Protokoll der Sitzung vom 14.12.2001

Im Übrigen gestatte ich mir eine Bemerkung zu Ihrer Kritik, dass die betreffenden Strafgefangenen sich dann erfolgreich um die Verlegung in andere Länder bemühen würden, wo es solche Regelungen wie bei uns nicht gäbe. Ihre Kritik halte ich nicht für richtig. Sie wissen aus dem Petitionsausschuss, wie schwer es ist, eine Verlegung in eine Strafanstalt eines anderen Bundeslandes zu erreichen. Das geschieht nur dort, wo es einen sachlichen Grund dafür gibt, und mit Billigung der staatlichen Stellen. Einen Gefangenentourismus in der von Ihnen beschriebenen Art kann ich mir absolut nicht vorstellen.

Meine Damen und Herren von der PDS-Fraktion, ich denke, dass die von Ihnen beabsichtigte Stimmenthaltung kein Ausweis von Realitätsbewusstsein ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, wir sollten uns alle der Tatsache stellen auch mit Blick auf den 11. September und die Folgen; das ist aber heute nicht das Thema -, dass es das Böse in der Welt gibt und dass es die Aufgabe des Staates ist, skrupellose Täter in die Schranken zu weisen. Es geht nicht um staatliche Allmacht, sondern es geht um den Schutz potenzieller Opfer vor Übergriffen Dritter. Was dafür notwendig ist, tun wir Sozialdemokraten.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum zweiten Anliegen kommen, einer maßvollen Erweiterung der Gendatei. Der Innenminister hat in der gestrigen Fragestunde ausgeführt, dass er eine Erweiterung dieser Datei auf Einstiegsdaten mit sexuellem Hintergrund für geboten halte. Ich teile diese Auffassung voll und ganz.

In der Zeitschrift „Der Kriminalist“, Ausgabe Oktober 2001, wird über einen Fall berichtet, mit dem sich die Justiz in Sachsen-Anhalt zu befassen hatte und der das Defizit der jetzigen Gesetzeslage deutlich macht. Der nicht vorbestrafte Betroffene wurde durch das Amtsgericht Stendal wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit einer exhibitionistischen Handlung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

(Zuruf von der DVU: Super!)

Er hatte sein Glied vor zwei 13 und 14 Jahre alten Mädchen entblößt, um sich sexuell zu erregen. Den Antrag der Staatsanwaltschaft, zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen des Betroffenen molekulargenetisch zu untersuchen, lehnte das Amtsgericht Stendal ab. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft dagegen wies das Landgericht Stendal zurück. Im Beschluss des Landgerichtes wird im Einklang

mit dem DNA-Identitätsfeststellungsgesetz eine hinreichend konkrete hohe Wahrscheinlichkeit dafür gefordert, dass gegen den Betroffenen künftig erneut Strafverfahren wegen einschlägiger Straftaten zu erwarten sind.

Eine solche Negativprognose ist aber nur sehr schwer möglich, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Denn die Strafaussetzung zur Bewährung beruht gerade auf der Annahme, dass der Betreffende künftig nicht erneut straffällig werden wird. Hier ist meines Erachtens der Gesetzgeber gefordert. Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gehören schon Ersttäter in die Gendatei.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Einwand, dass exhibitionistische Handlungen überwiegend nicht als Einstiegsdelikte zu betrachten seien, greift zu kurz. Tatsache ist, dass jeder vierte Exhibitionist wegen eines weiteren, schwereren Sexualdeliktes in Erscheinung tritt und dass eine solche Karriere in einzelnen Fällen erst beim Mord endet.

Nicht unerwähnt bleiben soll, dass nach dem Ersten Periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung, der von namhaften Wissenschaftlern erstellt wurde, bezüglich der sexuell motivierten Tötung von Kindern eine geringe Fallzahl sowie ein deutlicher und stabiler Rückgang festzustellen sind. Die gesteigerte Aufmerksamkeit der Medien erweckt den gegenteiligen Eindruck. Diese Aufmerksamkeit hat aber ihren guten Grund. So sollten wir trotz rückläufiger Häufigkeitszahlen bei diesen Delikten das Menschenmögliche tun, um diese Delikte weiter einzudämmen.

Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in Ihrer Ausgabe vom 7. Dezember 2001 berichtete, hat das Landgericht Stuttgart den Mörder der sechs Jahre alten Alexandra zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Im Alter von zwölf oder 13 Jahren hatte er sich nach eigenen Angaben zum Spanner entwickelt. Später legte er pornografische Fotos so aus, dass Kinder sie fanden. Er filmte sie, wenn sie die Bilder betrachteten. In ihm entwickelte sich der Plan, ein kleines Mädchen sexuell zu missbrauchen und anschließend zu töten, um die Tat zu vertuschen. Das geschah dann im Oktober des vergangenen Jahres.

Am 11. Januar 2001 erhielt die Polizei einen Hinweis, dass ein junger Mann mit heruntergelassener Hose vor dem Hallenbad in Echterdingen stehe. Der hierdurch auffällig gewordene Mann gab einen Tag später zu, Alexandra ermordet zu haben.

Für die Aufklärung derartiger Verbrechen kann das Vorhandensein der Täteridentität in der DNA-Analysedatei von entscheidender Bedeutung sein. Das Wissen darum wird, so hoffe ich, mögliche Täter abschrecken, die aufgrund einer Einstiegsstraftat erfasst worden sind. Eine Erweiterung der DNA-Analysedatei halte ich im Übrigen nicht allein bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung für angebracht.

(Zustimmung von Herrn Dr. Bergner, CDU)

Meiner Meinung nach sollte auch die vorsätzliche Körperverletzung einbezogen werden. Wer vorsätzlich die körperliche Integrität anderer Menschen verletzt, dem ist als verhältnismäßig geringer Eingriff die Aufnahme in die Gendatei zuzumuten.

Dabei geht es - so haben wir es in der Begründung zu dem Antrag der SPD-Fraktion klargestellt - immer nur

um die Möglichkeit der Identifizierung anhand von nicht vererbungsrelevanten Teilen im nicht kodierenden Bereich der DNA. Es geht darum, festzustellen, ob aufgefundenes Spurenmaterial vom Beschuldigten oder vom Verletzten stammt. Es geht nicht darum, aus aufgefundenen Körperzellen Rückschlüsse auf Persönlichkeitsmerkmale eines unbekannten Täters,

(Herr Dr. Bergner, CDU: Das ist der entscheiden- de Punkt!)

wie die Augenfarbe oder die Statur, zu ziehen.

(Herr Dr. Bergner, CDU: Richtig!)

Die Erhebung von Daten aus dem persönlichen Kernbereich bleibt gesetzlich ausgeschlossen. Eine solche Möglichkeit einzuräumen würde ich auch ablehnen.

Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD-Fraktion ist bewusst als Prüfauftrag formuliert worden. Ich bitte Sie, beide Gesetzentwürfe und den Antrag, wie bereits von mehreren Vorrednern vorgeschlagen, in den Rechtsausschuss und mitberatend in den Innenausschuss zu überweisen, damit wir dort über das Für und Wider im Einzelnen beraten können. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Dr. Süß, PDS)

Kollege Becker möchte eine Frage an Herrn Rothe stellen. Herr Rothe, würden Sie diese Frage beantworten? Bitte, Herr Becker.

Herr Kollege Rothe, Sie haben noch einmal auf das Problem der sechs Monate hingewiesen. Haben Sie nicht überlegt, dass es auch fünf Monate sein könnten? Warum haben Sie sich für sechs Monate entschieden? Woher nehmen Sie die Gewissheit, dass sechs Monate genau die richtige Zeit sind? Die Frage, ob dann noch ein Wegschließen erforderlich ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Das ist immer ein Problem der Verhältnismäßigkeit und wie ich diese Messlatte ansetze. Auch jemand, der nach Ihren Vorstellungen für sechs Monate eingesperrt gehört, könnte eventuell schon nach drei Monaten entlassen werden. Man kann es im Einzelfall nicht prüfen. Deshalb meine Frage: Wie kommen Sie zu der Auffassung, dass diese starre Regelung von sechs Monaten genau das Richtige ist?

Herr Kollege Becker, Sie wissen aus dem Gesetzentwurf Ihrer Fraktion, dass wir ein sehr aufwendiges Verfahren für die Beantwortung der Frage wählen, ob der Betreffende nun weiter in der Unterbringungshaft verbleiben soll oder nicht.

Wir haben zwei Gutachter und einen Verteidiger. Wir haben ferner die Beratung mit der zuständigen Strafvollstreckungskammer. Dieses Verfahren mit der gebotenen Gründlichkeit durchzuführen erfordert natürlich einen gewissen Abstand zwischen den Überprüfungsterminen. Aber ich denke, dass dieses halbe Jahr gut gewählt worden ist. Wenn Sie einen Monat mehr oder weniger haben wollen, bitte schön, dann lassen Sie uns darüber im Ausschuss reden.

(Beifall bei der SPD)

Für die Landesregierung hat jetzt Ministerin Frau Schubert das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, das Problem sollte mit der der Thematik angemessenen und gebotenen Sachlichkeit diskutiert werden. Wir haben in der Tat ein Verfassungsproblem. Wir haben es hierbei mit Menschen zu tun, und wir haben es mit Unwägbarkeiten zu tun, nämlich mit einer Zukunftsprognose, die ungewiss ist. Wir haben es ferner mit den Grundrechten und sogar mit den Menschenrechten zu tun, nämlich dem Recht auf Freiheit und auf Unversehrtheit.

Ich bin insofern Herrn Remmers sehr dankbar, dass er die Sache - bis auf die letzten Sätze, wo er die Bundesregierung der Untätigkeit bezichtigt - nicht politisiert hat. Ansonsten denke ich -

(Herr Scharf, CDU: Ist das falsch?)

- Dazu werde ich gleich noch etwas sagen, Herr Scharf; ich bin noch nicht so weit. - Ich denke, ansonsten stehen wir hierbei vor einem Problem, das so schwerwiegend ist, dass sich die meisten Länder - mittlerweile sind es immer noch 14 - nicht dazu durchringen konnten, eine Lösung zu finden.

Wir haben es eben nicht mit Strafrecht zu tun, weil wir es nicht mit dem Urteil eines Richters zu tun haben, der eine Sanktion verhängt. Gerade das ist das Problem. Wir haben es aber auch nicht nur mit Ordnungsrecht zu tun; denn das, was bevorstehen kann - das ist immerhin gutachterlich entsprechend festgestellt worden -, könnte eine erneute Straftat sein. Sie ist jedoch noch nicht erfolgt.

Wir stehen in den Fällen vor einer schwierigen Situation, in denen in dem Urteil der Strafkammer nicht ausgesprochen werden konnte, dass eine spätere Sicherungsverwahrung notwendig ist. Wenn das Strafurteil eine entsprechende Feststellung enthalten würde, könnte man die nachträgliche Sicherungsverwahrung anordnen.

Es geht hierbei um eine Klientel, die ihre Strafe verbüßt hat und bei der der Richter bei der Beurteilung des Falles während des Strafverfahrens nicht feststellen konnte, wie das Verhalten des einzelnen Straftäters, nachdem er die Strafe verbüßt hat, sein wird.

Wir müssen Vorkehrungen treffen, um die Gesellschaft zu schützen. Ich denke, es ist ganz wichtig, dass wir die Gesellschaft auch vor potenziellen Straftätern schützen. Aber - hierzu bin ich anderer Meinung als Sie, Frau Wiechmann - das Grundgesetz, insbesondere die meisten Grundrechte - mit Ausnahme einiger weniger Grundrechte, die Spezialmaterien regeln -, sieht keine Beschränkung auf Deutsche vor. Es sieht auch keine Beschränkung auf Deutsche vor, die sich nicht strafbar gemacht haben. Das Grundgesetz und damit auch das Grundrecht auf Freiheit gelten für alle Bürger, für straffällig gewordene und für nicht straffällig gewordene Bürger, für Deutsche und für Ausländer. Das muss man bedenken.

Es fällt mir unglaublich schwer, die Regelung dieses Problems im Landesrecht zu akzeptieren. Ich sehe aber im Moment keine andere Möglichkeit. Deswegen unterstütze ich den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion. Ich denke, wir müssen ihn auch schnell verabschieden. Ich

bin froh, dass der Ausschuss für Recht und Verfassung schon im Januar 2002 zusammentreten wird, um über die Anträge der beiden Fraktionen zu beraten.

Ich möchte aber auch eines sagen: Es geht hierbei um Menschen, bei denen der Strafanspruch des Staates abgegolten ist, weil sie die tat- und schuldangemessene Strafe verbüßt haben. Es geht um Menschen, bei denen Gutachter zwar nicht ausschließen können, dass von ihnen weitere schwerste Straftaten begangen werden, aber sicher sind wir nicht. Es kann durchaus sein, dass von diesen Menschen - das zeigt sich bei den meisten Sexualstraftätern, die nach der Verbüßung der Strafe entlassen werden -, keine erneute Gefahr ausgeht.

Es gibt aber auch Straftäter, von denen wieder eine Gefahr ausgeht. Wir sollen nun diejenigen, von denen wir nicht wissen, ob sie erneut zu Straftätern werden, ihrer Freiheit berauben. Ich halte das für einen unglaublich schweren Eingriff in die Grundrechte. Ich denke, dass das Landesrecht für die Lösung dieser Problematik letztlich das falsche Recht ist.

Wenn wir die Vorschriften zur Gefahrenabwehr in den Polizei- und Ordnungsgesetzen der Länder heranziehen, ist festzustellen, dass immer nur von der Unterbindung irgendwelcher Gefahren die Rede ist. Wir haben beispielsweise beim so genannten Unterbindungsgewahrsam, der auch eine Gefahrenabwehrmaßnahme ist, eine Inhaftierungsfrist von vier Tagen. In den hier vorliegenden Fällen gehen wir potenziell von einer lebenslangen Inhaftierung aus. Das können mehr als 40 Jahre sein. Deswegen bin auch ich der Meinung - von der Gesetzgebungskompetenz der Länder für diesen Bereich abgesehen -, dass man es bundesrechtlich hätte regeln sollen.

Dass eine bundesrechtliche Regelung in Arbeit ist, zeigt die Tatsache, dass dem von der Justizministerkonferenz im Juni 2001 an die Bundesregierung gerichteten Appell, dazu eine Arbeitsgruppe einzusetzen, entsprochen worden ist, in der auch die Bundesregierung anwesend ist. Diese Arbeitsgruppe - der Abteilungsleiter für Strafrecht aus meinem Hause, der auf der Zuschauertribüne sitzt, gehört dieser Arbeitsgruppe an - wird noch bis zur Konferenz der Justizminister im Sommer 2002 eine entsprechende Regelung vorschlagen. Dabei wird es sich um eine bundesrechtliche, nicht um eine landesrechtliche Regelung handeln.

Ich war immer der Meinung, wir sollten diese Regelung abwarten. Dem sind die Fraktionen jetzt jedoch zuvorgekommen. Ich muss sagen: Sie haben mir die Entscheidung abgenommen. Ich sage es ganz deutlich: Ich habe in der Vergangenheit auch ein ungutes Gefühl gehabt, dass irgendetwas passieren könnte, bevor wir diese Gesetzeslücke geschlossen haben. Diese Gesetzeslücke besteht. Daher muss etwas geschehen. Wir können nicht zusehen, wie jemand, der gefährlich ist, eine Frau, ein Kind oder einen Mann verletzt.

Aber muss es gleich eine lebenslange Verwahrung sein? Muss sie gleich auf Dauer sein? Ich muss ehrlich sagen: Die in dem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion vorgesehene Befristung hat mir die Entscheidung leichter gemacht, die entsprechende landesrechtliche Regelung zu unterstützen; denn eine Frist von sechs Monaten bedeutet nicht eine Befristung der Maßnahme.

Wenn Sie den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion genau lesen, dann stellen Sie fest, dass in § 2 Abs. 2 steht, dass nach sechs Monaten überprüft werden muss, ob

die Gefährlichkeit des Täters immer noch festgestellt werden kann. Wenn die Gefährlichkeit festgestellt wird, dann wird erneut für sechs Monate verwahrt. Danach wird erneut überprüft.

Dazu muss man sagen, dass es sich lediglich um wenige Fälle handelt. Man muss bei einer so schwerwiegenden Einschränkung eines Grundrechts, ohne dass eine entsprechende strafrichterliche Entscheidung getroffen worden ist, im Interesse der nicht mehr als Straftäter geltenden Person - es handelt sich um einen potenziellen Straftäter, von dem man nicht wissen kann, ob er erneut eine Straftat begehen wird - die Sorgfalt und die Kontrolle aller Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, anwenden.