Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

Um diesen Prozess zu unterstützen, um eine schnellere und direktere Kommunikation möglich zu machen, werden in allen Schulamtsbezirken mobile Beratungsteams gebildet. Diese Gruppen werden von Grundschuldezernenten, Fachmoderatoren, Schulleiterinnen und Schulleitern und Lehrkräften besetzt, die auch für schulinterne Fortbildung, bei der Elternarbeit und für Informationsveranstaltungen zur Verfügung stehen, damit auch Detailprobleme geklärt werden können.

Die Fortbildungsmaßnahmen haben begonnen. Ich hatte vorhin in der Fragestunde darüber berichtet. Parallel zu dieser Landtagssitzung findet eine zweitägige Dezernentenberatung in Halle zu dieser Thematik statt. Die Veranstaltungen werden ab Januar des kommenden Jahres auf der Ebene der Schulleiterinnen und Schulleiter ihre Fortsetzung finden, um hierüber breiter zu informieren.

Bereits seit mehreren Wochen arbeitet eine Arbeitsgruppe des Ministeriums für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales, des Kultusministeriums und des Landesjugendamts gemeinsam exemplarisch mit der Stadt Magdeburg, um die Fragen der Gestaltung der Hortbetreuung ab dem 1. August 2001 abzustimmen. Hierzu gibt es ebenfalls sehr viele Fragen von Elternseite.

Wir bieten den Trägern der Jugendhilfe an, sehr schnell über die Schulen eine Bedarfsfeststellung vorzunehmen, um ihnen Planungsgrundlagen für die Hortgestaltung zu geben. Darüber hinaus sind die Einstellungsverfahren zur Gewinnung der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem 29. November im Verfahren.

Neben dem allgemeinen Informationsbedürfnis gibt es Kritikpunkte, wie Sie gerade von Frau Feußner in sehr sachlicher Art und Weise und auch in anderer Art und Weise dargestellt wurden, nämlich hinsichtlich der Frage: Gibt es einen Eingriff in das Elternrecht durch die gesetzliche Regelung oder eine Überforderung der Kinder im ersten und zweiten Schuljahrgang durch die schultäglichen 5,5 Stunden?

Dieser Kritik muss man sich stellen. In der rechtlichen Würdigung sind wir uns vermutlich einig. Ich halte viele von den Aussagen für stark überzogen und polemisch. Sie wissen, dass ich das Recht gehabt hätte, beispielsweise eine Stunde mehr Deutsch und an drei Tagen eine Stunde mehr Mathematik zu verordnen. Ich kann die Stundentafel ausweiten. Wir können Unterricht auch entsprechend neueren Erkenntnissen gestalten. Ich will der Diskussion darüber, ob das richtig oder falsch ist, nicht ausweichen. Das ist berechtigt. Aber es ist an dieser Stelle keine verfassungsrechtliche Frage. Auch das Nebeneinander zum Erziehungsrecht der Eltern und

die elterliche Sorge dürfen durch die Schule nicht konterkariert werden.

Die Erziehungs- und Bildungspflicht der Schule wird vielleicht an einem schönen Beispiel deutlich. Ein intolerantes Elternhaus wird keinen Anspruch darauf haben, dass die Schule ihren Vorstellungen von Gesellschaft oder vom Umgang mit Fremden auch in der inhaltlichen Konzeption folgt.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei der PDS)

Es gibt in diesem Zusammenhang einen eigenständigen Erziehungsauftrag der Schule, der sich aus der Verfassung und aus dem Schulgesetz ergibt und der genau beschrieben ist.

Insoweit befinden wir uns diesbezüglich in der Tat in einem Spannungsverhältnis, bei dem das Verfassungsrecht nach meinem Verständnis

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

zwei Bereiche kennt, in denen diese Spannung sehr stark einschränkend zulasten der Schule geregelt ist, was ich auch richtig finde; das ist der Bereich des Sexualkundeunterrichts und der Bereich der religiösen Erziehung. Diese Bereiche sind sehr eng definiert. In den Bereichen der allgemeinen Erziehungsziele ist das nicht so.

Ich habe diese Punkte bewusst an den Anfang meiner Ausführungen gestellt, um deutlich zu machen: Hierüber hat es eine Auseinandersetzung gegeben, und es ist nicht so, dass man sich schlankweg über diese Bedenken hingesetzt; vielmehr hat es eine intensive Diskussion dieser Fragen gegeben. Das möchte ich bitte auch beiden Seiten zugestehen, und dann kann man über die Inhalte reden.

Der Punkt, über den man allerdings auch sprechen muss, ist: Es wird ein Gesetzentwurf vorgelegt zu einem Gesetz, das dieses Haus in der letzten Sitzung beschlossen hat. Das halte ich in der Tat für eine sehr extreme parlamentarische Situation, für die es schwer wiegende Gründe geben muss.

Der erste Grund könnte in Fehlern im Gesetzgebungsverfahren selbst liegen. Daraufhin habe ich mir noch einmal den gesamten Beratungsvorgang vorgenommen. Es gab - diesbezüglich bitte ich auch darum, von der Wahrheit zu sprechen - ein korrektes Verfahren seitens der Landesregierung mit dem Beschluss eines Gesetzentwurfs, mit einer formellen Anhörung aller Beteiligten, mit einer Änderung des Gesetzentwurfs und mit einem Einbringungsverfahren in den Landtag.

Nach der Einbringung hat dieses Haus den Gesetzentwurf im Juni dieses Jahres behandelt, in fünf Ausschusssitzungen erörtert und eine ausführliche Anhörung durchgeführt; es wurde eine intensive Debatte geführt und am Ende in der zweiten Lesung in namentlicher Abstimmung im Ergebnis ein Gesetz verabschiedet. Dies hat der Gesetzgeber nun wirklich bewusst getan. Das bedeutet, an dieser Stelle kann die Kritik nicht ansetzen.

Der zweite Grund könnte das Auftauchen neuer Argumente sein. Daraufhin habe ich mir die Ausschussprotokolle noch einmal durchgeschaut, ebenso die Protokolle über die Parlamentsdebatte und auch die Elternbriefe, die mir zugegangen sind. Bis gestern waren es übrigens 68.

Das Resümee: Es gibt kein neues Argument. Keine Frage, die Sie aufwerfen, ist im Verfahren nicht erörtert worden. Damit muss man sich auch auseinander setzen. Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie anderer Meinung sind. Das ist nicht mein Thema dabei. Aber es hat eine intensive Beratung gegeben, und die Mehrheit dieses Hauses ist zu einer bestimmten Meinung an der Stelle gekommen.

Um es mit Publius Terentius, dem Meister der altlateinischen Komödie, zu sagen: Kein Wort, das nicht schon früher gesprochen wurde. Wenn das so ist, müssen Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sich die Frage gefallen lassen, wie ernst Sie solche Verfahren und auch Mehrheitsentscheidungen nehmen; denn dieses Verfahren ist keineswegs kritikwürdig. Sie sind in der Sache anderer Meinung.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das geht aber an den El- tern vorbei! - Weitere Zurufe von der CDU - Zuruf von Herrn Wolf, FDVP)

Dann stellt sich allerdings die Frage, ob man mit dem Reiten auf der Woge einer öffentlichen Diskussion nicht mehr erreicht als nur kurzfristige Popularitätspunkte, nämlich auch die Botschaft, dass dieses Haus sich selbst nicht ernst nimmt.

(Unruhe bei der CDU)

Ihr Gesetzentwurf versucht den Spagat zwischen den grundsätzlichen bildungspolitischen Vorstellungen der CDU, zuletzt auf dem kleinen Parteitag in Stuttgart am 27. September formuliert, und Ihren konkreten parteipolitischen Zielen in Sachsen-Anhalt. Das ist nicht so einfach, wie ich verstehen kann.

Ich möchte die stellvertretende Bundesvorsitzende Frau Kollegin Schavan zitieren, die in einem „Focus“-Interview unter der Überschrift „Vormittagsschule hat ausgedient“ vor kurzem gesagt hat - ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren, Herr Präsident -:

„Es stimmt, die Zeit der klassischen Vormittagsschule ist auch bei uns vorbei. Schüler und Lehrer brauchen mehr Zeit zusammen als einige aneinander gereihte 45-Minuten-Einheiten.“

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Freiwillig! - Weitere Zurufe von der CDU)

Konsequenterweise fordern Sie nicht die Abschaffung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten. Sie fordern auch nicht die Abkehr vom integrativen zu einem rein additiven Konzept - das habe ich sehr wohl gelesen - von Unterricht und Betreuung. Ihr Gesetzentwurf beabsichtigt, so die Begründung, ich darf zitieren, „ausschließlich, dass die Anwesenheit während der außerunterrichtlichen Phasen innerhalb der festen Öffnungszeiten vor Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsschluss freiwillig ist“.

Was bleibt also? Im dritten und vierten Schuljahr liegt das Volumen der Stundentafel unter Anrechnung der Pausenzeiten in etwa in dem Rahmen von 5,5 Stunden. Die Nur-Betreuungszeit ist bei der Gegenüberstellung der Zeitvolumina unerheblich.

Im ersten und zweiten Schuljahr sieht die Situation aufgrund der niedrigeren Stundenzeiten anders aus. Unter Beibehaltung des integrativen Konzepts ist es hier möglich, definierte Zeiträume zu beschreiben, in denen zwar sinnvolle schulische Angebote stattfinden, die jedoch

nicht der Anwesenheitspflicht aller Kinder unterliegen müssen.

Dieses habe ich vor aufgrund der Verordnungsermächtigung auszugestalten. Das ist kein Abrücken von meiner Position. Sie werden, weil wir öfter gemeinsam bei Veranstaltungen sind, wissen, dass ich sehr deutlich der Auffassung bin, dass der Gestaltungsspielraum für die einzelne Schule ausgeweitet werden muss.

Unter all diesen beschriebenen Voraussetzungen glaube ich, dass der Gesetzentwurf in der Tat noch einmal das aufrollen soll, was in einem sauberen parlamentarischen Verfahren vor wenigen Wochen entschieden wurde. Deswegen empfehlen wir die Ablehnung des Gesetzes.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Herr Minister, Frau Feußner hat eine Frage. Sind Sie bereit zu antworten? - Bitte, Frau Feußner.

Herr Kultusminister, Sie sagten eben, die beabsichtigte Verordnung, die Rücknahme von fünfeinhalb Stunden auf in der Regel fünf Stunden in der ersten und zweiten Klasse bedeutet für Sie kein Zurückziehen Ihrer damaligen Position, vom Gesetzentwurf aus gesehen. Warum haben Sie eigentlich nicht schon im Rahmen der Gesetzesberatung angekündigt, was Sie vorhaben?

Wir haben das übrigens während der Ausschussberatung mehrfach gesagt. Es geht nicht um die dritten und vierten Klassen, sondern vornehmlich um die ersten und zweiten Klassen und darum, dass hier die Betreuungszeiten wesentlich zu lang seien. Da haben Sie jedes Mal gesagt: Fünfeinhalb Stunden seien nicht zu lang. Sie haben nicht von der Idee gesprochen, dass Sie das verkürzen wollen, um zweieinhalb Stunden pro Woche. Ich sehe das schon als einen Rückzug an, denn Sie haben das während dieser Beratungen nicht ein Mal geäußert.

Frau Feußner, Sie müssten das ja nicht als einen Rückzug, sondern als einen Fortschritt ansehen.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU, bei der DVU-FL und bei der FDVP - Herr Dr. Daehre, CDU: Nach vier Wochen!)

Denn ich komme Ihren Vorstellungen entgegen. Ich bin der Auffassung, dass dies im Ergebnis der Diskussion eine vernünftige Gestaltungsfreiheit für die einzelne Schule ist.

Eine zweite Frage. Bitte, Frau Feußner.

Herr Kultusminister, ich sehe das ähnlich wie Sie. Ich sehe das als Fortschritt an, als ein Einlenken aufgrund der Proteste, die von den Eltern gekommen sind, und dass das der Grund der Rücknahme war und kein anderer. Aber wenn schon, dann sollte man das hier richtig und vernünftig sagen und man sollte dann auch anders reagieren. Dann könnten Sie eigentlich auch unserem Gesetzentwurf zustimmen.

Und Ihre Frage bitte?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Ob der Kultusminister dem zustimmt? - Nein.

(Frau Feußner, CDU: Richtig, das war die Frage! - Herr Bullerjahn, SPD: Aus der Klemme gehol- fen!)

Danke. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in die Debatte ein. Den Beginn macht die Abgeordnete Frau Stolfa für die PDS-Fraktion. Bitte, Frau Stolfa.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Landtag im Oktober das Gesetz zur Grundschule mit festen Öffnungszeiten beschlossen hat, gab es vor allem in den Medien eine öffentliche Debatte. Ich hatte den Eindruck, dass sie oft geführt worden ist mit Einseitigkeiten, Unterstellungen und auch Unsachlichkeit. Und ich hatte mehr und mehr den Eindruck, dass eine solche Art von Polemik nicht gerade hilfreich ist, sondern vielmehr dazu angetan ist - und das bitte ich sehr ernst zu nehmen -, die Bildungsdebatte zu vergiften,

(Zustimmung bei der PDS - Widerspruch bei der CDU)

insbesondere die Elternschaft zu verunsichern und den Anschein zu erwecken, als solle den Kindern etwas ganz Schlimmes angetan werden.

(Unruhe bei der CDU)