Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Das sagte Norbert Blüm, ein nicht ganz unbekannter Politiker auf Bundesebene.

Seit Jahren befinden sich die deutschen Städte, Gemeinden und Kreise in einer Finanzkrise, die sich im Jahr 2001 erneut zugespitzt hat. Das Gewerbesteueraufkommen brach im Jahr 2001 im Durchschnitt aller Städte und Gemeinden um rund 10 % ein. Das Gesamtdefizit der kommunalen Haushalte belief sich auf rund 2,9 Milliarden €. Die Dramatik der Finanzen der Kommunen wird erst dann richtig deutlich, wenn man berücksichtigt, dass die Kommunen eigentlich verpflichtet sind, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.

Meine Damen und Herren! Den Städten, Gemeinden und Kreisen wird in Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes die kommunale Selbstverwaltung garantiert. Die Gemeinden stellen einen maßgeblichen Teil der Leistungen im Rahmen der allgemeinen Daseinsvorsorge bereit. Da es sich zu einem großen Teil um freiwillige Leistungen handelt, hat die finanzielle Situation der Gebietskörper

schaften natürlich starken Einfluss auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung und somit auf die Attraktivität der jeweiligen Kommune als Wohn- und Arbeitsort. Eine ausreichende finanzielle Ausstattung der Kommunen bildet somit die Basis ihrer Autonomie bei der Aufgabenerfüllung.

Meine Damen und Herren! Nach der Finanzverfassung des Grundgesetzes beruhen die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden auf zwei gleichermaßen wichtigen Säulen. Dies ist zum einen die einwohnerbezogene Säule, die unmittelbare Beteiligung an der Einkommensteuer, sowie zum anderen die wirtschaftsbezogene Säule, die Gewerbesteuer.

Weder die einwohnerbezogene noch die wirtschaftsbezogene Steuereinnahmesäule kann zur Disposition gestellt werden. Zwar sind die Bedeutung und das Aufkommen der beiden Steuerquellen höchst unterschiedlich, aber das gleichgewichtige Nebeneinander von wirtschafts- und wohnsitzbezogenen Steuereinnahmen hat sich in den letzten Jahren bewährt.

Meine Damen und Herren! Die Notwendigkeit einer grundlegenden Gemeindefinanzreform wird seit nahezu 30 Jahren ergebnislos diskutiert. Die wirtschaftlich und finanziell erfolgreiche Phase der 80er- und frühen 90erJahre wurde nicht genutzt, da die Vorstellungen aller Beteiligten zu unterschiedlich waren. Der Bundesgesetzgeber hat die Gewerbesteuer, statt sie zu reformieren, seit Mitte der 70er-Jahre im Rahmen diverser Reformvorhaben systematisch demontiert. Die Abschaffung der Gewerbekapitalsteuer zum 1. Januar 1998 stellte hiermit nicht das Ende dieser aus kommunaler Sicht negativen Entwicklung dar.

(Herr Scharf, CDU: Wollen Sie die Gewerbe- kapitalsteuer wiederhaben?)

Auch die Reformvorhaben der letzten Jahre sind mit negativen Auswirkungen auf die Einnahmesituation der Kommunen verbunden. Dies unterstreicht nicht zuletzt die Dringlichkeit einer Gemeindefinanzreform.

Meine Damen und Herren! Die Gewerbesteuer dürfte auch in Zukunft Gegenstand der Reformdebatten sein. Die Forderung nach einer Abschaffung der Gewerbesteuer ist jedoch nach Auffassung aller kommunalen Spitzenverbände ohne einen qualitativ und quantitativ gleichwertigen Ersatz völlig indiskutabel; denn dadurch entfiele nicht nur die wirtschaftsbezogene Säule des gemeindlichen Steuersystems, sondern auch das unverzichtbare Bindeglied zwischen der Wirtschaft und ihrer Standortgemeinde.

Die Gewerbesteuer ist in Verbindung mit dem Hebesatzrecht zudem die einzige reine Gemeindesteuer zur Absicherung der verfassungsrechtlich geforderten umfassenden gemeindlichen Finanzautonomie.

Die Defizite der Gewerbesteuer sind durch eine umfassende Modernisierung zu beseitigen. Die Gewerbesteuerlast muss im Sinne des Äquivalenzprinzips künftig gleichmäßig und gerecht durch Einbeziehung der freien Berufe auf alle Verursacher gemeindlicher Lasten verteilt werden. Dadurch kann die überproportionale Belastung des Mittelstands und des Handwerks abgebaut werden.

Gleichmäßigkeit, Gerechtigkeit, Transparenz sowie die Einfachheit der Gewerbesteuer müssen durch die Abschaffung von Ausnahmetatbeständen, durch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen sowie durch die Stärkung gewinnunabhängiger Elemente erhöht werden.

In diesem Zusammenhang muss noch über die Einbeziehung ertragsunabhängiger Komponenten, beispielsweise von Mieten, Zinsen und Löhnen, in die Bemessungsgrundlagen diskutiert werden, um die Ertragsabhängigkeit der Steuer und damit auch die starke Unstetigkeit in der Aufkommensentwicklung abzuschwächen.

Meine Damen und Herren! Die vom Sachverständigenrat bereits im Jahr 1982 entwickelte Konzeption einer kommunalen Wertschöpfungssteuer ist nach wie vor ein diskussionswürdiger Ansatz. Eine kommunale Einkommensteuer, ganz egal ob als eigenständige kommunale Einkommensteuer, als Zuschlag zur staatlichen Einkommensteuer oder aber als Hebesatzrecht auf den kommunalen Einkommensteueranteil, kann und darf kein Ersatz für eine wirtschaftsbezogene Kommunalsteuer wie die Gewerbe- oder eine Wertschöpfungssteuer sein.

Meine Damen und Herren! Geht man von einem Hebesatzrecht auf den gemeindlichen Einkommensteueranteil aus, dann würde damit den Gemeinden - wie auch bei der Gewerbesteuer derzeit - die Möglichkeit gegeben, innerhalb einer gewissen Bandbreite auch im Bereich der Einkommensteuer die Höhe ihrer Einnahmen dem jeweiligen Bedarf eigenständig anzupassen.

Damit würde nicht nur die Finanzautonomie der Gemeinden gestärkt, sondern auch die Fühlbarkeit der Belastung für die in der Gemeinde ansässige Bevölkerung erhöht, letztlich mit der Folge von mehr Bürgernähe und mehr Bürgerengagement. Ein Hebesatzrecht auf die Einkommensteuer würde mithin sämtliche Parameter erfüllen, die derzeit in der Reformdiskussion auf nationaler Ebene eine Rolle spielen.

Ein Blick in andere Länder zeigt, dass anderenorts kommunale Hebesätze auf die Einkommensteuer feste Bestandteile der jeweiligen Gemeindefinanzsysteme sind, so beispielsweise in den USA.

Meine Damen und Herren! Die bestehende Finanzverfassung nimmt eine klare Zuordnung von Aufgaben- und Finanzierungskompetenz vor. Im bundesstaatlichen Verhältnis zwischen Bund und Ländern einschließlich der Gemeinden verknüpft das verfassungsrechtlich in Artikel 104 Abs. 1 des Grundgesetzes fixierte Konnexitätsprinzip die Finanzierungsverantwortung einer staatlichen Ebene mit ihrer Verwaltungszuständigkeit. Insbesondere unter Effizienzgesichtspunkten hat sich dieser tragende Verfassungsgrundsatz bewährt.

Etwas anderes betrifft die Frage der Finanzausstattung der staatlichen Ebenen mit Blick auf ihre wie auch immer veranlasste Aufgabenverpflichtung. Diese wird im Rahmen des Artikels 106 des Grundgesetzes entschieden. Das klassische Instrument, die Finanzausstattung den Aufgabenverpflichtungen anzupassen, ist die Verteilung des Steueraufkommens im Rahmen der Gestaltung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs.

Nach Artikel 106 des Grundgesetzes ist bei der Festsetzung der Anteile von Bund und Ländern am Umsatzsteueraufkommen von dem Grundsatz auszugehen, dass sowohl der Bund als auch die Länder Anspruch auf eine gleichmäßige Deckung ihrer notwendigen Ausgaben durch laufende Einnahmen besitzen.

Nach dem Grundgesetz sind die Kommunen staatsrechtlich Teil der Länder. Bundesgesetzlich begründete unmittelbare Finanzbeziehungen zwischen Bund und Kommunen gibt es daher nicht. Im Rahmen der Sachkompetenzen der Länder steht es deshalb zur Dis

position des Landesgesetzgebers und damit dieses Hauses, der kommunalen Ebene neue oder andere staatliche Aufgaben zuzuordnen.

Die unter dem Stichwort Konnexität laufenden finanziellen Folgewirkungen, die zwischen Ländern und Kommunen zu regeln sind, sind in Urteilen verschiedener Staatsgerichtshöfe in der Weise geklärt worden, dass die Kommunen bei der Übertragung neuer Aufgaben die Bereitstellung zumindest angemessener Finanzmittel durch ihr Bundesland beanspruchen können.

Meine Damen und Herren! Die Verankerung eines strikten Konnexitätsprinzips in der Verfassung im Sinne von „wer bestellt, bezahlt“ würde sicherlich eine erhebliche disziplinierende Wirkung sowohl auf den Bundes- als auch auf den Landesgesetzgeber ausüben.

Da es sich hierbei in der Regel um Leistungsverpflichtungen handelt, beispielsweise die Sicherstellung von Kindergartenplätzen oder die Sozialhilfe, die im Kern politisch sicherlich unumstritten sind, kann deshalb die Forderung aus kommunaler Sicht nur lauten: Bund und Länder müssen in ihren Haushalten, und zwar zulasten anderer Ausgabenpositionen, Spielräume schaffen, die zumindest eine Kostenbeteiligung an den den kommunalen Gebietskörperschaften übertragenen Aufgaben möglich machen. Eine nachhaltige Begrenzung von Pflichtaufgaben sowie ein weiterer energischer Abbau von Standards würde nicht nur die kommunale Selbstverwaltung stärken, sondern auch Handlungsspielräume der Kommunen erweitern.

Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Professor Trepte beantworten?

Am Ende, bitte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die kommunalen Finanzen und die Zukunft der Kommunen sind ein Problem, das weit über die Finanzpolitik hinausgeht. Theodor Heuß hat einmal gesagt - ich zitiere mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin -:

„Die Gemeinde ist wichtiger als der Staat und das Wichtigste in den Gemeinden sind die Bürger. Der Bürger erlebt den Staat in seiner Gemeinde.“

Gemeinde heißt Kommunalpolitik, und eine funktionierende Kommunalpolitik ist eine grundlegende Voraussetzung für unser gesamtes politisches System.

(Zustimmung von Frau Theil, PDS)

Kommunalpolitik ist das Handlungsfeld, in dem die Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Lebens auf lokaler Ebene organisiert werden. Hier besteht die größte Nähe zu den Menschen, hier besteht aber auch die größte Nähe zu den Problemen vor Ort. Die Kommunalpolitik kann die Bedürfnisse der Menschen am ehesten und am besten erkennen. Sie ist letztlich direkt den Bürgerinnen und Bürgern verantwortlich.

Die Zukunft unseres repräsentativen Systems - auch wir sind letztlich Teil dieses Systems - beginnt und endet nicht allein schon deshalb in den Kommunen.

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist weiterhin eines klar: Die Demokratie fängt in der Gemeinde an. Wenn wir über die Funktionsfähigkeit der Gemein

den reden, reden wir auch über die Funktionsfähigkeit der Demokratie an sich.

Wir reden alle über den aktivierenden Staat und die aktive Bürgergesellschaft. Wir sagen, dass dies ein Zukunftsprojekt ist, das auch zur Modernisierung unserer Gesellschaft beiträgt. Ein aktivierender Staat heißt: ein neues Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Gesellschaft, stärkere Betonung der eigenen Möglichkeiten, aber auch der Verantwortlichkeiten.

Dies alles geht nicht ohne Vereine, geht nicht ohne Menschen, die sich beispielsweise ehrenamtlich betätigen. Wir alle wissen doch, dass das Vereinsleben in unseren Kommunen in erster Linie eine Aufgabe ist, der sich die Kommunalpolitiker widmen müssen. Jede Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Kommunen beschädigt letztlich Vereine, das Ehrenamt und nicht zuletzt auch die von uns allen geforderte aktive Bürgergesellschaft.

Meine Damen und Herren! Die Zukunft der Städte in Deutschland wird entscheidend davon abhängen, ob es gelingt, die finanzielle Handlungsfähigkeit zu erhalten bzw. diese wiederherzustellen.

Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb die Einsetzung der Kommission von Bund, Ländern und Gemeinden zur Vorbereitung der anstehenden umfassenden Gemeindefinanzreform. Ziel der angestrebten Gemeindefinanzreform muss es sein, den Städten, Gemeinden und Landkreisen ausreichende und verlässliche Einnahmen zur Durchführung ihrer Gewährleistungsaufgaben zu sichern und sie in die Lage zu versetzen, ihren Verfassungsauftrag der kommunalen Selbstverwaltung gemäß Artikel 28 Abs. 2 des Grundgesetzes wahrzunehmen.

Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir an dieser Stelle auch noch eine Bemerkung zur Union, die sich insbesondere im Bund als Retter und Fürsprecher der Kommunalfinanzen aufspielt, dabei aber geflissentlich unterschlägt, dass ihre eigenen Steuervorschläge den Kommunen erhebliche und zweifellos unverkraftbare Steuerausfälle bescheren würden. So hätte beispielsweise das Vorziehen der Steuerreformstufe von 2005 auf 2003 für die kommunale Ebene in den Jahren 2003 und 2004 Mindereinnahmen in Höhe von jeweils rund 5,5 Milliarden € zur Folge.

Meine Damen und Herren! Ich werte diese Vorschläge als Populismus und halte sie für letztlich nicht umsetzbar. Die kommunalen Spitzenverbände haben bei der Verabschiedung der Steuergesetze die Belastungen der Kommunen beklagt, aber auch darauf hingewiesen, dass insgesamt der richtige Weg beschritten werde.

Wir alle wissen doch, dass die Kommunen insbesondere durch hohe Arbeitslosigkeit belastet werden. Hohe Arbeitslosigkeit bedeutet letztlich auch hohe Sozialkosten. Deshalb ist die Politik der Bundesregierung, die Politik für Wachstum und Beschäftigung, genau das, was langfristig auch den Kommunen helfen wird.

Meine Damen und Herren! Als jemand, der selber seit 1994 in der Kommunalpolitik tätig ist,

(Frau Wernicke, CDU: Ohne rot zu werden!)

kann ich Sie alle in diesem Hause nur auffordern, sich aktiv in den Diskussionsprozess zur Gemeindefinanzreform einzubringen. Gelegenheit dazu sollte nach einer ausführlichen Berichterstattung durch den Finanzminister im Finanzausschuss bestehen. Ich bitte deshalb um

Zustimmung zu unserem Antrag und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Doege, Sie wollten noch eine Frage beantworten. Moment bitte, Kollege Trepte. Bevor ich Ihnen das Wort zu Ihrer Frage erteile, begrüße ich herzlich vier interessierte Schülerinnen des Norbertus-Gymnasiums in Magdeburg.

(Beifall im ganzen Hause)