Protokoll der Sitzung vom 14.12.2001

(Beifall bei der CDU und bei der DVU)

Danke für die Einbringung. - Der Gesetzentwurf und der Antrag der SPD-Fraktion werden durch den Abgeordneten Herrn Dr. Brachmann eingebracht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns mit dem Thema, um das es heute geht, nicht zum ersten Mal. Erst in der letzten Landtagssitzung hatten wir dazu eine Debatte geführt. Damals war ein Antrag der FDVP-Fraktion Gegenstand, den wir abgelehnt haben. Wir werden uns auch weiterhin davor hüten, auf dieses hochsensible und ernste Thema mit populistischen Forderungen und blindem Aktionismus zu reagieren.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Wenn wir uns heute mit einem Antrag und mit einem Gesetzentwurf in die Debatte einbringen, der in vielem dem gleicht, was Herr Remmers vorgestellt hat, dann mit dem Ziel, dort Maßnahmen zu ergreifen, wo wirklicher Handlungs- und Regelungsbedarf besteht.

Meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich in diesem Hohen Hause über Parteigrenzen hinweg in einem einig: Immer wiederkehrende Nachrichten, dass Kinder verschwinden, sexuell missbraucht werden oder gar nach Tagen tot aufgefunden werden, erschüttern. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel. Reagieren muss die Politik dort, aber auch nur dort, wo Lücken im Schutz vor Sexualstraftätern bestehen.

Das gilt auch für die nachträgliche Sicherungsverwahrung, um die es sowohl in unserem Antrag als auch in

dem Gesetzentwurf geht. Nicht dass der Eindruck entsteht, den man gestern dem Aufmacher in der „Mitteldeutschen Zeitung“ ein bisschen entnehmen konnte, wir würden nun endlich eine Regelung schaffen, die es ermöglicht, rückfallgefährdete Straftäter nach der Haftverbüßung in Gewahrsam zu nehmen. Dem ist nicht so.

Ein Straftäter, dessen Gefährlichkeit sich in der abzuurteilenden Tat bzw. während der Hauptverhandlung zeigt, kann schon jetzt durch den Urteilsspruch in Sicherungsverwahrung genommen werden. Bei psychischen Erkrankungen - dies ist bei diesen Tätern häufig der Fall bietet das Gesetz über psychisch Kranke hinreichende Möglichkeiten, den Straftäter jederzeit, also sowohl während eines Strafverfahrens als auch danach, in Gewahrsam zu nehmen. Nur für diejenigen Täter - Herr Remmers hat es auch noch einmal anschaulich gezeigt -, deren Gefährlichkeit zum Zeitpunkt des Urteilsspruchs noch nicht feststand, deren Gefährlichkeit sich also erst während der Haftverbüßung ergibt und die auch nicht psychisch krank sind, besteht derzeit eine Regelungslücke, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie nach der Haftverbüßung erneut schwerste Straftaten begehen.

Wir müssen uns aber vergegenwärtigen, dass das immer nur Einzelfälle sind. Es gilt eine Lücke für ganz wenige Personen zu schließen. Baden-Württemberg hat ein entsprechendes Gesetz. Wenn die Informationen stimmen, hatten sie aber bisher keinen einzigen Fall, in dem dieses Gesetz hätte angewandt werden müssen. Trotzdem braucht man es; insoweit stimmen wir überein.

Wie kann ein solches Gesetz geschaffen werden? Auch dazu hat Herr Remmers im Grunde genommen das Notwendige gesagt. Zum einen - auch das ist Gegenstand unseres Antrages - kann die Lücke bundeseinheitlich geschlossen werden. Eine Arbeitsgruppe der Justizministerkonferenz ist auch daran, entsprechende Regelungen zu prüfen und Vorschläge zu unterbreiten. Sachsen-Anhalt ist daran aktiv beteiligt.

Daneben müssen wir aber auch die Möglichkeiten nutzen, die das Landesrecht zulässt. Das sind die Möglichkeiten des Rechts der Gefahrenabwehr. Dies ist eine ureigene Landeskompetenz.

Missverständlich, Herr Remmers, - darauf will ich aufmerksam machen - ist der Begriff der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Eine Sicherungsverwahrung ist die sichernde Verwahrung eines Straftäters aus Anlass einer Straftat. Hierum geht es aber nicht. Es soll nicht noch einmal sanktioniert werden, was der Staat mit seinem Strafurteil schon abgeurteilt hat. Es geht vielmehr und allein um den sichernden Gewahrsam zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit, allein veranlasst durch die aktuelle Gefährlichkeit des vor seiner Entlassung stehenden Gefangenen.

Meine Damen und Herren! Baden-Württemberg hat ein solches Gesetz und Bayern hat wohl auch eines beschlossen. Die CDU hat auf der Grundlage dieser Gesetze - Herr Remmers hat es eben begründet - einen Gesetzentwurf eingebracht. Ich muss an der Stelle eingestehen, dass der CDU damit durchaus ein Treffer gelungen ist. Wer die beiden Regelungen vergleicht, wird feststellen, dass auch unser Gesetzentwurf sich an das anlehnt, was die CDU vorgeschlagen hat und im Übrigen in Bayern und Baden-Württemberg geltendes Recht ist.

Aber wenn ich sage „ein Treffer“, muss ich anmerken, kein Volltreffer, Herr Remmers.

(Herr Remmers, CDU, lacht - Herr Becker, CDU: Man kann ja nicht alles zugeben, nicht?)

Das ist auch der Grund, weshalb wir uns entschlossen haben, einen eigenen Gesetzentwurf einzubringen. Wenn wir uns auch in der Notwendigkeit eines solchen Gesetzes einig sind, haben wir doch offensichtlich unterschiedliche Auffassungen, wie wir dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werden.

Wir müssen uns vergegenwärtigen - Herr Remmers hat das versucht zu verdeutlichen -, dass es auch um die Grundrechte des Betroffenen geht. Wenn wir, um dem Schutz der Allgemeinheit zu dienen, die jedem Menschen verbürgten Freiheitsrechte für diese Personen beschränken, müssen Mechanismen gefunden werden, die das Freiheitsrecht in seinem Kern erhalten.

Herr Remmers, eine unbefristete, in einem Zwei-JahresTurnus zu überprüfende Entscheidung zur Ingewahrsamnahme kann diesen Anforderungen unseres Erachtens nicht genügen. Die unbefristete Ingewahrsamnahme widerspräche zudem den Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts. Wir halten es deshalb für unvertretbar, die Sicherungsverwahrung nachträglich unbefristet auszusprechen. Diese hätte dann in der Tat nicht nur gefahrenabwehrrechtlichen, sondern auch strafenden Charakter. Das ist, wie gesagt, einer der entscheidenden Punkte, weshalb wir einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht haben.

Meine Damen und Herren! Ich habe erwähnt, dass alle Länder auf Bundesebene zusammenarbeiten, um eine möglichst einheitliche Regelung für dieses Problem zu finden; denn es ist eine nüchterne Feststellung, dass Gewaltkriminalität nicht an Ländergrenzen Halt macht. Eine bundesrechtliche Regelung ist daher weiterhin anzustreben. Solange diese fehlt, müssen wir unter Präventivgesichtspunkten handeln.

Der zweite Grund, in dem wir uns von der CDU unterscheiden, ist der, dass wir das Gesetzesvorhaben auf zwei Jahre befristen wollen. Wir gehen davon aus, dass die bundesweiten Arbeiten bis dahin auch zu einem Ergebnis geführt haben.

Meine Damen und Herren! Ein weiterer Punkt, der in unserem Antrag eine Rolle spielt, ist die maßvolle Erweiterung der Möglichkeiten der DNA-Analyse. Auch dazu sind im Landtag bereits diverse Debatten geführt worden. Wir wollen die Möglichkeiten der Erweiterung der DNA-Analyse nutzen, ohne die Substanz der Grundrechte antasten zu müssen. Wir werden deshalb auf vorschnelle Forderungen eher mit Skepsis reagieren. Wir wollen die Landesregierung aber in ihren Bemühungen unterstützen, dort zu handeln, wo wirklicher Handlungsbedarf besteht. Gesetzesänderungen, die aufgrund einschlägiger wissenschaftlicher Erkenntnisse angezeigt sind, werden wir uns nicht versperren.

Herr Rothe, der von meiner Fraktion noch in der Debatte reden wird, wird noch etwas detaillierter auf das Problem der DNA-Analyse eingehen. Ich kann es deshalb dabei belassen und möchte Sie bitten, sowohl unseren Antrag als auch den Gesetzentwurf federführend in den Ausschuss für Recht und Verfassung und zur Mitberatung in den Ausschuss für Inneres zu überweisen. Ich denke, dass wir auf der Grundlage der eingebrachten Gesetz

entwürfe zu einem vernünftigen Ergebnis kommen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Remmers, CDU)

Danke für die Einbringung. - Meine Damen und Herren! Bevor wir mit der Debatte beginnen, begrüße ich herzlich Schülerinnen und Schüler des Thomas-MüntzerGymnasiums Halle auf den Tribünen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat wurde eine Zehnminutendebatte vereinbart. Die Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: PDS, FDVP, DVU, CDU und SPD. Für die PDS-Fraktion erteile ich der Abgeordneten Frau Tiedge das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Recht erheben Bürgerinnen und Bürger die Forderung nach konsequenter Bestrafung der Täter sowie nach einem wirksamen Schutz vor künftigen Verbrechen. Dabei sollte jedoch genauestens und sehr ernsthaft geprüft werden, ob die gegenwärtigen rechtlichen Möglichkeiten in vollem Umfang ausgeschöpft und angewandt werden.

Mit dem jetzigen Tagesordnungspunkt bewegen wir uns alle auf einem schwierigen Terrain. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema ist immer eine Gratwanderung zwischen Emotionen und nüchternen Argumenten, zwischen Populismus und realer Rechtspolitik.

Denen, die versuchen, sich diesem Thema mit Augenmaß und Sachargumenten zu nähern, wird unterstellt, den Täterschutz vor den Opferschutz zu stellen. Wir haben dennoch die unpopuläre Verpflichtung, jede einzelne neue rechtliche Regelung streng rechtsstaatlich zu prüfen;

(Zustimmung bei der PDS)

denn die beabsichtigten Einschnitte in die Persönlichkeitsrechte der Straftäter sind tief und nachhaltig.

Ich gehe davon aus, dass es Konsens zwischen allen demokratischen Parteien ist, dass die Straftäter für begangenes Unrecht bestraft werden müssen, dass neben der Strafe als Reaktion auf die Straftat bestimmte Maßnahmen zur Besserung des Täters und zur Sicherung der Gemeinschaft angeordnet werden können und müssen, dass der Opferschutz verbessert und dass ein viel stärkeres Augenmerk auf Vorbeugung und Prävention gerichtet werden muss.

Ich sage es aber auch mit aller Deutlichkeit: Keinem Opfer wird dadurch mehr Gerechtigkeit zuteil, dass ein Täter undifferenzierter oder mit einem höheren Strafmaß bestraft wird, unabhängig von der konkreten Tat oder Schuldschwere, oder wenn ihm sogar Unrecht geschieht.

Die Sicherungsverwahrung ist die einschneidendste Maßregel des Strafrechts und damit seit ihrer Einführung im Jahr 1933 die kriminalpolitisch umstrittenste. Die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der persönlichen Freiheit des betroffenen Inhaftierten und dem Schutz des Einzelnen bzw. der Gemeinschaft vor gefährlichen Straftätern ist dabei äußerst schwierig.

Unter dem Gesichtspunkt eines tatbezogenen Strafrechts ist die Sicherungsverwahrung, vor allem die nachträgliche Sicherungsverwahrung, eine sehr problematische und streng zu prüfende Maßnahme.

Die Fraktionen, die die vorliegenden Gesetzentwürfe eingebracht haben, betonen, dass die Regelung nur in sehr wenigen Fällen eingreifen wird. Aber der beabsichtigte Eingriff in Form von Freiheitsentzug ist äußerst massiv und bedarf deshalb einer tiefgründigen Prüfung der Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit einer solchen rechtlichen Regelung.

Genau an dieser Stelle beginnt unsere Kritik an den vorliegenden Gesetzentwürfen. Regelungen dieser Tragweite gehören aus verfassungsrechtlichen sowie aus materiell-rechtlichen Gründen ausschließlich in die Aufgabenkompetenz der Bundesgesetzgebung. Wir halten eine Landeskompetenz für die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für nicht gegeben.

Die vorliegenden Gesetzentwürfe sind eine Vermischung von Landes- und Bundesrecht. Sie lavieren zwischen strafrechtlichen und polizeirechtlichen Anknüpfungspunkten für eine nachträgliche Sicherungsverwahrung: auf der einen Seite Verlängerung der Unterbringung durch Anordnung einer Sicherungsverwahrung gemäß § 66 des Strafgesetzbuches, ohne diesen Paragrafen zu verändern, der sich als strafrechtliche Regelung der Gesetzgebungskompetenz der Länder natürlich entzieht, und auf der andere Seite Sicherungsverwahrung nach eindeutig polizeirechtlichen Regelungen als Maßnahme der Gefahrenabwehr, ohne das SOG zu erweitern, was auf Landesebene zwar möglich, aber nicht gewollt ist.

Der § 1 in beiden Gesetzentwürfen zielt darauf ab, dass bei einem Strafgefangenen eine Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt angeordnet werden kann, wenn davon auszugehen ist, dass von dem Betroffenen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer ausgeht.

Die Maßnahme der Gefahrenabwehr wird somit allein an die aktuelle Gefährlichkeit des vor seiner Entlassung stehenden Gefangenen geknüpft. Es stellt sich für uns natürlich zunächst die Frage, wie man bei einem seit mehreren Jahren in Haft einsitzenden Verurteilten diese erhebliche und vor allem gegenwärtige Gefahr detailliert und nachvollziehbar begründen will.

Des Weiteren wird deutlich, dass sich die in § 1 der Gesetzentwürfe genannten Voraussetzungen mit den Unterbringungsvoraussetzungen nach § 66 des Strafgesetzbuches decken. Das heißt, bei diesen Straftätern muss bereits vor jeder Verurteilung genauestens geprüft werden, ob bei Gesamtwürdigung der Persönlichkeitsstruktur und der Taten ein Hang zu erheblichen Straftaten zu erkennen ist und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist und deshalb im Urteil Sicherungsverwahrung ausgesprochen wird. So etwas tritt doch nicht erst nach jahrelanger Freiheitsentziehung und Therapierung zutage.

Sie werden auch mit diesem Gesetz keine 100-prozentige Sicherheit erzielen. Die geplante Regelung ist nämlich kaum geeignet, das mit dem Gesetz verfolgte Ziel zu erreichen, die Bürgerinnen und Bürger vor drohenden Gefahren von nicht psychisch Kranken zu schützen. Jeder Strafgefangene, der sich als von nachträglicher Sicherungsverwahrung Bedrohter einschätzt, würde sich - und das mit Erfolg - frühzeitig um die Verlegung ist ein anderes Bundesland, in dem es eine solche nachträg

liche Sicherungsverwahrung nicht gibt, bemühen. Auch blieben die Bürgerinnen und Bürger vom Gefahrenpotenzial noch nicht straffällig gewordener Menschen nach wie vor ungeschützt.

Abschließend sicherlich etwas provokativ: Folgen wir Ihrer Logik, dann frage ich mich, was soll eine zeitlich begrenzte Unterbringung von sechs Monaten wirklich bewirken.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist allerdings wahr! Das ist ein Witz!)

Bisher erfolglos verlaufene Therapieversuche, ja sogar Therapieunwilligkeit lassen sich doch nicht in sechs Monaten verändern. Folgerichtig müssten Sie dann eine lebenslängliche Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt anordnen, und das nach der Strafverbüßung und ohne strafrechtliches Urteil.

Damit würde aber den Kritikern der Sicherungsverwahrung Recht gegeben werden, die sagen - ich zitiere -, „dass mit der Sicherungsverwahrung der Verbrecher wie unbrauchbares Material behandelt und unschädlich gemacht werden muss“.

Selbstverständlich wollen wir in den Ausschüssen mit Ihnen über diese äußerst schwierige Thematik diskutieren und werden uns deshalb bei der Abstimmung über die Ausschussüberweisung der Stimme enthalten. - Ich danke Ihnen.

(Zustimmung bei der PDS)