Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

Wenn man das Stimmenverhältnis im Bundesrat berücksichtigt - wir haben 16 Bundesländer -, zeichnet sich dafür eine Mehrheit ab. Wir gehen davon aus, dass wir im nächsten Jahr eine Mehrheit auf Bundesebene - im Bundesrat und im Bundestag - bekommen werden, vorausgesetzt, Ihr Bundeskanzler bringt ein vernünftiges Gesetz in den Bundestag ein.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Dr. Püchel, SPD: Unser aller Bundeskanzler! Oder leben Sie in einer anderen Republik?)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Bevor wir die Debatte fortsetzen, habe ich die Freude, auf der Besuchertribüne Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Mücheln begrüßen zu können.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nun erteile ich Frau Rogée für die PDS-Fraktion das Wort.

(Frau Rogée bringt eine Verkehrsleitkelle mit ans Rednerpult)

Die hole ich dann später noch einmal hervor.

(Heiterkeit)

Es ist schon interessant, wie hier darüber debattiert wird, wer, was das Ladenschlussgesetz betrifft, der bessere Liberalisierer ist.

(Zustimmung bei der PDS)

Ich habe einmal gelernt, dass Menschen vernunftbegabte Wesen sind. Das bedeutet für mich, dass der Mensch sein Tun auch hinsichtlich seiner Auswirkungen bedenken kann.

Die Kirche sagt: Das Ladenschlussgesetz ist ein weltliches Ding, deshalb unterliegt auch seine Änderung der Entscheidung von Menschen. Dennoch erinnern die Vertreter der Kirche uns, die Politiker, daran, unsere Entscheidungen hinsichtlich der Auswirkungen auf die Menschen, die Familien und den gesellschaftlichen Umgang miteinander gut zu prüfen. Das habe ich im Ausschuss bei der Anhörung zum Ladenschlussgesetz erfahren; Herr Gürth war dabei.

Am 11. Oktober haben wir hier über Sonderöffnungszeiten nach der Flutkatastrophe diskutiert. Einig waren wir uns darüber, dass es keine Debatte zur Aufhebung bzw. zur Änderung des Gesetzes war. Sie, Herr Rehberger, haben in Ihren Ausführungen angeboten - ich zitiere -:

„Im Übrigen bin ich, wenn Sie das wünschen, gern bereit, mit Ihnen bei nächster Gelegenheit noch einmal gründlich über die Frage zu diskutieren, wie wir bundesweit die Dinge im Ladenschlussbereich neu regeln sollten, damit sie den heutigen Anforderungen gerecht werden.“

(Minister Herr Dr. Rehberger: Das gilt nach wie vor!)

- Ich erinnere nur daran.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Sie haben mich bis- her nicht eingeladen, sonst wäre ich gekommen!)

- Ich komme noch darauf. - Herr Gürth hat in seinem Redebeitrag eine Reihe sehr interessanter Fragen aufgeworfen, die er als diskussionswürdig erachtet, unter anderem Fragen der Mittelstandsstruktur und der Familienpolitik. Besonders interessant fand ich die Frage: Wie wollen wir mittelständische Wirtschaft auch im Bereich Einzelhandel und Dienstleistung im Sinne von Vielfalt und auf der Grundlage einer menschlichen Gesellschaft in Sachsen-Anhalt gestalten? - Herr Gürth hat offensichtlich mit einer Diskussion gerechnet.

Auch Herr Dr. Schrader hat eine fachgerechte öffentliche Diskussion eingefordert und deshalb den Vorschlag des Wirtschaftsministers, im Wirtschaftsausschuss ausführlicher zu berichten und zu beraten, ausdrücklich begrüßt.

Meine Herren! Ich kann mich an keine Debatte im Wirtschaftsausschuss zum Thema Ladenschluss nach dieser Landtagssitzung erinnern. Insofern haben wir natürlich auf Ihre Einladung gewartet.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Ach nein! Ich habe angeboten zu kommen!)

Eher zufällig habe ich als ver.di-Vertreterin an einer Anhörung des Arbeitskreises Wirtschaft der CDU und der FDP teilnehmen können.

(Zuruf von der CDU: Zufällig?)

- Eher zufällig, natürlich.

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Das war nicht zufällig! - Herr Schomburg, CDU: Sie hatten eine Einladung!)

- Nicht ich, die hatte mein Landesleiter.

(Herr Scharf, CDU: Das ist doch richtig so!)

Das war dann offensichtlich die öffentliche Debatte.

(Herr Gürth, CDU: Weil die Gewerkschaften wich- tig sind und wir sie in die Debatte einbeziehen!)

- Aber Sie haben damit gerechnet, dass ich komme. Oder?

(Herr Gürth, CDU: Wir hätten Sie vermisst, wenn Sie nicht gekommen wären!)

Heute liegt offensichtlich das Ergebnis dieser Anhörung vor. Ihr Antrag beschäftigt sich nur mit einer Änderung des Ladenschlussgesetzes - so verstehe ich das jedenfalls -, mit Fragen der Öffnungszeiten. Warum streben Sie keine Abschaffung des Gesetzes an? Das wäre doch aus Ihrer Sicht konsequent.

Seit Jahren höre ich, das Ladenschlussgesetz sei überreguliert - das haben wir eben auch gehört -, sei viel alter Kram. - Ja, mir fallen auch eine ganze Menge Punkte ein, die man verändern könnte. Sie haben sich - außer Herrn Gürth - inhaltlich nicht mit dem Gesetz befasst. Es sind die Lobbyisten, die es Ihnen angetan haben. Die Meinung der Bürger ist Ihnen egal, ebenso wie die Demonstranten, die auf dem Domplatz für ihre Rechte streiten;

(Zustimmung bei der PDS)

denn auch das sind Bürger.

Das Tarifvertragsgesetz und die Betriebsverfassung finden für Sie durch Ihre Liberalisierungsbrille offensichtlich gar nicht statt. Oder wie soll ich Ihre Aufforderung nach betriebsinternen Regelungen verstehen?

Kennen Sie eigentlich Betriebsabläufe in ostdeutschen kleinen und mittleren Unternehmen, in denen weder das Tarifvertragsgesetz noch das Betriebsverfassungsgesetz gilt? Da sind die Arbeitnehmer in vielen Fällen personelle Manövriermasse, im wahrsten Sinne des Wortes abhängig Beschäftigte, die schlecht bezahlt werden, in Größenordnungen unbezahlte Mehrarbeit für das Unternehmen leisten und persönlich keinen Einfluss auf ihre tatsächliche Arbeitszeit und ihre Arbeitsbedingungen haben.

Ende November war ein Arbeitgeber bis ins Mark erschüttert, dass er für tarifliche Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen keine willigen, geeigneten Arbeitskräfte fand. Das stand in einem Artikel, bei dem ich fast in Tränen ausgebrochen wäre.

(Oh! bei der CDU)

- Das können Sie sich vorstellen, nicht?

(Herr Gürth, CDU: Warum eigentlich nur fast?)

- Nur fast. - Ein Arbeitgeber, Herr Bauunternehmer Klick, suchte händeringend in dem Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit Mitarbeiter und die wollten nicht. Das Ziel des Artikels war, diese faulen Arbeitslosen zu diskreditieren. Vielleicht haben Sie das auch verfolgt. Die IG Bau hat dann in Leserbriefen die tatsächlichen Arbeitsbedingungen dieses Unternehmens aufgezeigt - von wegen Tarif und sonstigen guten Arbeitsbedingungen.

Ein Argument, meine Damen und Herren, ist: Die Menschen wollen die längeren Öffnungszeiten. Wissen Sie, es gibt auch eine hohe Anzahl von Bürgern, die diese Form der Demokratie ablehnen und deshalb nicht mehr zur Wahl gehen. Daraus könnte man doch schlussfolgern, dass das Parlament sich auflöst und die Gesetze verbrennt. Dann ist jeder freiliberalisiert und kann machen, was er will. Dass will offensichtlich der Bürger.

Im Einzelhandel und in den Unternehmen gibt es einen Umsatzboom. Das, was wir dabei heute noch gar nicht abschätzen können, ist, wie viele Arbeitskräfte gebraucht werden, die wir im Moment gar nicht sicherstellen können. Hier im Haus wären schon eine Menge gut ausgebildeter Menschen, die sich für ein frei verhandeltes Einkommen oder für 500 € beschäftigen lassen könnten. - Spaß beiseite! Aber ich denke, man muss immer auch über die Frage nachdenken: Was wollen andere und wie viele wollen es?

Der Antrag der SPD-Fraktion toppt allerdings alles bisher Dagewesene. Sie überholen unsere Regierungsfraktionen noch. In diesem Zusammenhang ist mir Folgendes eingefallen: Vor ein paar Jahren hat mir ein sehr erfahrener Gewerkschaftskollege aus dem Westen, der, glaube ich, auch SPD-Mitglied war, gesagt:

(Herr Gürth, CDU: Im Westen sind das fast alle!)

„Edeltraut, wenn du keine sozialen Abstriche hinnehmen willst, dann musst du die CDU wählen.“

(Zustimmung bei der CDU)

Erst war ich einigermaßen überrascht. Jetzt aber, meine Damen und Herren von der SPD, habe nicht nur ich das verstanden, sondern auch die Arbeitnehmerinnen und

Arbeitnehmer im Einzelhandel. Ich finde, Sie sollten darüber nachdenken.

(Herr Gürth, CDU: Können Sie mir das noch ein- mal schriftlich geben?)