Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

für Menschen mit Behinderungen, die derzeit im Bundessozialhilfegesetz verankert ist, gehört nach unserem Verständnis nicht mehr dorthin.

Die Leistungen für behinderte Menschen müssen in einer gesetzlichen Regelung gebündelt werden. Ob dies innerhalb des bestehenden Sozialgesetzbuches neu oder in einem anderen Gesetz geschieht, sei dahingestellt.

Eine Novellierung dieser Regelung ist auch schon deshalb erforderlich, weil die Kommunen und die Länder außerstande sind, weiterhin die kontinuierlich steigenden Lasten, die aus der Eingliederungshilfe resultieren, allein zu tragen.

Im Hinblick darauf, dass alle behinderten Menschen auch zukünftig die Leistungen in der gebührenden Qualität erhalten sollen, die sie benötigen, ist es unumgänglich, dass sich der Bund zukünftig an der Finanzierung dieser Hilfe beteiligt. Im Zuge dieser Umgestaltung sollte gleichzeitig die Eingliederung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch XII erfolgen. Bis dahin dürften auch genügend Erfahrungen über die Wirkungen des Gesetzes, mit dem die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe zusammengelegt werden, vorliegen.

Ich gehe davon aus, dass auch die Landesregierung den von mir aufgezeigten Verfahrensweg favorisieren wird. Unabhängig davon steht er jedenfalls im Einklang mit den Überlegungen der Fachöffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Ausführungen von Herrn Minister Kley sehe ich davon ab, detailliert zu dem Antrag der PDS-Fraktion Stellung zu nehmen. Wir können uns im Ausschuss für Gesundheit und Soziales positionieren, wenn die Zeit für die Eingliederung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch reif ist.

Hierzu bedarf es natürlich keines neuerlichen Antrages. Das kann auch im Rahmen des Selbstbefassungsrechtes des Ausschusses erfolgen. Angesichts dieser und der zuvor gemachten Ausführungen lehnen wir den Antrag der PDS-Fraktion ab. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Liebrecht. - Der nächste Beitrag kommt von der SPD-Fraktion. Das Wort hat Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir im Sommer davon gehört haben, dass das Bundessozialhilfegesetz in das Sozialgesetzbuch eingegliedert werden soll, bin jedenfalls ich davon ausgegangen, dass man mindestens ein Jahr darüber diskutiert, weil es so umfangreich ist und man schon wusste, dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe Regelungen geschaffen werden müssen, die diesen Bereich des Sozialrechts tangieren.

Weil das in den letzten Monaten und Wochen so schnell gegangen ist und wir selbst nicht mehr wussten - das gebe ich zu -, welcher Stand im Augenblick erreicht ist - die Stellungnahmen der Spitzenverbände, der Liga und der privaten Fürsorge konnte ich erst in den letzten Tagen lesen -, ist bei mir der Eindruck entstanden, dass es vielleicht deshalb so schnell gegangen ist, um im Vermittlungsausschuss möglichst viel Material für einen

Kompromiss zu haben. Ansonsten hätte ich keine Vorstellung davon, warum diese Eile geboten sein soll.

Daher kann ich zu den einzelnen Punkten in dem Antrag nur schwer Stellung nehmen, weil sie tatsächlich Dinge betreffen, die die Schwächsten der Gesellschaft angehen und zu denen Frau Bull Befürchtungen geäußert hat. Dafür habe ich ein bisschen Verständnis; denn wer weiß, was am Ende dabei herauskommt. Wird es, wenn es wieder aus dem Vermittlungsausschuss kommt, noch schlechter als die Regelungen, die schon jetzt vermuten lassen, dass es auf Kosten derer geht, die auf Sozialhilfe angewiesen sind?

Daher hätte ich den Vorschlag, darüber im Ausschuss zu reden. Ich weiß, dass mancher sagt: Das hat wenig Sinn, weil der Vermittlungsausschuss bis zum Dezember 2003 fertig werden und einen Kompromiss vorlegen will - das ist jedenfalls die Zielvorstellung. Ob das so sein wird, wie Frau Liebrecht gesagt hat - vielleicht haben Sie bessere Informationen -, dass dieser Bereich wieder herausgenommen und extra behandelt wird, das weiß ich nicht. Ich hätte Lust, dass wir darüber im Ausschuss reden und uns auch über den Sachstand berichten lassen;

(Frau Liebrecht, CDU: Aber jetzt nicht!)

ich weiß überhaupt nicht, welche Stellung die Landesregierung zu den einzelnen Punkten einnimmt, die im Vermittlungsausschuss verhandelt werden, und wie dort der Verhandlungsstand ist.

(Minister Herr Dr. Daehre: Der Vertreter der Lan- desregierung ist autark im Vermittlungsaus- schuss! Das ist ganz wichtig! Entschuldigung!)

- Die Landesregierung ist autark. Aber manchmal wäre es ganz gut, wenn man - -

(Herr Dr. Püchel, SPD: Der Vertreter!)

- Der Vertreter der Landesregierung. - Aber trotzdem ist vielleicht der Wunsch der Abgeordneten gerechtfertigt, zu erfahren, wie es weitergeht.

Ich will zu den einzelnen Punkten nichts sagen - dazu hat jeder etwas gesagt -, sondern eher etwas zu dem Rundumschlag in Bezug auf die Agenda 2010. Es ist doch wohl Konsens bei allen: Wenn gar nichts gemacht wird, wenn alles so wie bisher weiterläuft, weil man sagt, es ist einigermaßen gut gelaufen, dann geht es - das weiß jeder - vor den Baum und die Schwächsten der Gesellschaft und die nächste Generation werden das auszubaden haben. Daher habe ich nach wie vor große Sympathie für das Programm.

Die Kritik an der Agenda 2010 und auch alle anderen Vorschläge, die von verschiedenen Seiten gekommen sind, haben mich nicht vollständig davon überzeugt, zu sagen: Es gibt grundsätzlich andere Regelungen - es sei denn, man würde am Gesamtsystem Bundesrepublik und dem Verhältnis zwischen Wirtschaft und Staat grundsätzliche Änderungen vornehmen.

Die zweite Bemerkung, die ich gern machen möchte - das höre ich jetzt von Minister Kley und natürlich auch wieder von Frau Liebknecht -, ist: Der Bund soll sich an der Eingliederungshilfe beteiligen, er soll sich am Wohngeld beteiligen, er soll sich an

(Zuruf von der CDU: Sonderrenten!)

- den Sonderrenten beteiligen.

Das ist richtig. Dieselben Dilemmata, vor denen wir jetzt stehen, galten auch bis zum Jahr 1998. Da habe ich nie gehört, dass jemand dem Bundeskanzler Kohl gesagt hat: Könnt Ihr euch nicht endlich einmal an der Finanzierung der Eingliederungshilfe beteiligen. - Das ist nie geschehen. Es ist auch bei den Sonderrenten nie geschehen.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Daher denke ich, wenn man es jetzt immer fordert, dann hätte man es eigentlich auch schon zu der Zeit fordern müssen, in der Sie die Verantwortung hatten. Die Probleme, die wir jetzt haben - das wissen wir doch beide auch -, die kommen doch nicht jetzt erst zusammen, sondern die liegen schon in den letzten 20 bis 30 Jahren, in denen jede Bundesregierung kräftig draufgelegt hat und die Verschuldung größer geworden ist.

Jetzt müssen wir Lösungen finden. Die sind oft schmerzhaft. Da hoffe ich, dass sie nicht auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Ich plädiere nach wie vor dafür, dass wir uns im Ausschuss damit beschäftigen. Ich möchte gern beantragen, den Antrag in den Ausschuss zu überweisen. Wenn das nicht geht, dann würden wir uns der Stimme enthalten.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Bischoff. - Nun bitte Herr Scholze für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Der Minister hat in seinem Redebeitrag dezidiert zum Antrag der PDS die Stellungnahme der Landesregierung vorgetragen und hat auf den derzeitigen Stand der Verhandlungen zur Thematik verwiesen. Das muss hier deshalb nicht wiederholt werden.

Meine Damen und Herren! Diese Debatte beschäftigt sich mit der Reformierung der Sozialgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland, die aber nicht losgelöst von den anderen Reformbestrebungen der rotgrünen Bundesregierung zu betrachten ist. Da steht uns die Reform des Gesundheitssystems ins Haus. Über die notwendigen Veränderungen in der Rentengesetzgebung wird diskutiert, wie auch über die Steuergesetzgebung oder die Erbschaftsteuer. Über das Grundsicherungsgesetz werden wir hier im Parlament noch reden, Hartz III - also die Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit - beschäftigt uns und natürlich Hartz IV, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Die Liste ließe sich noch weiter fortführen.

Die Fülle des Regelungsbedarfes zeigt, dass praktisch jede Bevölkerungsgruppe in Deutschland direkt oder indirekt betroffen ist. Unter dem Strich wird von allen Menschen erwartet, dass sie bereit sind, Zugeständnisse zu machen und Abstriche hinzunehmen.

(Herr Dr. Köck, PDS: Bloß nicht runterkommen!)

Ich frage an dieser Stelle nicht nach den Ursachen, die zu diesem Reformstau geführt haben. Es geht mir nicht um die Schuldzuweisung; denn fest steht, dass allen politisch Handelnden im Land bewusst ist, dass Veränderungen notwendig sind, wenn der Wirtschaftsstandort

Deutschland auch zukünftig Bestand haben soll. Strittig sind Art, Umfang und Weg der Reformen.

Meine Damen und Herren! Die FDP steht für so wenig Staat wie möglich, so viel Staat wie notwendig, Stärkung der Verantwortung des Einzelnen, das Subsidiaritätsprinzip und das Konnexitätsprinzip, nach dem zusätzliche Belastungen für die Kommunen und Länder durch den Bund auch finanziell ausgeglichen werden müssen. Wir fordern den Abbau von bürokratischen Hürden sowie die Öffnung von Tarifen und Kündigungsschutzklauseln, die in der heutigen Zeit die Wettbewerbsfähigkeit einschränken.

Meine Damen und Herren! In ihrem Antrag vertritt die PDS in Teilen einen zu unserem völlig gegensätzlichen Standpunkt. Wir unterstützen ausdrücklich die Stärkung der Selbstverantwortung der Leistungsberechtigten durch eine Pauschalierung von Sozialhilfeleistungen, besonders wenn, wie der Minister es beschrieben hat, die Erprobung des Modells positive Resonanz gezeigt hat.

(Frau Bull, PDS: Gegen das Modell hat niemand etwas!)

Wir unterstützen ausdrücklich, dass jeder Bürger ein selbstbestimmtes Leben führen kann - so auch Empfänger von Sozialhilfe. Im Jahr 2002 erhielten 135 000 Menschen in unserem Bundesland laufende Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Hilfe in besonderen Lebenslagen, also Sozialhilfe, in einem Umfang von 545,5 Millionen €. Ca. 35 % dieser Personen sind in einem Alter zwischen 25 und 50 Jahren gewesen.

Kann man den Betroffenen nicht am besten helfen, indem die Möglichkeit für eine Erwerbstätigkeit vereinfacht wird, frage ich. Da dies in der derzeitigen Arbeitsmarktlage schwer ist, muss es zumutbar sein, auch eine Beschäftigung anzunehmen, die nicht nach einem Tarifvertrag bezahlt wird.

Meine Damen und Herren! Wie ich zu verdeutlichen versucht habe, betrifft die von der PDS thematisierte Problematik im Wesentlichen bundesgesetzliche Regelungen. Bei der Bundesregierung liegen also Verantwortung und Regelungskompetenz.

Die Möglichkeiten, die unsere Landesregierung zur Einflussnahme hat, wird sie mit Sicherheit zum Gemeinwohl aller nutzen. Daher wird die FDP den Antrag der PDS ablehnen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Scholze. - Zum Abschluss der Debatte erteile ich Herrn Dr. Eckert das Wort, um für PDSFraktion zu sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich freue mich, dass der Herr Minister Kley gesagt hat, er verteidigt das Bedarfsdeckungsprinzip, und er führte aus, dass es in den vergangenen Jahren keine Unterdeckung gegeben habe. - Herr Minister Kley, das stimmt nicht. Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die genau davon ausgehen, dass es diese Unterdeckung gab und dass man normalerweise die Regelsätze sofort um 10 % erhöhen müsste, um die Unterdeckung wenigstens einigermaßen aufzuheben.

Herr Scholze, Sie sagten: ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. - Richtig. Dann muss man den Menschen aber auch die Möglichkeit dazu geben,

(Starker Beifall bei der PDS)

und in dem Gesetz ist abschließend geregelt, was man zu erwarten hat. In dem bisherigen Gesetz ist es nicht abschließend geregelt. Das heißt, man konnte Möglichkeiten finden, wie man dieses und jenes im Einvernehmen und im Dialog - in Halberstadt wird das ja als Modellversuch durchgeführt - regeln könnte. Das ist zukünftig nicht mehr so möglich.

Ich freue mich, Herr Minister Kley, dass Sie sagen - ich kenne die Diskussion -, die Eingliederungshilfe gehöre nicht ins BSHG. - Das ist richtig. Das unterstützen wir. Ich würde mich insofern freuen, wenn auch auf Bundesebene diese Position so durchgehalten wird; denn - das stellt der Bundesrat richtig fest - bei den Hilfen für Menschen mit Behinderung geht es in erster Linie um einen Nachteilsausgleich und nicht um Fürsorge im herkömmlichen Sinn.

Nicht zustimmen würde ich Ihnen aber, wenn Sie vordergründig nur Kostenargumente nehmen, um zu sagen, der Bund möge jetzt ein Leistungsgesetz für behinderte Menschen auflegen und entsprechend ausformulieren. Es hätte mich gefreut, wenn bis zum Jahr 1998 ein solches Leistungsgesetz - denn spätestens seit dem Jahr 1995 fordern die Behindertenverbände ein solches Leistungsgesetz - aktiv erarbeitet worden wäre; denn meines und unseres Erachtens muss es in erster Linie um die Sicherung der Gleichstellung und der Chancengleichheit behinderter Menschen in der Gesellschaft gehen und erst nachrangig um die Kostenfrage.