Protokoll der Sitzung vom 15.05.2003

Nicht wenige von uns, glaube ich, diskutieren auch über ihre eigenen Lebensängste; denn Abgeordnete sind nur - ich sage das einmal so - zeitweise reich. Man weiß schließlich nicht, ob man wieder gewählt wird, und nicht jeder gehört zu den Gutverdienenden. - Das wollte ich nur als Anmerkung vorbringen.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Damit ist die Debatte - - Sie möchten doch noch einmal sprechen, Frau Bull? Eben haben Sie dies abgelehnt.

(Frau Bull, PDS: Das war mittendrin! Ich dachte, noch mal am Ende!)

- Das ist die Sache der Reihenfolge bei der Einbringung. Aber bitte schön.

Danke schön. - Ich hatte eigentlich nicht vor, noch einmal zu sprechen. Ich möchte aber zu der Frage der Betroffenheit etwas sagen. Selbstverständlich kann man auch kinderlos sein und Familienpolitik betreiben; selbstverständlich ist auch das Einfühlen eine wichtige Sache. Ich habe nur gesagt: Es ist schwieriger, wenn einem die Betroffenheit fehlt.

Ich frage mich ansonsten: Wie kommen solche Entscheidungen im schleswig-holsteinischen Landtag zustande, sich dort die Diäten zu erhöhen, wenn es andernorts soziale Zuspitzungen gibt?

(Zuruf von Herrn Dr. Heyer, SPD)

Oder inwieweit soll sich jemand hineinfühlen können, der 12,4 Millionen € erhält? Welchen Bezug hat er noch zu einem Kind, das am Morgen nicht weiß, was es abends essen soll?

(Zuruf von Herrn Dr. Heyer, SPD)

Ich will das jetzt nicht polemisch machen.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Wir stecken in der Schwierigkeit: Wir müssen auch ohne Betroffenheit Politik machen. Aber die Kluft, die es zwischen den Politikern, insbesondere uns mit unserem Einkommen, und den tatsächlich betroffenen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern gibt, macht es sehr wohl möglich, manchmal einmal mehr darüber hinwegzugehen, als man es täte, wenn es die eigene Familie beträfe. Das meine ich damit. Selbstverständlich ist es logisch, dass wir auch ohne eine gewisse Betroffenheit auskommen müssen.

Frau Bull, möchten Sie eine Frage von Herrn Kosmehl beantworten?

Nein, jetzt nicht. - Zu der Frage der unzumutbaren Härten. Das ist ein weit gedehnter Begriff. In meiner Fraktion sage ich dann immer: Klar, wir sind alle für den Frieden.

Ich möchte gern wissen, Frau Liebrecht, wo fängt für Sie eine unzumutbare Härte an. Ich kann das immer weiter herunterdefinieren.

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

Die Entwicklung geht seit zehn Jahren dahin, dass die Polarisierung zwischen Arm und Reich - -

(Zuruf von Frau Liebrecht, CDU)

- Doch, Sie reden immer wieder in einer gewissen Rechtsfertigungsrhetorik: Man muss unzumutbare Härten vermeiden, es darf keine Zuspitzungen geben. Das muss man irgendwann einmal konkret machen; denn dieser Begriff ist dehnbar. Damit kann ich alles rechtfertigen.

(Frau Liebrecht, CDU: Der Armutsbegriff ist doch auch relativ!)

Ein letzter Hinweis zur Methode. Diesbezüglich unterstütze ich das, was Herr Bischoff gesagt hat. Allein zu der Frage der allein erziehenden Mütter habe ich jetzt in vier Berichten über Sachsen-Anhalt genau dasselbe gelesen. Ich denke, wenn das Land wirklich unter einer Haushaltsnotlage leidet, dann wäre es sinnvoll, wenn sich im Sozialministerium ein paar Menschen finden würden, die die ganze Vielfalt - ich sage es ganz vorsichtig - der Berichte in irgendeiner Weise steuern würden. Man könnte eine Gruppe von empirischen Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern in die Spur schicken und es wird eine umfangreiche Studie zur sozialen Lage angefertigt.

(Frau Liebrecht, CDU: Das können wir doch im Ausschuss bereden!)

- Ja, ist doch in Ordnung. Aber ich darf es auch hier sagen, Frau Liebrecht, stimmt’s?

In diesem Sinne bedanke ich mich. Wir werden im Ausschuss dann zumindest den Bericht als solches hören - und wir werden ihn auch lesen.

(Beifall bei der PDS)

Möchten Sie jetzt eine Frage von Herrn Kosmehl beantworten?

Von mir aus.

Bitte, Herr Kosmehl, Sie dürfen fragen.

Recht vielen Dank. - Ich wollte Sie nur fragen, ob ich Sie richtig verstanden habe, dass Sie noch immer Wert darauf legen, dass man - so haben Sie es zum Ende hin formuliert - in gewisser Weise betroffen sein muss, um sich zu einem bestimmten Thema zu äußern. Ich nenne ein Beispiel: Meinen Sie, dass also die Angehörigen der jungen Generation erst ins Rentenalter kommen müssen, um über Rentenpolitik zu diskutieren?

(Frau Bull, PDS: Ach!)

Oder meinen Sie nicht,

(Zuruf von der PDS: Was soll denn das? - Un- ruhe)

dass man auch ohne eigene Betroffenheit Vorschläge in der Sache machen kann?

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der PDS)

Ich versuche, Polemik herauszulassen. So kann man jemanden natürlich auch missverstehen; dafür muss man aber sehr kreativ und sehr mutwillig sein.

Ich will es noch einmal sagen: Natürlich unterscheiden sich zum Beispiel die sozialen Lagen hinsichtlich der Einkommensstruktur zwischen den Politikern und denen, über die wir heute reden, nämlich den wirklich Armen; die Situationen unterscheiden sich immens. Und in dem Maße, wie sich die sozialen Lagen, die Einkommenslagen unterscheiden, schwindet natürlich auch das Einfühlungsvermögen, schwindet eine gewisse Sicht auf die Dinge.

Ich sage es noch einmal: Es geht nicht darum - -

(Frau Fischer, Merseburg, CDU: Das ist Quatsch! - Weitere Zurufe von der CDU)

- Das ist doch logisch, sonst könnten wir uns die Vertreterdemokratie knicken. - Aber wer von uns hat denn - deshalb habe ich damit angefangen - Kontakt zu tatsächlicher Armut, zu Leuten, die auf der Straße leben?

(Herr Gürth, CDU, Herr Madl, CDU, und Herr Schwenke, CDU: Ich!)

Sich in diese Menschen hineinzuversetzen ist durchaus hilfreich. Das heißt doch nicht, dass deshalb Politikunfähigkeit besteht. Aber die Frage der Betroffenheit in der einen und in der anderen Klasse ist wirklich ein schwieriges Ding. Das wird sich auch Ihnen nicht verschließen. Das können Sie mir nicht erzählen.

(Beifall bei der PDS - Zurufe von der CDU - Un- ruhe)

Vielen Dank, Frau Bull.

Meine Damen und Herren! Wir haben es mit zwei Anträgen zu tun. Es geht zunächst um den Antrag der SPD-Fraktion. Dazu ist von der CDU-Fraktion ein mündlicher Änderungsantrag eingebracht worden. Übernimmt die SPD-Fraktion diesen? - Gut. Dann wird eingefügt: „und Ausschuss für Gesundheit und Soziales“. Dann stimmen wir über den so erweiterten Antrag ab. Wer stimmt zu? - Das ist die Mehrheit.

(Zuruf)

- Es soll berichtet werden. Das Nächstliegende wäre, in einer gemeinsamen Ausschusssitzung zu berichten. Es wäre Zeitverschwendung, wenn die Regierung von einem Ausschuss zum anderen geht und überall das Gleiche erzählt. Jedenfalls habe ich das so verstanden. Dann ist der Antrag unter dieser Annahme angenommen worden.

Dann kommen wir zum Antrag der PDS-Fraktion. Ich habe vorhin nicht ganz verstanden, ob Sie eine Ausschussüberweisung beantragen.

(Frau Bull, PDS: Direkt!)

- Eine Direktabstimmung. - Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Das ist die Mehrheit der Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Wir sind mit der Abarbeitung des Tagesordnungspunktes 16 und damit des letzten des heutigen Tages fertig.