Protokoll der Sitzung vom 15.11.2002

Die Klassenverbände werden gestärkt, wobei der angestrebte Abschluss zum Kriterium für die Zusammensetzung der Klassen wird. Dadurch wird sichergestellt, dass die Schüler in den allermeisten Fächern in einer beständigen Zusammensetzung dem Unterricht folgen können. Verlässlichkeit bildet, wie in jeder Grundvorlesung zur allgemeinen Pädagogik zu hören ist, eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg des Unterrichts.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Wenn wir also die Verlässlichkeit der Abschlüsse wiederherstellen, die Bildungswege innerhalb der Sekundarschulen daran orientieren und die Stabilität des Klassenverbands gewährleisten, ist dies, wie ich denke, der effektivste Weg, um die Qualität der Schule strukturell nachhaltig zu erhöhen.

Gerade die wichtige Phase, die den Abschlussprüfungen vorangeht, also die in den Schuljahrgängen 9 und 10, verlangt, dass sich die Schüler innerhalb einer beständigen Klassenstruktur wiederfinden. Nur damit ist die Orientierung an den Leistungen der Mitschüler, die Positionierung innerhalb der Sozialstruktur, die positive Profilierung als entscheidende Lernmotivation, kurz: die Herausbildung der Persönlichkeit gewährleistet. Gleichzeitig ermöglicht die auf die Abschlüsse bezogene Differenzierung eine spezielle Vorbereitung auf die verschiedenen Anforderungsprofile der Berufsausbildung.

Im Gegensatz zu der aktuellen Regelung, nach der in jedem Fach neu zu selektieren ist, darf eine Differenzierung kein Selbstzweck sein, sondern muss zielbezogen erfolgen. Dies ist nur möglich, wenn ein Ziel, also ein jeweiliger Abschluss, mit den entsprechenden Berufsperspektiven am Ende des Bildungsganges erkennbar ist.

Es wird an der reformierten Sekundarschule damit wieder möglich sein, wesentlich konkreter auf die grundlegenden Fähigkeiten, die ein Hauptschulabschluss verlangt, oder die stärker der Allgemeinbildung dienenden Kenntnisse eines Realschulabschlusses einzugehen. Ich bin mir sicher, dass damit die Zahl der Schüler, die die Sekundarschule ohne jeden Abschluss verlassen, maßgeblich reduziert werden kann. Auch dies ist eine Maßnahme zur Qualitätssteigerung, deren Notwendigkeit nach Pisa unbestritten sein gewesen dürfte.

Indem auch die Schuljahrgänge 5 und 6 zukünftig schulformbezogen geführt werden, wird es möglich, die individuellen Fähigkeiten und Leistungen der Schüler wesentlich konkreter zu fördern. Durch zentrale Klassenarbeiten mit landesweit einheitlichen Aufgaben wird es den Eltern und Kindern zukünftig möglich sein, die jeweiligen Leistungen realistisch einzuschätzen und damit die Entscheidung über den weiteren Bildungsweg auf einer soliden Grundlage zu treffen. Gleichzeitig können die Ergebnisse als Indikator für die Leistungsfähigkeit der einzelnen Schulen herangezogen werden, sodass man bei Bedarf zeitnahe und effektive Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität veranlassen kann.

Einheitliche Leistungsstandards für alle Schüler einer Schulform gelten dann nicht nur am Ende der Schulzeit, sondern auch vor wichtigen Etappenzielen - eine Regelung, die nicht nur fair, sondern auch vernünftig ist.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes geben wir gleichzeitig den einzelnen Schulen ein Stück mehr Autonomie. Die Siedlungs- und zwangsläufig die Schulstruktur ist in unserem Land zu heterogen, um eine feste Organisationsform flächen

deckend durchzusetzen. In der Altmark herrschen andere Bedingungen als in Magdeburg oder Halle.

So sollen die Schulen verschiedene Möglichkeiten zur Unterrichtsorganisation erhalten. Abschlussbezogene Klassen ab dem 7. Schuljahr sind ebenso denkbar wie abschlussbezogene Gruppen, in denen Schülerinnen und Schüler entsprechend ihrem Leistungsniveau, ihrer Lerndisposition und mit Bezug auf den angestrebten Abschluss unterrichtet werden. Damit wird eine flexiblere Schulentwicklungsplanung ermöglicht, die den jeweiligen lokalen und regionalen Gegebenheiten und der demografischen Entwicklung gerecht wird.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verwirklichen wir ein zentrales Element des politischen Teils der Aufgabe, die Schule in Sachsen-Anhalt für das 21. Jahrhundert fit zu machen.

Wenn wir den Gesetzentwurf nach der Ausschussberatung verabschieden, wird der Rohbau des Projekts vollendet sein. Es geht nun darum, dieses Bauwerk mit Inhalt, Leben und Farbe zu füllen. Daher rufe ich Sie alle nachdrücklich auf, daran mitzuwirken, sich daran zu beteiligen. In diesem Sinne beantrage ich die Überweisung in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft.

Der Vollständigkeit halber, meine Damen und Herren: Die von mir dargestellten zentralen Elemente einer modernen, zukunftsfähigen Sekundarschule, die wir in unserem Gesetzentwurf formuliert haben, sind in den Vorschlägen der PDS nicht zu erkennen. Diese enthalten sicherlich nachdenkenswerte Elemente, bedeuten aber in letzter Konsequenz ein „weiter so wie bisher“. Wie Sie, Frau Hein, bei der Erläuterung Ihres Gesetzentwurfs selbst sagten, heißt das, die Sekundarschule wird weitergeführt wie bisher. - Besten Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Ich darf jetzt Schülerinnen und Schüler des Altmark-Gymnasiums Tangerhütte und Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schule I, Schule des zweiten Bildungsweges, aus Magdeburg auf der Tribüne begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Jetzt haben die beiden einbringenden Fraktionen noch einmal das Wort. Zunächst Frau Dr. Hein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie, meine Damen und Herren von der CDU, hatten uns angekündigt, wir würden uns über Ihre Vorschläge zur Änderung der Sekundarschule wundern.

(Frau Feußner, CDU: Nein, das haben wir nicht gesagt!)

- Das haben Sie einmal gesagt, Frau Feußner. Sie waren es sogar persönlich.

(Frau Feußner, CDU: Nein!)

Ich bestätige Ihnen hiermit: Das ist Ihnen gelungen. Es ist eine Überraschung, was Sie vorlegen. Immerhin habe ich noch keine Regierungsfraktion in diesem Hohen

Hause gesehen, die ihre eigene Landesregierung auf eine derartige Weise vorführt.

(Zustimmung bei der PDS)

Fast müsste man den Kultusminister gegen Sie unterstützen, denn was aus dem Ministerium gekommen ist, war wesentlich moderater als Ihr Vorschlag. Nach der Rede des Kultusministers weiß ich allerdings nicht, ob das einen Sinn macht.

(Beifall bei der PDS)

Herr Volk, Sie können wahrscheinlich an das glauben, was Sie gesagt haben. Ich verstehe auch, dass Sie den neuen Ansatz in unserem Antrag nicht verstehen können. Vielleicht reden wir noch einmal darüber. Nur, in Ihrem Gesetzentwurf kann von neuen Einsichten, die Sie gewonnen haben, überhaupt keine Rede sein, es sei denn, dass Sie noch stringenter zur Bildungsauslese beitragen wollen. Dazu im Einzelnen unsere Kritiken.

Ihr Gesetzentwurf ergänzt nicht nur den Entwurf der Landesregierung zum Achten Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes in Bezug auf die Sekundarschulen in dem Sinne, wie wir unseren Gesetzentwurf auffassen, obwohl wir partiell auch den Entwurf der Landesregierung kritisieren, er nimmt vielmehr nochmals den gesamten Gesetzesgegenstand zum Thema und ändert ihn auch zum Teil. Der Minister hat dazu bereits etwas gesagt. Dieser Entwurf muss also, anders als unserer, als Ersatz des Regierungsentwurfes betrachtet werden. Konsequenterweise müsste die Landesregierung ihren Entwurf zurückziehen.

Zum Zweiten: Bei der Grundschule soll eben nicht nur eine Regelung Eingang finden, die erneute Schullaufbahnempfehlungen ermöglicht; sie soll außerdem noch in unmittelbaren Zusammenhang gebracht werden mit einer Abschlussprüfung - so möchte ich es bezeichnen -, einer zentral gestellten Klassenarbeit, die dann - das hat der Kultusminister bestätigt - sozusagen Hinweise für die Schullaufbahnempfehlung gibt.

(Frau Liebrecht, CDU: Nein! - Frau Feußner, CDU: Lesen Sie doch im Protokoll nach!)

Wissen Sie eigentlich, welchen Druck Sie damit auf die Lernarbeit nicht nur in der gesamten 4. Klasse ausüben, wie sehr Sie Lehrerinnen und Lehrer nötigen, diese Schere bereits beim Unterrichten im Kopf zu haben? Wird nicht vor allem auf diese Klassenarbeiten hingearbeitet werden? Diese Klassenarbeiten dienen eben nicht der Evaluation, dem Ausgleich und dem Abbau von Defiziten, sondern sie stellen sie am Ende einfach fest. Nachteilsausgleich und Chancengleichheit weichen der Vorauswahl für künftige Bildungsgänge. So bleibt die notwendige Solidität der Arbeit in der Grundschule vermutlich wenigstens partiell auf der Strecke. Grundschullehrerinnen haben uns das übrigens, bevor es eine SPDgeführte Regierung in diesem Lande gab, schon öfter gesagt.

Nicht anders verhält es sich mit den Arbeiten zum Zeitpunkt der 6. Klasse, nur kommt jetzt noch erschwerend hinzu, dass Sie die freie Wahl des Bildungsweges durch die Einweisung in bestimmte Kurse oder gar durch den Verweis vom Gymnasium ersetzen. Das machen Sie ziemlich stringent. Elternrechte, Schülerrechte haben hier nichts mehr zu sagen. Die Klassenkonferenz ent

scheidet im Bedarfsfalle, wer vom Gymnasium an die Sekundarschule verwiesen wird.

Dazu muss ich schon sagen, Herr Professor Olbertz, der Hinweis auf die nichthierarchische Betrachtung der Schulformen ist dann sicherlich eine ziemliche Farce. Es ist dann einfach eine Hierarchie. Sie können reden, was Sie wollen: Für Eltern und im Selbstverständnis von Schülerinnen und Schülern bleibt es eine Hierarchie.

Sie wollen den Begriff „Förderstufe“ nun vollständig aufgeben. Sie haben das eben erklärt und dann dazu gesagt, dass es gar nicht so gemeint sei, wie es im Gesetz stehe.

Ich fürchte allerdings, es ist so gemeint, sonst stünde bei der Sekundarschule nicht, die Erprobungsstufe fördere die Schülerinnen und Schüler in ihren individuellen Fähigkeiten und - jetzt kommt es! - führe sie in die Lernschwerpunkte und Lernanforderungen der Schuljahre 7 bis 10 der Sekundarschule ein. Beim Gymnasium steht das fast genauso, nur mit Bezug auf das Gymnasium.

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

Sie haben früher angekündigt, Sie wollten die Förderstufe nur auf die Schulformen verteilen, wobei es nach der 6. Klasse immer noch möglich sein solle zu wechseln.

(Frau Feußner, CDU: Natürlich!)

Diesen Ansatz haben Sie aufgegeben.

(Frau Feußner, CDU: Reden Sie uns doch nicht ein, was wir vorgehabt haben!)

So steht es in Ihrem Gesetzentwurf und anders ist er nicht zu interpretieren.

(Frau Feußner, CDU: Ja, wenn Sie das nicht in- terpretieren können, kann ich nichts dafür!)

- Wir können das sehr wohl interpretieren, und ich fürchte, Eltern auch.

Ein Offenhalten von Bildungsgängen nach der 6. Klasse ist eben nicht gewährleistet. Es geht auch nicht darum, Schülerinnen und Schüler noch zum Gymnasium zu überweisen. Das geht auch gar nicht, weil die Differenzen dann schon viel zu groß sind. Da helfen auch die gemeinsamen Lehrpläne, wenn Sie sie überhaupt durchhalten, nicht mehr sehr viel.

Sie schränken in der 6. Klasse die freie Wahl des Bildungsweges ein, sowohl beim Übergang zum Gymnasium als auch bei der Zuordnung zu den entsprechenden leistungsdifferenzierten Kursen. Indem Sie auch gleich noch die Entscheidung für die Kurse treffen wollen und dann auch noch erklären, der gesamte Unterricht würde sich dann auf diesen Abschluss hin bewegen, ist völlig klar, dass Sie von der 7. Klasse an einem als Hauptschüler eingestuften Schüler nicht mehr zubilligen, dass er am Ende einen Realschulbildungsgang erfolgreich abschließen kann.

(Zustimmung bei der PDS)

Ich muss Ihnen sagen, das steht auch in Ihrem Gesetz so, das kann man dort nachlesen. Sie müssen nämlich, um die 10. Klasse absolvieren zu können, einen erweiterten Hauptschulabschluss erreichen und nicht etwa den Hauptschulabschluss.

In einem solchen Falle rede ich dann schon von Verkürzung von Bildung, von Einschränkung von Bildungsrechten, von Verzicht auf Chancengleichheit. Es sind ausgerechnet die Schülerinnen und Schüler, die sich an dieser Stelle am wenigsten wehren können, die die wenigsten Chancen haben, die auch die geringste Lobby haben, und das mache ich Ihnen zum Vorwurf.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Ha- jek, SPD)