Protokoll der Sitzung vom 12.06.2003

Aber gemäß § 13 Abs. 4 des Schulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt kann die Aufnahme in eine bestimmte Schule abgelehnt werden, wenn die Zahl der Anmeldungen niedriger ist als die Mindestjahrgangsstärke, die im Grunde genommen nichts anderes ist als das Produkt des für die Bildung einer Klasse festgelegten Mindestwertes und der Regelmindestzügigkeit der jeweiligen Schulform.

Dieser Runderlass vom 10. März 2003, um den es heute geht, regelt die Mindestjahrgangsstärke bei der Bildung von Anfangsklassen. Die Größe der Schulen insgesamt bestimmt sich wie bisher aber nach den Vorschriften der Schulentwicklungsplanung. Die Vorschriften der Schulentwicklungsplanungsverordnung vom November 1999 gelten weiterhin, auch für die Jahre 2003 und 2004.

Meine Damen und Herren! Die Entscheidungen der Schulbehörde über die Bildung von Anfangsklassen, die, wie gesagt, auf § 13 Abs. 4 des Schulgesetzes beruhen, sind keine Eingriffe in die Schulentwicklungsplanung. Ein bestimmter Schulstandort verliert nicht zwingend seine Bestandsfähigkeit, wenn ein bestimmter Schuljahrgang nicht gebildet wird. Wohl aber weiß ich, dass die Sache dadurch einerseits erschwert wird, andererseits für die Eltern aber auch schneller klare und verlässlichere Rahmenbedingungen entstehen. Mir ist es wichtig, dass die Kinder nicht in Schulen eingeschult werden, in denen

durch Untergrößen in den Mindestzahlen schon bei der Einschulung sozusagen fragile Verhältnisse von Anfang an herrschen und damit die nächste Umschulung vorprogrammiert ist.

Ich räume gern ein, dass mit dem Aussetzen von Eingangsklassen an Schulen mit Bestand Unwuchten entstehen, die in der Gesamtbilanz - darin hat Frau Hein Recht - von den Schülerinnen und Schülern der älteren Jahrgangsklasse sozusagen kompensiert werden müssen.

Übrigens, bei der Demonstration heute Vormittag haben mir die jungen Leute sehr glaubhaft erzählt, dass sie sich zum Beispiel wünschten, dass landkreisübergreifende Entwicklungsplanungen erstellt werden würden, denn es gibt manchmal Situationen, wo die näher liegende Schule einfach nur in einem anderen Landkreis liegt.

(Unruhe bei der SPD - Herr Kühn, SPD: Das ist unsere Rede! - Zuruf von der SPD: Wir wollten eine Kreisgebietsreform!)

- Moment, dazu muss man nicht gleich eine Kreisgebietsreform machen, dazu brauchen sich nur zwei Landräte zusammenzusetzen und eine vernünftige Übereinkunft zu treffen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Im Übrigen haben die jungen Leute keineswegs eine Kreisgebietsreform gefordert, sondern sie haben einfach gesagt, dass vernünftig - -

(Unruhe bei der SPD - Zuruf von der SPD: Weil sie nicht wissen, wie die Zusammenhänge sind!)

- Das mag sein, aber ich trage nur vor, was mir diese jungen Leute mit gesundem und unverstelltem Menschenverstand vorgetragen haben.

(Zurufe von der SPD)

- Soll etwa i c h die Landkreise zusammenbringen? Diese sollen sich an einen Tisch setzen.

(Unruhe bei der SPD und bei der PDS - Frau Dr. Sitte, PDS: Sie machen nur Erlasse!)

- Lassen Sie mich einmal weitermachen.

(Zuruf von der SPD: Dann machen Sie!)

Mit Rücksicht auf die in diesem Jahr erfolgende Fortschreibung der Schulentwicklungsplanung liegen - -

(Anhaltende Unruhe)

- Sie haben gar kein Interesse, mir zuzuhören. Unter diesen Umständen brauchen Sie auch keine Fragen zu stellen.

(Frau Budde, SPD: Herr Olbertz, wir sind keine Studenten! Sie sind nicht auf der Demo! Sie brau- chen nicht so demagogisch zu reden wie dort!)

- Wenn Sie ständig dazwischenreden, muss ich ständig meine Rede unterbrechen. Das ist das einzige Problem, vor dem ich stehe.

(Frau Budde, SPD: Die Zwischenrede ist ein In- strument der parlamentarischen Auseinanderset- zung! - Weitere Zurufe von der SPD)

- Wenn das in unserer politischen Kultur normal ist, dann herzlichen Glückwunsch!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich versuche es jetzt noch einmal. - Mit Rücksicht auf die in diesem Jahr erfolgende Fortschreibung der Schulentwicklungsplanung liegen für das Schuljahr 2003/2004 die Mindestjahrgangsstärken für Sekundarschulen und Gymnasien mit 20 bzw. mit 50 Schülern sogar unter den künftigen Regelwerten. Wir haben also gleich zwei Vorkehrungen getroffen, um die in der Tat sehr ernsthafte und schwierige Situation einigermaßen sinnvoll zu handhaben.

Erstens. Im kommenden Schuljahr werden - in Deutschland versteht niemand, dass wir uns das noch leisten - mit 20 Schülern einzügige Eingangsklassen gebildet, um diese Problematik abzufedern. Ich habe selbst dafür gesorgt, dass solche Spielräume eingearbeitet werden. Es ist nicht einfach, so etwas finanzpolitisch zu legitimieren.

Zweitens. Bei den Gymnasien wird so getan, als hätten sie durchgehend die Ausnahme, zweizügig zu arbeiten, nämlich nur 50 Schülerinnen und Schüler pro Eingangsklassenstufe aufzunehmen. Ich finde, das ist schon eine erhebliche Flexibilität und eine erhebliche Rücksichtnahme auf die schwierige Situation.

Was ich nicht kann - bei allen Mühen und Anstrengungen -, ist, das demografische Problem auszuhebeln.

(Zurufe von der SPD)

- Also, wenn es einen Verstoß gibt, dann ist das kein demokratischer, sondern ein demografischer. Wir haben im Jahr 1994 gegenüber fast 32 000 Geburten im Jahr 1990 einen Einbruch von 55 % gehabt. Wir pegeln uns jetzt bei ca. 18 000 neu geborenen Kindern ein und haben die Talsohle schon durchschritten. Ich kann nur wiederholen, wie wichtig es ist, diese schwierige Situation jetzt durchzustehen und nicht zu lavieren, damit wir möglichst schnell zu einer verlässlichen und dauerhaft gültigen Schullandschaft, zu einem Schulnetz im Land Sachsen-Anhalt kommen, auf das sich die Eltern, wenn sie ihre Kinder einschulen lassen, verlassen können.

Ich bürde denen lieber den Kummer auf, jetzt nicht ihre Wunschschule auswählen zu können, aber dafür die Kinder in einer Schule einzuschulen, in der sie mit einiger Sicherheit auch bleiben können. Deswegen bin ich so sehr dafür, diesen vergleichsweise konsequenten Kurs zu fahren, um, wie gesagt, langfristig stabile und dauerhafte Schulvoraussetzungen zu haben und ein Schulnetz, das verlässlich für Lehrer, für Eltern und für Kinder ist, möglichst zügig zu erreichen. Wir haben erst dann die Entwicklungsvoraussetzungen für ein System, das strukturell zur Ruhe gekommen ist und sich seinen eigentlichen Aufgaben widmen kann.

Deswegen bin ich so sehr dagegen zu lavieren und Ausnahmeregelungen für Eingangsklassen zu schaffen. Wie wollen wir das durchhalten? Eine Schule stirbt langsam und elend. Wenn wir jetzt zulassen, kleine Eingangsklassen zu bilden, und dann warten, bis die jahrgangsstarken Klassen weg sind, dann haben wir später ein Problem, das sich gewaschen hat, um es salopp zu sagen.

Ich finde, es ist verantwortliche Politik, dem vorzugreifen. Dafür stehe ich und dafür lasse ich mich von Ihnen notfalls beschimpfen. Der Kummer, den wir dann bekommen, wenn wir fahrlässig oder nachlässig vorgehen, ist viel größer, als er es jetzt ist, und er ist schon groß genug.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Minister, möchten Sie eine Frage des Abgeordneten Gallert beantworten?

Ich habe nur noch den einen Satz, dann gern. - Insofern sehe ich keine Möglichkeit, von den Forderungen des Erlasses vom 10. März 2003 Abstand zu nehmen, wohl ihn aber so flexibel zu handhaben, dass wir erhebliche Regelausnahmen - das Wort gibt es eigentlich gar nicht - für die Mindestklassenstärken für die jetzigen Einschulungen zulassen. Das ist die Grenze dessen, was man überhaupt ermöglichen kann.

Dabei mache ich mir aber schon Sorgen, was eigentlich mit diesen einzügigen Sekundarschulen in einigen Jahren passiert, wenn die älteren Jahrgänge weg sind. Ich habe lange überlegt, ob ich dem zustimme. Ich habe mich aber dann dazu durchgerungen. Glauben Sie nicht, dass das besonders einfach ist oder dass ich es mir irgendwie leicht mache und Sie Anlass für eine solche wilde Polemik haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Jetzt bitte die Frage.

Herr Minister, mir ist bei Ihren Ausführungen ein Widerspruch aufgekommen. Sie haben eingangs gesagt, der Vorwurf, dass mit diesem Erlass - so möchte ich ihn mal betiteln - über Schulstandorte entschieden wird, sei nicht richtig, denn man könne mit Schulstandorten durchaus weiterleben, in denen bestimmte Jahrgänge nicht eingeschult werden. Im zweiten Teil der Rede haben Sie Ihr Verhalten damit begründet, dass Sie gesagt haben, wenn man das jetzt nicht mit dieser Mindestzahl mache, dann habe man eine Reihe von permanent gefährdeten Schulstandorten.

Sind Schulstandorte, bei denen Klassen nicht mehr neu gebildet werden, nicht auch permanent gefährdete Schulstandorte?

Herr Gallert, damit haben Sie vollkommen Recht. Das ist aber kein Widerspruch, sondern das sind zwei verschiedene Betrachtungsebenen. Der Erlass und die Schulentwicklungsplanung sind rechtlich zwei verschiedene Dinge. Von den beschriebenen Effekten kann und will ich überhaupt nicht ausschließen, dass das dazu führt, dass bestandsgefährdete Schulen sozusagen in ihrem Bestand noch fraglicher werden. Das sind sie aber sowieso.

Insofern ist es vernünftig, dort auch den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen, ehe man hier einen langsamen Prozess des Sterbens organisiert mit einer allmählichen Herunterschraubung der Angebotspalette, des Fächerspektrums und all dem, was man mit einzügigen Schulen machen müsste, weil man es nicht durchhält, sollte man lieber die Schulträger veranlassen, sehr genau zu prognostizieren und zu kalkulieren, wo die wirklichen Schwerpunkte liegen. Das ist wichtig, damit man die Chance hat, dass die Schüler und die Ressourcen in die Schulen gelenkt werden können, die eine Bestandschance haben. Dafür muss man sich mutig von

den Standorten trennen, die möglicherweise in ein, zwei oder drei Jahren - das ist bei guter Prognostik ohne weiteres vorauszusagen - sowieso sterben.

Konsequent zu sein bedeutet eigentlich, den Prozess schneller zu einem verlässlichen und kalkulierbaren Abschluss zu bringen und zu einer guten Tagesordnung überzugehen, statt das Problem wie eine Bugwelle vor sich herzuschieben und sozusagen noch über Jahre sterbende Schulen im System zu haben. Das möchte ich einfach nicht, so hart das im Moment klingt.

Aber in der Sache haben Sie, Herr Gallert, völlig Recht. Das ist ein innerer Zusammenhang, das würde ich nie leugnen. Diesen gibt es.

(Herr Gallert, PDS: Dann haben Sie noch sechs Jahre, dann sterben die Schulen!)

- Nein, das stimmt nicht, denn die Schulentwicklungsplanung muss im Dezember 2003 abgeschlossen sein. Dann ist im darauf folgenden Jahr bereits die Umsetzung. So lange wird es nicht dauern. Aber Sie haben schon Recht: Es entsteht an den Schulen, an denen das so läuft, eine Unwucht, die allerdings das Problem nicht erzeugt oder verschärft, sondern nur unseren Blick darauf lenkt, und das halte ich für wichtig.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich begrüße zunächst Damen und Herren der Begegnungsstätte des Deutschen Roten Kreuzes Kroppenstedt auf der Zuschauertribüne.