Protokoll der Sitzung vom 04.07.2003

(Heiterkeit und Beifall bei allen Fraktionen)

Ich war gerade mit dem Verkehrsausschuss und Frau Weiß als Vorsitzender des Ausschusses bei den Harzer Schmalspurbahnen. Interessanterweise ist von den neuen Abgeordneten diskutiert worden, warum es keine Schienenanbindung des Westharzes mehr gibt. Sie sehen, dass dieses Projekt noch aktuell ist. Ich habe zugesagt, dass ich den Ausschussmitgliedern die Machbarkeitsstudie aus den 90er-Jahren zur Verfügung stelle. Ich werde sie Ihnen auch zur Verfügung stellen.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS und bei der SPD - Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Kasten. - Meine Damen und Herren! Wenn ich das richtig sehe, ist kein Alternativantrag, sondern ein Änderungsantrag gestellt worden. Ich kann nicht erkennen, dass die Überweisung der beiden Anträge in mehrere Ausschüsse einen Sinn ergibt. Ich fasse das so auf, dass in den letzten Abschnitt des Änderungsantrages der Fraktionen der CDU und der FDP eingefügt werden muss: „an die Ausschüsse für Umwelt sowie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.“

(Herr Rothe, SPD: Ja!)

Der Innenausschuss war ebenfalls erwähnt worden. Wird der Antrag auf Ausschussüberweisung aufrechterhalten? - Das ist nicht der Fall.

Dann lasse ich über den geringfügig geänderten Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP abstimmen. Wer stimmt zu? - Das sind wohl alle. Stimmt jemand dagegen? Niemand. Enthält sich jemand? - Auch niemand.

Dann lasse ich über den so geänderten Antrag der PDSFraktion abstimmen. Wer stimmt zu? - Gleiches Abstimmungsverhalten. Damit ist dieser Antrag in der geänderten Fassung angenommen worden. Der Tagesordnungspunkt 13 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Erste Beratung

Täter-Opfer-Ausgleich in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/853

Ich bitte für die PDS-Fraktion Frau Knöfler, den Antrag einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor Ihnen liegt der Antrag der PDS-Fraktion in der Drs. 4/853. Er beinhaltet eine der wichtigsten kriminalpolitischen Neuerungen in der Bundesrepublik Deutschland in jüngster Zeit: den Täter-Opfer-Ausgleich.

Wir wollen, dass das Land dem Anspruch der Menschen auf eine zügige, unbürokratische Bearbeitung ihrer durch eine Straftat entstandenen Probleme entspricht. Das beinhaltet die Wiedergutmachung allen Leidens für die Opfer genauso wie die Möglichkeit der Reue und Sühne für die Täter.

Der Täter-Opfer-Ausgleich ist in seiner Bedeutung inzwischen weit mehr als nur eine sinnvolle Alternative zum Freiheitsentzug. Das Recht dient der Steuerung von Verhalten. Wenn Rechtsnormen gebrochen werden, stellt sich die Frage: Wie reagieren die Rechtsordnung und die Gesellschaft auf diesen Verstoß? Welche Schritte werden unternommen, um mit den Delinquenten Gespräche zu führen und die damit verbundenen Konflikte und Probleme zu regeln?

Gestatten Sie mir, zunächst den TOA - so seine Kurzbezeichnung - zu umreißen. Bei der Erfüllung bestimmter Aufgaben und Weisungen kann bei einem Verfahren - gleich in welchem Stadium - von der Staatsanwaltschaft oder von den Gerichten von einer Verurteilung ganz oder teilweise abgesehen werden. Das ist dann der Fall, wenn sich der Täter bemüht, den Schaden, den er dem Opfer zugefügt hat, wieder gutzumachen oder wenn er in gemeinnützige Arbeit eingebunden werden kann.

Primär macht Folgendes Sinn: Durch das Angebot des TOA wird die erzieherische Einflussnahme auf den Straffälligen, das Unrecht seiner Tat einzusehen und künftig ein straffreies Leben zu führen, erwiesenermaßen eher sichergestellt als durch eine Haftstrafe. Jede Einrichtung, die sich straffällig Gewordener annimmt, verdient Hochachtung und Respekt; denn sie erfüllt im Dienst des Staates eine große gesellschaftliche Aufgabe, zumal Einsparungen von Landesmitteln durch die Verringerung der Anzahl von Einweisungen in die Untersuchungshaft bzw. in die JVAs nachgewiesen sind.

Eine schöne Sache, meine sehr verehrten Damen und Herren. Dennoch klemmt der politische Schuh an diversen Stellen. Der Antrag der PDS-Fraktion zu dieser Thematik ist deshalb vielschichtig. Ich will chronologisch zu dem Ihnen vorliegenden Antrag vorgehen.

Zum Punkt 1 des Antrages. Das flächendeckende Vorhalten einiger Angebote darf nicht zum Almosen degradiert werden, sondern muss ein Programm des Landes Sachsen-Anhalt sein, wenn die gesetzliche und verwaltungstechnische Verankerung des TOA nicht ins Leere laufen soll. Es muss parallel dazu eine fachgerechte organisatorische Umsetzung gewährleistet bleiben.

Zu Punkt 2. In jeder Phase eines Verfahrens ist von Amts wegen oder auf Antrag des Täters oder des Opfers zu prüfen, ob mittels des Täter-Opfer-Ausgleichs langwierige, kostenintensive Straf- und Zivilprozesse zu vermeiden sind. Das zu tun ist Aufgabe der Gerichte und Staatsanwaltschaften, die wiederum vom Land angehalten werden müssen, dieses nicht zu vernachlässigen.

Es ist ein Trugschluss zu denken, Opfer und Täter hätten keine gemeinsame Kommunikationsebene. Sie haben sie durch gemeinsame Betroffenheit, durch den gleichen Fall, an dem gearbeitet wird. Das ermöglicht und rechtfertigt es, beiden Konfliktparteien die Verarbeitung des Geschehens letztendlich - wenn auch unter Kontrolle - in eigener Zuständigkeit und Verantwortung zu überlassen.

Das Szenario TOA führt meist zu beidseitigen befriedigenden Ergebnissen durch Entschuldigung, Ausgleich, Schmerzensgeld oder Wiedergutmachung.

Punkte 3 und 4 des Antrages. Träger und Einrichtungen benötigen finanzielle Unterstützung, um Projekte zur Vermeidung von Untersuchungshaft bei Jugendlichen wie im Erwachsenenbereich zu unterhalten, um die Möglichkeit des TOA querbeet durch fast alle Deliktgruppen zu prüfen, um weitere begleitende Maßnahmen zu sichern.

Opfer müssen reintegriert, Täter resozialisiert werden. Könnte hierfür ein Teil des benötigten Geldes aus einer noch zu gründenden Stiftung entnommen werden, die sich aus den Mitteln aus der Abschöpfung illegaler Gewinne aus der Wirtschaftskriminalität speist oder aus einem Fonds, der 1 % dessen beinhaltet, was an Geldstrafen bei Einzelplan 11 Kapitel 11 04 Titel 112 01 in den Landeshaushalt gelangt?

Werte Anwesende! Vielleicht klingt der zuletzt genannte Punkt in Ihren Ohren noch visionär. Dennoch: Anderenorts, zum Beispiel in Rheinland-Pfalz, hat sich diese Verfahrenpraxis mit dem TOA bewährt. Somit hofft die PDSFraktion, dass Sie dem Antrag auf Überweisung in den Finanzausschuss und federführend in den Ausschuss für Recht und Verfassung zustimmen,

im Interesse derer, die die Regulierung mittels TOA den repressiven Sanktionen, Destruktivität und Härte vorziehen;

im Interesse, sehr verehrter Damen und Herren, vor allem der Opfer;

im Interesse derer, die im Tätigkeitsfeld TOA ihre beauftragenden Institutionen, ihren Beruf und ihre Berufung gefunden haben;

im Interesse der Gesellschaft, die durch die Möglichkeit präventiver Wirkung des TOA nachhaltig vor

Straftaten ein und derselben Person geschützt wird und schließlich und letztlich auch

im Interesse haushaltspolitischer Aspekte.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie um Zustimmung zu dem Antrag. Wie gesagt: Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung federführend und mitberatend in den Finanzausschuss. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Knöfler. - Für die Landesregierung erteile ich nun in Vertretung des Justizministers Herrn Innenminister Jeziorsky das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Debattenverlauf der letzten beiden Tage hat dazu geführt, dass dieser Tagesordnungspunkt erst am frühen Nachmittag aufgerufen werden konnte. Insoweit haben Sie nicht das Vergnügen, jetzt Herrn Becker hier am Rednerpult zu sehen.

(Herr Dr. Thiel, PDS: Schade!)

- Ja, das denke ich auch. - Er hatte mich gebeten, seine Sichtweisen und Überlegungen zu dem Antrag vorzutragen. Insoweit fällt es mir auch schwer, den Beitrag zu Protokoll zu geben. Ich folge der Bitte des Kollegen Becker.

Sachsen-Anhalt verfügt bereits seit dem Jahr 1996 aufgrund des gemeinsamen Runderlasses des MJ, des MI und des MS vom 29. April 1996 über Richtlinien zur Förderung des Täter-Opfer-Ausgleichs im Rahmen von Entscheidungen der Staatsanwaltschaften, Gerichte und Gnadenbehörden. Mit diesen Richtlinien ist die landesweite Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs fachlich einwandfrei sichergestellt.

Nach Nummer 5 des zitierten gemeinsamen Runderlasses ist der Soziale Dienst für die Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs verantwortlich, allerdings nach dem Subsidiaritätsprinzip. Der Runderlass regelt, dass bei erwachsenen Beschuldigten die Durchführung des TäterOpfer-Ausgleichs den Mitarbeitern des Sozialen Dienstes der Justiz obliegt, sofern nicht andere Träger zur Verfügung stehen.

Um die Neutralität der Konfliktschlichterinnen und Konfliktschlichter besonders herauszustellen, haben nach dem Subsidiaritätsprinzip die Vereine oder Einrichtungen der freiwilligen Straffälligenhilfe Vorrang vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialen Dienstes. Gleichwohl sind in allen Dienststellen des Sozialen Dienstes ausgebildete Konfliktschlichter vorhanden. Insgesamt stehen über 30 ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den Vereinen und dem Sozialen Dienst der Justiz zur Verfügung.

Sachsen-Anhalt ist mit der Ausgestaltung des TäterOpfer-Ausgleichs mit einer landesweiten Durchführung einen bis dahin einmaligen und von der Fachöffentlichkeit der Bundesrepublik interessiert beobachteten Schritt gegangen. Wir waren das erste Land, das den TäterOpfer-Ausgleich landesweit und flächendeckend angeboten und durchgeführt hat. Zur Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs wurden bereits ab dem Jahr 1994

bis heute 2,321 Millionen € ausgegeben. Die Förderung verlief jährlich steigend, beginnend mit 91 000 € im Jahr 1994 bis zu einem Betrag von 298 0000 € im Jahr 2002. Selbst im schwierigen Haushaltsjahr 2003 konnte die Förderung mit 290 000 € auf hohem Niveau gehalten werden.

Die weitere Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist der Landesregierung ein besonders Anliegen und wird auch künftig landesweit sichergestellt. Der Punkt 1 des Antrages der PDS ist damit bereits seit langem erfüllt.

Dies gilt im Übrigen auch für ein flächendeckendes Netz an Opferberatungsstellen, die in allen Dienststellen des Sozialen Dienstes eingerichtet sind. Dabei handelt es sich im Übrigen im eine freiwillige Aufgabe der Justiz. Mit dem Täter-Opfer-Ausgleich und den Opferberatungsstellen steht Sachsen-Anhalt auf einem der ganz vorderen Plätze der deutschen Länder bei der Durchführung des Täter-Opfer-Ausgleichs und der Opferhilfe.

Über die gesetzlichen prozessualen Vorschriften sind die Richter und Staatsanwälte unseres Landes mehr als hinreichend unterrichtet. Schulungen sind in diesem Bereich völlig entbehrlich. Allerdings unterstützt die Landesjustizverwaltung die Möglichkeit, dem Täter-OpferAusgleich zu noch weiterer Anwendung zu verhelfen, durch gemeinsame Fortbildungen mit Richtern, Staatsanwälten und Sozialarbeitern. Diese Fortbildungen wurden in der Vergangenheit bereits mehrfach durchgeführt.

Es wird allerdings davon abgeraten, derzeit die Errichtung einer gemeinnützigen Stiftung zu planen. Die gemeinnützige Stiftung müsste mit einem erheblichen Stiftungskapital ausgestattet werden, um wirksam arbeiten zu können. Das Land Rheinland-Pfalz hat seine Stiftung mit einem Anfangsvermögen von 500 000 € ausgestattet. Ich sehe nicht, wie dies gegenwärtig zu finanzieren wäre.

Im Übrigen ist Sachsen-Anhalt bei der Opferhilfe einen anderen Weg gegangen, der darin bestand, in allen Dienststellen des Sozialen Dienstes Opferberatungsstellen einzurichten, um Opfern von Straftaten unmittelbare Hilfe anbieten zu können. Dies war und ist wirkungsvoll: Opfer erhalten in unserem Land Hilfe.

Zu den Aufgaben der Opferberatung gehört es unter anderem, alle wirtschaftlichen Möglichkeiten - zum Beispiel nach dem Opferentschädigungsgesetz - auszuloten und den Opfern bei der Inanspruchnahme der ihnen zustehenden finanziellen und sonstigen Hilfen die erforderlichen Wege aufzuzeigen.

Die Bildung eines Fonds für die Integration von Opfern und die Resozialisierung von Tätern, der durch die Einspeisung von 1 % aller Geldstrafen, Geldbußen sowie Gerichtskosten finanziert werden wird, begegnet erheblichen Bedenken. Die bisherige Förderung des TäterOpfer-Ausgleichs, der Gefangenen- und Entlassenenfürsorge sowie die Zuschüsse für die Förderung von Maßnahmen zur Durchführung von Weisungen nach § 10 des Jugendgerichtsgesetzes und die Unterstützung präventiver sozialpädagogischer Angebote hat sich im Übrigen bewährt.

Die Zuwendungen werden von der Antragsprüfung und -bewilligung bis hin zur Verwendungsnachweisprüfung nach einem bewährten System abgearbeitet. Mit der Bildung eines Fonds sind neue Regularien erforderlich. Diese könnten hinsichtlich der Verwendung und Prüfung mehr - und nicht weniger - Aufwand verursachen. Ein Fonds ist zudem keine Grundlage für eine sichere Fi