Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Ich kann Ihnen sagen, meine Damen und Herren: Guter Rat ist teuer, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Sie alle in der Öffentlichkeit erklärt haben: Wir haben zu viele Lehrer, unsere Klassen sind im Vergleich zu den anderen Ländern zu klein, und wenn alle einen Sockel von 75 % verdienen, sei das ein großes Entgegenkommen in dieser Situation. Verbeamtet werden sollte auch, und das in Größenordnungen - ohne Rücksicht auf die Folgen für das Betriebsklima in den Schulen und vor allen Dingen ohne Rücksicht auf die zukünftigen Kosten.

(Frau Feußner, CDU: Wenn Sie schon zitieren, dann bitte richtig!)

Wir alle wissen, wie zäh sich die Tarifverhandlungen hingezogen haben, weil man sich schon methodisch hinsichtlich der Modalitäten der Bedarfsberechnung nicht einig war und weil auch die Landesregierung hoch gepokert hat. Das ist legitim und normal.

Reineweg unanständig aber war der Umstand, meine Damen und Herren, dass während der laufenden Tarifverhandlungen der Dienstherr - in diesem Fall das Fachministerium, also Kultus, und damit sein oberster Chef, Minister Olbertz - versuchte, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen, und zur allgemeinen Verunsicherung

ohne Information an den Verhandlungspartner alle Grundschullehrerinnen und -lehrer anschrieb und wohlfeil Kündigungsschutz anbot, wenn diese freiwillig ihre Arbeitsverträge auf Teilzeit von 75 % oder was auch immer umstellten. Sicher ist das rechtlich nicht verboten; es ist aber kein Umgang mit dem Tarifpartner und mit dem einzelnen Arbeitnehmer. Das ist kein Stil, das hat keine politische Kultur.

(Zuruf von der SPD: Jawohl!)

Wie wir wissen, war es auch ohne Erfolg - und das zu Recht. Denn, meine Damen und Herren, im Jahr 13 nach null sollte eigentlich auch beim letzten Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst angekommen sein, dass eine Kündigung keine oder kaum Aussicht auf Erfolg hat, wie andere Länder beweisen, etwa Thüringen, wo man versucht hat, 900 Lehrern zu kündigen.

Solche Aktionen startete schon Ihr Kollege Frick, seines Zeichens Wissenschaftsminister von der FDP, im Jahre 1993, indem er unbefristete Arbeitsverträge von angestellten Mitarbeitern der Universitäten unter Androhung der Kündigung in befristete Verträge umwandeln wollte. Damals war die Erfolgs-/Kopfquote noch erheblich höher, da sich viele Mitarbeiter verunsichern und arbeitsrechtlich unter Druck setzen ließen - und das, meine Damen und Herren, in einer Zeit, in der noch Sonderkündigungsmöglichkeiten nach dem Einigungsvertrag bestanden. Natürlich war und ist das ein Problem, das uns als Personalproblem zum Teil bis heute erhalten geblieben ist. Ich nenne nur die Uni Halle.

Fazit: Nicht nur die Gewerkschaften wissen, dass Kündigungen im öffentlichen Dienst ein schieres Ding der Unmöglichkeit sind und der gerade von Ihnen immer so leicht geforderte und benannte Personalabbau eben nicht einfach so nebenbei erledigt werden kann, und zwar auch deshalb nicht, weil an dieser Stelle ein hoher individualrechtlicher Schutz besteht. Und das, meine Damen und Herren, ist auch gut so; denn das ist ein Teil des Sozialstaates, den man nicht leichtfertig aufs Spiel setzen darf.

Eben aus der Erkenntnis heraus, dass es rechtlich nur möglich war und ist, Stellen und Personen arbeitsrechtlich sicher abzubauen, um das zu können und damit auch noch Geld einzusparen, brauchte man auch diesen Anschlusstarifvertrag. Das wurde auch der Landesregierung klar, als die Gewerkschaften hart blieben.

Denn eines muss man wissen: Jeder Tarifvertrag ist besser und vor allen Dingen billiger als kein Tarifvertrag. Über das, was ohne Tarifvertrag für das Land als Arbeitgeber, aber auch für die betroffenen Kolleginnen und damit letztlich für die Situation an unseren Schulen eingetreten wäre, will ich jetzt nicht reden. Das kann ich interessierten Kollegen gern im Pausengespräch sagen.

Ich sage es noch einmal: Wir sind froh, dass der Anschlusstarifvertrag zustande gekommen ist; denn Arbeitsplatzsicherheit bei einem für den Osten akzeptablen Einkommen ist wichtig für die Arbeitsmotivation, und die scheint mir mehr denn je notwendig, denn den Schulen steht, wie Sie wissen, bildungspolitisch einiges ins Haus - und nicht nur Gutes.

Die erfolgte Einigung lässt aber auch zu, dass Schule relativ verlässlich geplant werden kann. Der Tarifvertrag sichert hinsichtlich des Lehrkräftebedarfs nicht nur den Status quo; er geht darüber hinaus. Denn entgegen der weit verbreiteten und irrigen Meinung sind unsere Lehrer-Schüler-Relationen bei weitem nicht mehr so gut wie

in den vergangenen Jahren; denn durch den bisherigen Tarifvertrag wurden tatsächlich Stellen abgebaut bzw. aufgrund anderer sozialverträglicher Maßnahmen sind erheblich mehr Kollegen aus dem Dienst ausgeschieden als ursprünglich angenommen.

Also, meine Damen und Herren, wir haben Stellen und Personen abgebaut und damit auch Einsparungen für den Landeshaushalt erbracht. Real liegen wir zurzeit bei einigen Schulformen in der Lehrer-Schüler-Relation sogar hinter Sachsen und Thüringen. In den Berechnungen zum Bedarf sind diese besseren Relationen Zielgröße geworden, sodass ich hoffe, dass eine erkennbare Verbesserung in der Unterrichtsversorgung eintreten könnte, zumal durch flexible Regelungen auch regionale Defizite besser ausgeglichen werden können.

Ich gehe davon aus, dass sich besonders für die Grundschule Verbesserungen ergeben, weil durch die schülerbezogene Lehrerstundenzuweisung mehr Spielräume entstehen. Und diese brauchen wir dringend, meine Damen und Herren. Denn wenn wir endlich einmal Ernst machen mit Reformen nach Pisa, und zwar inhaltlicher und nicht nur struktureller Natur, wenn wir mehr Deutsch, Mathematik und Englisch in die Grundschule bringen wollen, dann brauchen wir diese Zeit.

Übrigens, bei Erhöhung von Stundenvolumina müssen wir auch noch einmal über die Länge des Schultags nachdenken. Fünfeinhalb Stunden dürften nicht reichen und bei einem längeren Schultag muss man für Sechs- oder Siebenjährige auch über andere Rhythmisierungen des Schulalltags sprechen. Darauf freue ich mich jetzt schon.

(Zuruf von Frau Feußner, CDU)

Meine Damen und Herren! Der Anschlusstarifvertrag ist gut für die Schule. Als Bildungspolitikerin kann ich mit den Ergebnissen gut leben und hoffe, dass sowohl die Gewerkschaften als auch die TdL zustimmen werden.

Womit ich schlecht umgehen kann - das habe ich, glaube ich, aber auch deutlich gemacht, meine Damen und Herren -, ist Ihre Unehrlichkeit bzw. Unaufrichtigkeit. Unter dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“, haben Sie es in erstaunlicher politischer und geistiger Akrobatik geschafft, vom stärksten Ablehner zum Befürworter des Tarifvertrages zu werden.

(Herr Gürth, CDU: So ein Quatsch!)

Der fette Happen Personalkosten aus dem Einzelplan 07 steht natürlich hier schon im Gespräch. Wie spiegelt eigentlich der Haushaltsansatz das wider, was Sie letztlich aufgrund des Drucks und des Verhandlungsgeschicks der Gewerkschaften akzeptieren mussten? Wenn man davon ausgeht, mit welchen Angeboten Sie in die Tarifverhandlungen gegangen sind - 75 % plus x, Verbeamtung usw. -, muss man sich schon fragen, wo die finanziellen Ansätze für den jetzt paraphierten Abschluss erscheinen.

Es gibt noch mehrere Fragen. Diese wird mein Kollege Bullerjahn stellen. Das ist auch der Hintergrund, warum wir diesen Antrag eingebracht haben. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Frau Mittendorf. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in eine Fünfminutendebatte in

der Reihenfolge FDP, PDS, CDU, SPD ein. Zunächst erteile ich für die FDP-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Dr. Volk das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Volk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! „Was lange währt, wird endlich gut.“ - Dass geflügelte Worte nicht immer den Kern einer Sache treffen, zeigt die Geschichte des so genannten Lehrertarifvertrages. Frau Mittendorf, ich muss Ihnen danken, Sie haben die Geschichte relativ gut dargestellt.

Der jetzt paraphierte Entwurf, den die Tarifpartner vorgelegt haben, befindet sich in der Erklärungsphase beider Tarifparteien. Deshalb ist Zurückhaltung geboten. Der Entwurf ist ein Verhandlungskompromiss aus dem Erbe eines von uns sehr kritisch eingeschätzten laufenden Vertrages, aus äußeren Notwendigkeiten, aber auch basierend auf dem politischen Willen der Koalition zu einer vertraglichen Lösung. Das können Sie in unserem Koalitionsvertrag nachlesen.

Er ist ein Verhandlungsergebnis auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ich betone dies ausdrücklich, weil wir uns noch an die Lobpreisungen der damaligen Landesregierung und der Gewerkschaften nach Abschluss des ersten Lehrertarifvertrages erinnern können. Zugleich verweise ich aber auch auf die von Herrn Harms an den Tag gelegte Zurückhaltung, als es um eine Weiterverhandlung dieses Vertrages ging.

Der vorliegende Vertrag bietet ein weit höheres Maß an Haushaltssicherheit. Indem die Arbeitszeit zumindest teilweise flexibilisiert und das Unterrichtssoll schulformbezogen regelmäßig neu festgestellt wird, kann es nicht wieder zur Anhäufung von Millionen unbezahlter Überstunden kommen.

(Zustimmung bei der FDP)

Die Abgeltung dieses Erbes im Wert von mehr als 300 Millionen € wurde mit dem Vertrag eingeläutet, und dies nötigt mir schon Respekt ab.

Ich denke, dass der ausgehandelte Kompromiss eine Formel ist, mit der beide Tarifpartner leben können, der aber auch weitreichende Konsequenzen für die Bildungslandschaft in Sachsen-Anhalt hat. Lassen Sie mich deshalb an dieser Stelle einige Gedanken über die Notwendigkeit eines solchen Vertrages äußern.

Wir treffen in Sachsen-Anhalt auf einen Sonderfall: dass der Flächentarifvertrag für Angestellte im öffentlichen Dienst bei einer Berufsgruppe durch einen Vertrag auf untertariflicher Ebene aufgebrochen wird. Man kann sich seriös die Frage stellen, ob das nicht ein Modell für andere Bereiche des öffentlichen Dienstes ist. Man sollte fachlich fundiert darüber nachdenken, ob nicht prinzipiell Tarifvereinbarungen für landesspezifische Bedingungen ausgehandelt werden sollten, entweder durch untertarifliche Verträge oder durch Tarifverhandlungen des Landes nach Austritt aus der Tarifgemeinschaft der Länder.

Solche Modelle könnten funktionieren, wenn sich die Tarifpartner zu einer nachhaltigen Entwicklung im Land und damit für die Arbeitsplätze und für diejenigen, die sie ausfüllen oder ausfüllen könnten, bekennen. Das ist auch die Krux des Lehrertarifvertrages, so wie er gilt. Das Ziel war eben nicht die nachhaltige Entwicklung der Arbeitsplatzlandschaft Schule in Sachsen-Anhalt, sondern er war - wie es propagiert wurde - ein so genannter Arbeitsplatzsicherungsvertrag.

Wir wollen alle eine leistungsfähige Bildungslandschaft in Sachsen-Anhalt und nach Pisa erst recht. Dazu brauchen wir aber eine Lehrerschaft, die bedarfs- und qualifikationsgerecht strukturiert ist. Wir brauchen Lehrer, die sich in der Struktur wiederfinden und gefördert werden. Wir brauchen Leistung und auch eine leistungsgerechte Entlohnung.

Wir wissen auch, dass es in Deutschland einen Nachfragemarkt für hochqualifizierte Lehrer gibt. Auch wir müssen uns diesem Wettbewerb stellen, wenn die Bildung in Sachsen-Anhalt in Zukunft bestehen soll. Ich hege Zweifel daran, dass wir dies mit einem solchen Tarifvertrag richtig leisten können. Wir händeln ein Erbe und müssen die Fehler der Vergangenheit korrigieren.

Mit dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP wollen wir diesen Weg parlamentarisch begleiten und die Landesregierung bitten, uns in den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft sowie für Finanzen über die Wirkungen des Anschlusstarifvertrages zu informieren. Deshalb bitte ich um Zustimmung.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herr Bullerjahn und auch Frau Mittendorf haben Fragen. Herr Dr. Volk, Sie sind bereit, diese zu beantworten, wie ich sehe?

Zunächst Herr Bullerjahn.

Herr Dr. Volk, wo liegt aus Ihrer Sicht der große Unterschied zwischen dem Änderungs- und dem Ursprungsantrag?

Im ersten Satz. Wir stehen mitten in der Erklärungsfrist. Die Tarifpartner haben sich bis Februar/März 2003 zu erklären. Das ist eine Sache der Tarifpartner, also der Exekutive.

Bitte sehr, Frau Abgeordnete Mittendorf.

Kollege Volk, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie nachdrücklich unterstützen, dass das Land SachsenAnhalt aus der Tarifgemeinschaft der Länder austreten soll?

Ich habe gesagt, man sollte seriös und fundiert darüber nachdenken, ob man nicht in bestimmten Bereichen entweder durch einen speziellen Vertrag wie beim Lehrertarifvertrag oder insgesamt - das ist natürlich auch eine Option - landesspezifische tarifliche Lösungen finden kann.

Aber das widerspricht sich insofern, als das, was jetzt mit dem Tarifvertrag passiert, im Rahmen des Flächentarifvertrages durch eine Öffnungsklausel schon vor vielen Jahren geregelt wurde. Sie wollen aus einer Sache aussteigen, in der die Dinge eigentlich hervorragend geregelt sind.

Hervorragend geregelt ist das, glaube ich, nicht.

Man kann über Details streiten. Aber würden Sie es prinzipiell befürworten, aus der Tarifgemeinschaft der Länder auszusteigen?

Das ist ein Denkmodell, welches man nicht von vornherein aussparen sollte.