Herzlichen Dank. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in meiner Rede - das ist vielleicht etwas ungewöhnlich - mit der Einbringung des Entschließungsantrags beginnen; denn dieser Antrag zielt mehr und detaillierter als das Gesetz auf Veränderungen in der schulischen Praxis. Damit möchte ich zum einen mit der Untugend Schluss machen, zuerst die schulischen Strukturen zu ändern und dann mit der inhaltlichen Ausgestaltung in vollmundigen Absichtserklärungen stecken zu bleiben.
Zum anderen sind wir uns schon der Tatsache bewusst, dass durch Gesetze eben nur Rahmen geschaffen werden, in denen sich Schulen entwickeln sollen, unter Umständen auch können, und dass durch Gesetze nur die grundlegende Richtung vorgegeben werden kann.
Allerdings - das sei an dieser Stelle schon angemerkt - kann man mit Gesetzen auch Entwicklungen verhindern und Zeichen exakt in die falsche Richtung setzen, wie das mit dem Gesetzentwurf der CDU- und der FDPFraktion geschieht. Aber dazu kommen wir später.
Ich möchte zunächst dafür werben, dass mit der Annahme unseres Entschließungsantrags ein Auftrag an die Landesregierung gegeben wird, die Sekundarschule wirklich zu einer anerkannten und attraktiven Schulform mit einem eigenständigen und vor allem in Bezug zum Gymnasium gleichwertigen Bildungsauftrag zu machen.
Dazu zählt die Gewährleistung von Chancengleichheit im Bildungszugang und bei der Wahl des Bildungswegs gleichermaßen. Darum fordern wir, die Sekundarschule so auszurichten, dass beim Vorliegen besonderer Leistungen auch nach der 9. Klasse oder gegebenenfalls nach der 10. Klasse der Bildungsweg am Gymnasium ohne Zeitverlust fortgesetzt werden kann.
Die Sekundarschule soll nach unserer Vorstellung zudem einen eigenständigen Charakter als allgemein bildende Schule mit einem hohen Bildungsanspruch erhalten und im Bereich technologischer und wirtschaftsnaher Bildungsinhalte besondere Schwerpunkte setzen. Das versteht sich selbstredend unabhängig von möglichen Profilbildungen im Sinne der inhaltlichen Schwerpunkte gemäß § 5 des geltenden Schulgesetzes.
Die Sekundarschulen werden bekanntlich vom größten Anteil eines Schülerinnenjahrganges besucht. Auch deshalb besteht nach unserer Auffassung die Verantwortung darin, eben dieser Schulform die größte Beachtung und Sorgfalt zu widmen. Gleichzeitig ist aber die Sekundarschule in den Augen vieler Eltern, vieler Schülerinnen und Schüler und zudem auch bei nicht wenigen Arbeitgeberinnen partiell diskreditiert. Das ist vor allem auf den niedrigsten Abschluss an der Sekundarschule, den Hauptschulabschluss, zurückzuführen.
Nicht wenige Eltern haben vor allem aus dem Grund der später schlechteren Chancen auf dem Ausbildungsmarkt ihren Kindern den Besuch des Gymnasiums empfohlen. Mit der Aushebelung der gemeinsamen Förderstufe wird dieser Entscheidungsdruck nun nur noch größer.
Darum legen wir besonderen Wert darauf, dass Sekundarschulen Kindern mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen offen stehen. Soziales Lernen soll betont werden. Die Heterogenität der Lerngruppen muss angenommen und im Sinne besserer Lernmotivation und besserer Lernleistungen produktiv gemacht werden.
Die Klassengemeinschaft soll einen hohen Stellenwert genießen. Die Dominanz des Frontalunterrichts wird dazu überwunden werden müssen. Leistungsdifferenzierte Gruppen ab Klasse 7, wie sie in der KMK-Vereinbarung gefordert werden, sollen auf das minimal erforderliche Maß beschränkt werden.
Besser allerdings wäre es noch, die Landesregierung schriebe sich auf die Fahnen, gemeinsam mit anderen Ostländern, die mehrheitlich ähnliche Schulformen haben oder dazu übergehen wollen, die KMK zu einer Aufhebung dieser für meine Begriffe rückständigen Regelung zu bewegen und die Verantwortung für die Gestaltung der Bildungsgänge endlich in die Hand der Schulen zu legen.
Mit einer Überarbeitung der Curricula soll nicht nur ein modernes Werk von Rahmenrichtlinien entwickelt werden. Grundlegende Kompetenzen sollen sicherer und auf
höherem Niveau ausgeprägt werden. Der wachsenden Dynamik von Lernprozessen in der modernen Gesellschaft muss besser entsprochen werden. Der Anwendungsbezug des Wissens muss erhöht werden. Damit korrespondiert ein Kernmoment unseres Antrages, an Sekundarschulen ein erweitertes Wissen und Verständnis von wirtschaftlichen und technologischen Zusammenhängen anzubieten.
Damit kann nicht nur der Bezug zum wirtschaftlichen und sozialen Leben gestärkt werden. Die Perspektiven künftiger Erwerbstätigkeit können so zunehmend zum Bestandteil des Bildungsangebotes werden, ohne den allgemein bildenden Charakter zu schmälern. Dann können sich nicht zuletzt auch die Vermittlungschancen von Absolventinnen dieser Schulform auch auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt verbessern.
Nutzbar wären für solche Entwicklungen auch die Erfahrungen des so genannten praktischen Lernens, wie sie für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten anderenorts bereits erfolgreich erprobt worden sind. Wir halten diese Erfahrungen für ausbaufähig, und zwar nicht nur bei Schülern mit Lernschwierigkeiten oder Lernverweigerung. Sie sollten vielmehr ein Grundbestandteil von Bildung in der Sekundarstufe, und das auch nicht nur an der Sekundarschule, sein.
Ihnen ist bekannt, dass wir auf die Defizite der Förderstufe anders reagieren wollen als die Regierungsfraktionen. Eine Aufhebung der gemeinsamen Förderstufe halten wir für den falschen Weg. Wir plädieren nach wie vor dafür, die Förderstufe zu qualifizieren. Davon ist bei Ihnen keine Rede mehr.
Anstatt die Förderstufe zu beerdigen, sollte der Spezifik dieses Bildungsabschnittes folgend Lernmotivation und Neugier entwickelt, Befähigung zum selbständigen Lernen ausgebaut und das Methodenreservoir der Schülerinnen und Schüler deutlich vergrößert werden. Nicht nur dafür braucht die Sekundarschule größere Freiräume für pädagogische Innovation und für die Entwicklung besonderer inhaltlicher Prägungen.
Die Beispiele, die es in Sachsen-Anhalt bereits gibt, wie unter anderem der Unterricht nach dem Dalton-Plan und die selbstwirksame Schule, was beispielsweise in der Sekundarschule Gerwisch praktiziert wird, müssen offensiver propagiert werden. Sie müssen als Beispiele gelten.
Vielleicht ist der Kultusminister doch einmal dazu zu bewegen, eine Schule wie die Sekundarschule Gerwisch zu besuchen, die seit Jahren erfolgreich nach der Dalton-Lernmethode arbeitet. Vielleicht sollten Sie dann jenen Schulrat mitnehmen - die hatten Sie eingeladen; Sie haben aber leider abgesagt; die Schule hatte bei Ihnen im Vorzimmer nur wenig Erfolg -,
der Unterricht von Pause nicht unterscheiden konnte. Vielleicht wird man sogar diesen dann davon überzeugen, dass es eine schöpferische Unruhe in einer Schule geben kann, in der verdammt angestrengt gearbeitet wird.
Überhaupt muss, glaube ich, der Lehrerfort- und -weiterbildung ein größeres Augenmerk gewidmet werden; insbesondere muss mehr und offensiver mit Best-PracticeBeispielen gearbeitet werden.
Unser Ziel ist es weiter, dass die an den Sekundarschulen zu erwerbenden Abschlüsse als Berechtigungen für alle weitergehenden Bildungsperspektiven gelten und dass sie zugleich aussagekräftiger als bisher den tatsächlich erfolgten Kompetenzerwerb widerspiegeln. Dazu muss das Leistungsbewertungssystem überprüft und weiterentwickelt werden.
Vielleicht kann man sich in Sachsen-Anhalt diesbezüglich etwas von den Bemühungen der Frau Schavan abschauen. Sie hat, so glaube ich, eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die emsig an Formen und Maßstäben für die Leistungsmessung und die Leistungsüberprüfung arbeitet. Die Überlegungen in dieser Gruppe - ganz weniges konnte ich davon durch Zufall erfahren - sind hochinteressant. Zentrale Klassenarbeiten in den Klassenstufen 4 und 6 allerdings, wie sie die Regierungsfraktionen vorschlagen, werden das Problem wohl kaum lösen.
Die Arbeit an den Sekundarschulen soll erfolgreicher auf eine hohe Bildungsbeteiligung ausgerichtet sein und zugleich hohe Bildungsergebnisse erzielen. Sie soll auf Leistung orientieren, ohne jedoch auszugrenzen. Vielmehr soll es an Sekundarschulen einen zielgerichteten Nachteilsausgleich geben und es sollen unterschiedliche Bezugsebenen beachtet werden. Dazu sind verstärkt binnenschulische Systeme zur individuellen Förderung zu schaffen.
Natürlich müssen solchen inhaltlichen Veränderungen auch entsprechende sächliche und personelle Voraussetzungen folgen; ohne die sind sie nicht zu haben. Das betrifft die Personalausstattung ebenso wie die Ausstattung mit modernen Unterrichtsmitteln. Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass eine erhöhte Stundentafel erforderlich ist, nicht nur damit die späteren Übergänge an das Gymnasium nicht an der ominösen 265-Jahreswochenstunden-Regelung scheitern, sondern weil es schlichtweg nicht erklärbar ist, an Sekundarschulen weniger Unterricht zu erteilen als an Gymnasien. Logisch wäre eigentlich das Umgekehrte.
Zudem muss noch beachtet werden, dass für den erforderlichen Nachteilsausgleich Kontingente zum Beispiel für Teilungsunterricht zur Verfügung stehen müssen. Nach überschlägigen Berechnungen unserer Fraktion benötigt man dazu etwa 400 Vollzeitlehrerstellen. Im Zuge des Rückgangs der Schülerzahl und der damit verbundenen Verringerung der Anzahl der Klassen an Sekundarschulen müsste das eigentlich zu schultern sein.
Angesichts des von der Bundesregierung in Aussicht gestellten Programms zur Entwicklung von Ganztagsschulen bietet es sich auch an, dies besonders für Sekundarschulen zu ermöglichen und auf diese Ressourcen zurückzugreifen. Ich sage dies im Übrigen in der Hoffnung, dass der Finanzminister des Bundes sein Haushaltsloch nicht gerade mit den dafür vorgesehenen Mitteln stopft, also in der Hoffnung, dass dieses Programm beibehalten wird.
Für die Sicherheit der Entwicklung der Sekundarschule ist es besonders wichtig, dass es eine mittel- und langfristige gesicherte Perspektive der Sekundarschulstandorte gibt. Wir wissen, wie viel Schwierigkeiten das derzeit macht. Darum fordern wir, schnell Klarheit darüber zu schaffen, dass jene Sekundarschulstandorte, die sich im Ergebnis der mittelfristigen Schulentwicklungsplanung bis 2005 herausbilden, länger Bestand haben können, selbst wenn sie nach dem Jahr 2005 die Mindestschülerzahlen zeitweilig unterschreiten. Das brächte Planungssicherheit für die Schulträger, für die Lehrerkolle
gien an den Schulen sowie Sicherheit für die Eltern, deren Kinder die Sekundarschule besuchen werden.
Darum fordern wir die Landesregierung auf, dem Landtag ein Programm zur Förderung und zur Entwicklung der Sekundarschulen zur Beratung und zur Beschlussfassung vorzulegen.
Der von uns zum gleichen Gegenstand vorgelegte Gesetzentwurf ist eigentlich nur das, was man aus unserem Entschließungsantrag, aus unseren inhaltlichen Konzept überhaupt in einem Gesetz verankern kann. Er regelt die neuen inhaltlichen Bestimmungen für die Sekundarschulen. Insbesondere legen wir Wert darauf, dass das Maß an zu vermittelnder Allgemeinbildung, anders als bei CDU und FDP, auf Chancengleichheit gerichtet ist.
Weiter regelt der Gesetzentwurf die Zusammenarbeit zwischen den Sekundarschulen und den Berufsschulen, auch mit Gymnasien, aber vor allem mit den Berufsschulen, weil wir gerade diese Potenzen gern nutzen möchten, um diesen Bildungsbestandteil der technologischen und wirtschaftlichen Kenntnisse und Zusammenhänge qualifiziert auszubauen.
Wir verändern ausdrücklich nicht die Regelungen zur gemeinsamen Förderstufe. Wir meinen, dass sie so beibehalten werden kann, obwohl wir wissen, dass bereits über einen Gesetzentwurf im Ausschuss beraten wird, der etwas anderes vorsieht. Hier werden wir in der Gesetzesberatung mit entsprechenden Änderungsanträgen reagieren.
Wir legen gleichfalls Wert darauf, dass es weiterhin einen einheitlichen, integrativen Bildungsgang an den Sekundarschulen auf der Grundlage einer zehnjährigen Vollzeitschulpflicht gibt. Auch dazu gibt es im Entwurf von CDU und FDP andere Vorstellungen.
Mit der qualitativ neuen Beschreibung der Sekundarschule und mit der Umsetzung der im Entschließungsantrag gestellten Zielsetzungen und Forderungen kann es gelingen, die Sekundarschule wirklich zu einer attraktiven Schulform und zu einer echten Alternative zur gymnasialen Bildung zu machen und zudem die Ausbildungschancen junger Menschen bei den Unternehmen zu verbessern. - Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Ich habe in meiner ganzen Rede nicht ein Mal „Pisa“ gesagt. - Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Nun erteile ich der Abgeordneten Frau Feußner von der CDU-Fraktion das Wort zur Einbringung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU und der FDP. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie bereits in der letzten Landtagssitzung angekündigt, bringt die CDU-Fraktion zusammen mit der FDP-Fraktion eine neunte Novelle zum Schulgesetz ein, welche die Reform der Sekundarschule beinhaltet. Schließlich ist die Sekundarschule die Schulform, an der die meisten Schüler unseres Landes unterrichtet werden. Das sagte Frau Hein bereits. Es sind ca. 60 % unserer Schüler.
Ebenfalls ist es die Schulform, die durch die Politik in den vergangenen Jahren, vor allem unter Rot-Rot in Sachsen-Anhalt, eine Reform erfahren hat, die jeglicher
Beschreibung spottet. Zumindest - das möchte ich den Oppositionsfraktionen durchaus zugestehen - haben Sie vielleicht aus Ihrer Sicht einen guten Ansatz verfolgt, aber absolutes Chaos produziert.
Aus diesem Grund haben wir den Gesetzentwurf in Ergänzung des von der Landesregierung eingebrachten Gesetzentwurfes vorgelegt. Wir werden mit dieser Schulgesetzänderung eine weitere Umsetzung unseres Koalitionsvertrages vornehmen.
Da die derzeitige neue Sekundarschule bei sehr vielen Betroffenen nur noch Ablehnung erfährt und die Verhältnisse in den Schulen eskalieren, haben sich gerade diese Personen, nämlich die Eltern, die Schüler und die Lehrer an uns gewandt und um eine schnellstmögliche Änderung gebeten. Dieser Forderung werden wir nun gerecht.
Das Ziel unseres Entwurfes ist es vorrangig, eine Verbesserung der Qualität des schulischen Unterrichts zu erreichen. Die Inhalte und die Struktur werden wir so verändern, dass die Schülerinnen und Schüler wieder ein Bildungsangebot erhalten, das ihren eigentlichen Lernvoraussetzungen und ihrer Lernbereitschaft entspricht. Wir werden klare Lern- und Abschlussziele aufzeigen und wieder - das ist ganz wichtig - stabile Lerngruppen installieren.
Was bedeutet dies konkret? - Mit dem Schuljahr 1999/ 2000 wurde die neue Sekundarschule eingeführt mit dem Ziel, eine äußere Fachleistungsdifferenzierung zu schaffen, um unterschiedliche Bildungsgänge zu vermeiden. Gleichzeitig sollte der Anteil der Schüler, die die Schule mit dem Hauptschulabschluss verlassen, verringert werden. Bis zum Schuljahr 2000/2001 betrug der Anteil der Schüler, die die Schule mit dem Hauptschulabschluss verließen, zwischen 11 und 13 %. Diese Schüler wurden bis dato in den differenzierten Bildungsgängen unterrichtet.
Im Rahmen einer Erhebung des Kultusministeriums im vergangenen Jahr wurde ermittelt, dass in diesem Jahr voraussichtlich 35 % - ich betone diese Zahl - der Schülerinnen und Schüler die neue Sekundarschule mit dem Hauptschulabschluss verlassen werden. Was hat also Ihr Gesetzentwurf zur neuen Sekundarschule für unsere Schüler heute gebracht?
Der damalige Kultusminister Herr Harms - er hat diese Erhebung in Auftrag gegeben - versuchte schnell nachzusteuern, als er diese Zahlen erfuhr. Er ließ dann auch Schülerinnen und Schüler mit einem Notendurchschnitt der Note 4 in den A-Kurs wechseln. Er ging wahrscheinlich davon aus, dass man eine Höherqualifizierung erreicht, indem man inflationär die Notendurchschnitte bzw. die Versetzungskriterien nivelliert. Aber auch dadurch wird man eine wesentliche Verringerung des Anteils der Schüler mit einem Hauptschulabschluss nicht erreichen.
Was waren also die wesentlichen Inhalte Ihrer neuen Sekundarschule? - Die zehnjährige Schulpflicht für alle, auch für die Schüler, die vom Leistungsniveau und von den Leistungsanforderungen her keinen Erfolg versprechenden Realschulabschluss erlangen konnten. Die viel gepriesene soziale Komponente, die Sie stärken wollten,