Wir kommen zur Abstimmung über die Gesetzesüberschrift. Sie lautet: „Mittelstandsförderungsgesetz Sachsen-Anhalt“. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Bei einer Stimmenthaltung und fünf Gegenstimmen ist die Gesetzesüberschrift mit großer Mehrheit beschlossen.
Wir stimmen zuletzt über das Gesetz in seiner Gesamtheit ab. Wer diesem Gesetz zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Bei einer Stimmenthaltung und sieben Gegenstimmen ist das Gesetz mit großer Mehrheit beschlossen und damit der Tagesordnungspunkt 5 abgeschlossen.
Die erste Beratung fand in der 37. Sitzung des Landtages am 6. April 2000 statt. Ich bitte jetzt den Abgeordneten Herrn Dr. Nehler, als Berichterstatter das Wort zu nehmen, und die Kolleginnen und Kollegen im Landtag um die gebührende Ruhe.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt die gemeinsame Beschlussempfehlung der Ausschüsse für Arbeit, Gesundheit und Soziales - federführend - sowie für Recht und Verfassung und für Inneres vor, die unter Abschnitt I empfiehlt, den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS vom 30. März 2000 in der Drs. 3/2936 abzulehnen.
Der Schwerpunkt dieser Beschlussempfehlung scheint aber wohl, weitgehend mehrheitlich getragen, auf Abschnitt II zu liegen, in dem die Landesregierung beauftragt wird, in Ausübung ihrer Rechtsaufsicht mit der Kassenärztlichen Vereinigung eine - so wörtlich und einem Formulierungsvorschlag von Professor Dr. Böhmer aus der CDU-Fraktion folgend - überprüfbare einvernehmliche Lösung zur Regelung dieses seit Jahren in Sachsen-Anhalt immer wieder heftigst umstrittenen Problems der Bestandsfähigkeit von so genannten ärztlichen Zweigsprechstunden im Land herbeizuführen.
Meine Damen und Herren! In den seit der Einbringung vergangenen 13 Monaten ruhte der Gesetzentwurf keineswegs in den Ausschüssen. Im Gegenteil, teils hitzige Debatten zumeist um Verfahrensfragen und das eine jegliche inhaltliche Gesetzesberatung von vornherein überdeckende Problem einer auch heute durchaus noch nicht geklärten Frage nach der Gesetzgebungskompetenz auf Landesebene überhaupt ließen uns diesen Gesetzentwurf immer wieder auf die Tagesordnung setzen.
In dieser grundsätzlichen Frage des gesetzgeberischen Spielraumes für diese Problematik standen und stehen noch immer gutachterliche Aussagen der Landesregierung - des Sozial- und des Justizministeriums - und des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes unseres Hauses einander diametral gegenüber. Das aus diesem Grund von zwei Ausschüssen jeweils durch Mehrheitsbeschluss beim Landtagspräsidenten beantragte unabhängige bzw. von außen einzuholende Gutachten zu dieser Frage wurde aus Kostengründen, wie sich vermuten lässt, abgelehnt.
Der Gesetzentwurf hatte bis fast in die letzten Tage hinein seine mehrheitsbringenden Befürworter auch in der SPD - in meiner Person übrigens einen Mitbegründer der Initiative, dies gebe ich ohne jeglichen Grund, mich revidieren zu müssen, offen zu. Dass der Gesetzentwurf schließlich scheiterte, hat letztlich folgende Gründe:
Erstens drohte ein Eklat, dass sich das Land SachsenAnhalt durch die Verabschiedung des Gesetzes aufgrund der vermeintlich fehlenden Gesetzgebungskompetenz, wegen einer möglicherweise konkurrierenden Gesetzgebung zum Bund, als Parlament bundesweit blamieren könnte.
Zweitens. Das ist der optimistische Hintergrund in der eigentlichen Sache. Es gibt zwischenzeitlich deutliche Signale dafür - das wurde von der Ministerin Frau Dr. Kuppe selbst im Sozialausschuss dargelegt -, dass der neu konstituierte Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, der bekanntlich nur noch aus Allgemeinmedizinern der ambulanten Gesundheitsversorgung besteht, zukünftig mit mehr Toleranz und, was noch wichtiger sein mag, mit größerer Durchschaubarkeit sowie auf der Grundlage von nachvollziehbaren Beurteilungskriterien über die zu beantragenden ärztlichen Zweigsprechstunden entscheiden wolle.
Meine Damen und Herren! Man darf es wohl auch aus der Sicht einer unparteiischen Berichterstattung für den Ausschuss anfügen: In Zeiten zunehmender Löchrigkeit der allgemeinmedizinischen Versorgung auf dem flachen Land und aufgrund zunehmender Überalterung der Praxisinhaber - darüber haben wir in einem anderen Zusammenhang im Sozialausschuss mit Sorge diskutiert sieht man in der Tat ein Rechtsaufsichtsproblem auf das Sozialministerium zukommen.
Ist die allgemeinmedizinische Versorgung wirklich noch bis in die kleinste Gemeinde hinein dauerhaft gesichert? Erreicht auch das einsame alte Mütterlein ohne motorisierten Anhang und bei oft genug immer dürftiger werdender ÖPNV-Anbindung den 6 km entfernt residierenden Arzt, auch wenn es keinen Notfall oder sonstige Gründe für einen Hausbesuch geltend machen kann?
Meine Damen und Herren! Auch wenn dieser Gesetzentwurf hier und heute seine Beerdigung erster Klasse erfährt, wird das Thema „ärztliche Zweigsprechstunde“ damit nicht vom Tisch sein. Ich darf nochmals an die
Argumentation der Initiatoren des Gesetzentwurfes erinnern. Auch das dürfte zu einer objektiven Berichterstattung gehören. Sie wählten den Weg einer Gesetzesvorlage erst, nachdem die Kassenärztliche Vereinigung über Jahre hinweg in den wiederholt durchgeführten Ausschussanhörungen immer wieder Verbesserungen und Lockerungen in Aussicht gestellt hatte und sich dennoch nichts änderte.
Trotz immer wieder neu vorgelegter Petitionen und Bürgeraktionen in fast allen Regionen des Landes, trotz des über die Medien ausgeübten Drucks, trotz der Aktionen in Dankerode, in Weferlingen, in Eickendorf, in Calbe, in Sülldorf und in vielen anderen Orten in vergleichbaren Situationen und vor allem entgegen einer weitaus zweckdienlicheren und durchschaubareren Handhabung dieser Frage in allen anderen neuen Bundesländern wurde in Sachsen-Anhalt bislang nach der Meinung vieler Ausschussmitglieder eher Willkür in der Frage der Genehmigung ärztlicher Zweigsprechstunden praktiziert.
Soweit zur Erläuterung der Intentionen der Gesetzeseinbringung vor einem Jahr. Mein persönlicher Blick durch die Reihen der sich gegenüber diesem Anliegen von Beginn an eher ablehnend verhaltenden Fraktionen zeigt mir so manchen, der in seinem Wahlkreis bereits vor protestierenden Bürgern gestanden hat und sein Engagement für den Fortbestand der einen oder anderen Zweigsprechstunde vehement beschworen hat.
Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist vom Tisch, das Thema nicht. Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales setzt nunmehr auf das Verhandlungsgeschick unseres Sozialministeriums. Der Ausschuss wird darüber hinaus voraussichtlich selbst die Kassenärztliche Vereinigung zu einem Gespräch einladen. Bitte stimmen Sie der Beschlussempfehlung zu. - Ich danke Ihnen.
Danke, Herr Kollege Nehler, für die Berichterstattung. Meine Damen und Herren! Es ist eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden in der Reihenfolge PDS, FDVP, CDU, SPD, DVU. Zunächst erteile ich für die Landesregierung dem Minister Herrn Dr. Harms in Vertretung der Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort. Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Berichterstatter, Sie haben über die intensiven Beratungen berichtet. Das Ergebnis liegt vor. Die Landesregierung bleibt bei ihrer Auffassung, dass die Möglichkeit einer landesrechtlichen Regelung, wie sie von der PDS eingebracht wurde, aufgrund inhaltlicher und verfassungsrechtlicher Bedenken nicht besteht.
Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder nach dem Grundgesetz die Befugnis zur Gesetzgebung nur solange und soweit der Bund nicht durch Gesetz davon Gebrauch macht. Für den Bereich des Vertragsarztrechts hat der Bund jedoch seine Gesetzgebungskompetenz wahrgenommen und die Rechtsgrundlagen im SGB V geschaffen.
Als Folge dieser bundesgesetzlichen Regelung ist nach der Ärztezulassungsverordnung und dem Bundesmantelvertrag für Zahnärzte die Genehmigung für eine Zweigsprechstunde immer eine Ausnahme. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat das mehrfach für beide Bereiche bestätigt. Das Land ist daher nicht frei in seiner Gestaltungsmöglichkeit.
Überall dort, wo es tatsächlich notwendig ist oder - um die Worte des Bundessozialgerichts zu verwenden - wo ein örtliches Sicherstellungsinteresse besteht, kann eine ärztliche Zweigsprechstunde unterhalten werden. Der Begriff des örtlichen Sicherstellungsinteresses gab dem Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales schließlich den Anstoß, die Landesregierung in Ausübung ihrer Rechtsaufsicht über die Kassenärztliche Vereinigung mit der Schaffung einer einvernehmlichen Regelung zu beauftragen. So lautet der zweite Teil der Beschlussempfehlung. Diesen Auftrag hält die Landesregierung für praktikabel.
Es ist noch einmal deutlich zu sagen, dass die Kassenärztliche Vereinigung eine Selbstverwaltungskörperschaft des öffentlichen Rechts ist. Das bedeutet, das Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales hat im Wege der Rechtsaufsicht die Beachtung von Recht und Gesetz zu kontrollieren. Demzufolge hat das Ministerium nicht die Befugnis, der Kassenärztlichen Vereinigung etwa Anweisungen zu erteilen.
Kurz nachdem der federführende Ausschuss am 8. Februar 2001 erstmals über die Erstellung des Kriterienkatalogs, der sich auch in der Beschlussempfehlung wiederfindet, diskutierte und abstimmte, hat das Ministerium mit der Kassenärztlichen Vereinigung die schriftliche Fixierung solcher Kriterien erörtert. Das Ziel bestand darin, mit diesem Katalog das Prozedere einer Genehmigung oder einer Versagung von Zweigsprechstunden nachvollziehbarer und transparenter werden zu lassen. Dieses Papier wird nicht die Stärke eines Versandhauskatalogs haben, sondern eine pragmatische und praktikable Regelung beinhalten. Es sollen vor allem auch die inhaltlichen Voraussetzungen der einzelnen Kriterien beschrieben werden.
Natürlich muss auch die Zweigpraxis selbst qualitativen Anforderungen genügen. Behandlungsliege, Stethoskop und weißer Kittel reichen nicht. Vielmehr erwarten die Patientinnen und Patienten zu Recht, auch in der Zweigpraxis optimal behandelt zu werden.
Meine Damen und Herren! Sie können diesen Ausführungen entnehmen, dass das Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales bereits im Vorfeld der Beschlussfassung diesem Auftrag genügen will und deshalb die Beschlussempfehlung in dieser Form begrüßt. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Es hat mich schon mit etwas Genugtuung erfüllt, dass man über ein Thema, das wirklich sehr heiß und strittig diskutiert wurde, eine derart sachliche, inhaltlich kompetente und
die Probleme darlegende Berichterstattung machen kann. Ich möchte dennoch einige Gedanken dazu äußern.
Die PDS-Fraktion hat den Gesetzentwurf eingebracht, weil sich mit dem Anliegen seit 1992 sowohl im Petitionsausschuss als auch im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales als auch in unterschiedlichen Plenarberatungen ein soziales und gesundheitspolitisches Problem auftat, das im Ausschuss stets zu einer fraktionsübergreifenden Mehrheit dafür führte, sich mit diesem Anliegen zu befassen.
Trotz der Bitte an das Ministerium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales, sich der Angelegenheit anzunehmen mit dem Ziel, im Rahmen seiner Möglichkeiten vorhandene Freiräume zur Flexibilisierung der Genehmigungspraxis zu nutzen, trotz mehrfacher, von verschiedenen Abgeordneten unterschiedlicher Fraktionen geführter Gespräche mit dem damaligen KV-Vorsitzenden änderte sich an der sehr einschränkenden Zulassungspraxis für Zweigsprechstunden nichts. Diese Passivität war schließlich der Auslöser für unsere Gesetzesinitiative.
Die sachliche Notwendigkeit ergab sich darüber hinaus aus zwei weiteren Gründen: erstens aus der im Vergleich zu anderen neuen Bundesländern restriktiven und für kommunale Institutionen und für die Bevölkerung schwer nachvollziehbaren Praxis der Kassenärztlichen Vereinigung bei der Zulassung und zweitens aus der Notwendigkeit, eine kontinuierliche ärztliche Versorgung insbesondere derjenigen Personen zu gewährleisten, die aus Gründen des Alters, der Morbidität, aus sozialen Gründen sowie aufgrund der teilweise rückläufigen Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs in ihrer Mobilität eingeschränkt sind.
Seitens des Ministeriums für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales sowie des Justizministeriums wurden Bedenken gegen eine gesetzliche Regelung geäußert, obwohl ein durch den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages erstelltes Gutachten zu dem Schluss kam, dass die Schaffung gesetzlicher Regelungen in diesem Bereich sehr wohl möglich sei. Auf diese Bedenken möchte ich jetzt nicht eingehen; sie sind im Protokoll über die Plenardebatte am 6. April 2000 nachzulesen.
Die PDS-Fraktion kann sich den vorgebrachten Bedenken nicht anschließen. Sie ist nach wie vor der Meinung, dass der Landesgesetzgeber sowohl hinsichtlich der Formulierung des ärztlichen Berufsrechtes als auch bezüglich der Gestaltung des Betätigungsfeldes des Kassenarztes im Rahmen seiner Rechtsaufsichtspflicht Entscheidungsspielräume hat, die er stärker zur Umsetzung seiner gesundheitspolitischen Vorstellungen nutzen sollte. Deshalb werden wir Abschnitt I der Beschlussempfehlung ablehnen.
Nach den Veränderungen in der Kassenärztlichen Vereinigung aufgrund der Neuwahl ihrer Vertretungsorgane wurden in den letzten Wochen Gespräche zwischen dem neuen Vorsitzenden und dem Sozialministerium geführt, um dem vom Sozialausschuss unter Abschnitt II formulierten Auftrag nachzukommen.
Auch Vertreter der PDS-Fraktion führten vor kurzem mit dem neuen Vorsitzenden Dr. John sowie dem Geschäftsführer der KV ein Gespräch, das in einer sachlichen, aufgeschlossenen Atmosphäre stattfand. Es wurde spürbar, dass seitens des neuen KV-Vorstandes
die Bereitschaft besteht, sich des im Gesetzentwurf aufgegriffenen Problems bereitwilliger anzunehmen und die bisherigen engen Zulassungskriterien zu erweitern. Dabei sind aus der Sicht der PDS-Fraktion regionale Bedingungen wie Altersstruktur, soziale Situation, Morbidität ebenso zu berücksichtigen wie die zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Besetzung ärztlicher, vor allen Dingen hausärztlicher Praxen, insbesondere im ländlichen Raum.
Erste Schritte bei der Erstellung eines Kriterienkataloges sind gemacht; das haben Sie eben gehört. Die PDSFraktion erwartet von der Landesregierung, dass die künftigen Kriterien überprüfbar und in ihren Begründungen nachvollziehbar sind und für alle in gleichem Maße gelten. Sie müssen auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten orientiert sein. Auf diesen Zusammenhang möchte ich mit Bezug auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen verweisen.
Abschnitt II der Beschlussempfehlung stimmt die PDSFraktion in der Erwartung zu, dass die geführten und noch zu führenden Gespräche zwischen der Landesregierung und der KV zu einer untergesetzlichen Regelung führen werden, die dem im Gesetzentwurf geforderten Anliegen Rechnung tragen wird. Wir möchten ankündigen, dass wir am Ball bleiben und die Abstimmungsergebnisse erfragen werden. Darüber hinaus erwarten wir, dass der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales nach Abschluss der Gespräche seitens der Landesregierung über den Inhalt der Regelungen mit der KV informiert wird.
Meine Damen und Herren! Bevor wir die Diskussion fortsetzen, freue ich mich, Schülerinnen und Schüler der Comenius-Sekundarschule Salzwedel herzlich begrüßen zu dürfen.