Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

Drittens. Die Wirtschaftsräume stoßen bereits jetzt an Ländergrenzen, vor allen Dingen im Ballungsraum Halle/ Leipzig. Wir fordern eine mittelfristige Harmonisierung der Verwaltungsstrukturen und eine vergleichbare Kompetenzbildung, um in dem Augenblick, in dem Ländergrenzen nach wie vor existent sein werden - die nächsten zehn Jahre wird das mit Sicherheit noch so sein -, zumindest vergleichbare Kompetenzen zu schaffen, damit nicht die jeweiligen Interessenten für diese Region mit extrem unterschiedlichen Kompetenzverteilungen in den Ländern zu tun haben.

Wir verlangen auch eine Abstimmung der Förderkonditionen, zum einen um den entsprechenden Interessenten in der Region, um denjenigen, die hierher kommen bzw. denjenigen, die hier schon sind und grenzübergreifend arbeiten wollen, vergleichbare Bedingungen zu schaffen, und zum anderen, um den sinnlosen und für die öffentlichen Kassen ruinösen Subventionswettlauf zwischen den Ländern zu stoppen.

Viertens. Wir fordern eine effizientere Gestaltung der Verwaltung über die Prüfung von Kooperationsvorhaben bis hin zu der Fusion von Institutionen unter dem Aspekt von Effizienz und Qualitätssteigerung. Dabei kann im

Zentrum nicht derselbe Standortwettbewerb um Institutionen stattfinden, wie er um Investoren stattfindet.

Fünftens. Wir fordern, dass die Grundsätze der Länderkooperation in das Parlament gehören. Es geht um die strategischen Entwicklungslinien in diesem Land, in dieser Region. Dabei ist die Konzentration auf die Exekutive schädlich. Die Exekutive kann und darf dies nicht allein leisten. Der bisherige Stillstand, der zu konstatieren ist, ist aus unserer Sicht ganz wesentlich dadurch verursacht, dass durch die alleinige Konzentration auf Landesregierungen und Verwaltungen ein erhebliches Legitimationsdefizit in diesem Prozess besteht.

Wir fordern die Landesregierung auf, im ersten Quartal 2004 die Konzeption zur Dreiländerkooperation vorzulegen. Die nachholende Kenntnisnahme von gescheiterten Projekten oder das blinde Abnicken von Staatsverträgen kann und darf nicht die Rolle dieses Landesparlamentes sein.

(Beifall bei der PDS)

Wenn wir uns diesem Prozess nicht entgegenstellen, sind wir selbst daran Schuld und arbeiten an dem weiteren Bedeutungsverlust auch dieses Landtages mit. - Dieser Appell geht vor allen Dingen an die Koalitionsfraktionen.

Wir wollen in diesem Landtag die Transparenz der Diskussion gegenüber der Bevölkerung, gegenüber den Einwohnern in diesen drei Ländern organisieren; denn diese entscheiden letztlich mit ihrer Akzeptanz für eine Kooperation und für diejenigen politischen Vertreter, die sie organisieren, darüber, ob ein solcher Weg erfolgreich sein kann. Jüngste Beispiele in der Geschichte der Bundesrepublik haben bewiesen, dass es ohne dem nicht geht.

Sechstens. Wir wollen natürlich die Beschäftigten im Landesdienst mitnehmen, die von solchen Veränderungen betroffen sind. Sie müssen in die Diskussion rechtzeitig und entsprechend bedeutsam mit einbezogen werden.

Dies sind unsere Forderungen, und dies ist der Weg, den wir einschlagen wollen, damit die wirklichen Entwicklungspotenziale der Initiative Mitteldeutschland nicht im Sande verlaufen.

Werte Kollegen! Wir müssen heute leider konstatieren, dass das Projekt Mitteldeutschland der drei Ministerpräsidenten zu scheitern droht. Beginnen wir ein neues Projekt Mitteldeutschland, beginnen wir ein neues Projekt Dreiländerkooperation, getragen durch die drei Parlamente in diesen Ländern und durch die Bevölkerung. - Danke.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Zu Beginn der Debatte hat der Herr Ministerpräsident um das Wort gebeten. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die PDS-Fraktion hat einen Antrag gestellt aus Sorge - aus Sorge, dass die vielleicht aus ihrer Sicht neuerdings auch gut gemeinte Initiative Mitteldeutschland versanden könnte, weil wir unsere Chancen immer

weniger nutzen. Die PDS-Fraktion beantragt, dass Sie sich dieser Sorge anschließen.

Ich sage dazu, ich habe die Sorge, dass Sie das tun, und zwar deswegen, weil in dem Antrag durchaus Absichten und Vorhaben stehen, die auch ich für richtig und vernünftig halte, aber so kann man es nicht machen.

Wenn man die Grundvorstellungen vom Föderalismus mit „landsmannschaftlichen Reflexen“ übersetzt - so, wie ich es eben gehört habe -, dann sind wir am Ende der Zusammenarbeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Deswegen - das sage ich ganz deutlich - wird es so nicht gehen.

(Herr Borgwardt, CDU: Skandalös war das!)

Weil ich eigentlich möchte - das hat Herr Gallert auch gesagt -, dass wir alle auf diesem Weg mitnehmen, darf man niemanden dabei überfordern.

Die Initiative Mitteldeutschland ist keine Idee von mir. Ich glaube, damals schon daran erinnert zu haben, dass es wohl ein Magdeburger Oberbürgermeister aus dem Jahr 1928 war, übrigens von der SPD, der zum ersten Mal diese Idee hatte, und dass wir diese Gedanken nun wieder aufgegriffen haben. Ich habe das nicht erfunden.

Es war schon im Jahr 2000, als der Verein Regionenmarketing Mitteldeutschland gegründet wurde, der seitdem aus der Wirtschaft heraus die Entwicklung Mitteldeutschlands betreibt. Unsere Absicht - und auch meine - war, diese Entwicklung zu begleiten und zu fördern, ihr aber nichts aufzusetzen, was als Zwang empfunden werden könnte; denn so etwas entwickelt sich nur dann gut, wenn die Betreffenden dies aus eigener Initiative tun.

Es ist schon einiges geschehen. Die Handwerkskammern Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringens haben sich zu der Kooperationsgemeinschaft Mitteldeutsche Handwerkskammern zusammengefunden. Das ist genau die Entwicklung, die wir wollen. Aber wenn das ein Landtag oder eine Regierung beschlossen hätte, hätten wir sofort einen großen Teil der Befürworter gegen uns. Deswegen bin ich der Meinung, dass wir diese Entwicklung fördern und begleiten müssen.

Wir sollten nicht so tun, als ob der Gesetzgeber oder die Exekutive die Grundsätze beschließen und dann vorgeben soll, wie es in diesem Land weiterzugehen hat. Dann werden wir zu den Bemühungen, die wir letztlich wollen, nicht ermuntern, sondern dann werden wir alle diejenigen gegen uns organisieren, die andere Schwerpunkte setzen möchten.

Dass es viel unter uns abzustimmen gibt, ist unstrittig. Dabei wird es immer auch konkurrierende Interessen geben. Eine Abstimmung der Förderpolitik etwa halte ich für ausgesprochen schwierig. Ich will dazu nur ein einziges Beispiel nennen: Eine Regierung, an der auch die PDS nicht ganz unbeteiligt war, hatte das Projekt Cochstedt beschlossen und gefördert. Ich werfe es niemandem vor, dass das nicht so gelaufen ist, wie es damals angedacht war. Das wollte niemand. Wir müssen aber den Fakt zur Kenntnis nehmen, dass dort 90 Millionen DM an Landesfördermitteln hineinbetoniert wurden.

Wenn mir jetzt die Kollegen aus Sachsen sagen, verzichtet doch darauf, das irgendwie weiter zu nutzen, wir haben doch einen Flugplatz, der liegt zwar in Sachsen,

lasst uns den doch aber gemeinsam weiter ausbauen und macht in Cochstedt nichts mehr, dann sage ich in aller Freundschaft, das kann nicht im Interesse Sachsen-Anhalts sein. Wir müssen wenigstens das, was schon geschehen ist, auch weiterhin nutzen.

So wird es einige Konfliktfelder geben, wo jedes einzelne Land seine Interessen auch künftig vertreten muss und vertreten soll. Trotzdem wollen wir unsere grundsätzlichen Absichten abstimmen, soweit das vernünftig und im gemeinsamen Interesse ist, und werden weiter zusammenarbeiten.

Die ersten Staatsverträge, die es gibt, zum Beispiel unser Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk oder auch der Staatsvertrag über die Zusammenarbeit bei der Raumordnung und Landesplanung im Raum Halle-Leipzig, sind von einer CDU-geführten Landesregierung in Sachsen-Anhalt abgeschlossen worden.

(Minister Herr Dr. Daehre: So ist es!)

Deshalb müssen wir uns jetzt nicht dahin gehend belehren lassen, was wir zu tun hätten.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Ich habe nicht gehört, dass in der Zwischenzeit neue Staatsverträge abgeschlossen worden sind. Jetzt sind wir wieder dabei, neue Felder der Zusammenarbeit zu suchen. Wir haben, nachdem wir uns getroffen haben, 17 Themenbereiche benannt, von denen wir gesagt haben, die wollen wir zu gegebener Zeit prüfen. Dazu ist nichts beschlossen worden. Es sind Prüfaufträge für 17 einzelne Themenbereiche.

Als Ergebnis dieser Prüfung - das muss ich jetzt näher erläutern - ist dann festgestellt worden, es gibt einige Bereiche, die sich gar nicht eignen, weil alle drei Länder vorhaben, das Messwesen bzw. das Eichamt und ähnliche Behörden zu privatisieren. Diesbezüglich brauchen wir nichts mehr zu machen.

Es gibt andere Bereiche, wo die Unterschiede so groß sind, dass bestenfalls Verträge über eine Zusammenarbeit möglich sind. In anderen Bereichen wiederum wollen wir die Zusammenarbeit weiter forcieren. Einige Vorstellungen gibt es im Justizvollzug. Wir sind zurzeit dabei, Staatsverträge vorzubereiten und zu prüfen, inwieweit wir zusammenarbeiten können. Dies soll natürlich auch durch entsprechende Staatsverträge untersetzt werden.

Bisher - da bitte ich Sie einfach, sich zu erinnern - ist es immer so gewesen, dass Staatsverträge dem Parlament vorgestellt und im Parlament beschlossen werden müssen. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das in den letzten acht Jahren jemals als - nun möchte ich wieder Herrn Gallert zitieren - „bloßes Abnicken von Staatsverträgen im Parlament“ praktiziert haben. Diese Punkte sind hier immer diskutiert worden.

(Herr Gallert, PDS: Aber nicht verändert, Herr Böhmer!)

- Ja, das wurde nicht verändert, weil man im Grunde genommen die Diskussion vorneweg schon auf den Punkt hätte bringen müssen. Es gibt ein laufendes Beispiel dafür. Das ist die Gebührenanhebung im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zurzeit wird überall über diese Problematik diskutiert, weil dies dann gemeinsam beschlossen und auch in den Landtagen beschlossen werden muss.

Dass wir zurzeit noch zu keiner Lösung gekommen sind, hängt damit zusammen, dass nicht alle, aber einige Ministerpräsidenten sagen: Wenn ich das unterschreibe, dann wird mir mein Landtag nicht folgen. Deswegen unterschreibe ich es nicht. - So ist der Umgang mit Staatsverträgen. Auch ich würde mich nicht dazu entschließen, etwas zu unterschreiben, ohne mich nicht vorher der Zustimmung der Mehrheit dieses Hauses versichert zu haben. Dabei können Sie nämlich auch auf die Nase fallen.

Das sind Probleme, die bei jedem Staatsvertrag in der gleichen Weise geregelt werden müssen. Wir sind zurzeit dabei, für einige Bereiche im Justiz- und Strafvollzug die Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Staatsvertrages zu organisieren. Dies wird, wenn wir so weit sein werden, auch hier im Landtag mit den Fraktionen erörtert und dann zur Beschlussfassung vorgelegt werden.

Was andere Bereiche anbelangt, sind wir zurzeit skeptisch, ob es richtig ist, alles zusammenzulegen. Ein Beispiel sind die Statistischen Landesämter. Wir wissen, dass eine Zusammenarbeit in diesem Bereich sinnvoll ist. Wenn wir uns nun aber auf ein gemeinsames Statistisches Landesamt verständigen sollten, das dann mit Sicherheit in Leipzig eingerichtet würde, was für uns den Verlust einer größeren Zahl von Arbeitsplätzen bedeutete, auf die wir auch achten müssen, dann werden wir eine andere Organisationsform finden müssen.

Dann wollen wir einen Kooperationsvertrag, der vorsieht, dass die drei Landesämter erhalten bleiben, aber untereinander eine funktionelle Spezialisierung absprechen, dass ein Landesamt, meinetwegen das thüringische, bestimmte Aufgaben auch für Sachsen und Sachsen-Anhalt mit erledigt und die anderen Landesämter es genauso machen, weil wir natürlich auch die Ausgewogenheit - selbst die Ausgewogenheit der Arbeitsplätze - bei solchen Verträgen im Auge behalten müssen. Das möchte jeder von uns. Deswegen werden wir in dieser Frage dem Landtag keine Entscheidungen vorlegen, die wir uns gegenseitig nicht zumuten können. Das ist die gegenwärtige Situation.

Ich finde es ausgesprochen gut, wenn Sie sagen, auch auf der Ebene der Landtage - das ist Punkt 4 des Antrages - soll ein interparlamentarisches Beratungsgremium eingerichtet werden. Warum denn nicht? - Dann werden Sie sich nämlich dazu zwingen müssen, auch einmal die Meinung der anderen anzuhören, bevor entschieden wird.

Wenn Sie das innerhalb Ihrer Fraktionen, der Fraktionen der PDS in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, schon gemacht haben, dann nehmen wir das mit Respekt zur Kenntnis nehmen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass wir zentrale legislative Einrichtungen schaffen können, die bestimmen, was man in den einzelnen Ländern machen sollte.

Deswegen bin ich sehr dafür, dass über diese Probleme diskutiert wird. Ich bitte aber darum, schon bei der Diskussion Formulierungen zu verwenden, die die Atmosphäre der Zusammenarbeit nicht belasten. Ein „landsmannschaftlicher Reflex“ ist etwas, mit dem ich locker umgehen kann, was man aber in der politischen Diskussion nicht weitertragen sollte.

Ich möchte dafür werben, die Zusammenarbeit unter dem Gesichtspunkt einer Kooperation zum gegenseitigen Nutzen und zum gegenseitigen Vorteil zu organisieren, dabei immer die freiwillige Entscheidung der Betref

fenden im Auge zu behalten und mit Entscheidungen und Beschlüssen nicht weiter zu gehen, als das vorher untereinander abgestimmt worden ist; denn zum Grundverständnis eines föderalen Staates - das sind wir in der Bundesrepublik - gehört, dass man gemeinsame Ziele nur durch gemeinsame Selbstentscheidung erreichen kann. Deswegen ist es mir wichtig, dass dieser Punkt auch bei der Diskussion einigermaßen beachtet wird.

Wenn Sie sich jetzt entscheiden sollten, über den Antrag nicht gleich abzustimmen, sondern ihn in einen Ausschuss zu überweisen, dann habe ich die ganz herzliche Bitte, ihn nicht federführend in den Innenausschuss zu überweisen. Auch solche Dinge müssen beachtet werden, weil man ansonsten Empfindlichkeiten stören könnte. Das ist eine letzte Bitte, die ich vortragen möchte.

Ich möchte Ihnen sagen, Herr Gallert, in dem Antrag der Fraktion der PDS stehen viele Punkte, die ich durchaus für erstrebenswert halte. Hierbei geht es aber wirklich darum, auf diesem Weg stets alle mitzunehmen. - Vielen Dank.