Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Warum hat man in Deutschland eigentlich solche Angst vor gut informierten, mündigen und interessierten Bürgerinnen und Bürgern? - Diese Frage muss so gestellt werden, anders ist die Zurückhaltung auf Bundesebene und auf Länderebene, ein Informationsfreiheitsgesetz auf den Weg zu bringen, nicht zu erklären. Allerdings steht in der Koalitionsvereinbarung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, dass ein derartiges Gesetz in dieser Legislaturperiode noch eingebracht werden soll. Aber auch in der Mehrzahl der Bundesländer ist man noch nicht so weit, seinen Bürgern mehr Informationsrechte zuzugestehen.
Ideologische Schranken können es auch nicht sein; denn die politischen Ausrichtungen in den Bundesländern, in denen es ein derartiges Gesetz bereits gibt, sind sehr unterschiedlich. Die Frage, ob CDU- oder SPDregiert, spielt dabei anscheinend keine Rolle.
Dass es sich bei der Forderung um mehr Informationsfreiheit auch nicht um „sozialistisches Teufelszeug“ handelt, beweist die Tatsache, dass die Länder, die dieses Gesetz seit Jahrzehnten haben, weit davon entfernt sind, unter dem Verdacht zu stehen, sozialistisch regiert zu werden.
Seit Jahrzehnten gibt es seitens des Europarates die Forderung, einen allgemeinen Zugang zu Akten der öffentlichen Verwaltung zu schaffen. Eine entsprechende Resolution unter der Überschrift „Informationsfreiheit und
Zugang der Öffentlichkeit zu Regierungsunterlagen“ wurde von der Parlamentarischen Versammlung am 1. Februar 1979 einstimmig verabschiedet. Im Jahr 1986 wurde diese Forderung nochmals bekräftigt.
Beim internationalen Vergleich stellt man sehr schnell fest, dass Deutschland einen erheblichen Entwicklungsrückstand aufweist. Die älteste Tradition hinsichtlich einer Aktenöffnung besteht in Schweden. Bereits im Jahr 1766 wurde durch die Druckfreiheitsverordnung im Zusammenhang mit der Pressefreiheit der Informationszugang gegenüber den Verwaltungen eingeführt. In den USA erfolgte dies im Jahr 1966, in den Niederlanden im Jahr 1978, in Frankreich im gleichen Jahr, in Griechenland im Jahr 1986 und in Portugal im Jahr 1993. Die Liste ließe sich noch verlängern.
Da in Deutschland kein allgemeines Recht auf Informationszugang besteht, bedarf es landesrechtlicher Regelungen. Mit dem von uns eingebrachten Gesetzentwurf soll diesem Anliegen Rechnung getragen werden. Insbesondere die Journalisten dürften unseren Gesetzentwurf begrüßen, gibt es doch seit Jahren die Forderung der Journalistenorganisation nach Informationsfreiheit. So forderten der Journalistenverband, die Journalistenunion in der Gewerkschaft ver.di und die Organisation Netzwerkrecherche die Bundesregierung auf, von der Praxis der Geheimniskrämerei Abstand zu nehmen und den Zugang zu Behördenunterlagen zu erleichtern.
Wir wollen mit dem Gesetzentwurf die Grundvoraussetzung für die Öffentlichkeit staatlichen Handels schaffen. Dadurch wird die aktive Mitgestaltung der gesellschaftlichen Realität durch kritische Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Das wird doch ständig von allen Parteien gefordert.
Mit dem Gesetzentwurf der PDS-Fraktion soll in Sachsen-Anhalt ein umfassender Anspruch auf Informationszugang in allen Verwaltungsbreichen garantiert werden. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann im Grundsatz Einsicht in alle Akten und Unterlagen bei öffentlichen Stellen des Landes, der Landkreise, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie den Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts nehmen, und zwar auch dann, wenn diese Unterlagen keine Informationen zu seiner Person enthalten.
Dabei muss der Informationszugang als ein demokratisches Recht angesehen werden, welches einer der Eckpfeiler einer bürgernahen und bürgerfreundlichen Gesellschaft ist. In Deutschland gibt es derzeit in Brandenburg, Berlin, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen Akteneinsichtsrechtsgesetze.
Gestatten Sie mir, dass ich aus dem Protokoll der öffentlichen Anhörung zum Akteneinsichtsrechtsgesetz im Landtag von Brandenburg zitiere. Herr Siegenthaler, Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektor des Kantons Bern von der Datenschutzaufsichtstelle hat in dieser Anhörung Folgendes geäußert - ich zitiere -:
„Das Gesetz über die Information der Bevölkerung, das wir seit drei Jahren haben, und die zugehörige Verordnung sind inzwischen autark geworden. Das Öffentlichkeitsprinzip hat sich bestens bewährt. Es ist heute voll in den Alltag eingeflossen und niemand möchte zurück zum Zustand vorher.
Die Gemeinden waren zu einem großen Teil nicht begeistert. Sie haben während der Diskussion und Beratung über dieses Gesetz versucht, sich
Die Gemeinden sind froh, dass sie die Gelegenheit haben, Fragen zu beantworten. Sie fangen zunehmend an, aktiv zu informieren, und sehen, dass sie durchaus zu ihrer Arbeit stehen können und dass ihnen dieses Gesetz hilft. Was sie zum Teil gemacht haben, ist ihre Organisation zu ändern, sodass nur eine Anlaufstelle besteht. Aber das war marginal. Insgesamt ist heute auch die Beurteilung durch die Gemeinden positiv.“
Immer wieder wird von den Gegnern eines solchen Gesetzes vorgetragen, dass aufgrund der Möglichkeit der Akteneinsicht die Verwaltungen insbesondere in den Kommunen lahm gelegt würden und sie sich nur mit diesen Gesuchen beschäftigen müssten. Von niemandem wurde dieses Scheinargument aber bisher mit Fakten und Zahlen belegt. Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern, aber auch aus den anderen Bundesländern beweisen, dass dies einfach nicht stimmt. Auch Erhebungen in Schleswig-Holstein haben gezeigt, dass sich diese Befürchtungen als haltlos erwiesen haben.
So hatten die meisten Kommunen seit dem Jahr 2000 nicht mehr als fünf Gesuche zu bearbeiten. Das größte Interesse galt dabei dem Bau- und Planungsbereich, wie zum Beispiel der Privatisierung eines Hafens, der Finanzierung von Bauvorhaben und Auskünften über Altlasten, sowie ferner der Vergabe von Kindergartenplätzen, der landwirtschaftlichen Förderpraxis und Ähnlichem.
In mehr als 90 % der Fälle von Informationsgesuchen gewährten die Behörden Akteneinsicht, wobei die Anträge sehr schnell bearbeitet wurden. Über mehr als 90 % der Anträge wurden binnen einer Woche entschieden. Das veranlasste den schleswig-holsteinischen Landesdatenschutzbeauftragten Helmut Bäumler zu der erfreuten Äußerung - ich zitiere -:
„Schleswig-Holsteins Bürgerinnen und Bürger nehmen ihre neuen Rechte zunehmend in Anspruch und die Verwaltung beweist bislang beim Umgang mit der neuen Offenheit Souveränität und Umsicht.“
Auf keinen Fall möchten wir unseren Gesetzentwurf so verstanden wissen, dass dieser in erster Linie ein Misstrauensvotum gegenüber unseren Verwaltungen verkörpert oder als würden wir in jeder Amtsstube korruptionsanfällige Beamte vermuten. Aber er hilft auch, Korruption zu verhindern oder aufzudecken.
Unsere Verwaltungen sind besser als ihr Ruf. Sicherlich bedarf es einer geraumen Zeit, bis sich eine Kultur der Offenheit durchsetzt, bis die Verwaltungen sogar so weit gehen, dass sie nicht mehr darauf warten, dass Bürgerinnen und Bürger zu ihnen kommen, um Informationen zu erhalten, sondern dass sie von sich aus Informationen zum Beispiel über das Internet anbieten.
Wir wollen nicht die Amtsgeheimnisse abschaffen. Jedoch nicht alles das, was in unseren Amtsstuben geschieht, sind Amtsgeheimnisse, auch wenn viele Verwaltungen noch so tun, als sei dies so. Wir hätten es im Petitionsausschuss mit einer Reihe von Petitionen weniger zu tun, wenn nicht Bürgerinnen und Bürgern Informationen vorenthalten worden wären.
Nun noch einige wenige Sätze zu dem Gesetzentwurf selbst. Im ersten Abschnitt wird das Informationsrecht geregelt. Das heißt, es ist festgeschrieben, was Informa
Im zweiten Abschnitt des Gesetzentwurfes ist das eigentliche Verfahren der Antragstellung und -bescheidung geregelt.
Im dritten Abschnitt sind die Einschränkungen des Informationsrechtes geregelt; denn der Zugang zu Informationen darf nicht schrankenlos sein. Es gilt, genau abzuwägen zwischen dem Recht auf freien Informationszugang und dem Schutz personenbezogener Daten, dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen, dem Schutz öffentlicher Interessen sowie dem Schutz von Interessen im Zusammenhang mit Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung.
Im vierten Abschnitt des Gesetzentwurfes finden sich Regelungen zu den Kosten. Dazu muss gesagt werden, dass ihre Höhe nicht prognostiziert werden kann. Dies hängt von der Intensität der Inanspruchnahme des Gesetzes ab.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass für Amtshandlungen der öffentlichen Stellen Gebühren und Auslagen erhoben werden können. Die Gebühren sind aber so zu bemessen, dass sie eine angemessene Höhe nicht überschreiten. Dabei ist das öffentliche Interesse am Informationszugang zu berücksichtigen.
Wir haben ferner vorgesehen, gesetzlich zu regeln, dass der Landesbeauftragte für den Datenschutz angerufen werden kann, wenn eine Antragstellerin oder ein Antragsteller der Ansicht ist, dass ihr bzw. sein Informationsersuchen zu Unrecht abgelehnt wurde. Aus diesem Grund mussten wir das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger in § 22 ergänzen, da diese Aufgabe dem Landesbeauftragten für den Datenschutz bisher zwangsläufig noch nicht oblag.
Am Schluss. - Wir gehen davon aus, dass der vorliegende Gesetzentwurf das gesamte Verfahren des Informationszuganges bürgernah und bürgerfreundlich gestaltet. Durch zahlreiche Regelungen wird verhindert, dass die Verwaltung das Informationsrecht durch verzögerte Bearbeitung, durch missbräuchliche Berufung auf Ausnahmetatbestände oder durch Versagung der erforderlichen sachlichen und technischen Voraussetzungen einschränkt.
Die Verwaltungen sind Dienstleister für die Bürgerinnen und Bürger. Zeigen Sie den Bürgerinnen und Bürgern von Sachsen-Anhalt, dass Sie keine Angst vor gut informierten Bürgern haben und dass Sie die von allen geforderte gläserne Verwaltung verwirklichen wollen. Überweisen Sie den Gesetzentwurf mit uns in die Ausschüsse für Recht und Verfassung und für Inneres, wobei die Federführung beim Rechtsausschuss liegen sollte. - Ich danke.
Frau Kollegin, Ihr Fraktionskollege Herr Grünert und auch die Landesregierung mahnen uns ja immer, in Gesetzentwürfe eine Gesetzesfolgenabschätzung im Hinblick auf die Kosten der Gemeinden aufzunehmen. Ich vermisse eine solche Gesetzesfolgenabschätzung in Ihrem Gesetzentwurf.
Sie haben gerade gesagt, dass es wohl nicht beziffert werden könne. Aber Sie werden doch wohl hoffentlich eine Vorstellung davon haben, was unter dem Begriff der angemessenen Gebühren zu verstehen ist. Vielleicht können Sie dazu noch etwas sagen.
Ich denke, wir werden im Ausschuss ausreichend Gelegenheit haben, darüber zu sprechen. Aber nur so viel: Auch in den Ländern, in denen ein solches Gesetz eingeführt wurde, konnte keine Gesetzesfolgenabschätzung erfolgen, weil es einfach nicht absehbar ist, inwieweit die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Recht Gebrauch machen. Dabei muss natürlich dafür gesorgt werden, dass sie erst einmal wissen, dass sie dieses Recht zukünftig erhalten. Ich kann das jetzt nicht beziffern. Das ist nicht möglich. Aber ich denke, wir werden im Rahmen einer Anhörung, deren Durchführung wir beantragen werden, die Möglichkeit erhalten, dazu eine Antwort zu bekommen.
Vielen Dank, Frau Tiedge. - Bevor wir nun die Meinungen der Fraktionen hören, erteile ich Herrn Minister Becker das Wort. Er vertritt in dieser Angelegenheit den Herrn Innenminister.
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Frau Kollegin Tiedge, wir haben keine Angst vor gut informierten Bürgern. Warum sollen wir sie auch haben? Aber wir sehen keinen Bedarf für dieses Gesetz, weil wir angetreten sind, Überregulierungen abzubauen, Rechtsvereinfachungen herbeizuführen und die Verwaltung zu verschlanken. Das ist das erklärte Ziel dieser Landesregierung.
Frau Kollegin Tiedge, ich sage Ihnen etwas Weiteres: Von uns ist wirklich niemand auf die Idee gekommen, dass Informationen sozialistisches Teufelszeug sein könnten;
denn all diejenigen, die vor 1989 hier gewohnt haben, wissen, wie das mit den sozialistischen Informationszugängen gewesen ist. Auch Sie erinnern sich sicherlich daran.
Frau Kollegin, Sie haben nun einen Entwurf vorgelegt, der uns sehr bekannt vorkommt, jedenfalls den Abgeordneten der letzten Legislaturperiode - der Herr Kollege Rothe lächelt schon.
- Ja, er lächelt heute und er lächelte damals. Das ist sein Recht. Aber auch der Kollege Püchel lächelt; denn er hat damals als Vertreter der Regierung Gründe gegen diesen Gesetzentwurf vorgetragen, die ich heute wörtlich wiederholen könnte.
Frau Tiedge, Sie erinnern sich vielleicht daran, dass wir - ich wundere mich darüber, dass Sie schon wieder eine Anhörung angekündigt haben; offensichtlich haben Sie wirklich nichts zu tun - damals eine Anhörung genau zu den Gegenständen, die der jetzt vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet, durchgeführt haben.
Wenn Sie sich einmal das Ergebnis der Anhörung am 19. September 2001 ansehen, dann werden Sie feststellen: Von begeisterter Zustimmung war auf den Rängen im Grunde nichts zu hören, weil es erhebliche Bedenken gegen das, was darin steht, gibt. Wir leben ja nun nicht mehr in der Zeit vor 1989 in diesem Land; vielmehr hat sich bei uns in Bezug auf die Information Maßgebliches verändert. Das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen.