Protokoll der Sitzung vom 15.11.2001

(Ach! bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie aus den genannten Gründen um die direkte Annahme des Antrages der PDS-Fraktion.

(Beifall bei der PDS)

Danke schön, Frau Dr. Hein. - Das Wort hat zunächst für die Landesregierung der Minister Dr. Harms.

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Hein, lassen Sie mich eingangs kurz auf die Hintergründe eingehen, die dazu führten, dass wir heute von der neuen Sekundar

schule und den damit verbundenen Abschlüssen sprechen.

Mit der vierten Novellierung des Schulgesetzes am 27. August 1996 war das Ziel verbunden, die Trennung der Bildungsgänge in Haupt- und Realschulbildungsgang aufzuheben und zugleich zu einer zehnjährigen Vollzeitschulpflicht zu kommen.

Die Gründe für die Änderung des Schulgesetzes liegen insbesondere in einer veränderten Lebens- und Arbeitswelt und in den veränderten Anforderungen an die Schule. Differenzierte Leistungsanforderungen in den einzelnen Fächern sollen bei gemeinsamer Beschulung sichergestellt werden. Eine möglichst gute Vorbereitung auf die Anforderungen der Berufsbildung soll so erfolgen.

Die neue Sekundarschule ist an die Regelungen - Sie hatten es erwähnt, Frau Hein - des Orientierungsrahmens für die Sekundarstufe I der KMK gebunden und nur damit wird die Anerkennung der Abschlüsse sichergestellt.

Da ich damals - man kann nicht sagen, dass ich daran ein Vergnügen hatte - an den Verhandlungen über diesen Orientierungsrahmen sehr intensiv beteiligt war, kann ich mich sehr wohl daran erinnern, dass es sehr unterschiedliche Auffassungen zu der Frage der Leistungsdifferenzierung gegeben hat, insbesondere zu der Frage, inwieweit eine verpflichtende Leistungsdifferenzierung in unterschiedlichen Kursen notwendig ist.

Ich teile Ihre Auffassung, dass dieses nicht für alle Fächer gilt und dass wir durchaus in bestimmten Bereichen auch auf unterschiedlichem Niveau innerhalb einer Lerngruppe unterrichten könnten.

Ich möchte allerdings Ihre Äußerung sehr deutlich zurückweisen, dass über den Erlass hinaus wenig getan wurde. Das ist falsch.

Auch die Frage, die Sie gestellt haben, ob die Zahlen des Ministers stimmen, lässt einen Unterton erkennen. Ich fälsche keine Zahlen, sondern ich frage diese in den Schulen ab und gebe sie so wieder, wie ich sie aus den Schulen bekomme. Es geht hier um die Frage, wie sich das Wahlverhalten der Eltern gestaltet und auf der Basis welcher Beratung dieses stattfindet.

Lassen Sie mich darüber hinaus sagen, dass die Abschlussverordnung spät kommt. Das will ich gern einräumen. Sie befindet sich derzeit in dem formellen Anhörungsverfahren. Ich kann sie also nicht unverzüglich in Kraft setzen, sondern muss mindestens den morgigen Tag abwarten, bis zu dem die verschiedenen Gremien die Möglichkeit haben, Anregungen zu geben, und die Beratungen im Landesschulbeirat am 1. Dezember 2001. Danach ist vorgesehen, die Abschlussverordnung zu verkünden. Sie muss auch nicht von der Landesregierung beschlossen werden, sondern es ist meines Erachtens eine Verordnung, die ich in Kraft setzen kann.

Die Regelungen zur äußeren Fachleistungsdifferenzierung erfordern aufgrund ihrer Bedeutung für den Erwerb von Abschlüssen eine besondere Beratung. Diese ist ich glaube, in dieser Hinsicht irren Sie sich auch, und insofern müssen wir im Ausschuss noch einmal darüber reden, wo das Problem wirklich liegt - in § 13 Abs. 3 der Versetzungsverordnung vom 17. Juni 1999 bereits verankert. Die Beratungspflicht gegenüber den Erziehungsberechtigten ist dort ausgestaltet worden. Auch die

Modalitäten der Beratung sind jeweils in dem Erlass zur Unterrichtsorganisation geregelt.

Warum funktioniert es also nicht? Augenscheinlich gibt es erstens möglicherweise ein Informationsdefizit, das wir ausräumen müssen. Zum Zweiten gibt es möglicherweise eine Beratungspraxis - dieser möchte ich nachgehen -, bei der die Schulen dazu tendieren, die Kurse hälftig aufzuteilen. Das heißt, dass aus ganz anderen Gründen, die überhaupt nichts mit dem Bildungsauftrag der Schule zu tun haben, sondern eher mit schulorganisatorischen Regelungen, Ergebnisse herauskommen, die wir nicht wollen können.

Ich habe Ihnen allerdings in der letzten Debatte zu diesem Thema auch deutlich gemacht, dass dieses nach und nach schrittweise korrigiert wird. Das heißt, der Anteil der A-Kurse ist kontinuierlich im Steigen begriffen.

Eine Befragung von 75 Sekundarschulen hat ergeben, dass der Beratungspflicht ausnahmslos nachgekommen wurde und dass 69 von den 75 Schulen neben den Elternabenden auch noch individuelle Beratungsgespräche angeboten haben.

In § 2 des Entwurfs der Abschlussverordnung ist die verpflichtende Beratung der Erziehungsberechtigten vorgesehen. Gemäß dieser Regelung wird ab dem 9. Schuljahr zusätzlich zum Halbjahreszeugnis den Erziehungsberechtigten eine Mitteilung gegeben, welcher Schulabschluss unter welchen Voraussetzungen erreicht werden kann und welcher Schulabschluss bei der derzeitigen Kurswahl erreicht würde, sodass dann eine individuelle Beratung angeboten werden kann, um mögliche unerwünschte Folgen zu verhindern.

In der Regel erfolgt derzeit bei besseren als ausreichenden Leistungen eine Zuweisung zum A-Kurs. Die Eltern wählen den entsprechenden Kurs, wenn ihr Kind in der 7. Klasse ist. Danach entscheidet darüber die Klassenkonferenz.

Umstufungen sind zum Schulhalbjahr möglich. Wir prüfen derzeit, weil der Unterricht im 7. und 8. Schuljahrgang entsprechend den Rahmenplänen auf dem Niveau der Fachoberschulreife erfolgt, ob eine Zuweisung unter besonderen Bedingungen auch dann möglich ist, wenn die Schülerinnen und Schüler ausreichende Leistungen zeigen.

In den A-Kursen werden die Mindestleistungen als ausreichend angesehen, wenn ausreichende Leistungen in den jeweiligen Fächern vorliegen. Das heißt, dann kann die Fachoberschulreife erreicht werden.

Den in den Anträgen auftauchenden Begriff der höheren Bildungsqualität, die über eine Verordnung erreicht werden soll, möchte ich mit einem Fragezeichen versehen. Ich glaube, dass Verordnungen an der Bildungsqualität überhaupt nichts ändern, sondern dass ein besserer Unterricht etwas an der Bildungsqualität ändert. Die Verordnungen können nur den Rahmen hierfür setzen.

Die Kammern sind durch ihre Vertreter im Landesschulbeirat an der Diskussion über die Abschlussverordnung beteiligt. Parallel finden Erörterungen mit der IHK und den Handwerkskammern statt, so aktuell im Monat November auf Einladung des Bildungsausschusses der IHK Magdeburg.

In diesen Diskussionen wurde deutlich, dass die Abschlussbezeichnungen - Sie hatten es erwähnt - für die Wirtschaft ein Problem darstellen. An diese Abschlussbezeichnungen sind wir durch das Gesetz von 1996 ge

bunden. Allerdings habe ich veranlasst, dass auf den Zeugnissen die alten Bezeichnungen als Zusatz ebenfalls enthalten sind, sodass für jeden klar ist, was das jeweilige Zeugnis bedeutet und welchen Abschluss und welche Berechtigungen es ergibt, damit diesbezüglich keine Irritationen auftreten.

Ich glaube, dass wir die Beschlussvorlage hinsichtlich des angedachten Termins überprüfen sollten. Ich bin gern bereit, im Ausschuss einen Zwischenbericht im Monat Dezember zu geben; über die kompletten Maßnahmen, die Sie fordern, kann ich allerdings erst im Monat Januar Bericht erstatten. Ich denke, das wäre eine Terminverschiebung, die allemal erträglich ist. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Wir kommen zur Debatte. Das Wort hat zunächst Frau Helmecke für die Fraktion der FDVP.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Harms, Frau Hein, Sie haben hier alles - und das regt mich furchtbar auf - wirklich schöngeredet zu den A- und B-Kursen in den Sekundarschulen. Aber ich habe selbst eine Tochter - ich komme darauf in meinem Beitrag noch zurück - und ich habe die Probleme zu Hause. Ich muss ihr jeden Tag erklären, warum es richtig ist, dass sie im A-Kurs bleibt, warum sie für Mathe lernen muss und nicht einfach in den B-Kurs gehen kann. Ich habe diese Probleme fast jeden Tag; nach jeder MatheKlassenarbeit fange ich wieder von vorn an.

(Zuruf von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU)

Es wäre gut, wenn der Antrag der CDU-Fraktion Zustimmung finden würde, weil das genau meine Probleme sind, die ich zu Hause habe. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Nun zu meinem Beitrag. Vielleicht muss ich ihn jetzt kürzen, aber ich musste mir das von der Seele reden; denn das hat mich schon lange gestört.

Vor wenigen Tagen offenbarte ein Mann von Rang und Namen, dass er einst in der eigenen Schulausbildung so ganz und gar nicht jenen Anforderungen gewachsen war, die die Schule an ihn stellte. Gewiss, solch ein Eingeständnis erfolgt meist erst dann, wenn durch eigene Lebensleistung bewiesen wurde, dass der ominöse Knoten erst später platzte und der Ernst des Lebens begriffen wurde.

Nun mag es jedermann trösten, dass so etwas vorkommt, und jener schulische Spätzünder beweist noch heute als „Cleverle“ seine Führungsqualitäten bei Jenoptik. Dr. Lothar Späth hätte sich allerdings später nie als „Cleverle“ beweisen können, wenn er im Experimentierfeld „Schule in Sachsen-Anhalt“ aufgewachsen wäre. Wir wissen alle, die Voraussetzungen für eigene Leistungsfähigkeit werden schon frühzeitig in der Schule geschaffen. Deshalb muss alles unternommen werden, damit die Schule diesem Anliegen entspricht.

Meine Damen und Herren! Wenn die regierungstragende Fraktion der PDS mit dem vorliegenden Antrag die Notbremse zieht, kann nur konstatiert werden: zu spät! Die PDS hat wie immer zu spät und zu wenig erkannt,

aber ebenso wie immer zu viel mitgetragen und versucht nun, sich mit viel Mühe aus der selbst verschuldeten Lage herauszuwinden.

(Beifall bei der FDVP)

Die Karre „Schulpolitik“ ist längst festgefahren und zum unrühmlichen Markenzeichen einer verfehlten Landespolitik geworden, und Sie, meine Damen und Herren Abgeordneten von der PDS, haben einen wesentlichen Anteil daran.

Drastisch und dennoch zutreffend war die bereits im März 1995 abgegebene Erklärung unterschiedlicher Verbände und Politiker, die nicht in der rot-roten Kungelpolitik von SPD und PDS standen. Ich darf mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitieren:

„Der bereits in der DDR unternommene Versuch, durch binnendifferenzierten Unterricht alle Schüler trotz unvermeidlichen Leistungsgefälles gleichermaßen in einem Klassenverband zu fördern, ist fehlgeschlagen. Ein erneutes Experiment, das unseren Menschen als Förderstufe verkauft werden soll, degradiert unsere Schüler und Eltern zu Versuchskaninchen, unsere Lehrerschaft zu wurzellosen Wanderarbeitern und unsere Schulen zu Operationsfeldern riskanter und utopischer Versuche.“

Ernst Rösner führt in seiner Schrift „Das Schulsystem in Deutschland“ einen Gedanken aus, der auch Schüler, Lehrer und Eltern in Sachsen-Anhalt hoffnungsvoll stimmen könnte, wenn er schreibt, dass Schuldebatten Landtagswahlen folgenreich beeinflussen können und durch Lehrplanreformen Minister gestürzt werden.

Meine Damen und Herren! In diesem Sinne sind wir zwar fröhlich in Hoffnung, wissen aber zugleich, dass Letzteres unserer aller Anstrengung bedarf, um so eine Umkehr verfehlter Bildungspolitik zu erreichen.

Es ist auch nicht mehr hinzunehmen, dass eben keine Folgerungen gezogen werden, wenn eine repräsentative Lehrerbefragung des Instituts für Schulentwicklungsforschung ergab, dass immer mehr Kinder eine höhere Schule besuchen, ohne dafür die notwendige Eignung mitzubringen.

Die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern in Sachsen-Anhalt können sich nun durch die Einnahme blutdrucksenkender Mittel darauf vorbereiten, was sie an Bewerbern aus Sekundarschulen des Landes Sachsen-Anhalt erwartet. Berufsbewerber aus SachsenAnhalt werden in den alten Bundesländern ein unaufhörliches Kopfschütteln auslösen, wenn sie darstellen, dass sie dem B-Kurs entstammen. Die begriffliche Deutung des B-Kurses - so in der Klasse meiner Tochter - wird zwischen „beklemmend“, „bescheuert“ und „bevorzugt“ liegen bzw. unerklärbar bleiben.

In der Broschüre des Kultusministeriums des Landes Sachsen-Anhalt heißt es unter anderem: An die Stelle von Bildungsgängen in der Haupt- und Realschule tritt an der Sekundarschule ein System von gemeinsamem Unterricht und äußerer Fachleistungsdifferenzierung, also Unterricht in Lerngruppen auf zwei verschiedenen Anforderungsniveaus.

Meine Damen und Herren! Die bunte Broschüre des Kultusministeriums über die neue Sekundarschule in Sachsen-Anhalt schönt die Realität und verschweigt die Probleme. Als Mutter einer Tochter, die dem A-Kurs der Sekundarschule zugeordnet wurde, weiß ich um die

nachlassende Motivation der A-Schüler, wenn sie ihre Noten und ihre Anstrengungen mit jenen in der Klasse vergleichen, die besagtem B-Kurs angehören. Zwar tröstet sich meine Tochter damit, dass sie weiß, dass mit A- oder B-Kurs die Aussichten für die Jugendlichen in Sachsen-Anhalt gleichermaßen kümmerlich sind, aber viele wollen sich eben nicht damit abfinden.

Sie wird bei einer Bewerbung in den alten Bundesländern viel Mühe und Überzeugungskraft aufbringen müssen, dem Betrieb die wundersame Einteilung von A und B in der Schule des Landes Sachsen-Anhalt zu erklären. Schwer fallen wird ihr dann auch die Erklärung, warum der Kultusminister Dr. Harms die Einführung von Kopfnoten, egal ob für A- oder B-Kurs, mit fadenscheinigen Begründungen abwiegelte.