Protokoll der Sitzung vom 02.03.2001

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 54. Sitzung des Landtags von Sachsen-Anhalt der dritten Wahlperiode und ich begrüße Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Meine Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass heute das Mitglied des Landtages Frau Petra Wernicke Geburtstag hat.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich gratuliere Ihnen - der Beifall hat es gezeigt - im Namen des Hohen Hauses und wünsche Ihnen Glück, Gesundheit und Wohlergehen.

Wir setzen nunmehr die 29. Sitzungsperiode fort und beginnen die heutige Beratung mit dem Tagesordnungspunkt 18. Danach folgen die Tagesordnungspunkte 19, 12, 20 usw.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Auswirkungen der Rentenreform aus Sicht der Frauen und Familien

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/4257

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Liebrecht eingebracht. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Ziel einer Rentenreform muss die Herbeiführung von sozialer Gerechtigkeit sein. Es sollte Gerechtigkeit zwischen den Generationen, aber auch innerhalb der Generationen bestehen. Gerechtigkeit für Frauen, insbesondere für Mütter, muss gewährleistet sein.

Die Diskussion um die Rentenreform ist aufgrund der ständigen Änderungen im Riester-Konzept äußerst kompliziert und selbst für die interessierte Öffentlichkeit nicht mehr nachvollziehbar. Selbst wenn Eltern mit ihren Kindern erkennen würden, was ihnen die Rentenreform einbringt, wären massive Proteste gegen die Rentenreform absehbar.

Die Bundesregierung ist angetreten, eine Rentenreform zu konzipieren, die das Wahlkampfversprechen einlöst und auch Frauen und Müttern eine wirkliche eigenständige Alterssicherung gewährt. Auch in diesem Punkt versagt die Rentenreform.

Nach zweijähriger Diskussion um die Rentenreform ist das Absenken des Rentenniveaus nunmehr beschlossene Sache. Trotz massiver Kritik aller Rentenexperten, der Verbände und Gewerkschaften sowie der Frauenund Familienorganisationen ist die Bundesregierung bisher nicht bereit gewesen, die sich aus der Rentenreform für Frauen und Mütter ergebenden Nachteile zu beseitigen.

Die Rentenreform verschlechtert die Rahmenbedingungen für die Alterssicherung von Frauen und somit die Zukunftschancen für Familien.

(Herr Oleikiewitz, SPD: Sie haben 16 Jahre Zeit gehabt!)

Das vorliegende Rentenkonzept ist allerdings alles andere als eine geschlechter- und generationengerechte Rentenreform.

Reformen haben immer Gewinner und Verlierer, so auch die Rentenreform der Bundesregierung. Allerdings gibt es hier mehr Verlierer als Gewinner, da die Rentenreform entsprechend den Realitäten und Prognosen nur halbherzig angepasst ist. Uns fehlt ganz einfach die Gerechtigkeit.

Dagegen behauptet die Bundesregierung, bei dieser Reform gäbe es nur Gewinner.

Richtig ist, dass vor allem die Vertreter der jungen Generation die Verlierer dieser Reform sind. Die Rentenreform bürdet den heute 20- bis 40-Jährigen überproportionale Lasten auf. Trotz höherer Beiträge werden sie ein geringeres Rentenniveau erhalten. Da ab dem Jahr 2011 jährlich eine Anpassung von 0,3 % erfolgt, werden diejenigen, die 2030 in Rente gehen, nur noch 61 % ihres Bruttoverdienstes erhalten. Diese 61 % werden stets nur bei 45 Versicherungsjahren erreicht.

61 % ist das Rentenniveau der 60er-Jahre. Damals waren die Löhne in Ost und West noch annähernd gleich niedrig.

Problematisch wird es aber schon, wenn jemand nur 25 oder 36 Versicherungsjahre hat. Hierbei denke ich in erster Linie an die Frauen und Mütter: Je weniger Prozente, umso weniger Rente bekommen sie.

Die durchschnittlichen Beitragszeiten bei Frauen liegen heute in den alten Bundesländern bei 25 Jahren, in den neuen Bundesländern bei 36 Jahren. Das bedeutet, dass das Niveau von Renten bei Frauen auf unter 50 % fallen wird. Wie kann hier die Bundesregierung nur von Gewinnern reden?

(Herr Sachse, SPD: Was soll das Land denn ma- chen?)

Das ist so nicht hinzunehmen. Es ist ganz einfach ungerecht und falsch. Weder ist ein messbarer Fortschritt bei der eigenständigen Alterssicherung für Frauen erzielt, noch ist Gerechtigkeit bei der Bewertung der Leistungen für die Kindererziehung erreicht worden. Selbst ein geschlechtergerechter Tarif in der privaten Altersvorsorge ist nicht im Gesetz berücksichtigt worden. Wegen der Nachteile für Frauen und Mütter muss die Rentenreform abgelehnt werden.

Wir wissen, dass zwei Drittel der Rentenempfänger Frauen sind. Von 18 Millionen Rentenempfängern sind 11 Millionen Frauen. Die durchschnittliche Altersrente von Frauen in Deutschland beträgt heute 949 DM. 63 % aller Frauen in Ost und West erhalten eine Altersrente von weniger als 1 200 DM im Monat.

Dabei ist zu beachten, dass die Renten für Frauen umso niedriger ausfallen, je mehr Kinder sie geboren haben. Aber immer noch sind Kinder die Bestandsgarantie des Generationenvertrages und des solidarischen gesetzlichen Rentensystems, weil sie die Beiträge der Rentnerinnen und Rentner von morgen aufbringen werden.

Wir wissen, dass die Erziehung von Kindern viele Jahre dauert und nicht geringe Kosten verursacht. Dies ist ein aktiver Beitrag zur Rentenversicherung, der genauso viel wert ist wie eine Berufstätigkeit; und gerade vor diesem Hintergrund ist die unterschiedliche Bewertung der Kinder für die Rente ungerecht und nicht nachvollziehbar.

Was rechtfertigt es, Mütter mit einem Kind anders zu behandeln als Mütter mit zwei Kindern? Bei der Rente nach Mindesteinkommen wird die Kindererziehungsleistung unterschiedlich bewertet, abhängig von Kinderzahl, Erwerbstätigkeit und dem damit verbundenen Verdienst. Für Frauen, die Kinder unter zehn Jahren erziehen und mindestens 25 Versicherungsjahre aufweisen, werden die Entgeltpunkte für die Zeit nach dem Jahr 1991 um 50 %, maximal bis zum Durchschnittseinkommen erhöht. Frauen, die mindestens zwei Kinder erziehen, erhalten eine gleichwertige Aufstockung, auch wenn sie nicht berufstätig sind. Dagegen erhalten Frauen mit einem Kind keine Förderung, wenn sie nicht berufstätig sind.

Frauen mit überdurchschnittlichem Einkommen und Frauen, die vor dem Jahr 1992 Kinder geboren haben, werden nicht berücksichtigt.

Eine besonders ungerechte Bewertung erfahren alle Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, in den nächsten 15 bis 20 Jahren Rentnerinnen werden und nur ein Erziehungsjahr pro Kind angerechnet bekommen. Das bedeutet in Zahlen ausgedrückt, dass ein vor 1992 geborenes Kind seiner Mutter eine Monatsrente von 48 DM im Westen und von 42 DM im Osten einbringt und ein nach 1992 geborenes Kind das Dreifache.

Zwar sind marginale Verbesserungen bei der rentenrechtlichen Bewertung von Kindererziehungszeiten und ein zaghafter Einstieg in das Anwartschaftssplitting erfolgt, aber die Nachteile der Rentenreform können damit nicht ausgeglichen werden. Die Verbesserungen, die eingeführt wurden, werden durch die Witwenrente wieder einkassiert.

Bei der Witwenrente wird das Niveau von derzeit 60 % auf 55 % abgesenkt. Der Freibetrag, der bisher regelmäßig der Lohnentwicklung angepasst wurde, wird eingefroren. So wird die Hinterbliebenenrente Jahr für Jahr abgeschmolzen. Das bedeutet für die jüngeren Jahrgänge langfristig das Aus der Hinterbliebenenrente,

(Herr Scharf, CDU: Das ist eine Schweinerei!)

da diese von der Entwicklung der Einkommen abgekoppelt wird.

Hinzu kommt jetzt auch, dass Vermögenseinkommen wie Miete, Kapitaleinkünfte, Lebensversicherungen etc. angerechnet werden, sodass derjenige, der spart und Eigenvorsorge betreibt, der Dumme ist.

Der positive Ansatz, für jedes Kind die Witwenrente um einen Entgeltpunkt aufzustocken, ist richtig, aber zu kurz gegriffen, weil der Zuschlag in der Regel die Kürzung von 60 % auf 55 % nicht ausgleicht.

Nicht vertretbar ist, dass nur die Hinterbliebenen pro Kind einen Entgeltpunkt erhalten. Geschiedene, Alleinlebende oder diejenigen, die gesplittet haben, bekommen nichts.

Eine zusätzliche private Alterssicherung, die staatlich gefördert wird, ist zu unterstützen, aber nicht in dieser Form. Diese Förderung ist sozial völlig unausgewogen und benachteiligt wieder in besonderer Weise Frauen.

Familien mit Kindern und Geringverdienende werden benachteiligt, Besserverdienende bevorzugt. Die vorgesehene Grundzulage und die Kinderzulage, die vor allem Geringverdienern und Familien zugute kommen sollen, werden nicht regelmäßig angepasst. Dagegen wird die Obergrenze für die steuerliche Förderung von Besserverdienenden dynamisiert.

Ich möchte Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen. Die Witwe, die die geförderte Sparsumme von ihrem Mann vor Erreichen der Altersgrenze erbt, muss die Förderung an das Finanzamt zurückzahlen. Das heißt, ein Alleinverdiener mit zwei Kindern, der 30 Jahre lang jährlich 2 000 DM anspart, erhält vom Finanzamt jährlich eine Zulage von 1 020 DM und 980 DM muss er selbst einsetzen. Wenn er stirbt, wird die angesparte Summe der Witwe ausgezahlt. Das sind über 60 000 DM. Die Frau muss aber dann die staatliche Zulage in Höhe von ca. 30 000 DM wieder an das Finanzamt zurückzahlen. Das ist schockierend und nicht tragbar.

Des Weiteren werden gerade Frauen in besonderer Weise benachteiligt, da gleiche Tarife für Frauen und Männer bei der geförderten zusätzlichen Altersvorsorge nicht vorgesehen sind, obwohl dies von der SPD angekündigt worden ist. Frauen werden mit der Tatsache allein gelassen, dass sie eine höhere Lebenserwartung haben und infolgedessen höhere Beiträge zahlen müssen, aber im Alter eine geringere Leistung ausbezahlt bekommen.

Wer bereits für das Alter vorgesorgt hat und Versicherungsverträge abgeschlossen hat, kann diese nach den vorgesehenen Förderkriterien fast nie nutzen und muss praktisch bei Null beginnen. Überlegen Sie sich einmal, was das für die heute 40- bis 50-Jährigen bedeutet.

Die Menschen sparen für ihre eigenen vier Wände, weil diese im Alter eine erhebliche finanzielle Entlastung bedeuten und sie darüber hinaus ihren Kindern ja noch etwas vererben möchten. Und diese rot-grüne Bundesregierung schließt die Immobilienförderung quasi aus und akzeptiert das selbst genutzte Wohneigentum nicht als private Altersvorsorge.

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

Gefördert werden nur diejenigen, die ihr eigenes Haus an die Bank übertragen und dafür eine lebenslange Rente erhalten. Wer über die vorgegebene staatlich geförderte Altersvorsorge hinaus spart, ist der Dumme; denn sie oder er hat umsonst gespart.

Darüber hinaus ist dieses Förderkonzept kompliziert, bürokratisch aufgebläht und wohl eher eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Finanzämter und somit eine zusätzliche Belastung für die Länder. Die Gewinner der Rentenreform sind dabei in erster Linie die Versicherungsgesellschaften und die Bundesbank.

Zu den weiteren Verlierern gehört eindeutig die Rentenversicherung selbst. Zum einen ist ihre Finanzierung nach der Reform fraglich. Zum anderen bleibt sie abhängig von einer günstigen Wirtschaftsentwicklung, sinkender Arbeitslosigkeit und steigender Lebensarbeitszeit. Dadurch wird die Zukunft der Rentenversicherung nicht einfacher.

Ich kann mich sehr gut erinnern, wie die jetzige Bundesregierung im Wahljahr 1998 mit dem Inhalt der CDURentenreform umgegangen ist, sie als sozial ungerecht und sogar unanständig diffamiert hat und behauptete, die Rentenversicherungsbeiträge wären nicht stabil. Richtig ist - hören Sie bitte genau zu -: Wir hätten uns dieses Hickhack über zwei Jahre ersparen können,

(Beifall bei der CDU)