Ich halte auch den Katalog der Aufgaben für besonders wichtig, die nach der Kommunalreform von den Landkreisen auf die Gemeinden übertragen werden sollen. Ich will ein Beispiel nennen, das ich erlebt habe, die Kraftfahrzeugzulassung.
Für den Bürger ist es nicht nachvollziehbar, warum er bei einem Umzug noch einmal zur Kreisverwaltung
gehen muss. Wir haben diesbezüglich ein schönes Experiment gehabt, nämlich im Bürgerbüro in Wittenberg. Es ist organisiert worden, dass die Bürger künftig eine Anlaufstelle haben. Das ist ein Projekt, das von der Landesregierung im Zusammenhang mit der Funktionalreform als IT-Modellprojekt gefördert worden ist. Das Ziel ist es, durch eine elektronische Vernetzung diese Kraftfahrzeugan- und -abmeldungen mit in die Bürgerbüros der Kommune zu verlagern.
Das Projekt wäre beinahe an der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Kreis und Kommune gescheitert. Es musste schließlich an den Schaltern im Bürgerbüro vor Ort ein Schild aufgestellt werden: „Außenstelle der Landkreisverwaltung“.
Ich denke, solch eine Art von Kabarett in Sachen Zuständigkeiten können wir uns in Zukunft nicht leisten. Es muss tatsächlich etwas bewegt werden. Überholte Zuständigkeitsregelungen dürfen nicht dazu führen, dass das ganze Potenzial, das sich in Zukunft im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien entwickelt, nicht richtig ausgenutzt werden kann.
Uns geht es bei dieser Reform insgesamt auch um die Zukunftsfähigkeit unser Landes Sachsen-Anhalt. Dabei wollen wir vorankommen, meine Damen und Herren.
Der vorliegende Antrag ist das Ergebnis einjähriger intensiver Beratungen des Landtages und der Landesregierung mit den kommunalen Spitzenverbänden. Ich sage Ihnen: Eine solche Art und eine solche Qualität der Zusammenarbeit finden Sie kaum in einem anderen Bundesland. Das Ergebnis jedenfalls, einen solchen Brocken in dieser Zeit zu stemmen, konnte bisher nirgendwo anders erzielt werden.
Der Antrag enthält die Übertragung von Aufgaben aus insgesamt 36 Fachgebieten auf die Landkreise und kreisfreien Städte und die Übertragung von Aufgaben aus weiteren 30 Fachgebieten von den Landkreisen auf die Gemeinden. Darüber hinaus beinhaltet er konkrete Leitlinien für die weitere Umgestaltung der Landesverwaltung sowie Kernaussagen zu den Querschnittsbereichen „Personal“ und „Finanzen“.
Sehr geehrter Kollege Böhmer, im Unterschied zu Ihrem Entschließungsantrag aus dem Jahre 1993, der von Ihnen erwähnt wurde, enthält der Antrag der Fraktionen von SPD und PDS eben nicht nur allgemeine Aussagen, sondern sehr konkrete Vorstellungen.
Damals legten Sie ein unverbindliches zweiseitiges Papier vor, das lediglich allgemeine Forderungen enthielt. Ich weiß noch, wie wir in der Enquetekommission darüber debattiert haben und was ich dabei von den Vertretern der Ministerien zu hören bekam.
Eines ist jedenfalls klar: Die kleinteiligen Kommunalstrukturen, die Sie offenbar nach wie vor präferieren, stehen in einem eklatanten Gegensatz zu Ihren eigenen Aussagen über die Effizienz der Verwaltung. Sie müssen sich endlich einmal entscheiden, was Sie wollen. Aber das können Sie augenscheinlich nicht,
weil Sie Rücksicht auf irgendwelche Befindlichkeiten oder vermeintliche Wahlabsichten nehmen müssen.
Meine Damen und Herren! Dass heute trotz der konkreten Aufgabenbeschreibung noch kein Funktionalreformgesetz vorliegt, hat zwei Gründe. Ein Grund ist praktischer Natur. Die Aufgabenübertragung auf die Kommunen setzt die Änderung einer Unmenge von Gesetzen und Verordnungen voraus. Von vornherein war klar, dass dieser gesetzgeberische Akt in dieser Legislaturperiode nicht zu bewältigen ist.
Der zweite Grund ist unsere Absicht, den Betroffenen auch bei den einzelnen Schritten die Möglichkeit der Mitwirkung einzuräumen. Das heißt mit anderen Worten, sie müssen angehört und in den gesamten Prozess einbezogen werden. Stellen Sie sich vor, wir hätten das Gesetz verabschiedet. Dann hätte man uns doch vorgeworfen, dass die Betroffenen „über den Tisch gezogen“ oder ausgeschaltet worden seien. Nein, wir wollen die Reformen unter Mitwirkung der Betroffenen durchführen. Dazu brauchen wir die Schritte in der nächsten Legislaturperiode.
Das zweite Problem ist grundsätzlicher Natur. Eine Neubestimmung der Aufgabenteilung zwischen dem Land und den Kommunen scheitert an den bislang zu kleinteiligen Strukturen. Damit die Aufgabenübertragung funktionieren kann, braucht man tatsächlich die entsprechenden Verwaltungsstrukturen auf der kommunalen Ebene. Das ist nur im Zusammenhang möglich.
Diese Strukturen wurden mit der Kreisgebietsreform im Jahr 1993 eben nicht hergestellt. Nach allen praktischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen verfügen die Landkreise nur dann über eine optimale Verwaltungskraft für weitere Aufgaben, wenn sie rund 150 000 Einwohner haben. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, wenn man die zukünftigen Entwicklungen betrachtet, ist das eher eine zu tief angesetzte Zahl.
Betrachten Sie einmal die Konzentrationsprozesse in allen Dienstleistungs- und Verwaltungsbereichen. Es wird deutlich, dass der Trend eher in Richtung größere Einheiten geht. Das hat auch etwas mit der Kosteneffizienz angesichts des Einsatzes von IT-Technologien zu tun.
Für die Übertragung von zusätzlichen Aufgaben von den Landkreisen auf die Gemeinden ist mindestens eine Größe von 7 000 Einwohnern erforderlich. Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie das bestreiten, ignorieren Sie nicht nur die Meinung der Experten, von denen Sie, Herr Kollege Böhmer, gesprochen haben. Sie ignorieren sogar die Meinung Ihrer Parteikollegen aus Thüringen und Brandenburg und aus den Ländern, in denen genau das in Gang gesetzt wird, was wir auch vorhaben. Deshalb verstehe ich Sie überhaupt nicht.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie können sich darauf verlassen, wir werden mit der kommunalen Gebietsreform die strukturellen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Funktionalreform ebenfalls ein Erfolg wird.
Meine Damen und Herren! Der Entschließungsantrag enthält natürlich auch Aussagen zu Querschnittsproblemen, zum Thema Finanzen, zum Thema Personal, sowie konkrete Festlegungen, die sich mit den Zielen der
Landesregierung decken. Im Rahmen der Funktionalreform ist vorgesehen, im Interesse einer orts- und bürgernahen Erledigung der Aufgaben mit einer Wertigkeit von ungefähr 600 Stellen Aufgaben vom Land auf die Landkreise und kreisfreien Städte zu übertragen.
Das heißt keineswegs, dass sich das Land nach der Gebietsreform auf Kosten der Kommunen seines Personals entledigen will. Meine Damen und Herren! Das ist schon insofern eine aberwitzige Vorstellung, als wir in dem Zeitraum, über den wir nachdenken, mindestens das Zehnfache an Personal insgesamt abbauen müssen, um auf die vorgegebenen Durchschnittswerte zu kommen. Schon deswegen ist das eine absurde Vorstellung.
Ich gehe sogar davon aus, dass aller Wahrscheinlichkeit nach wegen der demografischen Entwicklung am Ende nur sehr wenige Beschäftigte tatsächlich den Arbeitgeber wechseln werden; denn die Landesverwaltung hat aufgrund der Altersstruktur der Beschäftigten ab dem Jahr 2005 jährlich Altersabgänge in einem Umfang von rund 2 000 Stellen. Das bedeutet eine Verfünffachung gegenüber den für dieses Jahr zu erwartenden Abgängen.
Es kann sogar am Ende noch so kommen, dass wir den Kommunen gar nicht so viel Personal überlassen können, wie sie zur Erledigung der übertragenen Aufgaben benötigten. Es ist zum Beispiel im Bereich der Umweltverwaltung jetzt schon abzusehen, dass das Fachpersonal aufgrund der Altersabgänge für andere Landesaufgaben benötigt wird. Das für die qualifizierte Wahrnehmung notwendige Personal muss daher hauptsächlich von den Landkreisen selbst gewonnen werden. Nur punktuell können sie bei Bedarf durch bestimmte Fachkräfte aus den Umweltbehörden des Landes unterstützt werden.
Darüber hinaus stelle ich mir vor, dass die Personalentwicklung für die Zeit der Gebiets- und der Funktionalreform tatsächlich eine gemeinsame Aufgabe des Landes und der Kommunen sein wird. Ich bin außerordentlich froh darüber, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Gewerkschaften ihre grundsätzliche Zustimmung zu meinem Vorschlag gegeben haben, eine gemeinsame Personalbörse des Landes und der Kommunen einzurichten. Das Land und die Kommunen nehmen danach Einstellungen von außerhalb nur vor, wenn es im gemeinsamen Personalpool keine geeigneten Bewerber gibt. Es wird auch dazu kommen, dass das Land unter Umständen kommunale Bedienstete einstellen wird. Das Vorhaben soll keineswegs eine Einbahnstraße sein.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass der Personalübergang am Ende nicht das eigentliche Problem sein wird. Allerdings müssen wir uns mit dem finanziellen Ausgleich für die Übertragung neuer Aufgaben auf die Kommunen beschäftigen. Die Verfassungslage ist eindeutig: Die Deckung der Kosten ist gesetzlich zu regeln; für Mehrbelastungen ist ein angemessener Ausgleich zu schaffen. - Das alles ist unstrittig. Das werden wir tun. Bundesweit fehlen aber auch Indikatoren und messbare Parameter dafür, wie der Kostenausgleich bei bestimmten Größen im Einzelnen zu gestalten ist.
Klar ist auch, dass die kommunale Gebietsreform ohnehin eine grundlegende Änderung des Finanzausgleichsgesetzes erfordern wird. Es kommt ein zusätzlicher As
pekt hinzu: Auf Bundesebene steht eine Gemeindefinanzreform an, die dringend notwendig ist. Die Kommunen brauchen verlässliche Einnahmen. An der jetzigen Situation wird deutlich, welche Schwierigkeiten die Kommunen aufgrund der schwankenden Steuereinnahmen haben. Auf Bundesebene wurde eine entsprechende Arbeitsgruppe eingesetzt. Ich bin sicher, dass wir in der Kommission, die avisiert ist, den Gesamtkomplex gründlich diskutieren müssen. Zur Überprüfung des Gemeindefinanzierungssystems wird auf der Bundesebene eine Kommission arbeiten. Diese Fragen werden wir in der nächsten Legislaturperiode in den Gesamtkomplex einbeziehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Entschließungsantrag bestätigt den von der Landesregierung in Gang gesetzten Modernisierungsprozess in der Landesverwaltung; denn wir müssen unsere Zukunftsfähigkeit bewahren. Das Land muss auch aufgrund des Bevölkerungsrückgangs und des Absinkens der Einnahmen den eigenen Aufwand reduzieren. Wenn es die öffentliche Hand in dieser Situation nicht schafft, ihre Aufgaben billiger zu erledigen, dann verlieren wir für eine ganze Reihe anderer Aufgaben unsere Handlungsfähigkeit. Ich nenne nur das Stichwort Investitionen. Das gilt für das Land wie für die Kommunen. Deswegen müssen und werden wir handeln.
Meine Damen und Herren! Aber vor dem Hintergrund des Antrages aus dem Jahr 1993 muss ich sagen: Auch das ist mangelndes Wahrnehmungsvermögen, wenn man so tut, als ob wir mit diesem Entschließungsantrag gewissermaßen bei null anfangen.
Meine Damen und Herren! Sie können sich die Liste dessen ansehen, was wir in der Vergangenheit bereits umgesetzt haben. Wir haben seit dem Regierungswechsel im Jahre 1994 bereits 99 Behörden oder Einrichtungen aufgelöst oder umgewandelt, über 30 Zuständigkeiten auf die Kommunen verlagert.
Was das Personal anbetrifft, will ich noch einmal ganz deutlich sagen: Es sind seit dem Regierungsantritt im Jahre 1994 14 000 Planstellen tatsächlich abgebaut worden; ich sage immer: jedes Jahr 2 000 Planstellen.
Als Beleg dafür, wie breit der Reformprozess angelegt ist, will ich nur die zum Jahreswechsel vorgenommenen Umstrukturierungsmaßnahmen aufzählen: Umwandlung des Landeseichamtes in einen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführten Landesbetrieb nach § 26 LHO; Zusammenlegung der beiden Bergämter und des Geologischen Landesamtes;
Gründung des Landesforstbetriebes, verbunden mit einer Reduzierung um weitere 18 Forstämter bis zum 1. April 2002; Gründung des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserbau - übrigens ein Thema, das uns lange beschäftigt hat -; Auflösung der drei staatlichen Ämter für Umweltschutz. Das sind allein die Maßnahmen um diesen Jahreswechsel herum.
Der weitere Fahrplan ist durch das Zweite Vorschaltgesetz bereits festgeschrieben: die Auflösung der Regierungspräsidien bis Ende 2004; die Einrichtung eines Landesverwaltungsamtes als oberste Landesbehörde, das heißt nur mit landesweiten Zuständigkeiten, ab 1. Ja
nuar 2005; die weitere Reduzierung der Zahl der oberen Landesbehörden auf höchstens neun und der Zahl der unteren Landesbehörden um ein Drittel bis Ende 2004.
Das alles sind Schwerpunkte der Verwaltungsmodernisierung in der kommenden Wahlperiode, und das sind genau die Ziele, die ich in meiner Regierungserklärung zu diesem Thema genannt habe. Das heißt mit anderen Worten - das kann jeder nebeneinander legen -: Das Klassenziel ist erreicht. Das, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg.
Herr Ministerpräsident, es gibt eine Zwischenbemerkung oder eine Frage des Abgeordneten Herrn Becker.