wissen, ob es ein Strafrecht gibt oder nicht. Ich bitte nur um Verständnis dafür, dass uns das Thema „Ächtung von Vertreibung“ und im Zweifelsfall auch die Bestrafung von Vertreibung so wichtig ist, dass wir hinter eine Formulierung, die im Deutschen Bundestag die Mehrheit gefunden hat, nicht gern zurücktreten würden. Was unterscheidet Ihre jetzige Auffassung von der Ihrer Kollegen im Deutschen Bundestag?

Herr Kollege Dr. Bergner, wenn wir uns über diese Frage - das räume ich an dieser Stelle gern ein - und die Formulierungen länger unterhalten würden, könnten wir sicherlich auf einen Text kommen, von dem wir sagen: Okay, das wäre zu machen.

(Herr Dr. Daehre, CDU, auf seine Uhr deutend: Das schaffen wir nicht!)

Aber ich habe auf die Punkte hingewiesen, die einer genaueren Erörterung bedürften, und diesen sind wir in unserem Text ausgewichen, indem wir gesagt haben: Diese Problematik brauchen wir nicht, um über die Grundaussage, die unstrittig ist, gemeinsam beschließen zu können; denn wir entscheiden ja hier nicht über eine Strafrechtsreform oder Ähnliches, sondern es ist doch ein Appell, um den es hierbei geht. Über diesen Appell können wir unstrittig gemeinsam abstimmen, ohne diese Punkte, über die noch Näheres ausgeführt werden müsste, zu berühren.

Das Gleiche gilt für den dritten Absatz Ihres Antrages, nach dem man letzten Endes - wenn man die Formulierung weiter verfolgt - zu dem Schluss kommen müsste, dass eine militärische Intervention gefordert wird. Hierzu müsste natürlich - wir haben ja die Problematik Kosovo hinter uns - ein klein wenig mehr, als hier so beiläufig formuliert ist, ausgeführt werden.

Ich denke, seit 1997 haben sich die Verhältnisse geändert. Es sind inzwischen noch andere Probleme aufgetaucht, die auch zu weiteren Erörterungen und Formulierungen geführt haben.

Aber ich will noch kurz sagen, warum wir den zweiten Absatz Ihres Antrages nicht mittragen wollen. Darin ist das Recht auf Heimat enthalten. Dieses Recht gibt es als Forderung seit einem halben Jahrhundert - in der Charta des Bundes der Vertriebenen immer wieder auftauchend.

Dieses Recht ist nicht in die Charta der EU aufgenommen worden. Darin gibt es nur die Formulierung - das ist vorhin schon gesagt worden - in Artikel 19: „Kollektive Ausweisungen sind nicht zulässig.“

Das heißt, die Problematik der Vertreibung ist hier natürlich, als nicht zulässig klar formuliert, aufgenommen. Es gibt aber gute Gründe dafür, warum dieses Recht auf Heimat nicht aufgenommen worden ist. Man wollte kein Kollektivrecht aufnehmen, das nicht auch als Individual

recht formuliert werden könnte. Das ist eine der Begründungen dafür, dass es nicht aufgenommen worden ist.

Wir wollen das, was in die Charta der EU-Grundrechte nicht aufgenommen worden ist, auch hier nicht nachträglich fordern; denn für das weitere Verständnis dieser Charta muss man schließlich wissen, dass diese Charta nicht neues Recht schafft, sondern Rechte, die in den Ländern vorhanden sind und dort auch geschützt werden, nur sichtbar macht, also zusammenfasst und aufnimmt. Auf ein neues Recht hat man sich nicht verständigen können. Deswegen sind wir auch der Ansicht, dass wir es hier im Landtag von Sachsen-Anhalt nicht fordern wollen. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gal- lert, PDS)