Protokoll der Sitzung vom 14.03.2002

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 3/3941

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 3/4017

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales - Drs. 3/5375

Die erste Beratung fand in der 49. Sitzung des Landtages am 15. Dezember 2000 statt. Die Berichterstattung übernimmt die Kollegin Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In der 49. Landtagssitzung am 15. Dezember 2000 hat die CDU-Fraktion die Drs. 3/3941 mit dem Titel „Verbesserung der Hilfen für Demenzkranke in SachsenAnhalt“ eingebracht.

Der Antrag der CDU fordert die Landesregierung auf, Initiativen und Maßnahmen zu ergreifen, um angesichts der demografischen Entwicklung und der zunehmenden Zahl von Demenzkranken auf deren Probleme stärker einzugehen; denn es werden sich große Probleme in der medizinischen und pflegerischen Versorgung Demenzkranker ergeben, die ein rechtzeitiges Handeln erforderlich machen.

Der Antrag kommt zu dem Ergebnis, dass Leistungsverbesserungen in der derzeitigen Pflegeinfrastruktur wegen der besonderen Bedürfnisse der Demenzkranken notwendig sind. Die Benachteiligung der Demenzkranken in der Pflegeversicherung soll aufgehoben werden.

Zum Antrag der CDU hat die PDS in der Drs. 3/4017 einen Änderungsantrag eingebracht, der von der Landesregierung einen Bericht zu der Anzahl der ambulant, teilstationär oder stationär betreuten demenzkranken Pflegebedürftigen sowie zu den vorhandenen Versorgungsstrukturen einfordert. Ebenso wird der Stand der spezifischen Qualifikation des medizinischen und pflegerischen Personals erfragt. Des Weiteren werden Maßnahmen zur Verbesserung der Situation Demenzkranker und ihrer Angehörigen eingefordert.

Der Landtag hat den Antrag der CDU-Fraktion und den Änderungsantrag der PDS-Fraktion federführend in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales sowie mitberatend in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft überwiesen.

Der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat sich mit den Anträgen erstmals in der 33. Sitzung am 8. Februar 2001 befasst und beschlossen, eine Anhörung durchzuführen. Um eine langfristig tragfähige Lösung der Probleme erarbeiten zu können, hat man sich darauf verständigt, im Ausschuss zu diesem Thema Verbände und Institutionen sowie Sachverständige aus dem Pflegebereich anzuhören.

Die Anhörung erfolgte am 10. Mai 2001. Im Ergebnis der Anhörung ist festzuhalten, dass es sinnvoll wäre, sich nicht allein auf Demenzkranke zu beschränken. Der Bereich der Gerontopsychiatrie umfasst nicht nur die Dementen, sondern auch die Patienten, die im Alter an Depressionen oder Psychosen leiden. Dieser sehr große Personenkreis erfährt in Sachsen-Anhalt keine adäquate Versorgung.

Problematisch in der Praxis ist, dass die Diagnostik bei einer Demenz oft verspätet durchgeführt wird. Die Früherkennung von Demenz und Altersdepressionen liegt meist in den Händen der Hausärzte. Der Psychiatrieausschuss empfiehlt, dass die Ärztekammer SachsenAnhalt Schulungen für Hausärzte und interessierte Fachärzte anbieten sollte. Häufig mangelt es niedergelassenen Ärzten an Informationen in Bezug auf komplementäre Hilfsstrukturen und sonstige Angebote in der Behandlung, die sie an Betroffene weitergeben könnten.

Obwohl es bezüglich der Therapie für Demente in den letzten Jahren eine Vielzahl von Neuentwicklungen gegeben hat, ist die Versorgung dieser Patienten mit den modernsten und teuren Medikamenten nicht der Regelfall. Infolgedessen ist es dringend erforderlich, die ambulanten und stationären diagnostischen Möglichkeiten auszuweiten.

Nach Ansicht des Psychiatrieausschusses stellen gerontopsychiatrische Tageskliniken eine adäquate Form der Versorgung im teilstationären Bereich dar. Diese Versorgung ist insbesondere für die Klientel angemessen, für die eine ambulante Behandlung nicht mehr ausreicht, eine stationäre Behandlung jedoch noch nicht erforderlich ist.

Die ambulanten Angebote sind nicht ausreichend. Um der ungenügenden Auslastung der Tagespflegeeinrichtungen entgegenzuwirken, sollte über eine Spezialisierung der Tagespflegeangebote nachgedacht werden.

Ebenso müssen die Angehörigen von Demenzkranken besser geschult, informiert und einbezogen werden.

Insgesamt empfiehlt sich ein komplexes Programm für die Gerontopsychiatrie. Ebenso wäre eine vernetzte Kooperation der Bereiche Geriatrie und Gerontopsychiatrie empfehlenswert.

Der Landespflegeausschuss erwartet, dass der erhöhte Betreuungsaufwand infolge von Altersdemenz in den gesetzlichen Regelungen Berücksichtigung findet. Das umfasst nicht nur den gesamten Problembereich Demenz, sondern auch die Regelungen des Pflegeversicherungsgesetzes. Ebenso geht es hierbei um eine gute Qualität im Betreuungsprozess, die wiederum nach Ausbildung und Weiterbildung verlangt. Dabei ist darauf zu achten, dass kein Notstand in der pflegerischen Betreuung zugelassen wird.

Bezüglich der Finanzierung wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Krankenversicherungsleistungen umgehend aus der Pflegeversicherung ausgegliedert werden müssten, um eine Gleichbehandlung aller Versicherten zu erzielen.

Abschließend wurde in der Anhörung darauf hingewiesen, dass ein Lehrstuhl für Geriatrie die Grundlage der gesamten hausärztlichen Situation verbessern würde und die in der Vergangenheit aufgetretenen Defizite in Bezug auf die Versorgung Demenzkranker verringern könnte.

Anhand dieser Situation, die in der Anhörung fassettenreich dargelegt wurde, wird deutlich, wie umfassend diese Thematik ist und welcher Handlungsbedarf noch erforderlich ist.

Im Ergebnis der Anhörung wurde eine vorläufige Beschlussempfehlung erarbeitet, die in der 43. Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 29. November 2001 einstimmig verabschiedet und an den mitberatenden Ausschuss für Bildung und Wissenschaft weitergeleitet wurde.

Kontrovers wurde zwischen dem federführenden Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales und dem mitberatenden Ausschuss für Bildung und Wissenschaft der Antrag auf Einrichtung eines Lehrstuhls für Geriatrie diskutiert. Es wurde darauf hingewiesen, dass weder beabsichtigt sei, eine konkrete Auflage zur Finanzierung eines Lehrstuhls für Geriatrie zu machen, noch dass diesbezüglich in die Autonomie der Hochschulen eingegriffen werden solle.

Der federführende Ausschuss ist in seiner Beschlussempfehlung an den Landtag trotz des gegenteiligen Votums des Bildungsausschusses bei seinem ursprünglichen, in der vorläufigen Beschlussempfehlung ausgewiesenen Vorschlag geblieben. Die fachliche Befassung mit dem Thema lässt einen Lehrstuhl für Geriatrie als politisch wünschenswert erscheinen.

In der 47. Sitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 7. März 2002 wurde die Beschlussempfehlung an den Landtag mit 9 : 0 : 1 Stimmen verabschiedet. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU, bei der PDS und von Ministerin Frau Dr. Kuppe)

Danke schön, Frau Kollegin Liebrecht. - Zu diesem Thema ist eine Fünfminutendebatte vorgesehen. Zunächst

hat aber für die Landesregierung Ministerin Frau Dr. Kuppe das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich seit Ende des Jahres 2000 intensiv mit dem Thema Demenz und Versorgung von Demenzkranken befasst. Die Thematik war Gegenstand von mehrfachen intensiven Erörterungen und einer Anhörung im Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales. Ich bedanke mich an dieser Stelle sehr herzlich bei den Damen und Herren Abgeordneten für die intensive Beratung dieses wichtigen Gegenstandes im federführenden und im mitberatenden Ausschuss.

Ich will an dieser Stelle noch einmal das Bestreben der Landesregierung bekräftigen, auch weiterhin die Lage von demenziell erkrankten Menschen im Land SachsenAnhalt zu verbessern und pflegende Angehörige zu unterstützen.

Auf Bundesebene hat es im vergangenen Jahr eine kleine Verbesserung gegeben: Das Pflegeleistungsergänzungsgesetz ist verkündet worden, welches für Demenzkranke, die pflegebedürftig sind und in ihrer häuslichen Umgebung betreut werden, bestimmte Leistungsverbesserungen schafft, und zwar in Form eines Sachleistungsbudgets von 460 € jährlich.

Obwohl dieses Gesetz nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, bietet es immerhin genau dem Personenkreis Verbesserungen, dem die heutige Debatte gewidmet ist. Bis auf weiteres sind damit aber aller Voraussicht nach die Möglichkeiten der Pflegeversicherung ausgereizt.

Wie sieht die Situation im Land aus?

Erstens. Zu den psychiatrischen Tageskliniken mit dem Schwerpunkt Gerontopsychiatrie hatte ich bereits ausgeführt, dass 21 psychiatrische Tageskliniken existieren, die natürlich auch gerontopsychiatrischen Patientinnen und Patienten offen stehen. Eine Ende des Jahres 2001 von meinem Haus durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass es für die Tageskliniken selbstverständlich ist, gerontopsychiatrisch erkrankte Personen in sachgerechter Weise zu betreuen, sofern diese Menschen angesichts ihres Krankheitsbildes einer tagesklinischen Versorgung zugänglich sind.

Zweitens. Im Hinblick auf den zweiten Anstrich unter Nr. 2 der Beschlussempfehlung lassen Sie mich das vom Bundesgesundheitsministerium in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium Deutsche Altershilfe entwickelte Konzept der Hausgemeinschaft erwähnen, die so genannte vierte Generation des Altenpflegeheimbaus. Hausgemeinschaften sind das zentrale Thema einer neuen Form von Pflegeeinrichtungen. Sie versuchen, das Leben, das Pflegebedürftige vor dem Heimaufenthalt zu Hause geführt haben, in das Pflegeheim zu übertragen.

Pflegebedürftige Menschen mit demenziellen Erkrankungen beanspruchen für ihr Leben ein hohes Maß an Normalität. Das will und soll eine solche Hausgemeinschaft abbilden.

Das Konzept der Hausgemeinschaften ist überzeugend und zukunftsweisend. Deshalb wurde diese Idee in Sachsen-Anhalt sofort aufgegriffen. Bereits im vergangenen Jahr wurden drei Projekte geplant; zwei davon befinden sich schon im Bau. Weitere 15 Projekte

werden im Rahmen der Förderung nach Artikel 52 des Pflegeversicherungsgesetzes noch folgen. Damit nimmt Sachsen-Anhalt nach Aussage des Kuratoriums Deutsche Altershilfe eine Spitzenposition in der Bundesrepublik ein.

Ein weiteres Angebot für die Betreuung pflegebedürftiger Demenzkranker ist die Tages- und Nachtpflege. Diese teilstationäre Betreuungsform war in den neuen Bundesländern nahezu unbekannt. Jetzt gibt es in SachsenAnhalt 62 solcher Einrichtungen mit rund 530 Plätzen, von denen 48 Plätze in 17 Einrichtungen auch als Nachtpflegeplätze angeboten werden.

Drittens. Die Vermittlung von entsprechenden Kenntnissen für Pflegekräfte ist unbedingt notwendig; das haben wir übereinstimmend festgestellt. Wir als Landesregierung werden uns dafür einsetzen, dass die entsprechenden Aus- und Fortbildungsinhalte vermittelt werden. Ich bedauere es sehr, dass das Altenpflegegesetz des Bundes aufgrund der Verfassungsklage Bayerns zurzeit noch auf Eis liegt. Das Bundesverfassungsgericht wird aller Voraussicht nach im Sommer dieses Jahres sein Urteil fällen.

Viertens. Nach dem Pflegequalitätssicherungsgesetz ist jüngst eine Verbesserung in das Pflegeversicherungsgesetz eingeführt worden. Danach sollen Kurse für pflegende Angehörige, die schon bislang im Leistungskatalog der Pflegeversicherung vorgesehen waren, jetzt verstärkt durchgeführt werden können, insbesondere in Bezug auf den häuslichen Bereich. Diese Gesetzesänderung ist zwar nicht speziell auf demenzkranke Pflegebedürftige zugeschnitten; sie kommt aber den Bedürfnissen demenziell Erkrankter zugute, die möglichst nicht aus ihrem häuslichen Bereich herausgerissen werden sollten. Ich gehe davon aus, dass die Pflegekassen in unserem Land bestrebt sind, diese neuen gesetzlichen Regelungen zügig umzusetzen.

Fünftens. Bei der Fort- und Weiterbildung von Ärztinnen und Ärzten mit Blick auf demenziell Erkrankte handelt es sich um eine Angelegenheit der ärztlichen Selbstverwaltung. Die Landesregierung hat darauf nur einen sehr beschränkten Einfluss, aber sowohl die Ärztekammer als auch die Kassenärztliche Vereinigung sind im Hinblick auf dieses Thema sensibilisiert.

Sechstens. Die in der Beschlussempfehlung geforderte Kooperation zwischen dem Kultus- und dem Sozialressort ist selbstverständlich. Die entsprechenden Anregungen werden wir gern aufgreifen.

Siebentens. Die Einrichtung eines Lehrstuhls für Geriatrie - das sollten wir nicht vergessen - unterliegt natürlich der Hochschulautonomie. Ich finde es aber gut, dass der Landtag, so er es nachher tut, eine Empfehlung an die Hochschulen ausspricht, denn ich halte die Einrichtung eines derartigen Lehrstuhls für notwendig.

An diesen Punkten müssen wir weiterhin arbeiten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Deshalb bitte ich Sie, der Beschlussempfehlung zuzustimmen.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke schön, Frau Ministerin. - Bevor ich das Wort weitergebe, begrüße ich Schülerinnen und Schüler des Burg-Gymnasiums aus Wettin herzlich hier im Landtag.

(Beifall im ganzen Hause)

Die DVU hat auf einen Redebeitrag verzichtet. Für die PDS hat Frau Kollegin Dirlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl unstrittig: Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter; damit werden natürlich alterstypische Krankheiten weiter zunehmen. Ebenso unstrittig ist: Demenzkranke, gerontopsychiatrisch Erkrankte brauchen nicht nur einen viel höheren Pflegeaufwand, sondern sie brauchen vor allem eine ganz andere Pflege als andere. Unstrittig ist nicht zuletzt: Diesen besonderen Anforderungen wird das Pflegeversicherungsgesetz nicht in ausreichendem Maße gerecht, auch nicht nach der jetzt erfolgten Änderung.

Im Hinblick darauf, wie dieses Problem zu lösen sei, gingen die Vorstellungen weit auseinander. Die CDU schlug in ihrem Antrag vor, es im Rahmen der Pflegeversicherung durch die Neudefinition des Pflegebegriffes zu lösen.