Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Wenn Sie einen solchen Modellversuch wünschen, werden Sie auch eine lange Wartezeit in Kauf nehmen müssen. Erst einmal müssen Fachleute gefunden werden. Dann muss die Umstrukturierung erfolgen. Das erfordert sicherlich etwas mehr Zeit. Dann muss das Projekt über einen längeren Zeitraum laufen, bevor man sich der Analyse widmet.

Meine Damen und Herren! Haben Sie soviel Zeit? Die betroffenen Bürger haben sie sicherlich nicht.

(Frau Lindemann, SPD: Sie werden das nicht mehr erleben, weil Sie dann nicht mehr im Land- tag sind!)

Dem Ziel Ihres Antrages können wir zustimmen. Auch wir sehen in diesem Bereich dringenden Handlungsbedarf. Einer Ausschussüberweisung stimmen wir zu.

(Zustimmung bei der FDVP)

Herr Dr. Nehler hat für die SPD-Fraktion noch einmal das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Wesentlichen habe ich meinen Ausführungen aus der Einbringung nichts hinzuzufügen, auch deshalb nicht, weil erfreulicherweise eigentlich über alle Fraktionen hinweg weitestgehend Übereinstimmung festzustellen war. Gleichwohl denke ich - ich hatte es vorhin gesagt -, dass über eine ganze Menge von Detailfragen noch zu diskutieren ist. Ich glaube, dass das nicht nur im Sozialausschuss, sondern auch im Finanzausschuss und mit den Innenpolitikern geschehen sollte.

Ein Wort vielleicht noch zu den angesprochenen Modellregionen. Wir wollen natürlich kein Geheimnis daraus machen. Es gab bereits Vorabgespräche. Wir wollten sicher sein, dass die Kommunen für solche Modelle, wie wir sie kurz umrissen haben, zumindest ein offenes Ohr zeigen. Es gibt im Moment Gespräche sowohl mit der Stadt Halle, die dem sehr aufgeschlossen gegenübersteht, als auch mit den Nordharzkreisen. Das wollte ich noch ergänzen.

Einige wenige Anmerkungen noch zu den Ausführungen der Kolleginnen und Kollegen aus den Fraktionen. Herr Dr. Eckert, die generelle Zusammenführung von örtlichen und überörtlichen Sozialhilfeträgern ist ein

bundesweites Problem. Es gibt bundesweit viele Modelle, auf die man in einer internen Diskussion im Ausschuss eingehen kann. Aus meiner Sicht steht fest, dass es nirgends den Stein der Weisen gibt, dass also nirgends eine praktikable Struktur gefunden wurde, die das Ganze funktional macht. Darum haben wir es zunächst nicht gewagt, über diesen Modellgedanken hinauszugehen.

Gleichwohl müssen wir uns schon Gedanken darüber machen - auch im Hinblick auf die Verwaltungsreform und im Hinblick auf die damit verbundene Funktionalreform -, ob wir etwas finden können, das nicht nur modellhaft ein stärkeres Zusammengehen des örtlichen und des überörtlichen Sozialhilfeträgers ermöglicht, sondern eine für die Zukunft praktikable Variante wäre. Wir sollten darüber nachdenken und darüber reden. Aber wir wagen es im Moment nicht, etwas in dieser Richtung vorzugeben.

Eine Übertragung der gesamten Eingliederungshilfe in den kommunalen Bereich - das möchte ich aus meiner persönlichen Sicht hinzufügen - erscheint mir insofern gefährlich, als ich befürchte - diesbezüglich gibt es Beispiele aus unserer jüngeren Vergangenheit -, dass uns als Land ein Stück weit die Steuerung in Bezug auf eine kosteneffiziente und menschenwürdige Angebotsstruktur fatalerweise verloren gehen könnte. Das ist meine Sorge.

Wir sehen das teilweise im Rettungsdienstbereich. Das ist zwar ein ganz anderer Bereich. Dort haben wir als Land Steuerungen aufgegeben; das hatte letztlich die Folge, dass wir ungeheure Kosten haben, auf die wir kaum noch Einfluss haben. Ich will diesbezüglich nichts weiter sagen. Wir sollten gut aufpassen, wenn wir diese Aufgaben mehr oder weniger kritiklos an andere übertragen.

Frau Liebrecht, Sie haben eine Menge von Fragen angeschnitten, die ich zu den Detailfragen zählen würde, über die wir in den Ausschüssen beraten sollten. Ich will jetzt nicht darauf eingehen.

Ich möchte mich bei allen bedanken, bei den Fraktionen und deren Sprechern für die tatsächlich weistestgehende Übereinstimmung im Hinblick auf die Zielrichtung, aber auch im Hinblick auf viele konkrete Punkte. Herzlichen Dank! - Ich will das nicht weiter ausdehnen. Wir reden in den Ausschüssen weiter darüber.

Würden Sie noch eine Frage von Dr. Eckert beantworten?

Ja, natürlich.

Bitte schön.

Herr Kollege Nehler, ich hatte gefragt, ob es möglich wäre, Ihren Antrag zu ergänzen. Ich mache einen Formulierungsvorschlag:

„Drittens. Im Ergebnis der Modellversuche und der Prüfung der Erfahrungen aus anderen Bundesländern sind durch die Landesregierung Vorschläge zur Novellierung des Landesausführungsgesetzes zum BSHG vorzulegen.“

Lieber Herr Dr. Eckert, das klingt verlockend. Aber ich meine, wir haben nicht endgültig über diesen Antrag entschieden. Wir beraten über den Antrag im Ausschuss. Lassen Sie uns dort darüber reden, ob es die eine oder andere Präzisierung oder Ergänzung geben kann. Das machen wir gemeinsam. Bei der großen Übereinstimmung, die wir bei diesem Antrag hatten, machen wir gemeinsam einen noch besseren Antrag daraus. Einverstanden? - Ich bedanke mich.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir sind am Ende der Debatte und kommen zum Abstimmungsverfahren zur Drs. 3/4340. Es ist beantragt worden, den Antrag der SPD-Fraktion in die Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales, für Finanzen und für Inneres zu überweisen. Die Federführung soll dem Sozialausschuss übertragen werden. Wer stimmt zu? - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? Einstimmig in die Ausschüsse überwiesen. Der Tagesordnungspunkt 15 ist somit erledigt.

Meine Damen und Herren! Ich komme auf meinen Vorschlag zurück, den Tagesordnungspunkt 19 bereits heute Abend zu behandeln. Wir vertreten den Standpunkt, dass der Zeitplan lediglich eine Orientierung ist, sodass wir Tagesordnungspunkte, die nicht festgesetzt sind, auch um einen Tag vorziehen können. Das Problem ist, dass der Herr Ministerpräsident, dessen Anwesenheit die FDVP-Fraktion ausdrücklich wünscht, nicht anwesend ist.

(Oh! bei der SPD)

Frau Ministerin Kuppe hat sich allerdings bereit erklärt, den Part des Herrn Ministerpräsidenten als Stellvertreterin zu übernehmen. Ich werde gegebenenfalls darüber abstimmen lassen. Wenn der Vorschlag von Frau Wiechmann, den Tagesordnungspunkt morgen zu behandeln, eine Mehrheit finden sollte, wird der Tagesordnungspunkt 20 vorgezogen. Sie haben die Gelegenheit, darüber nachzudenken.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung

Handlungsstrategien zur schulischen und sozialen Integration von Kindern und Jugendlichen deutscher Spätaussiedler sowie ausländischer Kinder und Jugendlicher an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 3/4341

Der Antrag wird durch die Abgeordnete Frau Kauerauf eingebracht. - Bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ein wichtiger Gradmesser der Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft muss ihr Umgang mit Ausländern, Minderheiten und sozial Schwachen betrachtet werden. Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat im September 2000 mit dem Beschluss für Toleranz und Zivilcourage, gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ein klares politisches Signal ausgesandt. Der Bundestag tat dies in der vergangenen Woche.

In der Landtagssitzung im September und in anschließenden Beratungen im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft haben die Bildungspolitiker über den Beitrag der Bildung im Kampf gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt diskutiert und tun es immer noch.

Der Ihnen vorliegende Antrag unserer Fraktion beschreibt einen diesbezüglich wesentlichen Schritt vom Abstrakten zum Konkreten. Für eine offene und demokratische Gesellschaft sind gleiche Chancen für alle beim Zugang zu und beim Besuch von Bildungseinrichtungen eine konstitutive Voraussetzung. Dies gilt auch und insbesondere für Kinder und Jugendliche deutscher Spätaussiedler sowie für ausländische Kinder und Jugendliche.

Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren haben erfreulicherweise viele ausländische und ausgesiedelte Familien ihren Wohnsitz in Sachsen-Anhalt genommen. Damit erreichen wir zwar zahlenmäßig bei weitem nicht das Niveau der alten Bundesländer, jedoch ist auch mit den zum 31. Dezember 2000 im Ausländerzentralregister geführten 50 000 ausländischen Staatsangehörigen sowie registrierten 26 400 deutschen Spätaussiedlern in Sachsen-Anhalt die Aufgabe der Integration verbunden.

Während die alten Bundesländer in den vergangenen Jahrzehnten Zeit hatten, sich mit den wachsenden Problemsituationen auseinander zu setzen und Lösungsstrategien zu entwickeln, stand und steht SachsenAnhalt als noch junges Bundesland in der Verantwortung, praktikable und effiziente Wege zu beschreiten, die den in dieses Bundesland gekommenen Aussiedlern und Ausländern eine schulische, berufliche sowie soziale Integration gestatten. Damit verbunden ist natürlich die Beschulung ihrer Kinder und Jugendlichen.

Von den 50 000 registrierten Ausländern befinden sich 9 311 im Alter von 0 bis 17 Jahren. Das sind fast 19 %. Dabei sind ausgesiedelte Kinder und Jugendliche noch nicht einberechnet. Die ausländische Bevölkerung zeichnet sich aufgrund einer höheren Geburtenrate gegenüber der deutschen durch stärker besetzte Jahrgänge in den jüngeren Altersklassen aus. Ein Recht auf Unterricht haben Kinder aller Zuwanderungsgruppen. Die Schulpflicht gilt dagegen nur für Kinder von Aussiedlern, Migranten und Asylberechtigten.

Die gegenwärtige und zukünftige Entwicklung der Bevölkerung und des Bildungsverhaltens von Ausländern und Deutschen wird dazu führen, dass die Zahl und auch der Anteil ausländischer und ausgesiedelter Schüler weiter zunehmen wird. Dies gilt auch für die neuen Bundesländer einschließlich Sachsen-Anhalts.

Laut Quellen des Statistischen Bundesamtes und des DIW erreichte die Bildungsbeteiligung ausländischer Jugendlicher im Alter von 15 bis 20 Jahren nur 64,9 % und lag damit deutlich unter der deutscher Gleichaltriger, die bei 93 % lag. Unter Bildungsbeteiligung versteht man die Teilnahme an den für diese Altersgruppen vorliegenden Bildungsangeboten an allgemein bildenden und berufsbildenden Schulen sowie an Hochschulen.

Interessant ist auch ein Blick auf die Bildungsbeteiligung der 20- bis 25-Jährigen. Für diese Altersgruppe lag sie bei den ausländischen Jugendlichen im Jahre 1998 nur bei 14,4 %, bei den deutschen immerhin bei 38,2 %. Für die 25- bis 30-jährigen Ausländer ergab sich im Jahre 1998 nur noch eine Bildungsbeteiligung von 3,7 % gegenüber 16,4 % bei Deutschen.

Diese Zahlen müssen uns alarmieren. So muss das vorrangige Ziel darin bestehen, den Anteil ausländischer und ausgesiedelter Schüler, die allgemein bildende oder berufsbildenden Schulen ohne Abschluss verlassen, zu verringern und die Übergangsraten an weiterführende Bildungs- und Ausbildungsgänge zu steigern.

Die Schuljahresendstatistik des Jahres 2000 des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt belegt, dass mehr als 30 % der ausländischen Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss, das heißt nur mit einem Abgangszeugnis verlassen haben. Für die ausgesiedelten Schülerinnen und Schüler lässt sich keine aussagekräftige Statistik erstellen, da sie dem Status nach als Deutsche geführt werden. Damit lässt sich diese Entwicklung zwar nicht statistisch erfassen, existiert jedoch als Problem weiter. Im Vergleich dazu verließen ca. 6 bis 7 % der deutschen Schüler die Schule ohne Abschluss.

Meine Damen und Herren! Ausgesiedelte und ausländische Jugendliche müssen einen Schulabschluss erwerben, der ihnen den Weg in das Berufsleben eröffnet. Voraussetzung dafür ist die Schaffung der notwendigen Rahmbedingungen für eine erfolgreiche schulische und soziale Integration. Das Hauptproblem der Integration besteht jedoch darin, dass ein Großteil der ausgesiedelten und ausländischen Kinder und Jugendlichen über keine oder sehr mangelhafte Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Hier gilt es vorrangig anzusetzen; denn der Grad der Sprachbeherrschung prägt nicht nur entscheidend den schulischen, sondern auch den sozialen Integrationsprozess.

Meine Damen und Herren! Die derzeit gültigen Regelungen in Sachsen-Anhalt sehen grundsätzlich unter Berücksichtigung des Alters und des Bildungsstandes eine sofortige Eingliederung in den regulären Unterricht an allgemein bildenden Schulen vor. Dies bedeutet in der Praxis, dass auf der Grundlage des zuletzt ausgestellten Schuljahreszeugnisses und der deutschen Sprachfertigkeiten die Klassen- und Schuljahreseinstufung erfolgt.

Sehr oft werden Kinder und Jugendliche aufgrund fehlender Deutschkenntnisse mindestens um ein Jahr zurückgestuft. In Abhängigkeit von der Schülerzahl an einer Schule haben sie die Möglichkeit, an einem Förderunterricht im Fach Deutsch teilzunehmen. Gegenwärtig werden für jeweils fünf zu fördernde Schülerinnen und Schüler zwei zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung gestellt.

Gerade für Schülerinnen und Schüler, die zwischen dem 13. und 16. Lebensjahr in den Regelunterricht eingegliedert werden, entstehen große Probleme infolge der Sprachdefizite. Das Förderstundenangebot ist für diese Schülergruppe in der Regel nicht ausreichend, um bis zum angestrebten Schulabschluss die notwendigen Kenntnisse im Fach Deutsch zu erwerben. Ein beträchtlicher Teil der Schülerinnen und Schüler verlässt die Schule ohne Abschluss und geht in ein Berufsvorbereitungsjahr oder Berufsgrundbildungsjahr. Das kann jedoch nicht unser Ziel sein.

Bildungspolitiker unserer Fraktion hatten im Juli 2000 die Möglichkeit, an einer Sekundarschule mit einem nicht unerheblichen Anteil ausgesiedelter bzw. ausländischer Kinder und Jugendlicher zu hospitieren. Dabei wurden sie auf die mit dem sofortigen schulischen Integrationsprozess einhergehenden Probleme aufmerksam. Dieser Eindruck verstärkte sich während einer im Anschluss stattgefundenen Verständigung mit Lehrkräften und dem

Schulleiter. Es entstand die Erkenntnis im Hinblick auf einen dringenden politischen Handlungsbedarf.

Weitere Erkenntnisse lieferte eine Studie der Otto-vonGuericke-Universität Magdeburg. Im Rahmen mehrerer aufeinander folgender Modellprojekte beschäftigten sich Wissenschaftler der Institute für fremdsprachige Philologien und Erziehungswissenschaften in den Jahren 1995 bis 1999 mit der schulischen und sozialen Integration ausgesiedelter und ausländischer Kinder und Jugendlicher sowie deren Perspektiven.

Im Rahmen des Projektes erfolgte eine Zustandsanalyse der Integrationspraxis an ausgewählten Schulen in Sachsen-Anhalt. Die dabei benannten Problemfelder deckten sich auch mit unseren Hospitationsergebnissen. Dazu zählen:

Erstens. Fehlende oder mangelnde Deutschkenntnisse.