Protokoll der Sitzung vom 02.03.2001

Vielen Dank. - Ich stelle fest, dass die SPD-Fraktion, die DVU-FL-Fraktion und die PDS-Fraktion keinen Redebeitrag angemeldet haben und frage, ob es dabei bleibt. - Offensichtlich ist das der Fall.

Dann hat jetzt Frau Wiechmann für die FDVP-Fraktion die Möglichkeit, zu den beiden Diskussionsbeiträgen Stellung zu nehmen. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin natürlich nicht verwundert, dass Sie von der PDS keinen Redebeitrag eingereicht haben. Was hätten Sie auch dazu sagen sollen?

Aber ich bin doch über ein paar andere Sachen verwundert. Ich habe natürlich gehört, Herr Minister Püchel, was Sie gesagt haben. Sie halten unseren Antrag für überflüssig, weil es solche strafbaren Elemente schon lange gebe. Diese Begründung leuchtet mir wirklich nicht ein. Ich denke, es besteht Handlungsbedarf.

Sie haben kurz über Ihre Aktivitäten gesprochen. Die haben mich nicht befriedigt, zumal Sie am Ende noch gesagt haben: Wir gehen hauptsächlich gegen rechts vor, weil wir Probleme mit rechts haben. Deshalb haben wir auch diese Hotline.

Aber um Himmels willen, ich habe doch deutlich dargestellt, welche Probleme es auch von der linksextremistischen Seite gibt. Wir haben sogar Vertreter im Landtag sitzen. In diesem Zusammenhang vermisse ich, dass sich die Landesregierung hierzu kritisch äußert. Ich führe das daher noch einmal ein bisschen aus.

(Oh! bei der SPD)

Mit Urteil vom 12. Mai 1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite gegebenenfalls mit zu verantworten hat. Das steht mittlerweile auf vielen Hauptseiten rechtsextremistischer wie linksextremistischer Internetangebote; denn diese Lektion wurde gelernt, und zwar von Linken.

Seitdem die PDS-Politikerin Angela Marquardt wegen ihrer Homepage Ärger mit dem Staatsanwalt bekam, weil sie dort einen Link zu den Seiten der linksextremen Zeitschrift „Radikal“ untergebracht hatte, gilt ihr Straf

verfahren als warnendes Beispiel für Internetextremisten jedweder Farbe und Orientierung und als Lehrbeispiel, wie man dabei jedwede Verantwortung vermeidet.

Die Kommunistin und Linksextremistin Marquardt Sie werden sich vielleicht daran erinnern - war Ende Juni 1997 von dem Vorwurf freigesprochen worden, im Internet für Gewalt geworben zu haben. Auch wenn „Radikal“ zu Straftaten aufrufe, könne Marquardt keine wissent-liche Billigung nachgewiesen werden, argumentierte dann der Richter. Voraussetzung war allerdings eine ausdrückliche Distanzierung Marquardts von Ungesetzlichkeiten.

So distanzierte man sich auch auf der rechtsextremistischen Seite, wohlgemerkt radikal, von Inhalten verlinkter Seiten, um wenige Zentimeter weiter den braunen Stoff in Mausklicknähe feilzubieten.

Die Linksextremisten stehen dem natürlich in nichts nach. Das müssten auch Sie alles wissen, Herr Minister Püchel. Die Linksextremisten umgarnen Ihre Angebote zwar mit anderer, aber genauso billiger Verpackung. Längst sind die Angebote multimedial geworden. Zahlreiche Tonkonserven stehen zum Herunterladen bereit. Die Hetzpropaganda von rechts und links floriert, meine Damen und Herren. Da hilft auch kein Schönreden in diesem Haus.

Um die üblichen Schutzvorrichtungen von Firmennetzen gegen so genannte Streaming-Angebote in Bild und Ton zu unterlaufen, kann die gewünschte Propaganda als Datei komplett heruntergeladen werden. Eine Stunde O-Ton in UKW-Qualität rauschen in sechs Minuten oder weniger in den Arbeitsplatzrechner herunter. Viele Angebote suchen noch nicht einmal den Schutz ausländischer Server, zum Beispiel auch in den USA.

Seitdem jeder Internetamateur weiß, wie über kostenlos zugängliche Tarnknoten im Netz ein garantiert anonymer Zugriff auf jedes Angebot für jedermann möglich wird, kann kein noch so engagierter Verfolgungsdruck der Polizei etwas gegen die Gewaltflut aus der Datenpipeline ausrichten.

Hier sind wirklich konstruktive und neue Ideen gefragt. Genau diese wollen wir mit unserem Antrag erreichen. Das, was wir hier vorgetragen haben, war es nicht.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Bergner zu beantworten?

Nicht nur von den systemoppositionellen SED-Erben haben die Webmaster gelernt. Was den privaten Homepage-Bastlern das linsextreme Exempel ist, ist wenigen Netzknotenbetreibern, den so genannten Providern, der Kinderpornografieprozess gegen den ehemaligen Münchner Geschäftsführer Felix Somm. Das nur als Beispiel, denn dieser wurde stellvertretend für seinen Arbeitgeber im Mai 1998 verurteilt, dann im November 1999 letztlich vom Vorwurf der Beihilfe zur Verbreitung von Kinderpornografie freigesprochen. Exemplarisch sollte ein Internetprovider für die Inhalte der von ihm beherbergten Haushalte privater Nutzer verantwortlich gemacht werden. Aber es war halt mehr als vergeblich.

Die Solidarität der weltweiten Netzgemeinde war Felix Somm sicher. Offensichtlich kennt die freie Informationsflut und das freie Informationsbedürfnis kein Gesetz, das wirksame Begrenzungen vornehmen könnte. An Kreativität fehlt es dabei den Extremisten auch nicht, aller Couleur wohlgemerkt; Nadir lässt grüßen.

Als ein großer deutscher Privatsender vor wenigen Wochen seinen Beitrag über rechte Extremisten im Netz mit der Formulierung „Klick heil“ übertitelte, tauchte wenig später die Domain „Siegheil.de“ mit Bezug auf diese Sendung auf. Sie machte im Netz rasch die Runde und wurde auch fleißig verlinkt, natürlich mit der dazugehörigen Distanzierung, versteht sich. Frau Marquardt lässt hier grüßen.

Meine Damen und Herren! Gefahr droht nicht von links und rechts - darüber sollten wir uns im Klaren sein -, sondern sie droht von den Rechtsextremen und von den Linksextremen.

Die heutige linksextreme PDS - da komme ich noch einmal auf Sie zurück - steht genau im Stallgeruch dieser Tätigkeiten. Sie sollte ihr Verhältnis zur SED und dieser damaligen kriminellen Vereinigung sowie auch zur Gewalt endgültig klären und das auch hier deutlich sagen.

Eine Frage habe ich noch an Herrn Schomburg. Ich habe vorhin etwas von Toleranz gehört. Sie haben gesagt, wir müssen Gelassenheit und Zurückhaltung an den Tag legen.

(Herr Schomburg, CDU: Und Toleranz!)

Das kann ich alles nicht teilen. Wir können nicht Gelassenheit und Zurückhaltung an den Tag legen. Das leuchtet mir nicht ein. Aber „Toleranz“ haben Sie gesagt. Toleranz gegenüber Gewalt? Das verstehe ich nicht.

Ich bitte trotzdem um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der FDVP)

Meine Damen und Herren! Damit ist die Debatte abgeschlossen. Wir kommen zum Abstimmungsverfahren.

Wer dem Ihnen vorliegenden Antrag in der Drs. 3/4263 zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Bei einer großen Zahl von Gegenstimmen und ohne Stimmenthaltungen ist dieser Antrag abgelehnt worden und damit dieser Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen Entwurf eines Sozialgesetzbuches - Neuntes Buch (SGB IX)

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4264

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4293

Der PDS-Antrag wird von dem Abgeordneten Herrn Dr. Eckert eingebracht. Bitte, Herr Eckert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag der PDS-Fraktion, der Ihnen in der genannten Drucksache vorliegt, fordern wir die Landesregierung

auf, in drei Ausschüssen zu agieren sowie zu den inhaltlichen Positionen der Landesregierung im Zusammenhang mit den Beratungen zum SGB IX Bericht zu erstatten.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang kurz zurückblicken. Ende der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts fasste die damalige Bundesregierung den Beschluss, das sehr zerstreute und zum Teil widersprüchliche soziale Recht in seiner Gesamtheit in einem an einheitlichen Grundsätzen orientierten Sozialgesetzbuch zusammenzufassen. Geplant war, dieses Reformvorhaben, das 10 Bücher oder Teile umfassen sollte, bis zum Beginn der 80er-Jahre abzuschließen. Das gelang nicht.

In allen Berichten der Bundesregierung zur Lage der Behinderten und zur Entwicklung der Rehabilitation mittlerweile wird der fünfte Bericht vorbereitet - wurde die jeweilige Bundesregierung aufgefordert, das Schwerbehindertenrecht und das Recht der Rehabilitation in einem SGB IX zusammenzufassen, zu vereinheitlichen und zu harmonisieren.

Den ersten diskussionsfähigen Entwurf legte die Regierung Kohl im Jahr 1993 vor. Er erreichte den Bundestag jedoch nicht. Im Jahr 1996 gab es einen zweiten Vorstoß der Regierung Kohl in Form von Eckpunkten einer Koalitionsarbeitsgruppe. Diese Eckpunkte wurden aufgrund der damit geplanten erheblichen Verschlechterungen des Rehabilitationsrechts von den Gewerkschaften und von den Behindertenverbänden einhellig abgelehnt. Ein Referentenentwurf kam erst gar nicht zustande.

Nunmehr hat die rot-grüne Bundesregierung nach intensivsten Vorgesprächen und Diskussionen einen Gesetzentwurf für ein SGB IX - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - in den Bundestag eingebracht. Die Behindertenverbände würdigten die Tatsache der Vorlage eines Gesetzentwurfs sowie einer Reihe von begrüßenswerten Vorschlägen und Regelungen.

Deutlich wurde aber, dass, wie es beispielsweise der VdK Deutschland formulierte, der Gesetzentwurf nicht die Lösung, sondern nur eine Plattform für eine positive Lösungsentwicklung bietet. Die Verbände, aber auch andere Organisationen mahnten wesentliche Veränderungen und Verbesserungen an.

Auch die Wohlfahrtsverbände, die Krankenkassen und Gewerkschaften begrüßten einerseits die Vorlage des Entwurfes für ein SGB IX, forderten aber zum Teil drastische Nachbesserungen.

Die Arbeitgeberverbände, der Städte- und Gemeindebund, der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag lehnen ganze Teile des Gesetzentwurfes ab. Beispielsweise lehnen die kommunalen Spitzenverbände die Einbeziehung der Träger der Jugend- und der Sozialhilfe in den Kreis der Rehabilitationsträger aus systematischen Gründen und wegen der aus ihrer Sicht zu erwartenden Mehrkosten ab.

Die Arbeitgeberverbände sprachen sich strikt gegen das vorgesehene Verbandsklagerecht, zumindest was den arbeitsrechtlichen Teil des SGB IX betrifft, aus und meinten, dass das Verbandsklagerecht faktisch für jeden Arbeitgeber ein erhöhtes Prozessrisiko bedeute.

Nebenbei gesagt, halte ich eine solche Formulierung für sehr fatal; denn es ist eigentlich ein Eingeständnis, dass sich die Arbeitgeber kaum an geltendes Recht halten. Ein Verbandsklagerecht wird wohl nur dort greifen und

zur Anwendung gelangen können, wo Gesetze verletzt und behinderte Menschen benachteiligt werden.

Demgegenüber begrüßten und unterstützten die Behindertenverbände, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und die Gewerkschaften vehement ein derartiges Verbandsklagerecht.

Meine Damen und Herren! Ich habe diese wenigen Beispiele angeführt, um deutlich zu machen, dass es schon von großer Bedeutung ist zu erfahren, welche Auffassungen und Vorstellungen zum SGB IX die Landesregierung in den anstehenden Beratungen unterstützen wird, welche sie möglicherweise selbst einbringen will oder welche sie ablehnt.

Damit die Berichterstattung möglichst strukturiert und nach wesentlichen inhaltlichen, zum Teil auch kontroversen Punkten erfolgen kann, haben wir unter den Anstrichen entsprechende Probleme formuliert.