Im Hinblick darauf, wie dieses Problem zu lösen sei, gingen die Vorstellungen weit auseinander. Die CDU schlug in ihrem Antrag vor, es im Rahmen der Pflegeversicherung durch die Neudefinition des Pflegebegriffes zu lösen.
Diesem Vorschlag hat sich der Ausschuss nicht angeschlossen. Der Hauptgrund dafür war, dass es zurzeit im Grunde nur zwei Möglichkeiten zur Finanzierung dieses Vorschlages, der wesentliche Kosten verursachen würde, gibt. Die erste Möglichkeit wäre eine Erhöhung der Beitragssätze zur Pflegeversicherung, die zweite Möglichkeit bestünde in Leistungseinschränkungen an anderen Stellen innerhalb der durch die Pflegeversicherung geregelten Leistungen.
Beides geht natürlich nicht. Der erste Vorschlag würde von der CDU selbst abgelehnt werden. Er steht im Gegensatz zu den Versprechungen, die sie zur Senkung der Lohnnebenkosten macht. Der zweite Vorschlag ist sowohl für die Pflegebedürftigen als auch für die Pflegekräfte unzumutbar. Das heißt, die CDU ist in gewisser Weise in der Klemme. Vielleicht war auch schon der Denkansatz falsch, der zu diesem Vorschlag führte.
Das Problem fehlender sozialer Betreuung, fehlender Kommunikation, fehlender kultureller Angebote, fehlender Prävention, beispielsweise Gedächtnistraining, betrifft nicht nur die gerontopsychiatrisch Erkrankten und schon gar nicht nur die Demenzkranken. Solche Angebote sind nötig und wichtig; sie sind allerdings nur durch öffentlich geförderte Beschäftigung zu realisieren. Kostendeckend oder gar gewinnbringend ist diese Arbeit nicht zu leisten. Der Markt wird es also nicht richten, im Gegenteil.
Damit gerät die CDU in die nächste Klemme. Sie weiß, dass diese Arbeit sehr wohl geleistet werden muss. Sie weiß, dass darin große Potenzen für zukünftige Erwerbsarbeit liegen. Sie weiß, dass der Markt diese Arbeitsplätze nicht anbieten wird und auch nicht anbieten kann. Trotzdem - Herr Professor Dr. Böhmer hat es heute Morgen in der Debatte zur Arbeitsmarktpolitik noch einmal dezidiert gesagt - lehnt sie einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor vollmundig ab. Wir sind tatsächlich gespannt darauf, wie die CDU aus dieser Klemme herauskommen will.
Die Beschlussempfehlung enthält diese Lösung natürlich auch nicht. Das Land allein wäre mit dieser Aufgabe überfordert; wir haben das an anderen Stellen festgestellt. Deshalb haben wir uns im Ausschuss auf Empfehlungen an die Landesregierung geeinigt und uns natürlich auf solche beschränkt, die im Land auch umsetzbar sind und wozu die Landesregierung einen Bei
trag leisten könnte. Wir haben uns deshalb einen Lehrstuhl für Geriatrie gewünscht und nicht vorgeschlagen, in die Hochschulautonomie einzugreifen oder ihn zu finanzieren. Wir haben uns auch nicht in andere Dinge eingemischt, sondern die Landesregierung aufgefordert, im Rahmen ihrer Möglichkeiten tätig und wirksam zu werden.
Da wir uns im Ausschuss fraktionsübergreifend letztendlich über die Punkte, die jetzt in der Beschlussempfehlung stehen, einig waren, bitte ich um Ihre Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich muss zunächst dem, was Frau Dirlich sagte, etwas entgegenhalten. Wir haben auf Bundesebene entsprechende Forderungen erhoben, aber wir haben einen anderen Ansatz.
Die jetzige rot-grüne Bundesregierung hat den Beitrag der Empfänger von Arbeitslosenhilfe zur Pflegeversicherung gesenkt. Daraus resultieren Einnahmenverluste in Höhe von 400 Millionen DM. Aus der Pflegeversicherung steht bereits jetzt ein Betrag in Höhe von 500 Millionen DM zugunsten von Demenzkranken zur Verfügung. Wenn der Einnahmenausfall der Pflegeversicherung rückgängig gemacht würde, stünden damit knapp 1 Milliarde DM zur Verfügung, um die Betreuung der Demenzkranken zu finanzieren.
Die im Verlauf der Debatte dargestellten Fakten zeigen deutlich, dass die bekannte demografische Entwicklung Politik und Praxis vor gewaltige Herausforderungen stellt. Insbesondere der Personenkreis der gerontopsychiatrisch Erkrankten und hierunter der dementen Patienten wird deutlich zunehmen und Veränderungen sowohl bei der ambulanten als auch bei der stationären Pflege notwendig machen.
Einige Studien, die den Berechnungen und Schätzungen zugrunde liegen, gehen davon aus, dass in Deutschland 800 000 Menschen an einer mittel- oder schwergradigen Demenz erkrankt sind. Zählt man die leichte Form der Demenz hinzu, ergibt sich eine Prävalenz von 1,2 Millionen Erkrankten in der Bundesrepublik Deutschland. Schätzungen gehen davon aus, dass es im Jahr 2030 in der Bundesrepublik 2,3 Millionen Demenzkranke geben wird. Das sind mehr Menschen, als voraussichtlich zu diesem Zeitpunkt in Sachsen-Anhalt leben werden.
Bei dieser Zahl sind andere gerontopsychiatrische Erkrankungen noch nicht einmal berücksichtigt. Schätzungen für das Land Sachsen-Anhalt gehen von 30 000 dementen Patienten aus und nehmen ca. 7 500 Neuerkrankungen pro Jahr an.
Der Gesundheitsbericht von Sachsen-Anhalt weist einen dramatischen Anstieg gerontopsychiatrisch bedingter Krankenhausaufenthalte Hochbetagter aus. Der Anteil der 65-Jährigen ist inzwischen auf fast 20 % angestie
gen, wobei gleichzeitig ein Anstieg der Seniorenquote aufgrund der stark besetzten Jahrgänge der jetzt 55- bis 60-Jährigen zu erwarten ist.
Sieht man das vor dem Hintergrund der Wanderungsbewegung, wird Sachsen-Anhalt zunehmend zu einem „alten Land“. Daraus ergibt sich für Sachsen-Anhalt die besondere Verpflichtung, auf Landesebene für angemessene Versorgungsbedingungen zu sorgen und auf Bundesebene die entsprechenden Rahmenbedingungen einzufordern.
Einer Studie aus dem Jahr 1998 ist zu entnehmen, dass ein dementer Patient bei der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten in Höhe von 2 000 DM und bei der Pflegeversicherung Kosten in Höhe von 25 000 DM pro Jahr verursacht.
Die Hauptlast der Kosten haben häufig jedoch die Angehörigen zu tragen. Man schätzt, dass es eine Familie ungefähr 60 000 DM kostet, einen dementen Angehörigen zu versorgen, da in der Regel einer der Angehörigen seinen Arbeitsplatz aufgeben muss, um die Pflege durchführen zu können, und es muss auch Geld für selbst beschaffte Hilfe aufgebracht werden.
Ein wesentlicher Schritt wäre die Ausgliederung der medizinischen Behandlungspflege aus der sozialen Pflegeversicherung und ihre Eingliederung in die Krankenversicherung. Die frei werdenden Mittel könnten zur Verbesserung der Pflegeausstattung genutzt werden. Das Pflegequalitätssicherungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung ist in dieser Hinsicht unzureichend, da infolge eines zusätzlichen Bürokratieaufwands die Qualität in der Pflege nicht sichergestellt werden kann. Pflegekräfte sollten in erster Linie die Menschen pflegen und nicht die Bürokratie verwalten. Qualität ist außerdem nur durch qualifiziertes Personal zu erreichen.
Um diese schwierige Situation von dementen Menschen und ihren pflegenden Angehörigen zu erleichtern, ist nicht nur die Pflege- und Krankenversicherung gefragt, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die stärker betont werden muss; denn wir müssen uns schon als Gesellschaft fragen, was ist uns die Pflege wert und wie wollen wir mit unseren Pflegebedürftigen umgehen. An dieser Stelle ist das Mitdenken und Mitwirken auf den verschiedenen Ebenen gefordert.
Wichtig ist eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die Verständnis für die Situation dementer Menschen weckt und Anleitungen zum Umgang mit ihnen geben kann. Zudem ist es notwendig, öffentlichkeitswirksame Maßnahmen der Prävention zur Vermeidung von Pflegebedürftigkeit oder Verhinderung einer Verschlimmerung aufzuzeigen und Grundlagenwissen für eine bedürfnisorientierte Pflege und Betreuung Dementer zu vermitteln.
Ein wesentlicher Punkt zur Verbesserung der Situation Demenzkranker ist, einen zusätzlichen Betreuungsbedarf anzuerkennen. Eine bessere Pflegequalität ist nur wirkungsvoll zu erreichen, wenn man die Bedingungen für die Pflegeberufe in den Heimen verbessert. Darüber hinaus müssen in allen medizinischen Einrichtungen in der Aus-, Weiter- und Fortbildung der Ärzte geriatrische Inhalte einbezogen werden.
Ebenso ist die Weiterbildung des Pflegepersonals ein entscheidendes Kriterium für die Qualitätssicherung in der Pflege. Deshalb sollte bei der Umsetzung des Ausbildungspflegegesetzes in Sachsen-Anhalt darauf geachtet werden, dass der Ausbildungsbereich der gerontopsychiatrischen Pflege auch weiterhin in dem bisherigen Umfang berücksichtigt wird.
Meine Damen und Herren! Das Thema können wir an dieser Stelle nicht so ausführlich behandeln, wie es erforderlich wäre. Deshalb lassen Sie uns gemeinsam nach dem richtigen Weg für die Pflegebedürftigen suchen. Daher bitte ich darum, der Beschlussempfehlung zuzustimmen und in der nächsten Wahlperiode dieses Thema wieder aufzugreifen. - Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bereich der Gerontopsychiatrie umfasst nicht nur die Dementen, sondern auch die Patienten, die im Alter an Depressionen oder Psychosen leiden. Dieser sehr große Personenkreis erfährt in Sachsen-Anhalt keine adäquate Versorgung. Im Land Sachsen-Anhalt liegen bisher zu wenige Angaben über die Zahl der Dementen vor. Es gibt einige Studien und Schätzungen, aber mehr nicht.
Laut der vorliegenden Beschlussempfehlung soll nun eine empirische Datenbasis geschaffen werden, die für die weitere Arbeit in diesem Bereich sehr dringend erforderlich ist.
Die Früherkennung der Demenz und der Altersdepression liegt meist in den Händen der Hausärzte. Deshalb sollten diese in der Lage sein, eine differenzierte Diagnostik durchzuführen. Das Problem besteht darin, dass oft ein nicht ausreichendes Wissen über das Erkrankungsbild und die Diagnostik vorliegt. Es reicht jedoch nicht, die Fort- und Weiterbildungsinhalte zu erweitern bzw. zu verändern. Es muss auch für den Arzt verpflichtend sein, diese Aus- und Weiterbildungsangebote anzunehmen. Doch viele Ärzte nehmen diese Angebote nicht wahr, oft auch aus Zeitmangel.
Es ist festzustellen, dass die Strukturierung in den Heimen sehr mangelhaft ist. Bisher gibt es nur wenige Einrichtungen, die eine Gruppenarbeit für betroffene Patienten anbieten. In den meisten Fällen sind die Patienten stationär untergebracht, obwohl sie nicht im eigentlichen Sinne pflegebedürftig sind. Auf der anderen Seite sind die ambulanten Angebote bei weitem nicht ausreichend und die wenigen völlig überlastet.
Insgesamt werden die Initiativen und Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung von gerontopsychiatrisch Erkrankten auch ein finanzieller Kraftakt sein. In diesem Zusammenhang ist es schade, nein, eigentlich traurig, dass die Einrichtung bzw. Finanzierung eines Lehrstuhls für die Geriatrie innerhalb der medizinischen Fakultäten wohl eher ein Wunschtraum bleibt, obwohl der GBD darauf hingewiesen hatte, dass diese Möglichkeit durchaus bestünde.
Zitat Gronemeyer: „Alles dreht sich ums Geld. Anstatt uns den in Not geratenen Menschen zuzuwenden, was
bitter nötig wäre, verwenden wir all unsere Kraft und unseren Einfallsreichtum aufs Geld. Noch nie war Geld in ähnlichem Ausmaß Leitgedanke, ja höchstes Gut.“
Die Zukunft ist nicht nur eine Zukunft für Junge, wie oft suggeriert wird. Die Zukunft gehört zumindest zu gleichen Teilen auch den Alten. Doch deren Zukunft sieht mitunter nicht rosig aus.
Die vorliegende Beschlussempfehlung ist sicherlich ein bedeutender Schritt in die richtige Richtung,
(Frau Stange, CDU: Sie haben doch an den Ausschussberatungen gar nicht teilgenommen! - Weitere Zurufe von der CDU, von Frau Bull, PDS, und von Frau Krause, PDS)
und wir können nur hoffen, dass dies auch alles so umgesetzt wird, wie wir es beschlossen haben. - Danke schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zwischen 4 und 8 % der über 65-Jährigen sind heute bereits von der häufigsten demenziellen Erkrankung, der Demenz vom Alzheimer-Typ, betroffen. Das Risiko, an dieser Form der Demenz zu erkranken, wird mit zunehmendem Alter größer. Vom 60. bis zum 90. Lebensjahr verdoppelt sich das Risiko der Demenzerkrankung alle fünf Jahre. Ab dem 90. Lebensjahr ist der Anstieg zwar geringer, die Demenzhäufigkeit kann in dieser Altersgruppe aber zwischen 25 und 40 % liegen.
Die meisten Demenzkranken sind zwischen 80 und 90 Jahre alt. Bis zum 80. Lebensjahr beträgt die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken, 12 %. Ab dem 90. Lebensjahr liegt sie bereits bei 55 %.
Jedem im Saal ist die demografische Entwicklung in Deutschland bekannt. Aufgrund dieser Entwicklung und der dargestellten Zunahme von Erkrankungen im fortschreitenden Alter stellen die Demenzerkrankungen eine große gesellschaftliche Herausforderung dar. Schon heute sind deutliche Versorgungsdefizite zu erkennen. Es wird davon ausgegangen, dass heute ca. eine Million Demenzkranke versorgt werden müssen. Für die nächsten 30 Jahre wird ein Anstieg um 40 % prognostiziert.
Dabei stehen immer weniger jüngere Familienmitglieder zur Verfügung, um diesen Personenkreis zu pflegen. Die Angaben im Hinblick auf die Unterbringung in Heimen schwanken heute zwischen 10 und 40 %. Die Gruppe der an Demenz Erkrankten stellt bereits heute mit bis zu 80 % die größte Bewohnergruppe dar. Es ist unübersehbar, dass die Behandlung, die Betreuung und die Hilfe für Demenzkranke verbessert werden müssen.