Protokoll der Sitzung vom 29.06.2001

Aber wenn wir einmal die Entwicklung unseres Landes beobachten, dann können wir feststellen - ich selber habe das seit 1994 beobachtet -, welche ungeheure positive Entwicklung unsere Städte, unsere Dörfer und unsere Infrastruktur, ob Straße oder Schiene, ob Krankenhäuser oder Schulen, schon genommen haben. Ich glaube, immer dann, wenn wir Kritik üben, meine Damen und Herren, müssen wir uns in Erinnerung rufen, wie es vor Ort noch vor ein paar Jahren ausgesehen hat. Das zeigt mir, dass wir auf dem eingeschlagenen Weg weitergehen müssen und dass wir den richtigen Weg genommen haben. Ich glaube, das können wir jederzeit vor Ort überprüfen.

Wir müssen unser Land aber auch für Menschen aus anderen Nationen attraktiv machen. Insoweit ist es ungeheuer wichtig, dass sich viele ausländische Unternehmen in unserem Land engagieren. Denn diese gehen wieder nach Hause und erzählen dort, wie es bei uns ist.

Wir müssen uns auch für die Osterweiterung der Europäischen Union einsetzen. Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Landesregierung bereits eine Arbeitsgruppe eingesetzt hat, die sich intensiv mit dem Thema Zuwanderung befasst. Unter Federführung des Innenministeriums soll ein Leitbild zur Entwicklung der Zuwanderung von Ausländern und deren Integration in Sachsen-Anhalt erstellt werden.

Wir müssen weiterhin versuchen, liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr Studenten an unsere Universitäten und Hochschulen zu holen. Das heißt, wir müssen auch in der Außenwirkung -

(Herr Dr. Bergner, CDU: Aber nicht das Studien- kolleg einstampfen!)

- Da kann man sich immer das eine oder andere herauspicken, Herr Dr. Bergner. - Ich habe bisher darauf verzichtet, einmal darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, dass wir die Attraktivität unseres Landes nach außen gemeinsam betonen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Ich meine, so blauäugig sind wir doch alle nicht. Wenn ich sage, wir müssten unsere Universitäten attraktiver machen, dann heißt das nicht, dass wir mit einem Sack Geld durch die Gegend spazieren und all das tun, was wir tun könnten, wenn wir das Doppelte im Haushalt hätten. Die Politik besteht vielmehr darin, trotz begrenzter Mittel das Richtige zu machen. Darüber lasst uns streiten, aber nicht darüber, was wir alles machen könnten, wenn wir das Geld dafür hätten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Wir müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Städte und den ländlichen Raum - jetzt sage ich das einmal im wirtschaftlichen Terminus - als „weiche“ Standortfaktoren stärken, und wir haben große Chancen, das zu tun. Wir müssen unsere touristische Infrastruktur in den Vordergrund stellen. Wir müssen die Menschen von außen, aus der Bundesrepublik, aus den westdeutschen Ländern, aus den anderen ostdeutschen Ländern, aber natürlich auch aus ganz Europa zu uns holen. Wir müssen unser Land vorstellen und müssen sagen, dass es gut ist, hier zu leben. Dazu gehört, meine Damen und Herren, dass wir auch selber nach außen tragen, dass wir zufrieden sind und dass wir uns hier wohl fühlen.

Natürlich gehört auch Geld dazu. Der Ministerpräsident hat gestern über den Solidarpakt II gesprochen. Ich glaube, man kann in die Ergebnisse, die dort erzielt worden sind, gar nicht hoch genug bewerten. Diese geben uns eine gute finanzielle Grundlage, den Aufbau unseres Landes weiter zu betreiben.

Um es kurz zu machen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Was wir tun müssen, ist, Sachsen-Anhalt nach innen und nach außen zu stärken und attraktiv zu machen. Dazu gehört auch ein Streit in diesem Parlament darüber, wie man das tun kann. Aber eines müssen wir, glaube ich, vermeiden: dass wir all das, was die Menschen hier schaffen, was die lokale Politik macht und was die Landespolitik macht, schlechtmachen - kritisieren können wir es - und damit dem Image unseres Landes schaden.

Ich freue mich auf die Diskussion. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS und von der Regierungsbank)

Danke sehr. - Für die Fraktion der CDU spricht jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Bergner. Bitte, Herr Dr. Bergner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bestreite nicht die Wichtigkeit dieses Themas. Ich stelle die Frage, ob die Aktuelle Debatte mit Fünfminutenbeiträgen den geeigneten Rahmen dafür geben kann. Ich möchte vor allen Dingen im Angesicht der mageren Antragstellung zu Protokoll geben, dass ich den Eindruck hatte, es

sollte nicht eine Debatte beantragt, sondern ein Rätsel aufgegeben werden.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Ich bin insofern sehr dafür, dass wir unsere Geschäftsordnung ändern und uns wenigstens die Mühe einer entsprechenden Antragsbegründung machen.

(Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Nun zum Thema. Wir haben bundesweit einen dramatischen Bevölkerungsrückgang, über dessen Ursachen der Kollege Fikentscher schon gesprochen hat, und damit verbunden eine wachsende Alterung unserer Gesellschaft zu verzeichnen. Die Konsequenzen dieser Bevölkerungsentwicklung können nicht dramatisch genug beschrieben werden. Deutschland verliert von seiner Bevölkerung in den nächsten Jahrzehnten relativ so viel Menschen, wie es im Dreißigjährigen Krieg verloren hat.

(Herr Prof. Dr. Trepte, PDS, lacht)

Um aber eine der Konsequenzen in diesem Zusammenhang anzusprechen: Es tritt damit zwangsläufig, und zwar jetzt schon, vor dem Hindergrund des Geburtenrückgangs zwischen den Bundesländern ein Wettbewerb um junge Menschen, um Humankapital auf. Wanderungsbilanzen können also die Entwicklung, die durch die Geburtenbilanz bestimmt ist, verstärken oder abmildern.

Dies ist die Entwicklung, die wir mit großem Ernst sehen müssen. Um es etwas zuzuspitzen: Bereits heute schaffen sich Länder wie Baden-Württemberg, die zulasten von Ländern wie Sachsen-Anhalt eine positive Zuwanderungsbilanz junger Erwachsener haben, einen langfristigen Wettbewerbsvorteil in der Ausstattung mit Humankapital.

Ich stimme der Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle zu, dass die Abgangszahlen junger Erwachsener, die uns vor dem Hintergrund des Geburtenrückgangs und dieser Wettbewerbssituation beschäftigen müssen, nicht allein als Ausdruck des Verhaltens junger Menschen zu problematisieren sind; denn sie sind Ausdruck des normalen Mobilitätsverhaltens junger Menschen. Was allerdings aus der Sicht des Landes Sachsen-Anhalt zu problematisieren ist, ist, dass diesem normalen Mobilitätsabgang aus Sachsen-Anhalt kein vergleichbarer Zugang mobiler junger Menschen aus anderen Bundesländern gegenübersteht.

Das heißt, das Problem, mit dem wir es aus der Sicht des Landes Sachsen-Anhalts zu tun haben, ist nicht die Mobilität unserer Bürger, sondern die mangelnde Attraktivität des Landes für die Menschen in anderen Bundesländern, die zurückhaltend sind, zu uns zu kommen.

(Beifall bei der CDU)

Dies, meine Damen und Herren, sollte uns schon zu der Frage führen, was für die Attraktivität unseres Landes gerade mit Blick auf junge Erwachsene getan wird und wo wir in diesem Zusammenhang im Vergleich zu anderen neuen Bundesländern stehen.

Herr Minister, die CDU-Fraktion insgesamt - ich selbst nehme es für mich jedenfalls in Anspruch - tut, was sie kann, um gerade in der Diskussion nach außen die naturgegebenen und die Entwicklungspotenziale unseres Landes und das Image, das sich aus Geschichte und Kultur ergibt, zu vertreten und damit auf die Entwick

lungsmöglichkeiten unseres Landes hinzuweisen. Aber wir können uns den Argumenten nicht verschließen, mit denen wir konfrontiert werden.

Ich will nur ein einziges Beispiel nennen. Ich habe mich in letzter Zeit damit beschäftigt herauszufinden, welche Motive die Hochschullehrer der Martin-Luther-Universität Halle haben, die einen Ruf an andere Hochschulen annehmen. Eines der wichtigsten Motive für die Familien, die sich entschließen, Sachsen-Anhalt wieder zu verlassen, obwohl wir sie in dieser Form nötig brauchten, sind unsere verquasten Schulstrukturen, die sie ihren Kindern nicht zumuten wollen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDVP)

Es muss uns doch zu denken geben, dass in den Studentenbilanzen - ich verweise auf die Große Anfrage der CDU-Fraktion - Sachsen-Anhalt mit minus 18,6 % in Bezug auf den Studentenaustausch die negativste Bilanz aller neuen Bundesländer hat.

Ich könnte noch weitere Zahlen vorweisen, die zweierlei deutlich machen. Neben der naturgegebenen und durch die Lage und die Geschichte unseres Landes bedingten Attraktivität, auf die wir uns immer wieder berufen sollten, neben dem Leistungsvermögen der Menschen in unserem Lande hat es in den letzten Jahren politische Entscheidungen gegeben, die die Attraktivität des Landes nicht verbessert, sondern verschlechtert haben. Damit sollten wir uns auseinander setzen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Preiß, DVU, und bei der FDVP)

Herr Dr. Bergner, kommen Sie bitte zum Ende. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ja, Herr Präsident. Das könnte der Anfang einer Debatte sein. Ich will nur sagen, die Aktuelle Debatte gibt einen schlechten Rahmen ab.

Ich möchte noch eine Bemerkung machen, weil wir erst gestern darüber diskutiert haben. Wer sich diese Bevölkerungsprognose im Einzelnen ansieht, der wird bezüglich der Kommunalpolitik an einer Erkenntnis nicht vorbeikommen. Wir werden in Zukunft Kommunalstrukturen für dünn besiedelte Räume brauchen. Das heißt für mich, wir können nicht mit dem Knüppel der fragwürdigen Verbandsgemeinde alle in die Einheitsgemeinde treiben. Damit machen wir die Dörfer in den dünn besiedelten Regionen, die es in Sachsen-Anhalt in Zukunft noch stärker geben wird, tot. Das wollen wir nicht. Auch dies ist eine Konsequenz aus der Bevölkerungsprognose. - Vielen Dank. Wir können die Debatte leider nicht weiterführen.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Herrn Preiß, DVU, und bei der FDVP - Herr Tögel, SPD: Ein Quatsch, nee! - Weitere Zurufe von der SPD)

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Herrn Weich für die FDVP-Fraktion das Wort. Bitte, Herr Weich.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die mitteldeutschen Länder verlieren an Einwohnern. In Sachsen

Anhalt ist die Abwanderung in Richtung Westen dramatisch.

Ministerpräsident Höppner hat kürzlich gesagt, die Situation erinnere ihn an die 50er-Jahre. Damals wäre die DDR an einer solchen Entwicklung fast zugrunde gegangen. Aber was sich jetzt auf die Beine macht, übersteigt die Zahlen von damals. In exakten Zahlen ausgedrückt verließen im vorigen Jahr 58 000 junge Menschen Sachsen-Anhalt in Richtung Westen.

Seine Rede im Landtag am 6. April 2001 - ich bin optimistisch, dass die gegenwärtige Situation, in der die Abwanderung junger Menschen die Zuwanderung übersteigt, mittelfristig umgekehrt werden kann - erinnert mich fatal an seine Ungereimtheiten in der Talkshow „Sabine Christiansen“ am 17. Juni 2001.

(Lachen bei der PDS - Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Jetzt versucht die Regierung, Schadensbegrenzung zu machen mit stark nach unten gerundeten Zahlen. Das will bei dieser Minderheitsregierung schon etwas heißen.

Herr Minister Keller hat in der vorigen Woche dem Kabinett die regionalisierte Bevölkerungsvorausberechnung 1999 bis 2015 vorgelegt, mit dem Ergebnis - ich hätte es ohne Honorar und Studie gesagt -: In den Berechnungen ergeben sich keine wesentlichen Veränderungen zu der 1998 vorgelegten ersten regionalisierten Bevölkerungsprognose. Die Bevölkerungszahlen nehmen in gleichem Tempo ab. Im inländischen Wanderungsprozess verlangsamt sich das Tempo der Bewegung von der Stadt in Richtung Land.

In der Variante 1 wird bis zum Jahr 2015 von bis zu 350 000 Einwohnern weniger ausgegangen. Das bedeutet für die höchsten Abgänge in der Stadt Dessau minus 21,4 %, in Magdeburg minus 15 % und im Kreis Bitterfeld minus 18,4 %. Die niedrigsten Abgänge haben der Ohrekreis mit minus 7,5 %, der Kreis Köthen mit minus 8,6 % und der Kreis Halberstadt mit minus 9,9%.

Andere Wirtschaftsinstitute gehen etwas realistischer an die Einwohnerzahlen heran und sagen, bei ähnlicher Regierungs- und Wirtschaftskonstellation in SachsenAnhalt wird es im Jahr 2015 knapp 1,75 Millionen Einwohner in Sachsen-Anhalt geben.

Deshalb muss sich die wirtschaftliche und politische Situation drastisch ändern. Dadurch würde sich die Abwanderung umkehren. Die jungen Menschen hätten wieder eine Perspektive. Das Geburtenverhalten normalisiert sich und der Lebensbaum steht wieder auf den Füßen. Sollte die hausgemachte wirtschaftliche Fehlentwicklung in Sachsen-Anhalt so weitergehen, würde sich die Einwohnerzahl im Jahr 2020 auf 1,5 Millionen Einwohner einpendeln, von denen zwei Drittel, also eine Million Menschen, im Rentenalter sind.

In der Variante 2 werden mögliche Zuwanderungsgewinne aus dem Ausland ins Auge gefasst. Diese Lösung ist für uns und für die meisten Bürger in Sachsen-Anhalt absolut indiskutabel.