Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

(Herr Scharf, CDU: Ist das für Sie das entschei- dende Kriterium? - Weitere Zurufe von der CDU)

Würden sie ihrem Freund oder ihrer Freundin sagen: Du darfst jetzt nicht mehr in der Krippe mit mir spielen, weil deine Mama oder dein Papa arbeitslos ist? - Genau hier liegt die Hauptkritik meiner Fraktion. Sie wollen eine ganze Bevölkerungsgruppe, nämlich Kinder von arbeitslosen Frauen und Männern, von der Kinderbetreuung ausschließen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD, und von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Ich gebe Ihrer Kollegin Frau Wybrands darin Recht, dass Kinder eigenständige Persönlichkeiten sind mit eigenen Rechten, die nicht politischen Zielen untergeordnet werden dürfen. Gerade um die Einhaltung dieser Rechte möchte die PDS mit Ihnen streiten.

Auch wenn sie sagt, dass es nichts Zuträglicheres als die Erziehung durch die Eltern gibt, findet sie meine Zustimmung. Wir haben auch nicht vor, mit der Beibehaltung des momentanen Gesetzesstandes die Kinder der elterlichen Erziehung zu entziehen. Ihre Meinungsäußerung geht unserer Auffassung nach eher einher mit der

Meinung, dass es sich bei der Kinderbetreuung lediglich um eine Aufbewahrung handele. Sie stärkt damit unterschwellig die Vermutung, dass eine schlechte Qualität der Kinderbetreuung in den Einrichtungen vorherrsche. Doch ich frage Sie: Wer kann diese Bandbreite von Beschäftigungs-, Lern- und Spielangeboten tatsächlich zu Hause bieten?

Die Krippe ist keine Aufbewahrungsstätte, sondern eine Bildungsstätte. Auch schon unsere Jüngsten können und müssen soziale Kompetenzen erwerben und Gemeinschaftssinn erlernen. Kinder haben ein Recht darauf.

Zudem können und sollen in den Einrichtungen Benachteiligungen ausgeglichen werden. Doch gerade diese Benachteiligungen, die infolge von Arbeitslosigkeit vorherrschen, wollen Sie durch die Einschränkung des Rechtsanspruchs verschärfen.

In diesem Zusammenhang spreche ich auch von einer Strafe für die Eltern. Arbeitslose Eltern müssen nun stets im Arbeitsamt angeben, dass sie keinen Betreuungsplatz für ihr Kind haben. Die Folge ist, dass sie automatisch in der Schublade „schwer vermittelbar“ oder „gar nicht vermittelbar“ landen.

Es hört sich zwar gut an, dass Sie, Herr Kley, mit den Arbeitsämtern sprechen wollen, um darüber aufzuklären, dass ein Rechtsanspruch sogleich bei vorliegendem Arbeitsvertrag bestehe. Doch ich frage Sie: Wie will die Landesregierung, die nicht gegenüber den Arbeitsämtern weisungsbefugt ist, beispielsweise sicherstellen, dass erwerbslose Eltern eben nicht als unvermittelbar eingestuft werden und damit aus dem Leistungsbezug herausfallen?

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Ich kann mich noch immer nicht des Eindrucks erwehren, dass Sie hiermit eine Frauen-zurück-an-den-HerdPolitik verfolgen,

(Beifall bei der PDS - Lachen bei der CDU - Herr Schröder, CDU, winkt ab)

und erinnere Sie gern noch einmal an Ihr Wahlplakat „Papi soll hier Arbeit haben“. Denn wie will die Landesregierung beispielsweise die Bereitstellung von Betreuungsplätzen „von jetzt auf gleich“ gewährleisten?

(Minister Herr Kley: Sie müssten auch einmal zu- hören!)

- Ich höre zu.

Einen weiteren kritischen Punkt sieht die PDS in der Tatsache, dass in ihrem Entwurf keine konkrete Regelung zu der baulichen Beschaffenheit einer Betreuungseinrichtung vorhanden ist. Ich finde keine QuadratmeterRegelung und auch keine Beschreibung der Art der vorzuhaltenden Flächen, wie Spielplätze oder Ruheflächen.

(Zuruf von der CDU: Gott sei Dank! - Weitere Zu- rufe von der CDU)

- Hören Sie mir doch erst mal zu. - Darüber soll nunmehr der Träger unter bestimmten Voraussetzungen entscheiden dürfen. Das hört sich zunächst gut an. Die PDS begrüßt diese Art der Selbstbestimmung; allerdings ist es doch eher scheinheilig, angesichts der den Kommunen aufgebürdeten Finanzlast von Selbstbestimmung zu sprechen.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann auch nicht als im Interesse der Kinder liegend verkauft werden.

Ich möchte noch ein Wort zu dem von Ihnen vorgesehenen Einsatz von Sozialassistentinnen sagen. Auf zwei pädagogische Kräfte - Sie haben es eben noch einmal ausgeführt - soll nach Ihren Vorstellungen eine Sozialassistentinnenstelle kommen.

Diese Regelung erzeugt nun tatsächlich den Anschein einer Aufbewahrungsstätte. Uns ist schon bewusst, dass Sie damit die Einsparung von Personalkosten verfolgen. Doch beantworten Sie mir bitte auch die Frage, wie Sie dies arbeitsrechtlich durchsetzen wollen. Ebenso lautet meine Frage im Hinblick auf die Reduzierung der Ganztagsbetreuung, bei der es Ihnen augenscheinlich ebenfalls um eine Personalabsenkung geht.

Auffällig ist zudem bei Betrachtung des Gesetzentwurfes, dass Sie keine Aussage über die Tätigkeit des Leitungspersonals treffen - man hofft auf ein Versehen. Ich frage Sie: Wie soll die notwendige pädagogische, konzeptionelle und verwaltungsfachliche Leistungsfähigkeit bei vollem Einsatz in den Gruppen geleistet werden, wenn keinerlei Abminderungsstunden vorgesehen werden? Wer übernimmt die Gesamtverantwortung für die Einrichtung?

Nun möchte ich noch auf eine Aussage von Ihnen, Herr Kley, in der Presse zurückkommen, die da lautete, dass die Elternbeiträge keineswegs steigen müssten. Dann erklären Sie mir doch bitte, wie bei - laut Ihren Aussagen - 20 % weniger Kindern und sinkenden Mitteln die Kommune die gleich bleibenden Fixkosten bezahlen soll. Es ist doch Augenwischerei, wenn Sie glauben machen wollen, dass diese Last nicht durch die Kommunen den Eltern aufgebürdet wird.

(Beifall bei der PDS)

Ich möchte schließlich auf ein Argument der Landesregierung eingehen, das mir des Öfteren und auch heute begegnet ist: der ihr auferlegte Zwang zum Sparen in der Kinderbetreuung aufgrund der vererbten Haushaltslage. Auch die PDS sieht die Problematik, dass das Land bereits hoch verschuldet ist und wir sparen müssen. Darüber sind wir uns, denke ich, einig. Doch das bedeutet meiner Meinung und der Meinung meiner Fraktion nach nicht automatisch, dass bei den Kindern gespart werden muss.

(Zustimmung bei der PDS)

Bei der Betrachtung des Gesamthaushaltes ist festzustellen, dass sich das Haushaltsvolumen im Vergleich zum Vorjahr nur unwesentlich verringert. Doch in der Kinderbetreuung wollen Sie mehr als 20 % der Mittel kürzen.

(Zustimmung bei der PDS)

Das macht Ihre politische Prioritätensetzung deutlich.

In diesem Zusammenhang möchte ich, Herr Minister, eine Ihrer fünf Thesen ansprechen. Für Sie bedeutet ein kinderfreundliches Sachsen-Anhalt auch, dass bei Finanzentscheidungen die Folgen für die künftigen Generationen verantwortungsbewusst mitbedacht werden. Und Sie, Herr Scharf, äußerten ebenfalls in der Landtagsdebatte zum Haushalt, dass es doch unverantwortlich sei, jetzt auf Kosten unserer Kinder zu leben. - Das können wir unterstützen. Doch wir dürfen auch nicht versäumen, in unsere Zukunft zu investieren. Zukunft darf

im Umkehrschluss nicht wegen der Neuverschuldung verhindert werden.

(Zustimmung bei der PDS)

Aber dass Herr Minister Kley nicht nur die Macht, sondern auch die Mitwirkung von Kindern fürchtet, wird daran erkennbar, dass der momentan noch wirksame § 7 im Kinderbetreuungsgesetz über die Mitwirkungsrechte von Kindern in dem uns vorliegenden Entwurf nicht mehr enthalten ist. Das ist wahrlich ein politisches Signal, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, jedoch nicht für unsere Zukunft. Ich muss sagen, dass finde ich peinlich, peinlich, Herr Minister. - Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD, und von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Danke, Frau von Angern. - Der nächste Debattenredner ist der Abgeordnete Herr Kurze für die CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen!

(Zurufe von der PDS: Kolleginnen!)

- Kolleginnen und Kollegen. - Die Novellierung auch des Kinderbetreuungsgesetzes ist angesichts der dramatischen Haushaltslage, die die SPD-geführte und von der PDS tolerierte Minderheitsregierung hinterlassen hat, unvermeidbar.

(Zustimmung bei der CDU - Lachen bei der SPD und bei der PDS)

Allein die Zinslasten wegen der vorhandenen Schulden des Landes belaufen sich auf 910 Millionen € im Jahr. Das sind 2,5 Millionen € pro Tag und 100 000 € pro Stunde.

Wir müssen die Haushaltssanierung durchführen, um das Land nicht innerhalb kürzester Zeit in die vollständige Handlungsunfähigkeit zu führen. Anderenfalls würde die Zukunft unserer Kinder nachhaltig gefährdet werden. Vor diesem Hintergrund müssen alle ihren Sparbeitrag leisten, seien es nun Lehrer, Polizisten, Hochschulen, die allgemeine Landesverwaltung oder viele Zuwendungsempfänger.

(Zuruf von Frau Fischer, Leuna, SPD)

Die öffentliche Diskussion zu der beabsichtigten Änderung des Kinderbetreuungsgesetzes der letzten Wochen ist geprägt von Unterstellungen und der verkürzten Wiedergabe der Inhalte der Änderung. Die Verunsicherung über die Inhalte der Gesetzesnovellierung ist angesichts der Art und Weise, wie die öffentliche Debatte hierzu geführt wird, nicht verwunderlich. Eine Versachlichung der Debatte insbesondere seitens der Initiatoren des Bündnisses für ein kinder- und jugendfreundliches SachsenAnhalt wäre wünschenswert.

Angesichts der bereits skizzierten dramatischen Haushaltslage sind Einsparungen unvermeidlich und hätten auch von der heutigen Opposition - wäre sie denn in Regierungsverantwortung gekommen - vorgenommen werden müssen.

Ich würde mir wünschen, wir würden uns politisch darüber streiten, welcher Weg der beste ist, um diese Einsparungen zu erzielen. Allein die Forderung, alles solle so bleiben, wie es ist, ist an dieser Stelle zu wenig. Dies

umso mehr, als sich das Bündnis für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt jetzt für den Erhalt eines Gesetzes stark macht, das die frühere „Volksinitiative für die Zukunft unserer Kinder“ - wesentliche Teile der Initiative tragen das neue Bündnis mit - verteufelt hat.

Ich hoffe, dass im Rahmen der bevorstehenden Beratungen insbesondere im Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport die Diskussion noch in dieser Form geführt werden wird. Wir werden uns einer solchen Debatte jedenfalls stellen.

Um mögliche Missverständnisse bereits an dieser Stelle zu vermeiden, will ich heute schon klarstellen, dass seitens der CDU-Fraktion eine Expertenanhörung im federführenden Ausschuss zu diesem Gesetzentwurf ausdrücklich gewünscht und im Ausschuss auch beantragt werden wird. Ich denke, dass dieser Vorschlag sicherlich von allen Fraktionen mitgetragen werden wird.

Gestatten Sie mir einige Ausführungen zu den wesentlichen Punkten der Novellierung.