Protokoll der Sitzung vom 12.12.2002

(Herr Gürth, CDU: Können Sie mir das noch ein- mal schriftlich geben?)

Das Ladenschlussgesetz gilt als Arbeitnehmerschutzgesetz und es hat eine hohe wettbewerbsregulierende Wirkung. Es schützt aus unserer Sicht auch - das habe ich hier schon mehrfach betont - kleine und mittelständische Unternehmen und Unternehmer. Die Branche leidet gegenwärtig unter sinkenden Umsätzen, und das nicht erst seit dem Jahr 2002, Herr Rehberger. Gegenwärtig fehlen dem Einzelhandel bundesweit 5 % Umsatz.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Ja!)

Seit 1996 sind die Umsätze im Einzelhandel nachweislich jährlich um fast 5 % zurückgegangen.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Das stimmt nicht!)

- Das können wir uns ansehen. - Wo soll das Geld auch herkommen? Sie diskutieren über sinkende Steuereinnahmen, die nicht unwesentlich aus Einkommensteuern resultieren. Sie plädieren dafür, den gering bezahlten Sektor auszubauen, die Grenze von 325 auf 500 € zu erhöhen. Das verringert die Kaufkraft enorm. Ich würde sagen: Rechnen Sie einfach mal nach!

Gleichzeitig wird die Verkaufsfläche Jahr für Jahr immer weiter ausgedehnt. Im Jahr 1995 gab es 95 Millionen m²

Verkaufsfläche in Deutschland. Im Jahr 2000 wurde die 100-Millionen-Grenze überschritten und im Jahr 2005 wird mit 118 Millionen m² Verkaufsfläche gerechnet. Ich finde, auch das muss man sich ansehen. Das hat etwas mit Einzelhandelsstrukturen zu tun. Auch das hätte diskutiert werden müssen.

Trotzdem entwickelt sich der Umsatz seit 1996 rückläufig. Ich habe sogar konkrete Zahlen: Im Jahr 1996 betrug er 725,2 Milliarden DM.

(Herr Gürth, CDU: Der Versandhandel wächst um 15 %!)

- In diesem Jahr.

(Herr Gürth, CDU: Ja!)

- Klar, die Strukturen sind unterschiedlich. - Im Jahr 1998 waren es 720,7 Milliarden DM.

Das ändert nicht, dass die gesamte Kaufkraft in Deutschland rückläufig ist. Die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit führt bei Millionen von Betroffenen und ihren Familien zu einem sehr begrenzten Einkommen. Angst vor der Zukunft und der angekündigte Abbau von Sozialleistungen kommen hinzu, sodass jede Ausgabe wohl überlegt sein will. Bei einer Öffnungszeit von 80 Stunden pro Woche fehlt den Kunden nicht die Zeit zum Einkaufen, nein, ihnen fehlt das Geld.

Jede Betriebsstundenverlängerung erhöht die Kostenbelastung für die Unternehmen des Einzelhandels bei den im Verhältnis zu unseren europäischen Nachbarn niedrigen Einzelhandelspreisen in Deutschland. Deshalb wird jede Kostenerhöhung mit einer Absenkung des Personalbesatzes kompensiert. Das sage ich auch nicht das erste Mal. Damit tragen verlängerte Öffnungszeiten zu einem schlechten Kundenservice bei.

Im Zeitraum von 1996 bis 1999 sind 130 000 Vollzeitstellen weggefallen. Selbst das Ifo-Institut, das seit dem Jahr 1996 ein Befürworter der Verlängerung der Ladenöffnungszeiten war, hat nach der Studie im Jahr 1999

formuliert: Von einem großen Druck der Verbraucher hinsichtlich einer weiteren Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten kann zurzeit kaum gesprochen werden.

Abschließend, meine Damen und Herren, sollten Sie wissen, dass die Arbeitgeber des Einzelhandels bereits ihren Generalangriff auf die Tarifverträge des Einzelhandels begonnen haben. Kaum war die neue Runde im Konflikt um den Ladenschluss eröffnet, forderten Unternehmensexperten eine Aufweichung der Tarifverträge, in denen auch Arbeitszeiten, Zeitzuschläge, Urlaub und Freizeit geregelt sind. - Das zu Ihrer Aufforderung, freiwillige Vereinbarungen in den Unternehmen zu treffen.

Meine Damen und Herren! Die Betriebsräte des Einzelhandels und die Gewerkschaft ver.di lehnen den erneuten Vorstoß ab. Aber das ist dankenswerterweise bereits von Herrn Gürth bemerkt werden. Wir werden uns natürlich wehren.

Jetzt möchte ich noch die Frage beantworten.

(Herr Kurze, CDU: Holen Sie doch mal die Kelle raus! - Frau Rogée, PDS, hält eine Verkehrsleit- kelle der Polizei hoch)

Meine Damen und Herren! Die Kelle habe ich heute früh bei der Demonstration auf dem Domplatz erhalten mit der Bitte - deshalb werde ich das persönlich machen -, diese an Herrn Böhmer zu übergeben,

(Heiterkeit bei der CDU - Zurufe von Herrn El- Khalil, CDU, und von Frau Fischer, Merseburg, CDU)

weil es das Zeichen für Halt beim Sozialabbau der Landesregierung bei den Beschäftigten ist.

(Unruhe im ganzen Hause)

Zusätzlich habe ich eine Unterschriftensammlung der Feuerwehr gegen die geplanten Änderungen bei der freien Heilfürsorge für die verbeamteten Kolleginnen und Kollegen dabei. Beides werde ich dem Herrn Ministerpräsidenten persönlich übergeben.

Beide Anträge - das wird Sie nicht wundern - lehnen wir natürlich ab.

(Zustimmung bei der PDS - Frau Fischer, Merse- burg, CDU: Das ist aber schade!)

Frau Rogée, möchten Sie zwei Fragen beantworten?

Ja, wenn ich kann.

Dann bitte, Herr Schomburg zunächst.

Aber nicht zur Kelle.

(Zuruf von der CDU: Wo haben Sie die her?)

- Von den Kollegen der GdP. Gekauft und mit Quittung belegt. Die haben gesammelt, nur um das auch gleich klarzustellen. Nicht dass Sie denken, dass das Staatseigentum ist.

Herr Schomburg winkt ab und begibt sich auf den Platz zurück.

(Frau Rogée, PDS: Wollten Sie das tatsächlich wissen?)

Dann könnte jetzt Herr Gürth seine Frage stellen.

(Heiterkeit im ganzen Hause - Frau Rogée, PDS: Nur gut, dass ich die Quittung gesehen habe!)

Herr Gürth, bitte, Ihre Frage.

Frau Kollegin Rogée, Sie haben für die PDS-Fraktion gesprochen

(Frau Rogée, PDS: Ja!)

und nicht für die Gewerkschaft

(Frau Rogée, PDS. Ja!)

mit der Begründung - wenn ich das nachvollziehen konnte -, dass die PDS-Fraktion die Position der Gewerkschaften 1 : 1 übernimmt. Was empfehlen Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen in der PDS, die in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern Regierungsverantwortung haben, bei zwei wichtigen Entscheidungen zu diesem Thema?

Die erste Entscheidung betrifft die Kaufkraft, die nicht ohne weiteres größer wird, sondern durch die Finanzpolitik des Bundes noch einmal um 25 Milliarden € sinkt.

(Frau Rogée, PDS: Nicht nur! Es gibt auch noch andere Fragen!)

Werden Sie, die PDS in Sachsen-Anhalt, sich dafür einsetzen, dass Mecklenburg-Vorpommern und Berlin diese Entscheidung im Bundesrat nicht unterstützen, mit der die Kaufkraft noch einmal geschmälert werden würde? Und werden Sie der PDS in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern entgegen der Positionierung während der Wirtschaftsministerkonferenz, in der die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern für die Liberalisierung war, empfehlen, sich gegen eine weitere Lieberalisierung des Ladenschlusses einzusetzen? Wie wird Ihre Position sein?

Herr Gürth, zum einen wissen Sie genauso gut wie ich, dass es nirgends homogene Positionen gibt. Die bestehen auch nicht bei der Gewerkschaft ver.di oder bei der PDS. Die bestehen nicht bei der CDU und - ich bin davon überzeugt - auch nicht bei der FDP.

(Unruhe bei der FDP)

Aber die Empfehlung, das zu machen, die werden wir schon geben. Am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich. Das wissen Sie doch.

Vielen Dank, Frau Rogée. - Zum Abschluss der Debatte hat noch einmal Herr Dr. Schrader das Wort.