Protokoll der Sitzung vom 15.05.2003

Zum Beispiel wären einzufordern: Maßnahmen zur verstärkten Förderung der Barrierefreiheit und damit verbunden das offensive Werben für Sachsen-Anhalt als Urlaubsort für alle Menschen. Denkbar wäre auch das Einfordern von Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung von Aktivitäten zur Herstellung barrierefreier Verkehre oder barrierefreier Beförderung und Beförderungsketten. Vielleicht ist die Landesregierung bereit und in der Lage, im Ausschuss entsprechende Maßnahmen und ihre Wirksamkeit darzulegen.

Die PDS-Fraktion stimmt dem Antrag zu. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Nun bitte Herr Qual für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem Antrag der Fraktion der SPD wird ein Thema aufgegriffen, das auch ein besonderes Anliegen meiner Fraktion, der liberalen Fraktion in diesem Hause ist.

Es ist ausdrücklich anzuerkennen, dass sich bereits die Vorgängerregierung und der Landtag der letzten Legislaturperiode der wichtigen Aufgabe der Förderung des Tourismus für Menschen mit Behinderungen zugewandt und diese vorangetrieben hat. Dadurch und durch die fortgesetzten Aktivitäten der jetzigen Landesregierung und des Landtags sind wir auf einem guten Wege, wenngleich noch viel getan werden muss. Wir sollten das Ziel nicht aus den Augen verlieren und alles in unseren Möglichkeiten Stehende tun, um Sachsen-Anhalt zu einer Modellregion für den barrierefreien Tourismus werden zu lassen.

Durch den zuständigen Minister Herrn Dr. Horst Rehberger wurden bereits die bisherigen und laufenden Aktivitäten auf diesem Gebiet dargestellt. Die Einbringerin für die SPD-Fraktion, Frau Kachel, hat auch umfangreich und im Wesentlichen zutreffend argumentiert.

Es kann aus unserer Sicht nur nützlich sein, wenn am Ende dieses Jahres, dem Jahr der Menschen mit Behinderungen, im Sinne des Antrages Zwischenbilanz gezogen und ein Ausblick über die weitere Entwicklung des barrierefreien Tourismus in unserem Bundesland durch die Landesregierung im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit gegeben wird. Nach unserer Kenntnis betreffen die in dem Antrag vorgeschlagenen Berichtsschwerpunkte genau die Maßnahmen, die sich der Marketingbeirat „Barrierefreier Tourismus“ der LMG für die künftige Arbeit vorgenommen hat.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion der FDP wird dem vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. Ich empfehle Ihnen allen, Gleiches zu tun. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Qual. - Nun spricht Herr Zimmer für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! „Tourismus für alle“, „Tourismus ohne Barrieren“, „barrierefreier Tourismus“ - all das sind Formulierungen, die mir leicht über die Lippen gehen, die ich lieber gebrauche, als von behinderten Menschen und damit im Verständnis einiger von einer Randgruppe mit Sonderrolle zu sprechen.

Ich habe Ihrem Beitrag, Frau Kachel, gelauscht, in dem Sie dann wieder das Klischee vom armen Behinderten aufgemacht haben. Ich denke, das sollten wir im Interesse derer, die es betrifft, nicht tun, weil es nicht an dem ist. Die, die es betrifft, wollen das auch so nicht haben.

Wie in vielen anderen Bereichen ist auch in diesem Bereich der Übergang fließend von Menschen mit Behinderungen und Menschen ohne Behinderung, so zum Beispiel bei der Nutzung bestimmter und eben auch touristischer Angebote. Barrierefreier Tourismus meint Tourismus für Reisende mit körperlichen Einschränkungen, aber auch für ältere Menschen und - ein Aspekt, den ich selbst immer wieder erlebe - für Reisende mit Kinderwagen bzw. Familien mit Kleinkindern. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, erinnere ich Sie an den heutigen internationalen Tag der Familie.

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt ist beim Thema „Tourismus für alle“ auf klarem Kurs. Beispielhaft auch für andere Bundesländer ist diese Initiative des Landes Sachsen-Anhalt im Handbuch „Tourismus für alle“ dargestellt. Die Vorstellung des Handbuches am 21. Februar dieses Jahres anlässlich der Eröffnungsveranstaltung zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen bewirkte ein bundesweit positives Echo.

„Ziel unserer Bemühungen ist es, allen eine uneingeschränkte Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen.“ - Zitat einer Äußerung unseres Ministerpräsidenten Herrn Professor Böhmer auf der vorgenannten Veranstaltung.

Mit dem vorgestellten Handbuch sollen einheitliche Planungsgrundlagen geschaffen werden und Sachsen-Anhalt soll zum Vorreiter eines Tourismus für alle werden.

Meine Damen und Herren! In Deutschland sind 6,7 Millionen Menschen behindert. Prognosen besagen, dass im Jahr 2010 der Anteil mobilitätseingeschränkter Personen ca. 35 % betragen wird. Gleichzeitig aber liegt die Reiseintensität behinderter Menschen deutlich unter der Nichtbehinderter. Damit wird Barrierefreiheit auch zu einem wichtigen und positiven Marketinginstrument. Immerhin sind Reisen und Freizeitgestaltung wichtige Wünsche im Leben eines jeden Menschen.

Wenn aber im Zwischenergebnis des Forschungsprojektes „Ökonomische Impulse eines barrierefreien Tourismus für alle“ festgestellt wird, dass fast 40 % der Menschen mit Behinderungen in Deutschland schon einmal

auf eine Reise verzichtet haben, weil es keine entsprechenden barrierefreien Angebote gab, zeigt dieser Umstand deutlich den Nachholebedarf und das Potenzial, welches durch Produktentwicklung und Marketingmaßnahmen erschlossen werden kann und muss.

Nach dem vorgenannten Forschungsprojekt ist die Zielgruppe der Menschen mit Behinderungen zu über 60 % bereit, auch ein entsprechendes Entgelt für die Leistungen zu entrichten. Von dieser zusätzlichen Nachfrage können und werden auch die Regionen Sachsen-Anhalts profitieren, indem dem behinderten Gast die Möglichkeit gegeben wird, sich in der gewählten Region selbständig und nach seinen Bedürfnissen bewegen zu können. Deshalb erachten wir es als wichtig, dass dieses Thema nicht nur im Jahr der Menschen mit Behinderungen, sondern darüber hinaus ausstrahlt und wir ein Kompetenzfeld „integrativer Tourismus“ in Sachsen-Anhalt entwickeln.

Die bisherige fraktionsübergreifende Zusammenarbeit beim Thema Tourismus sollte deshalb auch künftig Maßstab unseres Handelns sein, um gerade die vielfach noch unausgeschöpften touristischen Wachstumspotenziale in den Regionen unseres Landes ein Stück weiter nach vorn zu bringen. Deswegen stimmt die CDU-Fraktion dem SPD-Antrag zu mit der Zielstellung, den geforderten Bericht als Bilanz zum Jahresende 2003 vorzulegen.

Meine Damen und Herren! Ich möchte aber eines noch prinzipiell anmerken. Ich frage, ob es in unser aller Interesse ist, ständig von der Landesregierung umfängliche Berichte anzufordern, anstatt sich persönlich oder über andere Wege über die jeweilige Thematik zu informieren. Durch das übersteigerte Berichtswesen werden Kapazitäten in den einzelnen Referaten gebunden, wodurch die Bearbeitung der eigentlichen Aufgaben beeinträchtigt wird.

(Lachen bei der SPD - Herr Bullerjahn, SPD: Fra- gen Sie mal Herrn Daehre! Der kennt sich damit aus!)

- Meine Damen und Herren! Ich habe nur noch zehn Sekunden.

Lassen Sie uns bitte beim Thema Barrierefreiheit bei allen Handlungen und Entscheidungen eine Aussage beherzigen, die da lautet: Ich bin nicht behindert, ich werde behindert. - In diesem Sinne vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Zimmer. - Zum Abschluss spricht noch einmal Frau Kachel.

Ich möchte mich dafür bedanken, dass der Antrag im Landtag offenbar eine Mehrheit bekommen wird. Damit habe ich überhaupt nicht gerechnet, weil es bisher eigentlich immer einen Änderungsantrag oder was auch immer gegeben hat.

(Minister Herr Dr. Daehre: So sind wir eben!)

- Erstaunlich. Sie überraschen mich.

Es ist nicht so, dass ich unbedingt Berichte haben will. Aber ich habe im Vorfeld eine Kleine Anfrage gestellt, die nicht zufrieden stellend beantwortet worden ist.

Ich habe mit allen Regionalverbänden in diesem Land gesprochen und gefragt, für welche Projekte Fördermittel bei der Landesregierung beantragt worden sind. - Da war eben keines. Deswegen habe ich dieses Thema angesprochen. Ich denke, wir dürfen es nicht aus den Augen verlieren. Es wird möglicherweise Jahrzehnte dauern, bis wir Sachsen-Anhalt so weit gebracht haben, eine barrierefreie Region zu sein.

Noch etwas zu der Äußerung, ich hätte die Menschen mit Behinderungen in eine Ecke geschoben. Meine Aussage stammt von der Lebenshilfe Weddersleben, die mir geschrieben hat, dass sich an sie vorrangig Rentenempfänger oder Sozialhilfeempfänger wenden. Auch diese Menschen haben ein Recht zu verreisen. Deswegen müssen entsprechende Angebote aufgebaut werden, und zwar nicht nur in Viersternehotels, sondern auch in anderen Bereichen. Die Lebenshilfe zeigt, wie es gehen kann. Sie betreibt nur mit Behinderten ein Café mit Küche in Quedlinburg, das sehr gut besucht ist. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kachel. - Damit ist die Debatte abgeschlossen und wir stimmen über den Antrag der SPDFraktion ab. Wer stimmt zu? - Stimmt jemand dagegen? - Enthält sich jemand der Stimme? - Beides ist nicht der Fall. Damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen worden und der Tagesordnung 15 ist abgeschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung

a) Arbeitsmarktpolitik im Land ändern

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/735

b) Bundeszuschuss für aktive Arbeitsmarktpolitik

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/736

Ich bitte Frau Dirlich, die beiden Anträge einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Land Sachsen-Anhalt hat im April 2003 die rote Laterne der höchsten Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik wieder übernommen. Genauso wenig wie von der Landesregierung die Übernahme der roten Laterne durch Mecklenburg-Vorpommern als Triumph gefeiert wurde, wird jetzt die PDS mit Häme auf die Rückkehr des Landes zum Schlusslicht reagieren. Aber schweigen werden wir natürlich nicht.

Die Arbeitsmarktreformen der Bundesregierung taugen für den Osten nicht. Keine neue Erkenntnis, zugegeben. Aber mit jedem Monat führen uns die Zahlen vor Augen, dass im Osten etwas passieren muss. Auch die gebetsmühlenartige Wiederholung der Behauptung der Landesregierung, man müsse nur den ersten Arbeitsmarkt ordentlich fördern, dann würde sich das Weitere schon

von selbst richten, ist nicht haltbar. Einige wenige Zahlen sollen das verdeutlichen:

Die Arbeitsämter haben ihre Förderungen teilweise extrem umgestellt. Im Arbeitsamtsbezirk Halle wurden im Vergleich zum April 2002 im April dieses Jahres 1 722 Menschen mehr direkt in regulärer Beschäftigung, also im ersten Arbeitsmarkt, mithilfe von Lohnkostenzuschüssen gefördert. Dafür wurden ABM und SAM, berufliche Bildungsmaßnahmen und freie Förderung um 1 662 zurückgefahren.

Abgesehen davon, dass niemand sagen kann, ob tatsächlich aufgrund der Förderung im ersten Arbeitsmarkt zusätzliche Arbeitsplätze entstanden sind, das heißt, wie groß tatsächlich die Mitnahmeeffekte in diesen Fällen waren, ist eine Zahl besonders interessant: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen stieg im gleichen Zeitraum um 1 799, also um fast exakt die gleiche Zahl. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen betrug im Arbeitsamtsbezirk Halle 43,1 %.

Aus meiner Sicht bestätigen diese Zahlen das, was die PDS-Fraktion schon oft angemahnt hat: Gegen Langzeitarbeitslosigkeit hilft nicht Druck zur Arbeitsaufnahme im ersten Arbeitsmarkt, helfen nicht Leistungskürzungen - Chancen haben diese Menschen nur, wenn sie begleitet und sozial betreut werden. Das kann sich eine Unternehmerin/ein Unternehmer nicht leisten. Die Strukturen, die es können, werden gerade zerschlagen. Ich komme darauf zurück.

Interessant ist auch die Entwicklung im Arbeitsamtsbezirk Dessau. Dort - so die Aussagen der Verantwortlichen - ist der erste Arbeitsmarkt relativ stabil. Das heißt, er war im April 2003 nicht schlechter als im April 2002. Trotzdem gibt es dort im April 2003 1 300 Arbeitslose mehr als im Vergleichsmonat des Jahres 2002. Diese Erhöhung geht in Dessau fast vollständig auf das Konto der geringeren Entlastungswirkung aufgrund fehlender aktiver Arbeitsmarktpolitik. 1 640 Maßnahmeteilnehmerinnen weniger stehen zu Buche. Der erste Arbeitsmarkt konnte offensichtlich dieses Defizit nicht ausgleichen.

Die PDS-Fraktion macht mit zwei Anträgen, die eng miteinander zusammenhängen und deshalb richtigerweise auch gemeinsam behandelt werden, noch einmal auf die Situation auf dem zweiten Arbeitsmarkt aufmerksam. Die Landesregierung soll dringend aufgefordert werden, sich in die ablaufenden Prozesse aktiv einzubringen und strukturentwickelnd zu wirken.