Dann zum Stichwort Schulzeit. Das novellierte Gesetz regelt die Wiedereinführung des zwölfjährigen Abiturs, das von der alten Regierung ohne Not und völlig jenseits eines schon damals erkennbaren Trends abgeschafft wurde, und zwar zu einem Zeitpunkt, als überall in Europa längst über eine Verkürzung der Schulzeiten nachgedacht wurde.
Es ist heute eine allgemeine Erkenntnis: Je jünger Schulabgängerinnen und -abgänger sind, desto günstiger sind ihre Chancen für einen raschen Abschluss der Berufsausbildung und auf dem Arbeitsmarkt. Deutsche Hochschulabsolventen - Sie wissen das - sind mit heute durchschnittlich 28,3 Jahren im internationalen Vergleich wirklich die ältesten. Was das beispielsweise für die Laufbahnkonkurrenz im Zuge der europäischen Integration bedeutet, möchte ich hier niemandem ausmalen.
Bei der Verlängerung der Schulzeit hat sich die Regierung seinerzeit auf die von der KMK vorgeschriebene 265-Stunden-Konstante als Mittelwert der Stundenvolumina aller Länder berufen. Knapp unter 250 Stunden waren zu dieser Zeit in Sachsen-Anhalt Standard.
Der damalige Hinweis auf mehr Chancengleichheit durch weniger Leistungsdruck und mehr Zeit zum Erwerb der Hochschulreife als Begründung für die Schulzeitverlängerung war mit modernem bildungspolitischem und nicht zuletzt pädagogischem Denken nicht zu vereinbaren. Chancengleichheit nämlich wird künftig vor allem für den europäischen Kontext zu thematisieren sein, und hier droht den jungen Deutschen in absehbarer Zeit allenfalls die Gleichheit der Benachteiligung. Je weiter ihre Selbständigkeit hinausgezögert wird, desto weniger können zentrale Schlüsselqualifikationen wie Eigeninitiative, methodisches Können, Kreativität, Teamfähigkeit und so weiter entwickelt werden.
Man muss allerdings auch sagen, meine Damen und Herren, dass die KMK-Stundenregel ein eher ungeeignetes Instrument für die Sicherung der Qualität des Abiturs ist.
Diese willkürliche Vorgabe auf der Basis eines ziemlich banalen Rechenexempels sollte in der Tat infrage gestellt und mit der Diskussion um eine vernünftige Stundenreduktion durch inhaltliche Neubestimmung von Lehrinhalten und moderne Unterrichtsmethoden verbunden werden.
Es gibt allerdings noch weitere Gründe für eine Schulzeitverkürzung, die übrigens genauso schon vor fünf Jahren bekannt waren: die Gefahr der Hinauszögerung von Mündigkeit durch eine zu lange Verweildauer in den Schulen. Den Jugendlichen werden, sobald sie volljährig sind, so viele eigenständig und vor allem selbst zu verantwortende Entscheidungen abverlangt, während sie ihrerseits unter Umständen noch nicht einmal über einen Schulabschluss verfügen.
Sie wissen, dass ich es schon immer für einen Widerspruch hielt, zum Beispiel die Einführung des kommunalen Wahlrechts für 16-Jährige durchzusetzen und sie zugleich bis in das 20. Lebensjahr hinein in Abhängigkeit vom System Schule zu lassen.
Das durchschnittliche Schulaustrittsalter nach dem Abitur beträgt in Deutschland 19,7 Jahre. In diesem Alter können die jungen Leute allenfalls gezwungen werden, täglich ein paar Stunden lang Schule zu spielen, während sie ansonsten längst selbständig leben - vom Auto, Frau Feußner, über die eigene Wohnung bis zum Job.
Vor allem ist es falsch zu glauben, Schule sei umso besser, je länger sie dauere. Es erweist sich doch täglich, dass die Schule volljährige Schüler nicht mehr sinnvoll auslastet, dass sie sich langweilen, die Schule als Nebensache betrachten oder in ihren Selbstgestaltungsspielräumen eingeengt werden. Und es ist kein Geheimnis, dass die Entlassung aus der Schule zu diesem Zeitpunkt, in diesem Alter einen enormen Entwicklungs- und Entfaltungsimpuls zur Folge hat.
Für die Einführung des zwölfjährigen Abiturs ist eine Übergangszeit von vier Jahren veranschlagt. Das ist notwendig, um die Anerkennung des sachsen-anhaltischen Abiturs durch die KMK nicht zu gefährden. Ich habe immer gesagt, dass wir das umsteuern, aber nicht als Schnellschuss, für den keiner die Verantwortung übernehmen kann.
Die Schülerinnen und Schüler, die am 1. August 2003 in den 9. Schuljahrgang eintreten, werden also 2006/07 das Abitur nach zwölf Schuljahren ablegen können. Schneller geht es nicht - eben um die kritisierte Stundenvorgabe einhalten zu können -, ohne zu einer wöchentlichen Stundenbelastung zu gelangen, die wir den jungen Leuten vor allem in den kritischen Jahrgängen des Übergangs einfach nicht zumuten können. Das würde dann nämlich auf 37, 38 Stunden gehen. Das ist in der Tat zu viel, obwohl in Finnland - Sie werden sich an die Anhörung im Bildungsausschuss erinnern - 38 Stunden die Standardnorm für die gymnasiale Oberstufe sind.
Ich sage aber gleichwohl, dass es hier nicht schneller geht. Ich sage das vor allem denjenigen, die sich vorstellen, man brauche doch nur ein Jahr wegzulassen, wenn man von 13 auf zwölf wolle. Rechnerisch stimmt es, aber in der Sache kann man diesen Weg beim besten Willen nicht gehen.
Zum anderen wird mit dem Gesetz der Rahmen für eine tiefgreifende Reform der gymnasialen Oberstufe geschaffen - das ist mir jetzt sehr wichtig -, die vor allem das bisherige Kurssystem in ein verbindliches Kernfächersystem umwandelt. Diese natürlich auf dem Verordnungswege geschaffene Möglichkeit wird zu sechs Kernfächern führen, die im Klassenverband unterrichtet werden und den Anspruch einer allgemeinen Hochschulreife wieder auf eine belastbare Grundlage stellen. Dazu gibt es natürlich weiterhin etwa im halben Umfang des Gesamtstundenvolumens zweistündige Wahlpflichtfächer sowie fakultative Angebote.
Künftig wird also die Fächerwahl und damit das inhaltliche Profil des Abiturs nicht mehr das Ergebnis indivi
duellen Lavierens um die bestmögliche Punktzahl sein, sondern allgemeiner Anspruch an Studierfähigkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom Gesamtansatz her greifen damit strukturelle Veränderungen mit inhaltlichen Bildungsgangreformen ineinander, die von einer parallelen Revision der Rahmenlehrpläne - Stichwort Bildungsstandards - bis zu einer umfassenden Stärkung der Autonomie der Einzelschule reichen werden.
Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Koordinaten unseres Schulsystems bedürfen einer nachhaltigen Modernisierung, die im Innern des pädagogischen Alltags jeder Schule schnell wirksam werden muss. Diesem Ziel dient die anstehende Novellierung des Schulgesetzes. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Wir treten ein in die Debatte der Fraktionen. Es spricht zunächst für die PDSFraktion Frau Dr. Hein. Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen von CDU und FDP haben mit dem Änderungsgesetz zum Schulgesetz wichtige Reformprojekte der vergangenen zwei Legislaturperioden vollständig beendet.
Damit wird der weiteren sozialen Differenzierung der Bildung - eine der Grundkritiken, die sich das deutsche Bildungssystem gefallen lassen muss - Tür und Tor geöffnet.
Mit der frühen Trennung in getrennte Bildungsgänge werden Chancen, die sich aus einer längeren gemeinsamen Schulzeit ergeben, einfach in den Wind geschlagen.
Fast alle europäischen Länder um uns herum - lesen Sie einfach mal nach und hören Sie ab und an mal zu - haben eine solche längere gemeinsame Schulzeit. Deutschland schaut trotz aller Bekenntnisse zur europäischen Einigung nicht einmal mit der Nasenspitze über den eigenen Tellerrand hinaus.
Das wäre alles nicht so furchtbar schlimm, denn die Fragen der Schulstruktur - darin sind wir einig - sind nicht allein, vielleicht nicht einmal in erster Linie ausschlaggebend für den Bildungserfolg. Schlimm aber ist die Ideologie, die hinter dieser Bevorzugung früher Trennung in unterschiedliche Bildungsgänge steckt.
Es ist, wie der Herr Professor aus München vor einigen Wochen auf dem Sekundarschullehrertag in Halle recht freimütig und in voller Überzeugung bekannte, das Matthäus-Prinzip: Wer hat, dem wird gegeben. - Oder aber: Wer schneller lernt, soll mehr lernen. Die anderen haben ohnehin keine Chance, hat er ausgeführt, gesetzlich fixierte Übergänge und Durchlässigkeit sind ohnehin Makulatur. - Das ist der Punkt. Die anderen werden aussortiert.
Das kann man noch so schön bemänteln und sprachlich irgendwie verteidigen - nichts anderes kommt dabei heraus, wenn man, wie mit diesem Gesetz vorgesehen, früh in getrennte Bildungsgänge einsortiert, auf Maßnahmen des Nachteilsausgleichs verzichtet, Real- und erst recht Hauptschülern weniger Unterricht und damit weniger Bildung anbietet als den Gymnasiasten, die Vollzeitschulpflicht verkürzt - übrigens geht es um Vollzeitschulpflicht und nicht um allgemeine Schulpflicht; die Schulpflicht beträgt in Sachsen-Anhalt nach wie vor zwölf Jahre -, obwohl klar ist, dass Hauptschulabsolventinnen kaum Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben, was von der Arbeitgebervereinigung auch in der Anhörung bestätigt worden ist.
Damit werden vollmundige Versprechungen der Koalition bezüglich der Aufwertung des Sekundarschulbildungsgangs wohl kaum umzusetzen sein. Das vorliegende Gesetz steht dagegen. Ich will einige Belege anführen:
Nun ist allen Beteuerungen zum Trotz nicht einmal mehr die Rede von Parallelität in Sekundarschule und Gymnasium - damit haben Sie noch geworben -; denn nun soll es nur noch auf die nachfolgenden Bildungsgänge in den jeweiligen Schulformen ankommen, auf die vorbereitet wird,
- ich kann lesen, verlassen Sie sich darauf - also am Gymnasium auf den gymnasialen Bildungsgang und auf der Sekundarschule auf die Jahrgangsstufen 7 bis 10, wobei nicht ausdrücklich gesagt wird, dass es auch um den gymnasialen Bildungsgang geht.
Zweitens. Gewissermaßen als Vorprüfung sollen zentrale Klassenarbeiten in den Klassen 4 und 6 zur Einordnung in bestimmte Bildungsgänge geschrieben werden,
kleine Zentralprüfungen also. Dies wird die Möglichkeit des Ausgleichs weiter einschränken. Lehrerinnen und Lehrer werden sich - wie früher schon einmal - genötigt fühlen, genau auf jene Auswahlkriterien in den Prüfungen, von denen für die Schülerinnen und Schüler so viel abhängt, hinzuarbeiten.