Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich nicht noch einmal reden. Aber, Frau Rogée, zwei oder drei Sätze gestatten Sie mir noch.
Die öffentliche Diskussion hat das überholt, was wir eigentlich letztens festgelegt hatten, nämlich uns intensiv im Ausschuss damit zu beschäftigen. Manchmal ist die Realität schneller als sogar wir im Parlament. Aber Sie waren bei der Anhörung dabei, auch als Parlamentarierin, da Sie Ihre Person nicht teilen können, und haben die Argumente ausreichend gehört.
Frau Rogée, eines muss ich ganz deutlich zurückweisen: Sie haben gesagt, die Bürger des Landes und die Demonstranten sind uns egal. Das ist mitnichten der Fall. Wir sind Lobbyisten, aber nicht in Ihrem Sinne. Wir sind Lobbyisten zum Wohle der Bürger dieses Landes.
Dafür gibt es bestimmte Mittel und Methoden. Eine der wichtigsten ist, verkrustete Strukturen aufzubrechen und überholtes Denken abzuschaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Argumente sind ausgetauscht. Ich bitte um die Zustimmung zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen. - Danke schön.
Eine Überweisung wurde nicht beantragt. Wir stimmen über die Anträge ab. Zunächst wird über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion in der Drs. 4/413 abgestimmt. Wer stimmt zu? - Das ist die SPD-Fraktion. Wer stimmt dagegen? - Das sind alle anderen Fraktionen. Damit ist dieser Änderungsantrag abgelehnt worden.
Wir stimmen über den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 4/406 ab. Wer stimmt zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Das ist die Minderheit. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Eine Reihe von Stimmenthaltungen. Damit ist der Antrag angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 25 abgeschlossen.
Wir treten wiederum in die reguläre Reihenfolge der Tagesordnung ein. Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:
Es ist eine 45-Minuten-Debatte vereinbart worden. Zunächst hat die fragestellende Fraktion das Wort. Danach spricht die Landesregierung. Es sind die üblichen Redezeiten für die einzelnen Fraktionen vereinbart worden; sie sind Ihnen bekannt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute zur Aussprache vorliegende Große Anfrage der PDSFraktion entstand zeitlich in ihren Grundzügen parallel zu den Auseinandersetzungen und Irritationen in den Verwaltungen und Kommunen zur Aussetzung der Gebietsreform und der Aufhebung der Vorschaltgesetze.
Warum sage ich das? - Weil beim Lesen der Antwort eines deutlich wird: Große Anfragen, die nicht zu statistischen Zahlen gestellt werden, aber sehr wohl Prozesse hinterfragen, sind wie Tageszeitungen, die einige Tage gelegen haben. In vielen Fragen hat sie das Leben überholt, und vieles wird erst wieder nach Monaten interessant.
Der große Unterschied zu Tageszeitungen besteht jedoch in der Informationsgewinnung. Auskünfte von der Landesregierung und vor allem eine Möglichkeit, darüber zu diskutieren, erhält man unabhängig von politischen Mehrheiten allein durch das Instrument der Großen Anfrage. Deshalb lieben Oppositionsfraktionen sie auch so. Und: Es lohnt sich. Das zeigen die Antworten weitgehend.
Ich erwähnte eingangs, dass der Weg der Weiterführung oder auch Umsteuerung des Reformprozesses zum Zeitpunkt der Entstehung der Großen Anfrage noch unklar war. Das einzige belastbare Dokument war der Koalitionsvertrag, in dem zu lesen ist, dass Sinnvolles aus dem Reformprozess der letzten Legislaturperiode aufgegriffen und weitergeführt wird.
Deshalb stand im Mittelpunkt des Anliegens der Fragestellerin herauszubekommen, was nach Auffassung der Landesregierung sinnvoll ist und damit weitergeführt wird. Dies schnell zu klären, wurde vor dem Hintergrund der völligen Aufhebung der Vorschaltgesetze und des von der Landesregierung und den regierungstragenden Fraktionen erhobenen massiven Vorwurfs der Konzeptlosigkeit des alten Prozesses umso notwendiger. Die Zeit drängte, sollten doch Aufgabenübertragungen, zumindest auf die Kreisebene, bereits zur Jahreswende erfolgen.
So entschieden wir uns im ersten Teil der Anfrage dazu, den Gesetzestext des Zweiten Vorschaltgesetzes in weiten Teilen fast wörtlich in Fragen umzuformulieren, um aus den Antworten der Landesregierung auf die Sinnhaftigkeit schließen zu können. Die Antwort war verblüffend.
Für sinnvoll hält die Landesregierung die Regelung zu Grundlagen und Zielen des Reformprozesses. Für sinnvoll hält die Landesregierung die Grundlagen des Reformprozesses - Bürgernähe, Effizienz, Dienstleistungsorientiertheit -, wenn diese Punkte auch - wie alle anderen Punkte - in das Verwaltungsmodernisierungsgrundsätzegesetz gepackt wurden und anders ausformuliert sind.
Für sinnvoll hält die Landesregierung die Fragen der Vernetzung der Verwaltungsebenen unter maximaler Nutzung der IT-Technik. Für sinnvoll hält die Landesregierung die Regelung zur Aufgabenkritik. Für sinnvoll erachtet die Landesregierung die Regelung zum Grundsatz der Einräumigkeit. Sinnvoll sind auch die Regelungen, die Kriterien der Aufgabenverteilung durch Gesetz zu bestimmen.
Auch wenn ich Sie jetzt schon etwas langweile, will ich sagen: Letztlich hält die Landesregierung auch die zeitlichen Etappen, die im Zweiten Vorschaltgesetz zur Funktionalreform und zur Aufgabenverlagerung für das Jahr 2003 und etwas später zur interkommunalen Aufgabenverlagerung festgeschrieben waren, für sinnvoll. Sinnvoll sind auch die Regelungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, die durch Abbau und Flexibilisierung von Organisations- und Leistungsstandards gefördert werden soll.
Wie sinnvoll war es dann jedoch, dass die Landesregierung all diese Regelungen, insbesondere die zu den Grundzügen der Verwaltungs- und Funktionalreform, vom Tisch gefegt hat? Doch da staunt kein Fachmann, nur der politische Laie wundert sich. Die Grundzüge eines Verwaltungsreformprozesses müssen einfach in vielen Teilen identisch sein.
Jetzt aber wird alter Wein in neue Schläuche gegossen, währen zuvor die Qualität des alten miesgemacht wurde. Das mag in der Politik an der Tagesordnung sein. Ich will mich daran nicht gewöhnen. Hoffentlich nehmen wir noch zur Kenntnis, dass viele darüber einfach nur den Kopf schütteln. Das Land hat Zeit und Kraft verloren, aber die Qualität des Reformprozesses hat sich nicht verbessert.
So wurden beispielsweise die Defizite, etwa die einseitige Ausrichtung auf den Bürger als Kunden und nicht auch auf den Bürger als Staatsbürger, in der Orientierung der Verwaltung nicht qualifiziert, was der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst im Gesetzgebungsverfahren erneut bemängelt hat.
Bei der IT-Frage ist es trotz massiver Bitten und trotz des Drängens der kommunalen Spitzenverbände nicht gelungen, einen Zeitpunkt als politische Zielstellung zu bestimmen. Wir hätten die Zeit zur Qualifizierung des Reformprozesses nutzen sollen.
Natürlich wurden in den Antworten auch die Unterschiede deutlich. Sie zeigten sich an den Stellen, an denen die Auseinandersetzung bereits die ganze Zeit über entbrannt war. Unterschiede gab es bei der Einschätzung der derzeitigen Leistungsfähigkeit der Kommunen - dies betrifft die Fragen 13 bis 16 -, hinsichtlich der spezifischen Stufigkeit des Verwaltungsaufbaus, hinsichtlich der Möglichkeit, über freiwillige Zusammenschlüsse eine gemeindliche Gebietsreform zu erreichen, sowie zum Stellenwert und zum Umfang der Privatisierung, was insbesondere in dem Komplex „Privatisierung“ ab Seite 20 deutlich wurde.
Natürlich hätten diese Unterschiede auch innerhalb des alten Gesetzesrahmens, vor allem im § 3 des Zweiten Vorschaltgesetzes, abgestellt werden können. Aber bei eben diesen Unterschieden kippt Ihr eigenes Konzept. Es steckt schon jetzt, vom Leben eingeholt, in der Sackgasse; denn Sie richten alles auf Effizienz und Wirtschaftlichkeit aus, reden in den Antworten aber erneut den kleinen Strukturen das Wort.
Sie betrachten alle in Teil 2 der Drs. 3/68/5222 B genannten Aufgaben als im Grunde schon jetzt übertragbar, aber Sie betonen, Sie könnten die Fragen noch nicht konkret beantworten, weil all diese Fragen der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Effizienz unterlägen. Laut Koalitionsvertrag allerdings sollten die ersten Aufgaben bereits in zwei Wochen übertragen werden.
Sie suchen nun den Ausweg aus dem Dilemma auf der gemeindlichen Ebene durch eine gesetzliche Stärkung der Verwaltungsgemeinschaften. Das würde sicherlich einiges kompensieren. Aber Sie sind auch in der Großen Anfrage eine konkrete Antwort darauf schuldig geblieben, welche Einsetzungskriterien und welche Verfasstheit ein Verwaltungsgemeinschaftsausschuss haben muss, um verfassungsrechtlich wasserdicht zu sein. Genau das war das Problem, welches letztlich zum Konstrukt Verbandsgemeinde führte.
Wenn Sie dafür eine Lösung finden, werden wir das neidlos anerkennen. Wir würden uns aber dennoch wundern, dass dies den gleichen Beamten und den kommunalen Spitzenverbänden nicht zwei Jahre früher eingefallen ist.
Gänzlich beseitigen können Sie die vielen Probleme der Kleingliedrigkeit auf der gemeindlichen Ebene jedoch nicht. Viele derer, die in diesem Raum sitzen, kennen die einzige Antwort darauf, die man immer wieder hervorheben muss und die überfällig ist: die gemeindliche Strukturreform. Auch auf der Kreisebene wollen Sie dies durch moderne Elemente der kommunalen Gemeinschaftsarbeit lösen. Doch auch darauf bleibt Ihre Antwort mager.
Wir versichern Ihnen: Nicht alle Probleme, die den Kreisen infolge einer 1:1-Übertragung der in dem Beschluss des Landtages der dritten Wahlperiode zur Verwaltungs- und Funktionalreform vom 17. Januar 2002 genannten Aufgaben entstehen werden, können durch Formen wie Zweckverbände oder mithilfe der IT-Kommunikation gelöst werden. In diesem Widerspruch zwischen Effizienz und kommunaler Leistungskraft verhaftet, wollen Sie nun alles forciert privatisieren.
Ich möchte namens der PDS-Fraktion betonen, dass wir den Schwerpunkt der Oppositionsaktivitäten in der nächsten Zeit auf diesen Punkt verlagern werden. Dies tun wir nicht, um ein prinzipielles Nein in allen Bereichen zu verkünden. Wir müssen uns aber der Diskussion um ein modernes Staatsverständnis und der Entwicklung der Liberalisierung des Marktes stellen. Eines steht fest: Auch die PDS will keinen klapperdürren Staat und auch nicht die Aufkündigung der Solidargemeinschaft.
Ich möchte noch einen letzten Komplex herausgreifen, nämlich die Antworten zur Personalpolitik. Auf die Frage 69 sollte die Landesregierung eine Antwort darauf geben, wann das schlüssige Personalkonzept vorliegen wird. Sie antwortete darauf wie folgt:
„Die Landesregierung wird mit dem Haushaltsplanentwurf 2003 ihre Vorstellungen zu einem Stellen- und Personalabbaukonzept vorlegen.“
Inzwischen hat Sie das Leben eingeholt. Ein schlüssiges Konzept verschwand in der Titelgruppe 96 mit 5 800 Planstellen. Wir hatten bereits das zweifelhafte Vergnügen, darüber zu diskutieren.
Viel brisanter ist aber, dass Sie in Ihrer Antwort das schlüssige Personalkonzept auf das Stellenabbaukonzept reduzieren. Unter einem schlüssigen Personalkonzept verstehen Sie offensichtlich auch, den Proporz zwischen Beamten und Angestellten entgegen dem internationalen und dem bundesweiten Trend drastisch zu verändern. War noch im Haushaltsplan 2002 der Anteil der
Beamten an den Landesbediensteten mit 39 % und der der Angestellten mit 55 % angegeben, so sind im Haushaltsplanentwurf 2003 54 % der Landesbediensteten als Beamte und 39 % als Angestellte ausgewiesen.
Ich hatte die Möglichkeit, am Schöneberger Forum teilzunehmen. Dort wird jährlich darüber diskutiert, wie sich der internationale Trend bei den Beschäftigten im öffentlichen Dienst entwickelt. Dort wurde eindeutig gesagt, dass alle Länder entsprechend dem allgemeinen Trend die Verbeamtung von Lehrern aufheben. Wir führen sie ein.
Noch brisanter wird es, wenn man die Antworten zu den Fragen hinsichtlich der Mitbestimmung beleuchtet. Eine Frage bezog sich darauf, ob eine Änderung des Personalvertretungsgesetzes vorgesehen sei. Ich kann mich daran erinnern, dass man uns, als die Frage gestellt wurde, bat, sie nicht zu aufzuschreiben, um nicht schlafende Hunde zu wecken. Aber zu dieser Zeit bellten die Hunde bereits ganz laut. Die Antwort belegt es.
Eine Frage beschäftigte sich mit der Aufkündigung der Rahmenvereinbarung. Die Landesregierung wurde gefragt, ob sie sich an die Rahmenvereinbarung gebunden fühle. Erstmals wurde im Rahmen der Antwort auf die Große Anfrage eindeutig mitgeteilt, dass die Rahmenvereinbarung für die Landesregierung nicht bindend ist.
Allerdings sind die Rahmenvereinbarungen der alten Landesregierung nicht einfach nur Rahmenvereinbarungen eines Ministerpräsidenten namens Reinhard Höppner. Rahmenvereinbarungen müssen zwischen den jeweiligen Partnern diskutiert werden.
So war die nächste Frage, ob es vor einem erneuten Personalabbau eine weitere Rahmenvereinbarung geben werde. Die Antwort der Landesregierung lautete, man werde dies prüfen. - Inzwischen hat uns auch hier das Leben eingeholt. Das Stellenabbaukonzept liegt mit dem Haushaltsplanentwurf vor. Offensichtlich ist diese Prüfung mit dem Ergebnis „nein“ abgeschlossen worden.