Protokoll der Sitzung vom 17.01.2002

Kritisch ist festzustellen, dass die Bundesregierung die Erklärung von Wirtschaftsminister Müller vom 30. November vergangenen Jahres gegenüber dem Betriebsrat im Wesentlichen unverändert gelassen hat.

(Herr Gürth, CDU: Genau so ist es!)

Danach zeigte der Minister nach einer Mitteilung der „Mitteldeutschen Zeitung“ zwar Verständnis für die schwierige Situation, in der sich die Beschäftigten und

ihre Familien befinden; er verwies aber zugleich auf seit längerem geführte Gespräche mit der BombardierLeitung. Er müsse auf die Gesamtheit achten - so beschrieb Herr Müller seinen Auftrag - und aus dieser Gesamtsicht mit den Ergebnissen zufrieden sein.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Jawohl, das hat er gesagt!)

Da ist zu fragen, wie denn der Auftrag lautete und ob die Landesregierung zu diesem Zeitpunkt nicht in die Gespräche einbezogen war.

(Herr Prof. Dr. Böhmer, CDU: Ja!)

Jedenfalls ist hier in Sachsen-Anhalt niemand mit den Verhandlungsergebnissen von Herrn Müller zufrieden, am allerwenigsten die Beschäftigten des Waggonbaus Ammendorf.

(Beifall bei der PDS und bei der CDU)

Das Schreiben des Ostbeauftragten der Bundesregierung Herrn Schwanitz zu dieser Sache kann in seiner Unverbindlichkeit nicht als ernsthafte letzte Aktivität der Bundesregierung angesehen werden.

(Herr Gürth, CDU: Wo er Recht hat, hat er Recht!)

Eine Chefsache, als die der Aufbau Ost vom Bundeskanzler selbst eingestuft wurde, muss auch vom Chef im Sinne des weiteren Aufbaus, nicht des weiteren Abbaus wahrgenommen werden.

(Beifall bei der PDS und bei der CDU)

Darum erwarten wir endlich ein vermittelndes und klares Wort des Bundeskanzlers im Zusammenhang mit Aufträgen der Deutschen Bahn AG zur notwendigen Modernisierung des eigenen Fahrzeugparks. Es geht gar nicht darum, dass wir hier dem Konzern ein Unternehmenskonzept vorschreiben wollten, aber es geht um Interessen des Landes und der Bundesrepublik, die vertreten werden müssen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe tun das auch.

Die am 12. Januar 2002 von Wirtschaftsministerin Frau Budde in Halle genannten Vorstellungen zur Förderung des Waggonbaus Ammendorf finden unsere volle Unterstützung, so die Errichtung eines Forschungs- und Entwicklungszentrums für Leichtmetallwerkstoffe und eines entsprechenden Demonstrationszentrums speziell für den Schienenfahrzeugbau, die Förderung weiterer Modernisierungs- und Infrastrukturmaßnahmen sowie die Erteilung von Aufträgen.

Inzwischen hat Bombardier nach eigenen Erklärungen eine weitere Verbesserung der Auftragslage zu verzeichnen. Ich will hier nur kurz auf die eigenen Erklärungen des Konzerns verweisen. Am 19. Dezember wurde darüber berichtet, dass Bombardier Transportation von den Stockholmer Verkehrsbetrieben einen Auftrag zur Lieferung von 70 dreiteiligen Metrozügen erhalten habe, die die im Einsatz befindlichen älteren Fahrzeuge ersetzen sollen. Das Gesamtvolumen des Auftrags beläuft sich auf rund 190 Millionen €. Die Lieferung soll zwischen September 2002 und dem Frühjahr 2004 erfolgen.

Ein Konsortium von Bombardier Transportation und Alstom Transport hat von den Schweizerischen Bundesbahnen einen Auftrag für die Lieferung von zehn siebenteiligen elektrischen Hochgeschwindigkeitszügen mit Neigetechnik erhalten. Der Anteil von Bombardier Transportation an diesem Auftrag beträgt rund 113 Millio

nen €. Die zehn Züge sollen im Laufe des gesamten Jahres 2004 ausgeliefert werden.

Schließlich weise ich noch auf die Regionaltriebzüge der Baureihe 425 hin, wobei 110 Millionen € auf Bombardier entfallen.

Auch wir vertreten die Auffassung, dass die den Schließungsplänen zugrunde gelegten Daten die veränderte Auftragslage nicht hinreichend berücksichtigen und die spezifischen technologischen Voraussetzungen vor allem zur Konservierung und Farbgebung im Waggonbau Ammendorf in den anderen Werken des Konzerns zumindest von der Kapazität her nicht bestehen und deshalb erhebliche Lieferfristüberschreitungen mit entsprechenden Vertragsstrafen eintreten würden.

Bei Schließung des Werkes Ammendorf könnten allein S-Bahn-Wagen über einen Zeitraum von 40 Wochen nicht geliefert werden. Solche Informationen liegen uns jedenfalls vor. Etwaige Schließungskosten sind wenig kalkulierbar und somit ein weiterer Unsicherheitsfaktor. Herr Heyer hat das hier im Detail dargestellt.

Nach Angaben der IG Metall ist in diesem Jahr, insbesondere im ersten Halbjahr, inzwischen mit einer Kapazitätsauslastung in Ammendorf von mehr als 65 % zu rechnen. Unter Beachtung arbeitsrechtlicher und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen wie Kurzarbeit oder auch dem befristeten Einsatz von Fachkräften an anderen Standorten ließe sich eine weitgehende Auslastung ab dem zweiten Halbjahr dieses Jahres wohl erreichen. Damit wären dem Schließungsbeschluss zugrunde liegende Sachargumente hinfällig; er wäre somit nicht mehr begründbar.

Wir erwarten von der Arbeitsgruppe, aber jedenfalls von den Vertretern der Landesregierung - wir sind sicher, dass sie das tun -, auch diese Hinweise zu beachten und weiter hart zu verhandeln. Wir gehen davon aus, dass der Bombardier-Konzern bei umfassender Prüfung aller Fakten zu dem gleichen objektiv begründeten Schluss kommt. Am 21. Januar, also am kommenden Montag, darf der Aufsichtsrat von Bombardier Transportation vor diesem Hintergrund keine vorschnelle Entscheidung treffen, sondern muss alle Faktoren erneut auf den Prüfstand stellen.

Im Zusammenhang mit der Chefsache des Bundeskanzlers sollte und muss dies zumindest eine eindeutige Unterstützung finden; jedenfalls vertreten wir diese Meinung. Es wäre hilfreich, wenn jetzt von dort nochmals ein klares Signal käme.

Über die Abstimmung der Anträge haben wir uns bereits verständigt. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Prof. Dr. Böhmer, CDU, und von Herrn Dr. Daeh- re, CDU)

Danke sehr. - Für die Fraktion der FDVP-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Wolf. Bitte, Herr Wolf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Jeder hier wünscht sich, dass Ammendorf lebt, dass Halle als Standort und Stadt nicht abschmilzt und dass vor allem das ist das Wichtigste - keine neuen menschlichen Tragödien zu den schon vorhandenen hinzukommen.

Der Antrag vermittelt aber auf den ersten Blick etwas anderes. Er soll verdeutlichen, dass die Regierung wieder einmal alles Menschenmögliche und Erdenkliche unternommen hat, um Arbeitsplätze zu retten. Die Wahrheit ist: Die Regierung wurde über Gewerkschaft und Betriebsrat wachgeküsst. War sie ahnungslos?

Sie stellt jetzt als Stärkungsmittel solche Anträge. Das ist verständlich; denn es ist ein Schlag ins Kontor. Der Waggonbau ist für Halle-Ammendorf der letzte Standort von Bedeutung.

Von 1990 bis 2001 schrumpfte die Belegschaft von knapp 5 000 Beschäftigten auf 920 Beschäftigte. Der Weg der Firma ist eine Berg- und Talfahrt. Mit Hermesbürgschaften und größeren Modernisierungen wurde das Werk dem Weltmarkt angepasst. Im Jahr 1998 kaufte der Branchenriese Bombardier den modernisierten Betrieb. Schon im Oktober 1999 fielen auf einmal 130 Stellen weg, mit der Begründung, die Bahn hätte ihre Aufträge für ICE-Züge reduziert. An dieser Stelle hätten bei der Regierung zum ersten Mal die Alarmglocken läuten müssen.

Im Frühjahr 2000 bezeichnete die Geschäftsleitung die Situation im Waggonbau als sehr ernst, da mehrere Aufträge storniert worden waren. Dr. Höppner selbst muss Bescheid gewusst haben, da er persönlich bei Bahnchef Mehdorn Druck machen wollte.

Im August 2000 kam es zur zweiten Flaute: Die letzten S-Bahn-Züge für Berlin waren fertig gestellt, ein neuer Großauftrag war nicht in Sicht. Herr Dr. Höppner besuchte im Herbst das Werk und sagte zu, weiter Druck auf die Bahn auszuüben und sich für Anschlussaufträge einzusetzen.

Von der Belegschaft und vom Betriebsrat gingen genügend Warnungen hinsichtlich einer beabsichtigte Schließung des Werkes bei der Landesregierung ein. In dem offenen Brief an Bundeskanzler Schröder anlässlich seiner Reise im Sommer wiesen die Waggonbauer auf die kritische Lage des Werkes hin. Der Kanzler blieb eine Antwort schuldig - zu faulen Arbeitslosen konnte er sich allerdings äußern.

Die Fusion von Adtranz und Bombardier im Frühjahr 2001 hat auch die Landesregierung mitbekommen und sie konnte sich bestimmt einen Reim darauf machen. Fusionen bedeuten immer einen Arbeitsplatzabbau in erheblichen Größenordnungen. Für die Schaffung von zehn Arbeitsplätzen werden wahre Weltreisen unternommen, man fliegt bis nach Kuba. Bei der Schließung eines Werkes, verbunden mit dem Wegfall von etwa 1 000 Arbeitsplätzen, passiert nichts. Diese wirtschaftliche und soziale Katastrophe für Tausende Menschen im Regierungsbezirk Halle wurde erst zur Chefsache gemacht, als alles schon fast verloren war. Wir hoffen weiterhin, dass die Landesregierung noch etwas erreichen kann.

Wie dilettantisch die Rettungsversuche ausfallen, hat sich bei der Auftragsvergabe durch OB Häußler für die Lieferung von 30 Niederflurwagen im Gesamtwert von 90 Millionen DM an den Bombardier-Konzern gezeigt. Der Auftrag wird entgegen allen Hoffnungen in Bautzen und nicht in Halle ausgeführt. Das ist Auftragsgestaltung in Sachsen-Anhalt. Jeder kleine Bauleiter hätte das besser gekonnt und hätte das eingebaut. Eine Stornierung bedeutete für Halle nur Kosten.

Die Drohung, im Schließungsfall die Fördermillionen zurückzufordern, scheint mir die Fronten eher zu verhärten, als dass sie Arbeitsplätze retten könnte. Den aufgekommenen Frust verstehen wir allerdings.

In diversen Arbeitsgruppen wird verhandelt, mal mit, mal ohne den Ministerpräsidenten - die Antwort des Konzerns ist immer die gleiche. Die Erklärungen seitens der Landesregierung über die neueste Schlappe sind kläglich und weinerlich. Es wird ausgeführt: Ein weltweit agierender Konzern lässt sich eben keine Vorschriften machen. - Auch die Verhandlungsrunde mit Konzernvertretern am 14. Januar 2002 ging erwartungsgemäß demütigend aus.

Die Regierung von Nordrhein-Westfalen hat in einem vergleichbaren Fall ebenfalls mit Bombardier verhandelt, und zwar als es um den Standort Aachen ging, aber offenbar rechtzeitig. Heute ist das Werk größer und moderner als vorher.

Meine Damen und Herren! Es muss Schluss sein damit, sich etwas vorzumachen. Es ist kein Zufall, dass sich Unternehmen aus dem Einflussbereich und den Unwägbarkeiten einer rot-roten Regierung entweder zurückziehen oder einen weiten Bogen um diese schlagen. In diesem Zusammenhang kann man der Regierung den Fall BMW abermals nicht ersparen. Dutzende Konzerne tun das Gleiche.

Hinzu kommt, dass es geradezu eine Vorliebe zu geben scheint, sich mit zwielichtigen Partnern einzulassen. In diesem Zusammenhang muss nur die Story um Aluhett erwähnt werden. Und wie ist man zur „Möwe“ gekommen? Waren da nicht auch seltsame Vermittler beteiligt?

Die Schließung des Werkes in Ammendorf kann für die Landesregierung eine ganz miese Kopfnote herbeiführen. Sachsen-Anhalt hat mit einer Konstellation aus RotRot keine Zukunft; denn die Unfälle häufen sich. Es muss einfach an Ihnen liegen, wenn hier nicht geht, was woanders geht. Hinzu kommen die schweren Versäumnisse durch eine Politik der absolut ruhigen Hand.

Lassen Sie mich noch eines sagen: Wir stehen dem Änderungsantrag der CDU nicht ablehnend gegenüber, auch den anderen Änderungsanträgen nicht. Die Landesregierung - das muss ich Ihnen ehrlich sagen - tut uns allerdings etwas Leid. Unser Änderungsantrag ist als die fehlende Ergänzung zum SPD-Antrag zu verstehen, denn eine Rüge ist fällig. Es verbietet sich aber weiterhin und trotzdem, den Antrag der SPD blockieren zu wollen; denn Parteipolitik hat hierbei überhaupt nichts zu suchen, wenn ein Fünkchen Hoffnung besteht. Die Unterschriftensammlung der Ammendorfer haben wir nach Kräften unterstützt. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Ich habe eine Begrüßung nachzuholen. Auf der Tribüne haben inzwischen Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schule in Oschersleben Platz genommen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die DVU-Fraktion spricht jetzt der Abgeordnete Herr Büchner. Bitte, Herr Büchner.

(Oh! bei der SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits im November 2001 wurde im hiesigen Parlament eine Aktuelle Debatte zum Thema „Zukunft des Waggonbaustandortes Ammendorf“ durchgeführt. Aber schon weit früher zeichnete sich ein Negativtrend für den Standort Ammendorf ab. Darauf hat unsere Fraktion frühzeitig verwiesen. So konstatierten wir, dass nur durch eine gezielte und vor allem eine politisch fundamentierte Einflussnahme der Landesregierung und speziell der Bundesregierung auf den Bombardier-Vorstand das Aus für das modernste Waggonbauwerk, wie es Ammendorf ist, verhindert werden könne.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an einen Presseartikel vom 10. November 2001 - Herr Präsident, ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis -: „Ammendorfer Waggonbauer zittern um ihre Arbeitsplätze - Landespolitik schaltet sich ein“.

Nunmehr, acht Wochen später, zeigt sich die düstere Lage für den Erhalt des Standortes Ammendorf nicht weniger brisant. Im Gegenteil: Die Gefahr einer definitiven Betriebsschließung vergrößert sich weiter.