Kulturkreis offenbar gelingt. Die Terrororganisationen sind stolz darauf. Wir hören sie sagen: Wir brauchen nichts weiter einzusetzen als unser Leben. Eine solche Einstellung ist uns fremd. Dem haben wir im Grunde nichts Entsprechendes entgegenzusetzen. Aber dennoch bleibt der Islam noch immer eine Religion des Friedens, jedenfalls nicht weniger als das Christentum.
Trotz all der verwaschenen Grenzen steht einiges unverrückbar fest. Dazu gehört die Tatsache, dass die Terroranschläge in den USA schreckliche Verbrechen sind, die durch nichts und niemanden zu rechtfertigen oder zu relativieren sind. Wer solche Schreckenstaten plant und ausführt, muss gestoppt und bestraft werden - auch das steht fest.
Was ist jedoch mit weiteren vermeintlich feststehenden Grenzen und Regeln in unserer Vorstellungswelt? Wo sind heute noch die Grenzen zwischen Krieg, Freiheitskrieg, Freiheitskampf und Terrorismus? Wo ist die Grenze zwischen dem Terrorismus und der so genannten gutbürgerlichen Kriminalität? Denken wir beispielsweise daran, in welchem Zusammenhang im Laufe von Jahrzehnten die Namen Nelson Mandela oder Jassir Arafat schon genannt worden sind.
Bei dem jetzigen Kampf werden nicht nur die Grenzen zwischen Ländern und Kontinenten unscharf, sondern auch zwischen innerer und äußerer Sicherheit und im Zusammenhang damit auch zwischen den Aufgaben der verschiedenen Sicherheitsdienste. Deswegen brauchen wir gewiss kein neues Amt für nationale Sicherheit, wie es Frau Merkel in Erwägung zieht, aber wir brauchen ohne Zweifel eine bessere Koordinierung der Dienste, als es sie dem Vernehmen nach bisher gegeben hat. Doch auch hierbei sollten die Zweckmäßigkeitsüberlegungen im Vordergrund stehen und nicht der Aktionismus.
An die Frage, wogegen wir kämpfen, schließt sich die Frage an, wogegen wir nicht kämpfen. Dazu ist vieles aufzuzählen. Insbesondere muss immer wieder neu betont und wiederholt werden: Wir kämpfen nicht gegen andere Kulturen, nicht gegen andere Religionen, nicht gegen Völker und natürlich auch nicht gegen Bevölkerungen. Auch die Amerikaner und Engländer tun dies jetzt in Afghanistan nicht.
Wir kämpfen gegen all jene, die als Schutzmächte und Unterstützer des Terrorismus erkennbar sind. Denn ein Terrorist ist ein Verbrecher, den man vor Gericht stellen muss; doch dazu muss man ihn erst einmal haben. Wenn der lange Arm unserer Polizei nicht bis in andere Länder reicht, dann muss das Militär diese Aufgabe übernehmen. Es ist so, als hätten wir bereits einen Weltstaat und würden im Sinne einer Weltinnenpolitik mit geeigneten Mitteln weltweit operieren. Ich glaube, die jetzt erfolgten militärischen Operationen in Afghanistan werden von der Mehrheit der Bevölkerung auch in diesem Sinne richtig verstanden.
Es ist notwendig, immer wieder zu betonen, wogegen wir nicht kämpfen und wer unsere Verbündeten sein müssen, nämlich alle, die trotz mannigfaltiger Unterschiede den Terrorismus ebenfalls als ihren Feind ansehen. So jedenfalls ist die neue, engere Beziehung zu Russland zu verstehen und zu begrüßen. Das darf allerdings nicht bedeuten, dass wir deswegen auch alle bisherigen und gegenwärtigen Handlungen solcher Verbündeten gutheißen. Das Stichwort Tschetschenien drängt sich in diesem Zusammenhang geradezu auf. Auch so mancher islamische Staat bleibt hinsichtlich seiner Innen- und Gesellschaftspolitik - denken wir nur
Meine Damen und Herren! Auf welche Weise führen wir diesen Kampf? - Nach allem, was bisher bekannt ist, handelt es sich um die umfangreichste und am breitesten angelegte Auseinandersetzung, die je außerhalb von erklärten Kriegen stattfand. Wir reagieren als Ganzes, als Teil unserer Welt, in Deutschland und in SachsenAnhalt.
Inzwischen gibt es dank diplomatischer Bemühungen eine weltweite Antiterrorkoalition. Ihre Maßnahmen reichen von großen - von den Beschlüssen des Weltsicherheitsrates - bis zu kleinen, beispielsweise der Bewachung des Islamischen Kulturzentrums in einem unscheinbaren halleschen Hinterhaus. Sie reichen von sofortigen Entscheidungen bis zu Jahre überspannenden Planungen.
Bei allen Aufregungen können wir bisher feststellen, dass die Verantwortlichen entgegen manchen Befürchtungen in einem hohen Maße Besonnenheit zeigen. Man kann auch sagen: Entschlossenheit mit Augenmaß; Aktionen, aber kein Aktionismus; keine Überreaktionen, aber auch keine zu schwachen Reaktionen, keine Unterreaktionen.
Wir warnen vor Panik, aber bitten um Verständnis für notwendige und auch einschränkende Sicherheitsvorkehrungen. Wir werden sehr genau aufzupassen haben, wo die Grenze verläuft, bis zu der wir unsere Freiheit einschränken wollen und müssen, ohne sie in wesentlichen Punkten selbst infrage zu stellen.
Fest steht, dass der Staat etwas tun muss, aber nicht irgendetwas, sondern etwas Sinnvolles. Wenn etwas Sinnvolles getan wird und dadurch bestimmte Freiheitsrechte eingeschränkt werden sollten, werden wir in der Lage sein, dies all jenen zu erklären und deren Verständnis zu finden, die nachdenklich genug sind, um sich mit der Gesamtsituation auseinander zu setzen.
Meine Damen und Herren! Noch ehe hier bei uns nach den schrecklichen Ereignissen vom 11. September 2001 bekannt geworden war, welche unmittelbaren Verbindungen und Verstrickungen des internationalen Terrorismus auch nach Deutschland führen, hat die Nato den Bündnisfall festgestellt. Auf dieser Grundlage sicherte Bundeskanzler Gerhard Schröder den Vereinigten Staaten von Amerika unsere uneingeschränkte Solidarität zu. Mit „uneingeschränkt“ ist tatsächlich uneingeschränkt gemeint. Es wäre für Deutschland weder moralisch noch außenpolitisch vertretbar, anders zu reden und zu handeln. Man stelle sich weltpolitisch vor, es käme wieder eine Koalition wie während des Zweiten Weltkrieges zustande, die damalige Anti-Hitler-Koalition, und Deutschland wäre nicht dabei.
Wir können in einer solchen Situation auch nicht auf abstrakte Debatten ausweichen, obwohl sie im politischen Seminar sicherlich verstärkt geführt werden. Doch wie sich gezeigt hat, sieht die Wirklichkeit immer anders aus und über den tatsächlich auftretenden, konkreten Fall ist dann doch nicht ausreichend diskutiert worden.
Meine Damen und Herren! Wenn alle Kräfte eingesetzt werden, müssen sich in einer Demokratie auch alle einer Bewertung unterziehen. Aber zweierlei gibt es zu bedenken. Erstens warne ich ausdrücklich vor dem Satz, der immer wieder ausgesprochen wird, der immer stimmt, aber niemandem hilft und der heißt: Das allein reicht doch nicht aus; allein damit sei der Kampf gegen
Natürlich reichen Militärschläge nicht aus; Friedensgebete jedoch auch nicht. Dennoch muss alles geschehen in der Zuversicht, den weltweiten Terrorismus aufzuhalten. Gegenwärtig geschieht offenbar alles, was gegenwärtig möglich ist, und zwar in diplomatischer, politischer, militärischer, finanzieller und wirtschaftlicher, organisatorischer und nachrichtendienstlicher Hinsicht.
Für alles und jedes wird natürlich jetzt auch Geld gefordert. Ohne Geld ist auch Sicherheit nicht zu haben. Das sehen wir bei dem Maßnahmenbündel der Bundesregierung ebenso wie in unserem Land. Auch hier wird sich die Frage stellen, wie viel Geld die Menschen für ihre Sicherheit auszugeben bereit sind, wo doch jeder Geldschein auch ein Stück Freiheit ist.
Wir werden an Grenzen stoßen. Jedem dürfte klar sein, dass der gegenwärtige Aufwand, den wir für die Sicherheit betreiben, kaum über Monate, jedenfalls nicht über Jahre aufrechtzuerhalten ist, ohne dass sich unser gesamtes Leben nachhaltig verändert und wir auf vieles zu verzichten haben. Der Rechtsstaat hat seinen Preis, zumal er auch das Unrecht nur mit rechtsstaatlichen Mittel bekämpfen kann.
Im Zusammenhang mit der Rasterfahndung ist die Einschränkung des Datenschutzes immer wieder ins Gerede gekommen. Nach unserer Auffassung ist nichts gegen die Rasterfahndung einzuwenden, wenn sie gesetzesentsprechend durchgeführt wird. Aber auch hierbei ist das notwendige Augenmaß geboten.
Ich hielte es für verantwortungslos, den Protesten, von denen ich an der Magdeburger Universität gehört habe, nachzugeben und die Rasterfahndung hier nicht durchzuführen; denn wenn kein Verdächtiger gefunden wird, ist die Entlastung hilfreich. Was aber, wenn ein vergleichbarer Fall wie an der Hamburger Fachhochschule hier aufträte? Würden sich dann die jetzt Protestierenden an dem Tod zahlreicher Menschen mitschuldig fühlen? Das Gleiche gilt natürlich auch in allen anderen Bereichen.
Natürlich ist die Gefahr, dass der Staat mit seinen Maßnahmen überzieht, immer wieder neu vorhanden. Er strebt bei seiner Aufgabe, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, nach Vollkommenheit, wohl wissend, dass er sie nie erreichen kann.
Natürlich stimmt es auch, dass, wenn vielfältig Macht ausgeübt wird, die Gefahr steigt, dass Macht missbraucht wird. Davor wird von vielen immer wieder zu Recht gewarnt. Ich warne aber auch davor, dass man diese Warnung als Generalverdacht ohne tatsächlichen Anlass in den Vordergrund stellt.
Sie drückt ein grundlegendes Misstrauen gegenüber der demokratisch legitimierten und kontrollierten Staatsmacht aus und motiviert die in schwieriger Situation Handelnden nicht.
Manches wird jetzt getan, veranlasst oder umgesetzt, von dem viele meinen, es hätte längst geschehen müssen, zum Beispiel die Aufhebung des Religionsprivilegs, die Verfolgung von Angehörigen terroristischer Organisationen ausländischer Herkunft, die Möglichkeit, bestimmte Finanzströme zu kontrollieren usw.
Vielleicht hatten wir in einigen Bereichen tatsächlich einen Nachholbedarf. Vielleicht ist nicht immer deutlich
Das schließt aber Liberalität nicht aus. Außerdem führt nicht alles, was jetzt zusätzlich in Erwägung gezogen wird, zu einer Einschränkung der Freiheit. Ein Fingerabdruck auf dem Personalausweis schränkt unsere Freiheit genauso wenig ein wie das Passbild. Hierbei geht es nur um Zweckmäßigkeit. Es ist auch nicht einzusehen, warum jemand - auch nicht der Asylbewerber das Recht haben soll, seine Identität zu verschleiern.
Meine Damen und Herren! Alles in allem: Das Nötige muss und wird geschehen. Damit werden viele Menschen eine zusätzliche persönliche Erfahrung von Sicherheit machen, und das ist wichtig.
Wir meinen, dass alle bisherigen Maßnahmen der Bundes- und der Landesregierung zu unterstützen sind. In einigen Bereichen haben wir schon einige Erfahrungen machen müssen. Beispielsweise haben viele von uns in den vergangenen Tagen bei Flügen oder auf Flughäfen mehr Zeitaufwand und Unbequemlichkeiten auf sich nehmen müssen als bisher. Wenn man jedoch damit einer Gefahr wirksam begegnen kann, so ist beides zu akzeptieren. In vielen weiteren Lebensbereichen wird uns das noch begegnen.
Ein weiteres großes Problem ist beim Zusammenleben der Menschen in Deutschland entstanden, insbesondere im Zusammenleben mit ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die erkennbar aus islamisch-arabischen Ländern kommen. Ungerecht, aber wohl fast unvermeidlich sind alle arabisch aussehenden Menschen in den allgemeinen Verdacht geraten, sie könnten einer terroristischen Organisation angehören und gefährlich sein.
Diese vielen Menschen kann ich nur bitten, wenigstens vorübergehend einiges zu ertragen, ohne dauerhafte Bitterkeit zu empfinden, und mit uns gemeinsam dagegen durch viele Kontakte und Gespräche anzukämpfen.
Ich muss sie auch bitten, zu verstehen, dass in unserem Land eine große Verunsicherung bei vielen Menschen besteht, die sich naturgemäß ergeben musste, als bekannt wurde, dass sich einige bis dahin völlig unauffällig hier lebende und scheinbar harmlose Menschen plötzlich als Verbrecher erwiesen, die bereit waren, Schreckliches zu tun.
Verstärkt wurde das damit verbundene Problem, nachdem bekannt wurde, dass zahlreiche weitere so genannte Schläfer sich vermutlich auf weitere schreckliche Anschläge vorbereiten könnten. Damit trat das Element des Unheimlichen in unser Bewusstsein. So etwas erzeugt immer Angst.
Es wird zahlreicher Bemühungen bedürfen, diese Angst allmählich abzubauen. Auch unsererseits, seitens der Volksvertreter und der Politiker, sollten vermehrt Anstrengungen unternommen werden, dagegen anzukämpfen.
Meine Damen und Herren! Wie wird dieser weltweite Kampf verlaufen und was werden die Folgen sein? Sachsen-Anhalt ist etwa gleich weit entfernt von Washington und New York wie von Kabul und von anderen Städten Afghanistans. Wir sind also mittendrin.
Die Kombination von diplomatischen und wirtschaftlichen, von militärischen und humanitären Einsätzen und Anstrengungen wird nicht ohne Erfolg bleiben. Doch maßgeblich für die Veränderungen, die unsere Welt dadurch erfährt, wird vermutlich die Dauer des Kampfes sein. Die Zukunft ist wieder einmal offener als je zuvor.
Sind die jetzigen Sicherheitsvorkehrungen von Dauer? Gewöhnt man sich daran? Sind die Kosten zu tragen? Auf wie viel Freiheit und Geld werden die Menschen zu verzichten bereit sein?
Bei großen Herausforderungen stützt sich jeder auf seine besonderen Stärken und schützt seine Werte. Vielleicht gelingt es, den Terrorismus in der Welt zurückzudrängen. Vielleicht gelingt es, das Palästinenserproblem zu lösen. Vielleicht gelingt es, eine gerechtere Weltordnung aufzubauen. Vielleicht gelingt es, vieles andere zu erreichen, was seit langem auf der Tagesordnung steht.
Wenn der Kampf erst einmal begonnen werden musste, so muss er auch weitergeführt und zu einem Erfolg gebracht werden. Am Ende wird eine Neukonstituierung der Welt stehen.
Der Satz, nach dem 11. September 2001 würde nichts mehr so sein wie vorher, ist genauso richtig wie falsch. Natürlich wird sich nicht alles ändern, aber vieles. Was sich nicht ändern darf, sind unsere Wertvorstellungen. Was sich ändern muss, ist die allgemeine Bedrohung durch den Terrorismus und damit auch die vielfältigen Ursachen, denen er entspringt. Wir haben die Aufgabe, das uns Mögliche dazu beizutragen. - Danke schön.
Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Auf der Tribüne hat sich ein Wechsel vollzogen. Wir begrüßen nunmehr Damen und Herren des Finanzamts Halle sowie Gäste der Landeszentrale für politische Bildung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 11. September hat die Bedrohung durch Terrorismus, Fanatismus und Gewalt deutlich gemacht. Über das Entsetzen hinaus stehen wir vor neuen Fragestellungen, die die Politik beantworten muss: Wie kann global agierender Terror bekämpft werden? Wie können Ursachen von Fanatismus beseitigt werden? Aber auch: Wie kann eine drohende Spirale von Gewalt, Hass und Gegengewalt durchbrochen werden?
Eine im Entstehen begriffene Koalition gegen Terrorismus steht vor der Herausforderung, über die notwendige Ergreifung und Verurteilung der Täter hinaus Weichenstellungen für eine Weltordnung zu finden, die dauerhaft globalem Terror die Grundlagen entzieht.