Protokoll der Sitzung vom 11.10.2001

Eine im Entstehen begriffene Koalition gegen Terrorismus steht vor der Herausforderung, über die notwendige Ergreifung und Verurteilung der Täter hinaus Weichenstellungen für eine Weltordnung zu finden, die dauerhaft globalem Terror die Grundlagen entzieht.

Sie steht damit erstens vor der Herausforderung, einem drohenden Krieg zwischen Kulturen und Religionen, zwischen den reichen Gesellschaften des Nordens und den un- und unterentwickelten Ländern des Südens zu widerstehen. Sie steht zweitens vor der Herausforderung, eine zivile und gerechte internationale Politik zur Grundlage der Lösung globaler Fragen zu machen.

Dies ist ganz sicher einfacher gesagt als getan; da mag vielleicht Herr Dr. Fikentscher Recht haben.

Gelingt es aber nicht, zivile an die Stelle militärischer Lösungen, gerechte Entwicklungslogik an die Stelle der Verteidigung von Privilegien, Gleichheit der Kulturen an die Stelle von Selbstüberhöhung zu setzen, dann wird die Gewaltspirale nicht aufgehalten werden können. Mit ziviler internationaler Politik kann der Kampf gegen den Terrorismus gewonnen werden, mit Krieg nicht.

(Zustimmung bei der PDS)

Dies schließt Maßnahmen zur Ergreifung und Verurteilung von Tätern ein. Aber der Zielstellung der Terroristen, die Anschläge vom 11. September zum Beginn eines weltweiten Krieges der Kulturen zu machen, müssen wir widerstehen. In der Reaktion auf diesen Terrorismus muss sich zeigen, ob Logik und Zielsetzung der Terroristen gewinnen oder ob zivile Gesellschaften die Fähigkeit ziviler politischer Lösungen auch in dieser Stunde bewahren können.

Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung müssen der Logik und den Mitteln der Verbrechensbekämpfung und nicht der Logik von Krieg, von Rache und Vergeltung folgen. Darin liegt auch unsere grundsätzliche Differenz zu anderen politischen Kräften des Landes.

Internationale und nationale Sicherheitsstrukturen müssen neu gedacht werden. Der 11. September hat auch gezeigt, dass allein mit Geheimdiensten und Raketenabwehrsystemen, mit Aufklärungssatteliten und Waffensystemen keine Sicherheit gegen solche Anschläge zu erreichen ist.

Eine internationale Sicherheitsstruktur bedarf dagegen effektiver Abrüstung. Notwendig sind Schritte zur friedlichen Beilegung von Konflikten, zur atomaren und konventionellen Abrüstung, zur Ächtung von Rüstungsexporten. Gerade in diesen Tagen zeigt sich die Gefahr, die von internationalen Krisenregionen, von Konflikten mit hoch gerüsteten Konfliktparteien ausgeht, und diese Gefahr ist seit den US-amerikanisch-britischen Angriffen auf Afghanistan nicht geringer geworden. Im Gegenteil, hier drohen neue Gefahren durch die mögliche Ausweitung und Verschärfung von Konflikten.

Eine internationale Sicherheitsarchitektur braucht einen globalen sozialen und ökologischen Ausgleich. Ohne Entwicklungschancen für unterentwickelte Länder, ohne Armutsbekämpfung und ökologische Regulierung, ohne Kontrolle internationaler Finanzspekulationen reproduzieren sich Ursachen militärischer und terroristischer Gewalt, bleibt Sicherheit unfriedlich und damit letztlich Fiktion.

Internationale Sicherheit braucht verbindliche internationale Regeln, international gleiches Recht. Auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen können universelle Maßstäbe einer friedlichen und sicheren Weltpolitik gesetzt werden. Vorschläge der PDS zu einer Weltkonferenz der UN über Regeln und Mechanismen im Kampf gegen Terrorismus, für eine Antiterrorkonvention, zur Austrocknung der Finanzquellen des Terrorismus liegen hierzu auf dem Tisch.

Internationale Sicherheitsarchitektur braucht nicht die Einschränkung, sondern die Verteidigung freiheitlicher und ziviler Rechte.

(Zustimmung bei der PDS)

Sicherheitspolitik und Bürgerrechte dürfen nicht aus der Balance geraten. Die offene Gesellschaft darf den Kampf

gegen Terrorismus nicht so führen, dass sie aufhört, eine offene Gesellschaft zu sein. Ausgrenzung und Überwachung, Einschränkung von Zuwanderungs- und Asylmöglichkeiten sind der falsche Weg. Nicht von den Rechten des Einzelnen geht die Gefahr aus, sondern vom Verbrechen.

(Zustimmung von Frau Knöfler, PDS)

Ein Sicherheitskonzept, das Bürgerinnen und Bürger als potenzielle Täter betrachtet, das auf verdachtslosem Misstrauen beruht, lehnen wir ab.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort von Benjamin Franklin zitieren:

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren.“

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Meine Damen und Herren! Der Dresdener Parteitag der PDS vor wenigen Tagen hat eine Reihe von Vorschlägen zum internationalen Kampf gegen den Terrorismus vorgelegt. Ich kann natürlich aus Zeitgründen nicht alle hier benennen.

Um eines aber bitte ich nachdrücklich: Wer andere Meinungen ablehnt, wer auf die Haltung der PDS mit Informationsausschluss oder Spekulationen über Regierungskoalitionen reagiert, sollte diese Vorschläge wenigstens zur Kenntnis nehmen. Das Thema ist zu ernst - alle haben es hier bereits gesagt -, als dass wir Vorschläge ungeprüft lassen können. Deshalb sollte das auch wirklich für alle Seiten gelten.

Noch eine Bemerkung an dieser Stelle: Die PDS mag im Bundestag die einzige Partei sein, die die Vergeltungsschläge ablehnt und die den Nato-Bündnisfall ablehnt, gesellschaftlich isoliert ist die PDS damit aber nicht. Viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich die gleiche Frage, verbunden mit zum Teil tief empfundener Angst: Wird diese Spirale der Gewalt aufzuhalten sein? - Wir haben zu unserer Haltung in den letzten Tagen und Wochen viel Zuspruch erfahren, viel Nachdenklichkeit, viele Ängste von Bürgern und Bürgerinnen gespürt. Diese Ängste müssen ernst genommen werden und dürfen nicht instrumentalisiert werden. Die jüngste, heute veröffentlichte Umfrage ist auch Beleg dafür.

Der Innenminister hat auf Initiative der PDS-Fraktion den Innenausschuss des Landtages am 26. September 2001 sachlich und ausführlich über die Sicht der Landesregierung auf die Gefährdungslage nach den Terroranschlägen vom 11. September, über die ergriffenen Maßnahmen wie über die vorgesehenen Maßnahmen bei sich verändernder Gefährdungseinschätzung, über die Beschlüsse der Innenministerkonferenz vom 18. September 2001 sowie über bisherige Erkenntnisse aus Fahndungsansätzen informiert. Ich will ausdrücklich dafür danken, auch für die Sachlichkeit dieser Information, die wir auch künftig erwarten.

Mit Blick auf einige Äußerungen auf Bundesebene füge ich hinzu, dass wir gerade in dieser angespannten Situation die informative Kommunikationsfähigkeit zwischen Exekutive und Legislative als unverzichtbaren Bestandteil eines parlamentarisch-demokratischen Umgangs betrachten.

Frau Dr. Sitte, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Becker zu beantworten?

Nein, das bin ich nicht. - Bei aller Übereinstimmung und bei allen Differenzen in der Bewertung bisher getroffener Maßnahmen und der debattierten und zu debattierenden Vorschläge will ich zwei Dinge ausdrücklich voranstellen:

Erstens hat die PDS bei durchaus vorhandener Kritik im Einzelnen bisher grundsätzlich den Eindruck, dass seitens der Landesregierung zunächst besonnen reagiert wurde, und das verdient unseren Respekt.

Zweitens will ich für die PDS deutlich Respekt äußern, auch Dank sagen ausdrücklich jenen, die in vielerlei Hinsicht diese Maßnahmen tragen: den Bereitschaftspolizisten und -polizistinnen, die zur Sicherung von Objekten, auch zum Beispiel von politisch-diplomatischen Treffen in Berlin und in Quedlinburg, im Einsatz waren und sind, den Vollzugsbeamtinnen und Vollzugsbeamten, der Landespolizei, den Beamtinnen und Beamten der gebildeten Führungsstäbe, den Verantwortlichen im Katastrophenschutz und im Zivilschutz. Allen daran Beteiligten gilt der Respekt meiner Fraktion und dieses Hauses.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Dr. Fikentscher, SPD, und von der Regierungs- bank - Herr Becker, CDU: Und warum nicht dem Verfassungsschutz, Frau Sitte?)

- Wissen Sie, Herr Becker, mir ist das Thema zu ernst, als dass ich auf derartige Zurufe antworte.

(Beifall bei der PDS - Herr Becker, CDU: Ihnen ist es aber nicht ernst!)

Dazu wird es noch einiges zu sagen geben. Lehnen Sie sich jetzt einfach ein bisschen zurück und hören Sie zu.

Nach den Terroranschlägen und den US-amerikanischen Angriffen auf Afghanistan stellen sich auch in Deutschland Fragen der öffentlichen Sicherheit auf eine ganz neue Weise. Eine ganze Reihe von Maßnahmen ist bereits eingeleitet worden. Der Innenminister hat in dieser Woche ein Paket von weiteren Maßnahmen zur Erhöhung der inneren Sicherheit vorgestellt. Der Ansatz dieses Maßnahmenpaketes entspricht der realen Gefährdungssituation, und wir haben keinen Grund, an der Lageeinschätzung der Landesregierung zu zweifeln.

Selbstverständlich verlangt eine neue Gefährdungssituation auch besondere Maßnahmen hinsichtlich personeller und materieller Absicherung. Die PDS wird im Rahmen der Haushaltsverhandlungen Finanzierungsmöglichkeiten prüfen. Auch bezüglich strittiger Punkte wie der personellen Verstärkung des Verfassungsschutzes sehen wir nachvollziehbare Ansätze, wie die Bildung einer Arbeitsgruppe Islamismus.

Meine Damen und Herren! In der öffentlichen Debatte ist gegenwärtig eine ganze Reihe von Vorschlägen zur inneren Sicherheit. Besondere Erwartungen werden offenbar in die so genannte Rasterfahndung gesetzt. Diese Fahndungsmethode ist nicht unumstritten, da hierbei Daten Unbeteiligter und Unverdächtiger in großem Ausmaß und ohne Nachvollziehbarkeit für den Einzelnen erfasst und gerastert werden.

(Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Der Eingriff in die Grundrechtssphäre des Einzelnen, in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist groß. Hierin

liegt ihre rechtsstaatliche Problematik, Herr Dr. Daehre. Das wollte ich ausdrücklich noch einmal gesagt haben. Das ist nämlich ein Gewinn, den dieses Land hat.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Das müssen Sie gerade sagen! Hier wird ja wohl der Bock zum Gärtner gemacht!)

- Das ist doch gut, wenn wir das ausdrücklich sagen.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Lehnen Sie sich doch ein bisschen zurück! - Weitere Zurufe von der CDU und von Frau Wiechmann, FDVP)

Bitte lassen Sie die Abgeordnete Frau Sitte aussprechen.

Es ist doch genau richtig, dass wir das sagen - nach unserer Erfahrung, mit unserer historischen Verantwortung.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Was Sie sich erlauben! Hören Sie bloß auf!)

Es ärgert Sie doch nur, dass wir genau diese Schlussfolgerung in den letzten zehn Jahren gezogen haben. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der PDS - Zurufe von der FDVP)

Bitte lassen Sie die Abgeordnete Frau Dr. Sitte weiterreden.

In Sachsen-Anhalt, meine Damen und Herren, ist diese Fahndungsmethode nur zulässig zur Abwehr - ich zitiere - „einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person“ und unterliegt der verfahrenssichernden Regelung einer gerichtlichen Vorabkontrolle. Durch richterlichen Entscheid ist das Vorliegen der Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefahr in Sachsen-Anhalt bejaht und mit der Rasterfahndung ist auf dieser Grundlage auch begonnen worden.

Neben der rechtsstaatlichen Problematik ist allerdings auch Skepsis angebracht hinsichtlich der Effektivität dieser Methode. Bisher sind kaum verwertbare Ergebnisse der Rasterfahndung bei der Aufdeckung so genannter Schläfer oder Sympathisanten bekannt geworden. Es bleibt also fraglich, ob die Rasterfahndung die in sie gesetzten Erwartungen auch wirklich erfüllen kann.

Die CDU verlangt in ihrem vorgelegten Gesetzentwurf die Ausweitung der Rasterfahndung auf alle Straftaten von erheblicher Bedeutung - das ist immerhin ein Katalog von über 50 Straftatbeständen - und will die richterliche Vorabkontrolle abschaffen und lediglich eine Nachkontrolle durch den Datenschutzbeauftragten vorsehen. Abgesehen davon, dass dieser Vorschlag der CDU wortgleich von ihr bereits im Oktober 1998 eingebracht und in die Debatte um die Novellierung des Polizeigesetzes einbezogen worden war,