Protokoll der Sitzung vom 25.01.2001

Das soll genügen. Ich bitte, an dieser Stelle schleunigst eine Umkehr zu vollziehen.

Doch es kam im Dezember noch besser. Herr Minister Keller gestand ein - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Zunächst müssen wir uns eingestehen, dass die Rinderseuche BSE lange Zeit unterschätzt worden ist.“

Weiter heißt es:

„Es ist in der Vergangenheit nicht genug bei der Forschung getan worden.“

Das möge reichen. - Etwas später war der Minister bemüht, das Ganze auf eine ethische Frage zu schrumpfen - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:

„Nun mag man sich hier die ethische Frage stellen, ob es denn gerechtfertigt ist, zwei Millionen Rinder vom Markt zu nehmen und sie nicht dem Lebensmittelkreislauf zuzuführen, sondern sie zu vernichten.“

Gar nicht erst zu Wort meldete sich eine andere Hauptperson - Sie hat gerade den Saal verlassen -, die Ministerin für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales. Der Ministerpräsident tat dies natürlich auch nicht, vielleicht weil die ausgerufene Informationsgesellschaft noch nicht vollständig funktionierte.

Bis heute haben wir vom Gesundheitsministerium nur vernommen, dass rinderbasiertes Material bei medizinischen Operationen nicht mehr verwendet werden darf.

Das zeigt uns den Stellenwert, die Weitsicht und die Handlungsfähigkeit der Regierung. Ängstliches Innehalten, keine Alleingänge, abwarten, was aus Berlin für Weisungen kommen, und nicht an der heiligen Kuh namens EU kratzen, die uns die Suppe eingebrockt hat; darauf komme ich noch.

Die Kluft zwischen Politik und öffentlicher Meinung zeigt sich in erschreckender Weise durch einen direkten Vergleich. Dieses Bild, meine Damen und Herren, zeigt Frau Künast in der BSE-Debatte im Bundestag: solo.

Ich habe noch eine andere Grafik mitgebracht. Es besteht die Möglichkeit, im Internet seine Meinung einzu

klicken. Gefragt wurde nach der Einschätzung der BSEGefahr.

(Der Redner hält ein Schriftstück hoch)

Sie werden es nicht alle erkennen: „Höchste Gefahr“ antworteten 30,66 %, „gefährlich“ 37,59 %; das sind schon mehr als zwei Drittel.

Was soll nun helfen? Die Gendatenbank, ein Sechspunkteprogramm? Beide Dinge werden ein ruhiges Eigenleben führen. Es sind Fallschirme, die aufgehen, nachdem man heruntergefallen ist.

Tatsache ist: Der nichtvegetarische Grundpfeiler unserer Ernährung ist gegenwärtig nicht tragfähig. Das ist die reine Wahrheit, vielleicht noch nicht einmal die ganze. Man möchte rufen: Vegetarier aller Länder vereinigt euch! - Doch Vegetarier erkranken auch. Das lässt das Ausmaß des Erreichten erahnen.

Folgerichtig führt die Sache zu schweren Vorhaltungen auch für diese Landesregierung. Im Bund führte das zu einem Ministerschwund, der Parallelen sucht.

(Herr Sachse, SPD: Was wollen Sie?)

Das blanke Nachplappern der Berliner Vorgaben, das Anbeten des EU-Überstaates, die unerträglichen Reglementierungen, Abnahmeverpflichtungen, Produktionsbeschränkungen genau in der Nähe des Konsumenten haben den idealen Nährboden für die BSE-Pest geliefert. Das Hin- und Herkarren der Geschöpfe, die unserer Ernährung dienen, ist die organisierte Seuchenverbreitung in allergrößtem Stil.

In unglaublicher Weise hat diese Regierungsbank nichts, aber auch gar nichts aufgegriffen, was unsere Abgeordneten genau in dieser Richtung einbrachten. Wir waren und bleiben Gegner von Tiertransporten, die 200 km überschreiten - aus gutem Grund.

Was wurde aus dem Antrag der FDVP in der Drs. 3/2865 betreffend die Kennzeichnungspflicht von gentechnisch veränderten Lebensmitteln? Da geht die Sache weiter - demnächst.

An dieser Stelle ist der Schritt zur Täterschaft durch unechte Überlassung nicht sehr groß. Schon das bisher Aufgezeigte hätte zumindest in normalen Regierungskonstellationen personelle Folgen gehabt.

Wir müssen aufhören zu glauben, die Schwerpunkte des Versagens lägen nur beim Landwirtschaftsministerium, sozusagen als ein rein kommerzielles oder vielleicht noch ethisches Problem, so wie es im Dezember anklang. Schon länger liegt der ausgemachte Schwerpunkt im Gesundheitsministerium. Dort greift unser Antrag am schärfsten, nämlich in den Punkten 1 und 3.

Eine Info-Reise nach Bayern hat unsere Auffassung in breitem Maße bestätigt und weitere Gefahrenquellen der Seuche aufgezeigt. Wir wollen sofort wissen, was mit der Einstreu, dem Gebäudeuntergrund, den Abwässern aus verdächtigen und infizierten Beständen erfolgt. Geben Sie hier und heute endlich zu, dass die Seuche Arten übergreifend ist. Ob BSE, Scrapie, Traberkrankheit, Kurukrankheit oder Creutzfeldt-Jakob - alles Namen für eine Sache: Prionenkrankheit.

(Herr Dr. Süß, PDS: Was Sie alles wissen!)

Ziemlich sicher ist, dass Prionenkrankheit und Kannibalismus im Zusammenhang stehen, wie die so genannte Kurukrankheit beweist. Ein Stamm in Neuguinea wurde schon 1957 dadurch auffällig.

Tiermehlverfütterung ist die erzwungene Kannibalisierung von Pflanzenfressern.

(Unruhe)

Entschuldigen Sie, Kollege Wolf. - Meine Damen und Herren! Ich muss Sie um Ruhe bitten.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Widerstandsfähigkeit von Prionen, von besonderen Eiweißen also, ist gespenstisch: Desinfektionsmittel, Hitze von über 100° C und Chemikalien können ihnen kaum etwas anhaben. Manche Chemikalien befördern ihr Dasein. Im Boden überstehen sie Jahre. - Eine harte Nuss für die Forschung. Punkt 6 unseres Antrages soll dazu Anregungen vermitteln.

Angesichts des galoppierenden Ausmaßes der Arten übergreifenden Aggressivität der Seuche sowie der zu erwartenden Vielfalt, Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit der Prionen hat die Bevölkerung ein Recht auf ein Sofortprogramm in Form einer regierungsgestützten Informationskampagne. Also ein absolutes Minimum, das diese Regierung bisher nicht geleistet hat, da sie mit anderen Dingen, zum Beispiel mit dem Kampf gegen Rechts, so ziemlich ausgelastet ist.

(Zustimmung bei der FDVP)

Wir haben einen Notstand. Geben Sie diesen bitte auch bekannt.

Im Namen der Bevölkerung fordern wir Aufklärungsschriften, die zum Beispiel im Zusammenhang mit den Krankenkassen erstellt und verbreitet werden und jedem Bürger zugänglich sind, auch demjenigen, der keinen Internetzugang hat. Oder wählen Sie einen anderen Bereich oder einen anderen Weg; Hauptsache, Sie erfüllen Ihre Pflicht.

Die Vervielfältigung des Sechspunkteprogramms bringt jedenfalls keinen Schutz in der Gegenwart. Hätte unsere Fraktion diesen Antrag nicht eingebracht, wäre das Stichwort heute im Landtag gar nicht gefallen - wie beschämend für diese Regierung!

(Zustimmung bei der FDVP)

Ungewollt, aber sehr deutlich unterstützt uns mittels Interview im „Focus“ der Europaabgeordnete Reimer Böge mit der niederschmetternden Grundaussage - Frau Präsidentin, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -:

„Wir haben drei Jahre verloren. Die EU-Staaten haben den Kampf gegen BSE verzögert.“

Na bitte, aus erster Hand.

Solche Aussagen, die keine überraschenden Neuerkenntnisse sind, sprechen für Alleingänge auf nationaler, notfalls auf Länderebene, wenn der EU-Wahn-sinn Methode hat. Dazu müsste politischer Mut in SachsenAnhalt allerdings ein Zuhause haben.

Dass die Prionenkrise richtig teuer wird, muss nicht extra ausgeführt werden. Dass die Erzeugerbetriebe für politische Versäumnisse finanziell bestraft werden, muss erwähnt werden. Sofortreaktionen in Sachsen haben vorgemacht, wie man wenigstens etwas tun kann. Der Aufkauf des Tiermehls durch den Staat ist eine Hilfe aus dem Stand.

Zwischen Bund und Ländern wird es zum Tauziehen kommen, um die Schadensanteile der Krise aufzuteilen. Bisher kursieren Zahlen um 1,6 Milliarden DM. Wir glauben an ein Vielfaches davon. Der Punkt 4 des Antrages weist die Regierung in diese Richtung.

Nebenbei bemerkt, meine Damen und Herren: Beobachten wir einmal den Euro-Kurs im Wechselspiel mit den Prionen - das wird interessant.

Daten zur Gesundheit liegen uns vor. Sie finden Masern, Mumps und Röteln. Ich werde noch weiter suchen, aber bisher habe ich Hinweise auf BSE-Gefahren in diesem umfangreichen Werk nicht gefunden.

Haben wir nur drei Jahre verloren? Die Skandale jagen sich. Schweinemastskandale werfen Schatten. Verabreichte Antibiotika wirken beim Konsumenten mit unermesslichen Folgen fort - Krebs und Deimmunisierung, das heißt, Antibiotika wirken nicht mehr beim Patienten. Die erste Anfrage ist raus. Wir setzten nach, das ist versprochen. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihefolge DVU-FL, PDS, CDU, SPD, FDVP. Als erstem Redner erteile ich für die Landesregierung Minister Herrn Keller das Wort.

Meine Damen und Herren! Der Minister hat mir gegenüber bereits angekündigt, dass er länger als die ihm nach der Redezeittabelle zugebilligten zehn Minuten sprechen wird. Das bedeutet, dass auch für Sie ein kleiner Zeitzuschlag möglich ist.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst zwei Vorbemerkungen machen.

Erstens. Ich möchte von dieser Stelle aus den betroffenen Betrieben, insbesondere den Betriebsinhabern in Mücheln, mein tiefes Mitgefühl zu dem schweren Schicksalsschlag, der sie getroffen hat, zum Ausdruck bringen.