„Die Grundschulen des Landes haben in den letzten Jahren ihre pädagogische Arbeit stark verändert. Kindgerechter Unterricht, differenzierte Lernangebote, individuelle Förderung, die stärkere Verbindung von Unterricht und Erziehung dies alles ist ein Erfolg der veränderten Grundschulpädagogik.“
Wenn das so ist, dann fragt man sich, warum wir überhaupt über die Pisa-Studie und andere Studien im Lande große Worte verlieren und warum der Kultusminister kürzlich ein Zehn-Punkte-Programm zur Sicherung und Erhöhung der Qualität schulischer Bildung in Sachsen-Anhalt verkündete, das sich durchaus auch auf die Grundschulen bezog.
Als besonders bedeutsame Neuerung im Grundschulbereich führt die Landesregierung die eingeführte flexible Schuleingangsphase an, die den bei Kindern in diesem Lebensalter zu beobachtenden enormen Entwicklungsunterschieden gerecht werde. Da wirkt es schon etwas ernüchternd, wenn man an anderer Stelle erfährt, dass von den 642 Grundschulen ganze 25 die flexible Schuleingangsphase führen.
Kaum eine andere Schulform wurde in den letzten Jahren so umgestaltet wie die Sekundarschule. Die Einführung der Förderstufe und die so genannte neue Sekundarschule werden korrekt als kleine Geschwister der Gesamtschule benannt. Aus der Sicht der Landesregierung steht der Sekundarschulbildungsgang für ein differenziertes Unterrichtsangebot, das allen Schülerinnen und Schülern gute Voraussetzungen für weitere Bildungswege eröffnet.
Manche Antwort will nicht so recht zu diesem schönen Bild passen. Zunächst fällt auf, dass die wissenschaftliche Begleitung zur Einführung der Förderstufe alles Mögliche untersuchte, nur nicht die Leistungsentwicklung der Schüler in diesen beiden Jahren. Das sagt übrigens die Antwort auf die Frage 3.1 aus
Nebenbei bemerkt: Auch in den Bereichen, die tatsächlich untersucht worden sind, waren einige Ergebnisse nicht sonderlich erhebend, sodass die Landesregierung einige Untersuchungen selbst anstellen musste.
Ja, wer heute noch außerhalb dieses Hauses einen vehementen Anhänger der Förderstufe sucht, der muss sehr viel Zeit mitbringen.
Erklärtes Ziel des Sekundarschulbildungsganges war die Abschaffung des Hauptschulbildungsganges und letztlich des Hauptschulabschlusses. Man muss sich dies immer vor Augen halten, um zu sehen, wie paradox, aber auch absurd die derzeitige Situation ist:
Das Verhältnis von Hauptschul- zu Realschulabschlüssen betrug in den letzten Jahren fast 1 : 5. In der neuen Sekundarschule wurden zunächst mehr Schüler in BKurse als in A-Kurse zugewiesen. Trotz einer Höherstufung zum 8. Schuljahrgang befinden sich im 9. Schuljahrgang in den vier Kursfächern 41 bis 47 % der Schüler in B-Kursen. Für einen Realschulabschluss müssen aber in der 10. Klasse mindestens zwei A-Kurse belegt sein.
Damit führt die neue Sekundarschule entweder zu einer Vervielfachung der Zahl der Hauptschulabschlüsse oder dazu, dass die Anforderungen an das Niveau im A-Kurs gesenkt werden müssen. Das eine war nicht im Sinne des Erfinders und das andere würde das Ansehen der Sekundarschulabschlüsse und damit der Sekundarschulen erheblich schwächen.
„Die Abschaffung des Hauptschulbildungsganges vermeidet eine Separierung und Stigmatisierung von Schülerinnen und Schülern.“
Dazu ist erstens zu sagen: Wenn Sie schon den Hauptschulbildungsgang als Stigma verstehen, warum führen Sie dann eine Reform durch, die zu mehr Hauptschulabschlüssen führt?
Zweitens steht zum Beispiel im TIMSS-Bericht aus dem Jahr 1997 das genaue Gegenteil. Dort heißt es nämlich: Die Hauptschule scheine im Hinblick auf die Entwicklung des Selbstvertrauens nicht zu stigmatisieren, sondern als den Selbstwert schützende Nische zu wirken, die für leistungsschwächere Schüler einen angemessenen und in sich geschlossenen Bezugsrahmen zur Verfügung stelle.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Klassengröße im Hauptschulbildungsgang durchschnittlich 14,3 Schüler betrug bzw. beträgt, während die Lerngruppen im Realschulbildungsgang durchschnittlich 20,1 Schüler aufweisen.
Im neuen Sekundarschulbildungsgang aber sind es dagegen sogar 21,1 Schüler, und zwar in den A-Kursen auch noch durchschnittlich weniger als in den B-Kursen. - Also wahrhaft eine pädagogische Innovation.
Mit großem Aufwand verabschiedete sich die Landesregierung von den herkömmlichen Bezeichnungen der Abschlüsse und führte stattdessen eine Berufsschulreife und eine Fachoberschulreife ein. Vermutlich weil man merkte, dass die meisten Menschen nichts damit anzufangen wissen, soll nun auf den neuen Zeugnissen nach dem neuen Namen des Abschlusses gleich in Klammern der alte Hauptschulabschluss bzw. der Real
Viele andere Fragen bleiben ungelöst. Ist den neuen Zeugnissen zu entnehmen, welche Fächer im A-Kurs und welche im B-Kurs belegt wurden? Oder: Wie viele Eltern haben sich für die Belegung von B-Kursen entschieden, weil sie sich dadurch besonders gute Noten versprachen, ohne zu wissen, dass damit vorprogrammiert wird, welchen Abschluss ihr Kind erreichen kann?
Hinsichtlich der Sekundarschule ist noch ein weiteres trauriges, ja erschreckendes Faktum zu nennen, nämlich die Zahl derer, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Ich bin die Letzte, die das monokausal einer Ursache zuwiese. In der damaligen Debatte war es aber Ihr Vorgänger, Herr Minister Reck, der ausdrücklich die Erwartung aussprach, mit der neuen Sekundarschule - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis - „eine Schule zu schaffen, die in der Zukunft den meisten Kindern einen Abschluss verschafft“. - Aus der 43. Sitzung des Landtags im Jahr 1996.
Insofern sind die Fakten ganz interessant. Im Jahr 1994 gingen 1 764 Schüler ohne Abschluss von der Sekundarschule ab. Im Jahr 2001 waren es 2 681, was einem Zuwachs um satte 50 % entspricht. Bereits im ersten Jahr der neuen Sekundarschule, also ausschließlich in Klasse 7, verließen 563 Schüler die Schule ohne Abschluss. Im Folgejahr 2001, also in den Schuljahrgängen 7 und 8, waren es bereits, man höre und staune, 1 713. Das sind fast doppelt so viele wie diejenigen, die aus dem Haupt- und Realschulbildungsgang in den Schuljahren 8 bis 10 ohne Abschluss abgingen.
Verehrte Anwesende! Gesamtschulen. Wir fragten, was Studien, insbesondere vom Berliner Max-Planck-Institut, über die Leistungsfähigkeit der Gesamtschulen in Deutschland aussagen. Die Sache ist relativ klar. Wie die TIMSS- und die BIJU-Studie ordnet auch die PisaStudie die Leistung der Gesamtschulen zwischen den Haupt- und den Realschulen ein. Das ist insofern nicht erstaunlich, weil insgesamt nur wenige für das Gymnasium geeignete Schüler auf eine integrierte Gesamtschule gehen.
Es ist aber insofern bemerkenswert, als rund ein Drittel der Gesamtschüler das Abitur ablegt. Das Berliner MaxPlanck-Institut hat ebenfalls herausgefunden, dass gleiche Leistungen an Gesamtschulen um zwei Noten besser bewertet werden als an Gymnasien. Im vornehmen Pädagogik-Deutsch heißt es dann: Die formal höheren Abschlüsse im integrativen Schulwesen seien in erster Linie auf eine Verschiebung von Verteilungsmaßstäben zurückzuführen.
Das Institut hat in der BIJU-Studie ferner Schüler mit schulisch und außerschulisch gleichen Ausgangsbedingungen auf ihre Leistungsentwicklung vom Beginn des 7. Schuljahres bis zum Ende des 10. Schuljahres hin untersucht. Dabei ergab der Vergleich zwischen Realschülern und Gesamtschülern, dass bei gleichen intellektuellen und sozialen Eingangsbedingungen Realschüler am Ende der Sekundarstufe I zum Beispiel in
Mathematik einen Wissensvorsprung von etwa zwei Schuljahren erreichen. Bei Gymnasiasten beträgt der Vorsprung sogar rund drei Jahre. Das alles kann man nachlesen.
Da begnügt sich die Landesregierung unter völliger Unterschlagung jener BIJU-Studie damit, die Aussage des Studienleiters Professor Baumert anzuführen, wonach die Ergebnisse der TIMSS-Studie für einen systematischen Leistungsvergleich zwischen den Bundesländern nicht geeignet seien. Dies steht auch - sogar zweimal - im TIMSS-Bericht selbst. Danach heißt es allerdings:
„Dennoch gibt es Hinweise, dass sich das mittlere Fähigkeitsniveau in der Mittelstufe von Land zu Land deutlich unterscheiden kann.“
Der TIMSS-Bericht sagt auch, dass unter dem Gesichtspunkt der Sicherung von Leistungsgerechtigkeit in der Bundesrepublik ein solcher Vergleich keineswegs überflüssig oder abwegig sei. Der Bericht zeigt auch, dass im Vergleich zweier Länder - später stellte sich heraus, dass es sich um Bayern und Nordrhein-Westfalen handelt - bereits nach der 8. Klasse Leistungsunterschiede von 1,5 Schuljahren bestehen.
Werte Anwesende! Nur kurz will ich auf die vermeintliche Innovation im Gymnasialbereich eingehen. Eine Zauberformel lautet: 13 k. Ziel dieses Modellversuchs ist es ich zitiere wiederum mit Ihrer Erlaubnis
„durch eine Komprimierung der Einführungsphase ohne Qualitätsverlust und ohne belastende Auswirkungen auf die Sekundarstufe I die Abiturprüfung auf das Frühjahr eines jeden Jahres vorzuverlegen, um so den Zugang zum Studium schon zum jeweiligen Sommersemester zu ermöglichen.“
Zum einen ist Komprimieren ohne Qualitätsverlust und ohne zusätzliche Belastung schon rein logisch nur dann und in dem Maße möglich, wenn und soweit vor der Komprimierung Leerlauf bestand.
Zum anderen ist die Beweiskraft von 13 k geradezu erschlagend eindrucksvoll. Mit großem Pathos wird nun also nachgewiesen, dass ein Abitur, das bisher nach zwölf Jahren abgelegt wurde und anderswo auch weiterhin nach zwölf Jahren abgelegt wird, nicht erst nach 13, sondern schon nach 12 ¾ Jahren abgelegt werden kann. Das erinnert ein wenig an den Scherz, es sei ohne Weiteres möglich, alle Menschen zu einem Hochschulabschluss zu führen, nur dauere es bei manchen eben 120 Jahre. - Im Übrigen werden nicht alle, die dies wollen, ein Studium schon im Sommersemester aufnehmen können.
Ein weiterer Vorschlag der Landesregierung ist, besonders leistungsfähigen und leistungswilligen Schülerinnen und Schülern durch ein von begleitendem Mehrunterricht unterstütztes Überspringen einen schnellen Abschluss zu ermöglichen.
Dieser anderswo erprobte Weg ist nach unserer Auffassung falsch. Sein einziger Vorteil besteht darin, dass bei jemandem, der eine Klasse überspringt, niemand danach fragt, ob er auch die erforderlichen Stunden absolviert hat. Eine besondere Begabung zeichnet sich doch nur dadurch aus, vermittelten Lehrstoff rascher und gründlicher als andere zu erfassen, und nicht dadurch, rasch zu erfassen, was wegen Überspringens nie vermittelt wurde.
Zwar sprechen Sie ausdrücklich von begleitendem Mehrunterricht, angesichts der gerade nach Ihrer Meinung schon bestehenden enormen zeitlichen Belastung der Schüler kann aber dieser Mehrunterricht nicht allzu üppig ausfallen.
Insgesamt wurden im Land Sachsen-Anhalt im Rahmen des Berufsschulbauprogramms der Landesregierung zwischen 1994 und 2000 ca. 670 Millionen DM in den Neubau, in den Ausbau sowie in die Ausstattung von berufsbildenden Schulen investiert.
Ich will die Entscheidung, EFRE-Mittel in beträchtlichem Umfang für den Bau von Berufsschulen einzusetzen, nicht kritisieren; eine andere Frage ist allerdings, ob diese Zentren in ihrer Größe auch zukunftsgerecht gestaltet sind. Ich erinnere nur an das Expoprojekt in Bitterfeld. Dort wurden nicht nur viele Millionen verbaut, sondern in diesem Haus besteht zusätzlich eine unangenehme Atmosphäre und es funktioniert nichts. Man weiß also nicht, wie die Zukunft solcher Bauten aussehen wird.
Verehrte Anwesende! Auch wenn meine Redezeit langsam dem Ende zugeht, möchte ich noch kurz auf die Sonderschulen zu sprechen kommen. Ein großes Problem in diesem Bereich ist, dass nur 46 % der Lehrkräfte eine sonderpädagogische Ausbildung haben, bei den Schulen für Lernbehinderte sogar nur 41 %. Ich sage dies ohne irgendwelche Schuldzuweisungen, aber mit dem Hinweis auf Möglichkeiten des gemeinsamen Unterrichts von Behinderten und Nichtbehinderten. Die Landesregierung räumt selbst ein, dass dieser gemeinsame Unterricht den Bedarf an sonderpädagogisch qualifizierten Fachkräften erhöhen müsste.
Vor nicht allzu langer Zeit übte der Kultusminister heftige Kritik an den Versuchen anderer Länder, Lehrkräfte abzuwerben. Wenngleich er diese Kritik dann etwas modifizierte, waren wir schon ein wenig überrascht, als uns Schulen in freier Trägerschaft berichteten, das Land Sachsen-Anhalt werbe seinerseits Lehrkräfte von ihnen ab.
Daher stellten wir eine entsprechende Frage, auf die wir die Antwort erhielten, dass in den vergangenen fünf Jahren 24 Lehrkräfte aus Schulen in freier Trägerschaft in den Schuldienst des Landes wechselten, vier davon sogar während des laufenden Schuljahres. Ob dabei Kündigungsfristen eingehalten wurden, wisse man nicht. Insofern, meine ich, relativiert sich auch die Kritik an den anderen Ländern.
Ich komme zum Schluss. - Im staatlichen Schulwesen sind Tausende von Lehrkräften an anderen Schulformen tätig. In manchen Stellenausschreibungen wird das entsprechende Lehramt nur „in der Regel“ gefordert. Fachfremd erteilter Unterricht ist üblich. Bei den Unterrichtsbestätigungen für Lehrkräfte an Schulen in freier Trägerschaft ist das hingegen nur in begründeten Einzelfällen, also in Ausnahmefällen, möglich.