Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 12. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Landtages Frau Krimhild Fischer hat heute Geburtstag.

(Beifall im ganzen Hause)

Im Namen des Hohen Hauses sowie persönlich gratuliere ich Ihnen dazu recht herzlich und wünsche Ihnen vor allen Dingen Gesundheit und alles Gute.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Wir setzen nunmehr die 7. Sitzungsperiode fort. Wir beginnen die heutige Beratung vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 8. Danach folgt der Tagesordnungspunkt 9. Daran anschließend setzen wir die Sitzung fort mit dem Tagesordnungspunkt 19.

Bevor ich den Tagesordnungspunkt 8 aufrufe, habe ich die Ehre, Gäste zu begrüßen. Es handelt sich um Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Jeßnitz.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen und Tagespflege

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/399

Einbringer ist der Minister für Gesundheit und Soziales Herr Kley. Herr Kley, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Kinder sind unsere Zukunft; an ihnen darf nicht gespart werden.“ - Die so formulierte Kritik an der Landesregierung bzw. an dem von ihr vorgelegten Gesetzentwurf nimmt für sich in Anspruch, besonderes Verantwortungsbewusstsein für unsere Kinder und die Gestaltung der Zukunft unserer Gesellschaft zu dokumentieren. Einsparungen auf dem Gebiet der öffentlich finanzierten Kinderbetreuung werden so von vornherein als kinder- und zukunftsfeindlich stigmatisiert, und jede Auseinandersetzung im Detail wird abgelehnt.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Position lässt Fragestellungen außer Acht, denen sich die Gesellschaft auch an dieser Stelle grundlegend stellen muss. Unsere heutigen bildungs- und sozialpolitischen Entscheidungen müssen auch, nein, vor allem die Handlungsspielräume künftiger Generationen und deren Recht auf eigene Gestaltung ihrer Lebensbedingungen berücksichtigen. Jede noch so gut gemeinte Entscheidung zugunsten der heutigen Kindergeneration darf die künftige Gestaltungsfreiheit nicht durch die Hinterlassenschaft erdrückender Schulden beeinträchtigen.

(Zustimmung bei der FDP)

Jeder, der Kindern bestmögliche Bedingungen für ihr Aufwachsen gewährleisten möchte, muss gleichwohl die Grenzen des finanziell Machbaren zur Kenntnis nehmen. Nur in diesen Grenzen und in diesem Spielraum kann man über Prioritäten und vertretbare Varianten entscheiden.

Daher hat sich die Landesregierung in den letzten Monaten intensivst mit den Fragen auseinander gesetzt, welche Kosten die Landkreise und kreisfreien Städte sowie die Gemeinden für die Tagesbetreuung noch tragen können, welche Standards, orientiert an den Zielen öffentlich geförderter Tagesbetreuung, unabdingbar erscheinen bzw. für welche Varianten es leichter finanzierbare Alternativen geben könnte und wo die Gestaltungsspielräume vor Ort dann auch entsprechend zu eröffnen wären.

Zu entscheiden war dabei insbesondere auch, ob die Tagesbetreuung für Kinder im Land Sachsen-Anhalt auch weiterhin ausnahmslos und uneingeschränkt jedem Kind zugänglich bleiben muss oder ob eine Beschränkung des Umfangs oder des Zuganges zu Betreuungsangeboten unter bestimmten Bedingungen in Betracht kommt.

Die Landesregierung hat sich dafür entschieden, für Kinder im Alter bis zu drei Jahren eine besondere Bedarfsprüfung einzuführen. Zwar wird es auch weiterhin für diese Altersgruppe einen Anspruch auf Tagesbetreuung geben, jedoch wird dieser von der Feststellung eines besonderen Betreuungsbedarfes abhängig sein. Ein solcher ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Erziehenden aus Gründen der Erwerbstätigkeit an der Betreuung des Kindes gehindert sind.

Diese Entscheidung ist in den vergangenen Wochen vielfach kritisiert worden. Den einen ist sie nicht weitgehend genug. Sie fordern unter Hinweis auf die Probleme der Bedarfsprüfung und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand eine vollständige Beseitigung des Rechtsanspruches für Kinder bis zu einem Alter von drei Jahren. Die anderen lehnen diese Entscheidung des bedarfsgerechten Zuganges aus frauenpolitischen Erwägungen ab und sehen eine Gefährdung des ungehinderten Zugangs zum Arbeitsmarkt für die betroffenen Eltern.

Ungeachtet der vorgebachten Bedenken halte ich die vorgeschlagene Regelung sowohl unter kinderpolitischen als auch unter frauenpolitischen Gesichtspunkten für tragfähig. Zum einen rückt sie die vorrangige Verantwortung der Eltern für die Erziehung und Betreuung ihrer Kinder in das Blickfeld. Soweit Eltern nicht an der Betreuung gehindert sind oder ein im familiären Umfeld nicht zu erfüllender Erziehungs- und Förderbedarf nicht in Rede steht, können Kinder und Staat davon ausgehen, dass Erziehung und Betreuung von den Eltern selbst realisiert werden. Auch auf die Betreuung durch die eigenen Eltern hat das Kind einen Anspruch, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Zum anderen respektiert die vorgeschlagene Regelung die von den Eltern getroffene Entscheidung, Erwerbstätigkeit und Erfüllung der Erziehungsaufgabe miteinander in Einklang zu bringen. Ist eine solche Entscheidung getroffen, so ist die Umsetzung durch den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz abgesichert. Die Möglichkeit eines ungehinderten Zugangs zum Arbeitsmarkt bleibt somit voll erhalten.

Das Fehlen besonderer Anmeldefristen stellt die künftigen leistungsverpflichteten Gemeinden und Verwaltungsgemeinschaften zwar - wie im Übrigen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch schon - vor eine besondere Planungsaufgabe, da sie ausreichend Platzkapazität verfügbar halten müssen; auf diese Weise werden jedoch faktische Beschränkungen der Wahlfreiheit der Eltern vermieden.

Für die leistungsverpflichteten Gemeinden soll die Herstellung der notwendigen Verfügbarkeit ausreichender Platzkapazitäten auch durch die erstmalige Einbeziehung von Tagespflegestellen in das Betreuungsangebot erleichtert werden. So können diese etwa in Form von Bereitschaftspflegestellen dazu beitragen, Nachfragen zeitnah zu erfüllen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung war ferner gehalten, die Standards der personellen Ausstattung der Tageseinrichtungen daraufhin zu überprüfen, ob im Rahmen des pädagogisch Vertretbaren Entlastungen der Einrichtungsträger bewirkt werden können. Die Landesregierung hat sich dabei an dem orientiert, was in anderen Bundesländern als mit den Zielen und Zwecken der Tagesbetreuung vereinbar angesehen wird, und den Personalschlüssel in Kindergarten und Kindergrippe den in Sachsen geltenden Regelungen angepasst.

Die Landesregierung geht davon aus, dass speziell im Krippenbereich nicht jeder Umgang mit dem Kind von pädagogischen Fachkräften selbst vorgenommen werden muss, sondern in den Einrichtungen in Koordinierung durch die Einrichtungsträger die pflegerischen Betreuungsleistungen auch von anderen ausgebildeten Fachkräften wahrgenommen werden können.

Ich sehe nicht, dass der pädagogische Wert der Tagesbetreuung hierdurch nachhaltig geschmälert wird. Entscheidend wird vielmehr sein, dass die pädagogischen Fachkräfte und das weitere für die Betreuung eingesetzte Personal ihr Handeln auf der Grundlage der Konzeption der Einrichtung aufeinander abstimmen und ihre Verantwortung für die Entwicklung des Kindes gemeinsam wahrnehmen. Beratung und Unterstützung sollte und wird ihnen dabei durch die Einrichtungsleitung zuteil werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Weitere Einzelheiten des vorgelegten Gesetzentwurfes einschließlich der Frage der Angemessenheit der Kostenbeteiligung des Landes sowie der örtlichen Jugendhilfeträger werden in den Ausschüssen zu erörtern sein. Ich will mich daher an dieser Stelle auf einen Hinweis auf einen Reglungskomplex beschränken, der mir besonders am Herzen liegt.

Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Ausgestaltung des Bildungsauftrages in Kindertageseinrichtungen. Er fordert die Einrichtungsträger und das Personal auf, die Selbstbildungsprozesse der Kinder zu respektieren und in der ganzen Vielfalt der Bildungsthemen zu fördern, und formuliert die Erwartung an eine an diesen Erforderlichkeiten orientierte Ausgestaltung der Einrichtungskonzeptionen. Insbesondere an die Kooperation zwischen Einrichtung und Schule zur gemeinsamen Gestaltung des Überganges stellt der Entwurf hohe Anforderungen. Schließlich sieht er die Ermächtigung von Sozialministerium und Kultusministerium vor, Mindestanforderungen an die Bildungsarbeit der Einrichtungen zu formulieren.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich bin nicht der Meinung, dass die formulierten Anforderungen an die Arbeit der Einrichtungen mit den erwähnten Veränderungen der personalen Standards unvereinbar wären. Insoweit teile ich die im Rahmen der Anhörung erhobene Kritik sowohl der kommunalen Spitzenverbände als auch verschiedener Wohlfahrtsverbände nicht.

Die notwendige Qualifizierung der Bildungsarbeit lässt sich nicht allein durch personelle Ressourcen sicherstellen. Diese standen in der Vergangenheit in weit größerem Ausmaß zur Verfügung, ohne dass hiermit eine besondere Bildungsqualität erreicht worden wäre. Die Qualifizierung der Bildungsarbeit erfordert vor allem eine andere Sicht auf das Kind, auf seine Bedürfnisse und Interessen. Erforderlich ist hier ein verändertes Selbstverständnis der Einrichtungsträger und der Erzieherinnen. Diese müssen ihre Aufgabe vorrangig darin sehen, die für Kinder in diesem Alter wichtigen Bildungsthemen aufzugreifen und zu erweitern, vor allem mit Blick auf die künftigen Anforderungen an die Lernfähigkeit der Kinder. In dieser Hinsicht gibt es genügend Handlungsmöglichkeiten auch im Rahmen einer weniger komfortablen Personalausstattung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung stand vor der Aufgabe, in Wahrnehmung ihrer Verantwortung für die Generation der Kinder in unserem Land Rahmen und Ausgestaltung der Tagesbetreuung anhand der äußerst beschränkten Möglichkeiten öffentlicher Haushalte einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und notwendige Veränderungen anzustoßen und dabei gleichzeitig den Qualitätserfordernissen der pädagogischen Arbeit, insbesondere der Bildungsarbeit in den Einrichtungen Rechnung zu tragen.

Auch nach den durchgeführten Anhörungen bin ich unverändert der Auffassung, dass dieses mit dem vorgelegten Gesetzentwurf gelungen ist. Ich freue mich auf eine interessante Diskussion in den Ausschüssen und hoffe, dass wir hiermit eine zukunftsfähige Lösung verabschieden können.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. Würden Sie Nachfragen gestatten?

Die von Herrn Püchel.

Nur die von Herrn Püchel?

Nur die von Herrn Püchel.

(Oh! bei der SPD und bei der PDS)

Bitte, Herr Dr. Püchel.

(Zurufe von der SPD)

Ich verstehe die Bevorzugung nicht; aber herzlichen Dank, dass Sie mir diesen Vorzug einräumen. - Herr

Kley, ich verstehe, dass Sie, nachdem Sie bis zum Spätsommer gesagt haben, dass es keine Kürzungen bei der Kinderbetreuung geben werde, jetzt ein Problem haben, diesen Gesetzentwurf einzubringen.

Ich habe bei Ihrer Rede eine Formulierung nicht verstanden. Sie sagen: Endlich haben die Kinder einen Anspruch auf Erziehung durch die Eltern. - Das heißt doch, dass den Kindern der Anspruch bisher verwehrt worden ist. Wer hat den Kindern bisher den Anspruch auf Erziehung durch die Eltern verwehrt? Das ist für mich ein totales Rätsel.

Herr Dr. Püchel, ich habe nicht gesagt „endlich“, sondern ich habe gesagt: Die Kinder haben auch einen Anspruch auf Erziehung durch ihre Eltern. Man kann in solche Formulierungen eine falsche Interpretation hineinlegen. Es ist in der öffentlichen Diskussion wiederholt so dargestellt worden, dass Eltern, die ihre Kinder selbst erziehen, das nicht so qualifiziert könnten wie öffentliche Einrichtungen. Ich bin der Meinung, der Staat muss nicht alles machen, die Eltern können das sehr gut.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Minister. - Es ist eine Redezeit von zehn Minuten je Fraktion vorgesehen. Die Debatte eröffnet Frau Abgeordnete Eva von Angern. Sie spricht für die PDS-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich könnte als Aufhänger meiner Rede auf den heutigen Freitag, den 13. Bezug nehmen. Doch die Debatte und ihre Folgen sind viel zu ernst, als dass ich sie mit irgendwelchen abergläubischen Gedanken in Verbindung bringen möchte. Da beziehe ich mich doch lieber auf Herbert Grönemeyer und seinen Song „Kinder an die Macht“. Wie würden Kinder ihre Kinderbetreuung gestalten, wenn sie an der Macht wären, wenn sie das Kommando hätten?

(Herr Scharf, CDU: Ist das für Sie das entschei- dende Kriterium? - Weitere Zurufe von der CDU)