Protokoll der Sitzung vom 22.02.2002

Meine Damen und Herren! Wie können wir die Kriminalitätsstatistik - damit meine ich natürlich nicht die Statistik als Selbstzweck, sondern die darin zum Ausdruck kommende Sicherheitslage - weiter verbessern? Mit populistischen Vorschlägen wartet die Partei Rechtsstaatliche Offensive auf. Das ist in Wahrheit eine Partei radikaler Opportunisten. Ihrem so genannten Spitzenkandidaten Herrn Marseille ist alles recht, was ihm Einfluss auf den jeweiligen Prozessgegner verschafft. Dem tatsächlichen Spitzenkandidaten, Herrn Professor Kausch, ist alles recht, was ihn in den Landtag bringt.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD)

Und dem Leiter des Arbeitskreises Sicherheit und Ordnung, als der der Polizeipräsident a. D. Hauer firmiert, war in der Halberstädter Polizeidirektion alles recht, was die Aufklärungsquote in seinem Vorzimmer steigen ließ.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD)

Herr Schill in Hamburg hat vor der Bürgerschaftswahl angekündigt, er werde 2 000 zusätzliche Polizisten einstellen. Herausgekommen ist die Einstellung minderqualifizierten Personals für den Objektschutz - 250 Stellen - und die Abordnung von zurzeit 20 bayerischen Polizisten nach Hamburg.

(Zuruf von der SPD: Für vier Wochen!)

Auch in dem Wahlprogramm für Sachsen-Anhalt wird unter der Überschrift „Wiederherstellung der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung“ die Forderung erhoben, das Polizeipersonal aufzustocken, obwohl unser Land bei der Polizeidichte einen Spitzenplatz einnimmt.

Meine Damen und Herren! Bei der Landes-CDU lautet die Überschrift „Zeit für mehr Sicherheit“. Gleich zu Beginn ihres Zwölf-Thesen-Papiers bezeichnet sie die Landesregierung wegen der PDS-Tolerierung als Sicherheitsrisiko. Da habe ich mir am Rand „Schill light“ notiert.

(Zustimmung bei der SPD)

In Ihrem Papier, liebe CDU-Kollegen, fordern Sie, die sächliche und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden wieder den Erfordernissen anzupassen. Mit einer Forderung nach Art von Schill hätten Sie natürlich bei Ihrem stets auf finanzpolitische Solidität bedachten Parteivorsitzenden keine Gnade gefunden.

(Herr Bischoff, SPD, lacht)

Sie machen einen anderen Vorschlag, der auf den ersten Blick geeignet erscheint, ohne wesentliche Steigerung der Personalkosten die Wirksamkeit der polizeilichen Arbeit und damit die Kriminalitätsstatistik wesentlich zu verbessern. Sie fordern die Einrichtung eines uniformierten ehrenamtlichen Polizeidienstes, den Sie als freiwilligen Polizeidienst bezeichnen.

In einer Anhörung, die die CDU-Landtagsfraktion am 27. November 2001 veranstaltet hat und an der ich teilnehmen durfte, hat der Inspekteur der Polizei BadenWürttembergs den dortigen freiwilligen Polizeidienst wie folgt vorgestellt: Die Polizeifreiwilligen erhalten eine 84stündige Grundausbildung. Es findet ein Prüfungsgespräch statt. Anschließend erfolgt eine 32-stündige praktische Einführung. Die Polizeifreiwilligen haben die Stellung von Polizeibeamten im Sinne des Gesetzes. Sie können also Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen durchführen. Sie unterliegen dem Straf

verfolgungszwang. Sie sind mit einer Dienstpistole ausgestattet und zum Einsatz der Schusswaffe berechtigt.

(Frau Bull, PDS: Was?)

Sie tragen bei ihrer Dienstverrichtung die einheitliche Polizeiuniform. Die Bürger erkennen in der Regel nicht, ob sie einen Polizeifreiwilligen oder einen Polizeibeamten vor sich haben.

Das baden-württembergische Modell besticht durch seine Konsequenz. Wer eine Polizeiuniform trägt, der muss auch die entsprechenden Eingriffsbefugnisse und Einsatzmittel haben. Der Pferdefuß ist allerdings das Fehlen einer ordentlichen Ausbildung. Aus gutem Grund ist kein anderes Bundesland diesem Vorbild gefolgt.

Die CDU hierzulande verfolgt offenbar einen anderen Ansatz. Die Angehörigen des uniformierten ehrenamtlichen Polizeidienstes sollen - so heißt es in Ihrem ZwölfThesen-Papier - menschliche Notrufsäulen sein.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Becker, CDU: Jawohl!)

Was damit gemeint ist, Herr Becker, wird aus Ihrem Entwurf eines Gesetzes über den freiwilligen Polizeidienst vom 21. Mai 1997 deutlich, der damals der Diskontinuität anheim gefallen ist.

(Herr Becker, CDU: Der gilt doch nicht mehr! Der ist überholt!)

Darin heißt es, die Angehörigen des Polizeidienstes könnten bei verdächtigen Vorkommnissen rasch über Funkgeräte Polizeibeamte an den Einsatzort bringen und damit eine raschere Täterfeststellung ermöglichen.

(Herr Becker, CDU: Das stimmt!)

Ein selbständiges Einschreiten der freiwilligen Helfer solle nur ausnahmsweise dann erfolgen, wenn besondere Eigengefährdungen ausscheiden.

Meine Damen und Herren von der CDU, Ihr Konzept ist in hohem Maße inkonsequent. Durch die beabsichtigte Uniformierung erwecken Sie den Eindruck der Präsenz von Sicherheitskräften. Wo Polizei draufsteht, ist aber leider keine Polizei drin.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Zu- stimmung von Frau Knöfler, PDS, und von Frau Stolfa, PDS)

Ihr Konzept ist im Übrigen anachronistisch. Heutzutage haben immer mehr Leute ein Handy dabei. Das Geld, das Sie für „menschliche Notrufsäulen“ ausgeben wollen, können wir einsparen, wenn Handybesitzer hinsehen, die Polizei informieren und sich als Zeugen zur Verfügung stellen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Becker, CDU: Wenn! Wenn, Herr Rothe!)

Ich will einmal von einer unspektakulären Straftat berichten, die ich im November 1992 in Halle/Silberhöhe erlebt habe. Am frühen Abend wurde ich an einer Straßenbahnhaltestelle Zeuge eines Handgemenges, aus dem heraus sich eine junge Vietnamesin in die abfahrbereite Bahn flüchtete. Dabei wurde ihr eine gefüllte Einkaufstüte entrissen. Ich ging auf den jungen Mann zu und fragte laut, ob das seine Tasche sei. Der so Angesprochene lief in Richtung S-Bahnhof-Tunnel davon das ist ein belebter großer Platz -, ebenso mehrere seiner etwa 14- bis 15-jährigen Altersgenossen. Andere

blieben stehen. Ein Mädchen sagte: Wir gehören nicht dazu.

Damals gab es dort noch nicht einmal eine Telefonzelle. Heutzutage hätte ich sofort die Polizei per Handy informiert.

(Herr Becker, CDU: Was machte der Rothe da- mals?)

- Der Rothe war damals Bewohner dieses Neubaugebietes und auf dem Weg von der Arbeit nach Hause.

(Herr Becker, CDU: Nein! Ist er hinterhergelau- fen? - Herr Kühn, SPD: Ich hätte ihn verwackelt!)

- Herr Becker, Sie wären vermutlich hinterhergelaufen. Ich hatte diese Energie nicht.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Becker, CDU: Aha! - Heiterkeit)

Hinzusehen und die Polizei zu informieren, ist das Mindeste, was man tun kann, um Menschen zu helfen, die Opfer einer Straftat werden.

(Herr Sachse, SPD: Die Energie dafür sollte man aufbringen! - Unruhe)

Die Behauptung der CDU, wir lehnten mit dem -

(Unruhe bei der CDU)

- Hören Sie bitte zu. - Ihre Behauptung, wir lehnten mit dem freiwilligen Polizeidienst das bürgerschaftliche Engagement von freiwilligen Helfern ab, ist falsch. Wir bauen auf das freiwillige Engagement möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger. Jeder kann Helfer sein, indem er der Polizei Hinweise gibt und sich einmischt, wenn Mitmenschen in Bedrängnis geraten.

(Zustimmung bei der SPD, bei der PDS und von Minister Herrn Dr. Püchel - Zuruf von Frau Wiechmann, FDVP)

Weil wir uns nur eine begrenzte Anzahl von Polizisten leisten können, brauchen wir mehr und bessere Kontakte zwischen Bürgern und Polizei. Herr Becker, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen, der Polizeibeamte muss wieder als Freund und Helfer und nicht als „Bulle“ angesehen werden. Ich denke, dass wir dabei in Sachsen-Anhalt auf dem richtigen Weg sind.

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wertet das Ergebnis der polizeilichen Kriminalstatistik als einen Erfolg unserer Landespolizei, der deren Vertrauenswürdigkeit dokumentiert, und wünscht dem Innenminister auch für die kommende Legislaturperiode eine glückliche Hand. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Bevor Innenminister Herr Dr. Püchel zu Ihnen spricht, begrüßen wir Schülerinnen und Schüler des Müntzer-Gymnasiums Halle.

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Rothe, ich danke Ihnen für die Klarstellung hinsichtlich meiner

Informationspolitik. Es war mir wichtig, auch hier zu sagen, dass dies nichts mit Effekthascherei zu tun hat, sondern damit, dass ich die Bevölkerung umfassend informieren will.

(Lachen bei der CDU - Unruhe)