Protokoll der Sitzung vom 14.09.2001

Drittens sind Punkte angesprochen, die sich, so wie Bayern und Thüringen sie beschreiben, überhaupt nicht umsetzen lassen.

Ich will das näher erläutern, aber zunächst noch einmal auf einen Punkt Ihrer Begründung zu dem Antrag zu sprechen kommen.

Es ist richtig und wirklich hinlänglich bekannt, dass Sachsen-Anhalt das Bundesland mit der höchsten Arbeitslosenquote ist. Unerwähnt bleibt bei Ihnen aber, dass die Arbeitslosenquote bei uns im Vergleich zum Vorjahr in den vergangenen Monaten stetig gesunken ist, und dies stärker als in den anderen neuen Bundesländern. Der Abstand wird also geringer.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist eine merkwürdi- ge Selbstgefälligkeit!)

Das ist ein Trend, den wir einfach ernst nehmen müssen, wie wir auch viele andere Dinge ernst nehmen. Das ändert freilich nichts daran, dass wir eine Reform des Arbeitsförderungsrechts brauchen. Aber nicht SachsenAnhalt ist die Ursache, Herr Professor Böhmer.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU)

Wir haben vielmehr ein originäres Interesse daran, dass Arbeitsmarktpolitik passgenauer eingesetzt werden kann. Darum geht es. Deswegen haben wir uns als Landesregierung von Sachsen-Anhalt, hat sich das Ministe

rium für Arbeit, Frauen, Gesundheit und Soziales sehr aktiv an der Erarbeitung eines Job-AQTIV-Gesetzes beteiligt.

Ich will jetzt begründen, warum wir dem parlamentarischen Verfahren zu diesem Gesetz keinen Entschließungsantrag der B-Länder voranstellen müssen.

Das Kernstück des Job-AQTIV-Gesetzes wird die Modernisierung der Arbeitsvermittlung sein. Bereits beim ersten Kontakt eines Arbeitslosen oder einer Arbeitslosen mit dem Arbeitsamt wird künftig der Arbeitsvermittler berufliche Chancen und Einsatzmöglichkeiten für die Betroffenen ausloten und eine Art Risikoprofil erstellen. Nach weiteren Vermittlungsgesprächen wird eine Eingliederungsvereinbarung - ganz konkret für jede betreffende Person - abgeschlossen. Darin sind die Angebote des Arbeitsamtes und die Pflichten der oder des Arbeitslosen festgelegt.

Die Forderung aus Thüringen und Bayern, spätestens nach drei Monaten einen Eingliederungsplan aufzustellen, ist damit überflüssig. Denn so etwas wird künftig noch viel eher zustande kommen. Nach drei Monaten ist dies schon zu spät.

In der Eingliederungsvereinbarung soll der Einsatz verschiedener Instrumente der Arbeitsförderung passgenau, maßgeschneidert auf den einzelnen Menschen zugeschnitten werden. Die beiden Länder Bayern und Thüringen wünschen sich trotzdem noch neue pauschale Quoten für die Förderung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Langzeitarbeitsloser. Das geht aber genau an der Logik des neuen Eingliederungsverfahrens vorbei.

Wenn jemand einer Risikogruppe angehört, dann genau kommt dieses Risikoprofil-Verfahren zum Zuge und dann wird sich herausstellen, welche Maßnahmen ganz gezielt eingesetzt werden können, damit dieser einzelne betroffene Mensch ganz konkret eine Chance hat. Dabei geht es nicht um Quoten, sondern da geht es um jeden Einzelnen. Deswegen sind, denke ich, diese pauschalen Zielquoten überhaupt nicht mehr notwendig.

Die geplante Eingliederungsvereinbarung wird regelmäßig von beiden Seiten - von der Arbeitslosenverwaltung und von den Arbeitslosen - angepasst und fortgeschrieben. Dazu bedarf es des engen Kontaktes der Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsvermittler in der Arbeitsverwaltung mit den Arbeitsuchenden.

Der Entschließungsantrag wiederum fordert - nach meiner Einschätzung ist dies völlig überflüssig - die Wiedereinführung der vierteljährlichen Meldepflicht der Arbeitslosen. Dieses alte bürokratische Kontrollinstrument wird nun gerade im Job-AQTIV-Gesetz durch moderne Vermittlungsverfahren ersetzt. Ich denke, dieser Modernisierung können wir uns gar nicht entgegenstellen.

Dazu gehört übrigens auch die überregionale Vermittlung. Sachsen-Anhalt hat derzeit über 100 000 Auspendler in andere Bundesländer. Die Bereitschaft, mobil zu sein, ist also sehr hoch. Deswegen sehe ich auch keine Notwendigkeit, die Mobilität von Arbeitslosen künstlich noch weiter zu erhöhen. Sie ist vorhanden und sie wird ja von der Arbeitsverwaltung unterstützt. Ich denke, das jetzige Verfahren ist der richtige Weg.

Ich könnte noch eine ganze Reihe von Punkten aus dem Entschließungsantrag nennen, die hinter den Vorschlägen der Bundesregierung zurückbleiben. Es ist aber, denke ich, schon deutlich geworden, dass in diesem Entschließungsantrag so sehr viel Neues nicht steht.

In anderen Bereichen allerdings wollen Bayern und Thüringen etwas beschließen, was sich derzeit in der Erprobung befindet. Das betrifft die Forderung nach KombiEinkommen und die Angleichung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Zu beiden Themen laufen derzeit in der Bundesrepublik Deutschland Modellprojekte.

Die verbesserte Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe unterstützt die Bundesregierung bis zum Jahr 2002 in 28 Projekten mit 30 Millionen DM. Die Aktivitäten werden wissenschaftlich evaluiert, um unter anderem herauszufinden, auf welche Weise diese beiden Leistungsträger am besten organisatorisch verknüpft werden könnten.

Ich unterstütze übrigens die Zusammenführung dieser beiden Systeme. Ich meine aber, dass es sinnvoll ist, mit diesem Thema außerordentlich sorgfältig umzugehen.

Vor allem sind die schwierigen Verteilungskonflikte zu lösen, die sich aus den derzeit gesplitteten Finanzierungszuständigkeiten ergeben. Für die Sozialhilfe sind bekanntlich die Kommunen zuständig, der Bereich die Arbeitslosenhilfe wird aber vom Bund über Steuermittel finanziert. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir überstürzt handeln. Die kommunale Seite jedenfalls wehrt sich derzeit noch gegen eine Zuständigkeit auch für Arbeitslosenhilfeempfängerinnen und -empfänger.

Ähnliche Sorgfalt, meine Damen und Herren, muss auch dem Thema der Kombi-Einkommen gewidmet werden. In zehn Arbeitsamtsbezirken in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland laufen das so genannte Mainzer Modell und das Modell der Saar-Gemeinschaftsinitiative. Niedriglöhne werden subventioniert, um Arbeitsanreize zu geben. In diese Richtung wirken auch die bereits bestehenden Lohnkostenzuschüsse im Arbeitsförderungsrecht.

Wenn wir über Modellvorhaben und Lohnkostenzuschüsse hinaus noch Niedrigeinkommen jetzt sehr schnell subventionieren wollten, dann käme es darauf an, zusätzliche Beschäftigungseffekte zu erzielen und Mitnahmeeffekte seitens der Unternehmen zu verhindern. Darauf haben Sie hingewiesen, Herr Professor Böhmer. Ich halte es jedenfalls auch in dieser Frage für angezeigt, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Evaluierung abzuwarten und nicht im Vorgriff darauf irgendetwas Aktionistisches in die Wege zu leiten.

Die dritte und letzte Kategorie von Forderungen, auf die ich eingehen will, die im Entschließungsantrag von Bayern und Thüringen formuliert werden, halte ich für sehr problematisch, weil die Forderungen nicht stimmig und deswegen auch so nicht realisierbar sind.

(Herr Schomburg, CDU: Was?)

So soll die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt werden, allerdings ohne die Sozialhilfeträger zu belasten. Wie das funktionieren soll, Herr Professor Böhmer, müssen die Autoren aus Bayern und Thüringen der Fachwelt insbesondere in Ostdeutschland noch erklären.

(Zustimmung bei der PDS)

Oder meinen Sie, dass die Länder in die Lücke springen sollen? Das würde ich ablehnen.

Weiterhin soll der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden. Gleichzeitig will man aber der Gemeinschaft der Beitragzahlenden die Kosten für Maßnahmen der betrieblichen Weiterbildung aufladen. Das

ist interessant, weil selbst die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Wert darauf legt, dass der Staat nicht zu sehr in die Kompetenzen und natürlich auch die Pflichten der Betriebe eingreift.

Überaus kostentreibend - das ist ein weiterer Punkt wäre es auch, die Leistungen der Arbeitsförderung auf Menschen auszudehnen, die wegen der hohen Einkommen ihrer Partner keine Arbeitslosenhilfe beziehen. In der Sache halte ich das für gerechtfertigt. Aber man muss sich dann natürlich - wenn man so etwas will darüber im Klaren sein, dass sich solche Forderungen - Mehrleistungen nach dem Arbeitsförderungsrecht - mit Beitragssenkungen nicht in Einklang bringen lassen. Es sind also Ungereimtheiten über Ungereimtheiten zu sehen.

Ich will noch eine nennen, nämlich die Idee, bestimmte Umschulungsberufe dauerhaft ungekürzt über Beiträge zu finanzieren. Also, Sie müssen wissen, was Sie fordern und was Sie tun wollen.

Deshalb meine ich, dass wir uns in den nächsten Monaten sehr aktiv und intensiv mit dem Job-AQTIV-Gesetz auseinander setzen sollten. Wir werden das im Landtag auch erörtern müssen. Wir werden das vonseiten der Landesregierung sehr intensiv tun, aber eben gerade nicht auf der Grundlage dieses Entschließungsantrages, der von Bayern und Thüringen eingebracht wurde

(Zustimmung von Frau Krause, PDS)

und der zum Teil Uninformiertheit zeigt, der zum Teil undifferenziert ist und der zum Teil eben auch unrealistisch ist. Im Übrigen, Herr Professor Böhmer, stellt der Antrag nur in einem Punkt einen direkten Bezug zu Ostdeutschland her, nämlich hinsichtlich der Finanzierung der ABM. Das ist einfach zu wenig.

Frau Ministerin, ich unterbreche Sie ungern, aber ich muss darauf hinweisen, dass Sie schon eine Minute über der vereinbarten Redezeit sind - nur zu Ihrer Information.

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich komme zu meinem letzten Satz.

Ich vermisse beispielsweise beschäftigungsfördernde Infrastrukturmaßnahmen, die auch in der Diskussion sind.

Ich darf zum Schluss darauf hinweisen, dass der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik des Bundesrates gestern in einer Sondersitzung den Antrag der Länder Bayern und Thüringen mit zehn zu sechs Stimmen abgelehnt hat. Deshalb empfehle ich auch dem Landtag, den Antrag der CDU-Fraktion abzulehnen.

(Zustimmung bei der SPD, von Frau Bull, PDS, von Frau Dirlich, PDS, und von Ministerpräsident Herrn Dr. Höppner)

Danke schön. - Wir kommen dann zur Debatte. Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Zunächst spricht für die PDS-Fraktion die Abgeordnete Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Eine moderne Reform des Arbeitsförderungsrechts ist notwendig.“ - Diesen Satz der Begründung zu dem CDU-Antrag kann ich nur voll unterstützen. In der Frage, wie das geschehen soll, gehen die Ansichten - das hat die Ministerin deutlich gemacht - aber sehr wohl weit auseinander.

Einer Reihe von Punkten des Entschließungsantrages der Länder Bayern und Thüringen kann die PDS ohne weiteres zustimmen, beispielsweise denen zum Ausbau der Förderung der beruflichen Bildung oder zum Abbau der Benachteiligungen von Frauen.

Der Antrag wird von der PDS trotzdem abgelehnt werden. Ich will das, wenn auch nur holzschnittartig, hier begründen.

Was soll zum Beispiel mit der Verkürzung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld tatsächlich erreicht werden? Die lange versprochene Halbierung der Arbeitslosenzahlen? Ist doch klar: Wenn man die Leute nur noch eine bestimmte Zeit lang als arbeitslos zählt, dann werden ganz schnell viele Leute aus der Statistik herausfallen. So haben wir uns die Halbierung der Arbeitslosenzahlen nicht vorgestellt.

Offen bleibt auch, wie verhindert werden soll, dass alle Betroffenen dann auf Sozialhilfe angewiesen sind und damit die kommunalen Haushalte belasten. Das so genannte „tragfähige Gesamtfinanzierungssystem“ bleibt völlig im Dunkeln.

Auch was im Zusammenhang mit Zumutbarkeitsregelungen angeboten wird, ist so für uns nicht hinnehmbar. Nettolohn unterhalb des Arbeitslosengeldes ist nach einer Frist schon jetzt möglich. Die Effekte aber sind fraglich. Den Pendelaufwand wieder zu erhöhen und das Mobilität zu nennen, wird die Abwanderung aus den östlichen Bundesländern nicht stoppen.

(Zuruf von Frau Krause, PDS)

Eines längeren Diskussionsprozesses bedarf die Idee der Angleichung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Wenn es nur um den Verwaltungsaufwand, um Fehlsteuerung und meinetwegen um Missbrauch ginge, wäre es vergleichsweise einfach. Aber schon der Satz, „die Angleichung darf in keinem Fall zu einer stärkeren Belastung der Sozialhilfeträger führen“, macht ein Problem deutlich: Bundesweit erhielten im Jahr 2000 ca. 230 000 Personen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ergänzend zu Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Das heißt, die Leistungen des Arbeitsamtes sind so niedrig, dass schon die Sozialhilfe greift. Wir nennen das den Prozess der Kommunalisierung der Arbeitslosigkeit. Das ist aber eigentlich zu verhindern, weil Arbeitslosigkeit und Unterstützung von Arbeitslosen kein kommunal zu lösendes Problem ist.

Wichtig in der Diskussion ist vor allem, unter welchen Bedingungen die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengeführt werden sollen, sowohl was die Finanzen betrifft, aber auch was die Zumutbarkeitsregelungen und den Zugang zu Maßnahmen der Bundesanstalt betrifft.

Ein weiterer Aspekt ist, dass bundesweit 150 000 Personen - davon sind 70 000 Personen voll erwerbstätig Sozialhilfe ergänzend zum Erwerbseinkommen bekommen. Das heißt, dass ihre Einkommen so gering sind, dass wieder die Sozialhilfe greift. Niedriglohnforderun