Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

Der CDU/CSU-Entwurf sieht die Einführung und anschließende massive Förderung eines Niedriglohnsektors vor. Wir lehnen diese Forderung entschieden ab. Es besteht die Gefahr, dass bisherige reguläre Arbeitsverhältnisse in Niedriglohnjobs umgewandelt werden mit dem Ergebnis, dass dann der Staat die Differenz subventionieren muss. Das ist nicht das, was die SPD unter Gerechtigkeit in der Arbeitswelt versteht. Zudem blendet diese Forderung die Verhältnisse in den neuen Bundesländern völlig aus.

Wir wollen an der Tarifautonomie festhalten und sie nicht aushöhlen und wir wollen Deutschland nicht zu einem Billiglohnland machen.

(Zustimmung bei der SPD)

Unabhängig davon, was die Landesregierung im weiteren Verfahren im Vermittlungsausschuss erreichen kann, sollten im Land die Möglichkeiten genutzt werden, die sich im Moment schon bieten; denn Job-Center werden auf alle Fälle kommen. Jetzt ist die Landesregierung aufgerufen, den notwendigen Dialog mit allen Beteiligten, also den Kommunen, den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, zu organisieren und zu moderieren; denn von einer gemeinsamen Anlaufstelle bis zu einem funktionierenden Job-Center ist es noch ein weiter Weg.

Mit unserem Antrag haben wir die wichtigsten Themen benannt, die in Berlin, aber auch in Magdeburg weiter bearbeitet werden müssen. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren, aber Blockieren hilft auch nicht weiter. - Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Fischer. - Bevor ich nun für die CDUFraktion Frau Marion Fischer das Wort erteile, habe ich die Freude, Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule Staßfurt-Nord auf der Tribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Bitte, Frau Marion Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Fischer, Sie haben mit uns, mit dem Landtag und mit der Landesregierung, etwas vor, was Sie bei Ihrem Kanzler nicht geschafft haben. Die SPD-Spitze und der Kanzler konnten nämlich nur mit Mühe die Parteitagsdelegierten davon abhalten, den Verhandlungsspielraum für ihn selbst im Vermittlungsausschuss einzuengen. Jetzt verlangen Sie von uns, dass wir dieser Aufforderung nachkommen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.

(Zustimmung bei der CDU)

Diese unnötige Verfestigung im Detail möchten wir eigentlich unserer Landesregierung ersparen.

Die wirtschaftliche Situation in Deutschland und in Sachsen-Anhalt verschlechtert sich zusehends. Die sich abzeichnende Rezession hat gravierende Auswirkungen auf die Situation am Arbeitsmarkt. Die hohe Regulierungsdichte führt zum Erlahmen der wirtschaftlichen Kräfte und des unternehmerischen Engagements. Das alles ist nichts Neues, aber wenn der Tagesordnungspunkt aufgerufen wird, muss man auch immer wieder dazu Stellung nehmen.

Die Krise ist hausgemacht und sie ist, meine ich, im Wesentlichen auch durch diese Bundesregierung zu verantworten. Aufgrund dieser Situation müssen alle Maßnahmen ausgeschöpft werden, deren Ziel es ist, wirtschafts-, finanz-, sozial- und arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die helfen, die Beschäftigungshürden abzubauen.

Wir wissen, dass in der Zwischenzeit unterschiedliche, aber geschlossene Gesetzentwürfe im Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag vorliegen, die neben großen Unterschieden auch wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen. Ich nennen als Beispiel die Zusammenlegung von steuerfinanzierter Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe, wenngleich die wichtige Position der Trägerschaft noch nicht endgültig entschieden ist.

Wir werden uns auf einen Kompromiss einigen müssen, vielleicht auch auf einen, der ein Vorziehen der dritten Stufe der Steuerreform mit einer durchgreifenden Modernisierung des Arbeitsmarktes verknüpft.

Zur Gestaltung dieses Kompromisses gibt es selbstverständlich auch Vorschläge der CDU und der FDP, die ich bereits in mehreren Landtagssitzungen diesem Parlament habe vortragen dürfen. Auch Sie von der SPD und von der PDS hatten natürlich diese Möglichkeit. Ich muss meiner Kollegin von der FDP in diesem Punkt folgen und ebenfalls sagen, dass wir noch keine großen Veränderungen in unseren Hauptforderungen haben festmachen wollen.

Natürlich unterscheiden sich unsere Hauptforderungen von denen der PDS und in einigen Punkten auch von denen der SPD. Ich will diese Punkte nur noch einmal im Telegrammstil nennen, weil schon vieles gesagt worden ist.

Wichtig ist für uns die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II. Hinter die Trägerschaft kann man, denke ich, allerdings noch ein Fragezeichen setzen. Zwar wird die kommunale Trägerschaft propagiert, aber ich denke, das ist noch nicht ausdiskutiert. Deshalb setze ich noch ein Fragezeichen.

Für uns ist es auch wichtig, die herkömmliche staatliche Bewirtschaftung des zweiten Arbeitsmarktes zu verändern und durch Gesetze, die konsequent auf die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt gerichtet sind, zu ersetzen. Der Ansatz der Bundesregierung greift uns eigentlich zu kurz. Inzwischen muss jeder festgestellt haben, dass ABM ein sehr teures und eigentlich auch ineffizientes Instrument auf dem Arbeitsmarkt ist und letztendlich nicht zur Schaffung neuer Jobs beiträgt.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Aber es wird gebraucht!)

- Sie haben auf alle Fälle Recht. Es wird noch gebraucht, und es wird sicherlich auch noch lange gebraucht werden, aber dauerhaft auf keinen Fall.

Die Zumutbarkeitsregelung wie auch der Niedriglohnbereich müssen überdacht werden. Das ist klar. Bei der Zumutbarkeitsregelung muss man eigentlich auch davon ausgehen, dass jede legale Arbeit zumutbar sein müsste.

Weitere Elemente wie Öffnungsklauseln für betriebliche Bündnisse für Arbeit und Ausbildung sowie eine gewisse Flexibilisierung im Kündigungsschutz wurden schon genannt.

Am 10. Dezember 2003 nun wird im Vermittlungsausschuss zu den Gesetzen für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt abschließend beraten werden. Die Verhandlungen werden sich sicherlich sehr schwierig gestalten. Die CDU-Fraktion ist der Ansicht, die Landesregierung sollte nicht durch unterschiedlichste festgezogene Forderungen in ihrer Verhandlungsfreiheit weiter eingeengt werden. Aus diesem Grunde lehnt die CDUFraktion beide Anträge ab.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Fischer. - Zum Abschluss bitte noch einmal Frau Dirlich.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich nicht daran erinnern, schon einen Antrag zu Hartz III in diesem Landtag gestellt zu haben, und ich dachte, dass ich dazu das Recht hätte. Frau Röder, ich werde auch in Zukunft nicht zu Ihnen kommen, um Sie zu fragen, ob die Inhalte meiner Anträge der FDP genehm sind.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Zurufe von der FDP)

Ich freue mich immer, Herr Minister, wenn wir Übereinstimmungen feststellen. Wir stimmen zumindest darin überein, dass es um Fördern und Fordern geht. Sicherlich ist es ökonomisch unsinnig, in Arbeitslosigkeit zu verharren, wenn man Arbeit bekommen kann. Das Problem ist nur, dass der ökonomische Druck auf Arbeitslose ausgebaut wird, obwohl allen Beteiligten bekannt ist, dass die Leute eben keine Arbeit bekommen. Das ist das Problem, und nur um dieses Problem geht es.

(Lebhafter Beifall bei der PDS)

Wir haben das Gesetz zu den Reformen am Arbeitsmarkt, also das Gesetz, in dem es um Kündigungsschutz, Tarifverträge usw. geht, ausdrücklich nicht in diese Debatte einbezogen. Es wäre auch nicht ausgesprochen hilfreich, dies zu tun. Man kann natürlich immer wieder auf die Wirtschaft verweisen, aber man muss auch einmal sagen, dass wir auch im zweiten Arbeitsmarkt klare Verhältnisse brauchen.

Der Kompromiss sieht ein wenig anders aus, als von Ihnen, Frau Röder, und von der FDP vorgeschlagen. Ich bin auch offen und setze genau wie Frau Fischer Fragezeichen, was die Zuständigkeit betrifft. Im Moment sieht es so aus, als sollten die Arbeitsämter für Auszahlung und Vermittlung und die Kommunen für die soziale Betreuung zuständig werden. Man muss einmal sehen, ob das so ausreicht und ob die Kompetenzen, die die Kommunen im Hinblick auf Beschäftigungsmaßnahmen in den Kommunen haben, nicht möglicherweise auch mit einbezogen werden sollten.

Die Landesregierung will sich keine dezidierten Vorgaben machen lassen, mit welchen Inhalten sie in das Vermittlungsverfahren gehen bzw. woran sie ihre Zustimmung festmachen soll. Allerdings - das finde ich schon hilfreich - haben wir in dieser Landtagsdebatte klare Worte sowohl von der FDP als auch von der CDU gehört, was sie genau nicht wollen. Wenn die FDP tatsächlich das Hessen-Modell befürwortet, dann werden wir auch den Leuten draußen sagen, dass Sie genau wie die CDU Leute einfach nur für die Sozialhilfe zum Arbeiten heranziehen wollen und dass Sie eine Hilfeleistung davon abhängig machen, dass Leute in der Kommune arbeiten. Das finden wir nicht in Ordnung. So war Sozialhilfe niemals gedacht.

(Zustimmung bei der PDS - Frau Fischer, Merse- burg, CDU: Trauen Sie uns nicht zu, dass wir das selber sagen? - Frau Bull, PDS: Doppelt hält bes- ser!)

- Wir werden natürlich auch in Zukunft unsere Auffassungen in Anträgen formulieren und uns nicht darauf beschränken, Anträge zu stellen, bei denen wir mit Sicherheit davon ausgehen können, dass wir die Zustimmung der CDU bekommen.

Beim Alternativantrag der SPD habe ich mir an alle vier Punkte ein Häkchen gemacht. Wir sind in allen vier Punkten damit einverstanden. Der Unterschied zu unserem Antrag zeigt sich dort, wo es konkret wird. Hierbei drückt sich eben die SPD, obwohl sie weiß, dass genau das die eigentlich drückenden und schwierigen Probleme sind.

Frau Fischer, insbesondere vermissen wir in Ihrem Antrag eine Aussage zur Erhöhung der Zuschüsse für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Sie wissen doch ganz genau, dass auf dieser Grundlage hier im Osten kaum noch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entstehen können. Sie wissen ganz genau, dass kein kleiner sozialer Träger auf dieser Grundlage noch eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme wird durchführen können und dass auch die Kommunen dieses Defizit nicht ausgleichen können.

(Zustimmung bei der PDS)

Wenn Sie das so wollen, dann müssen Sie das auch konkret sagen.

Wir halten den SPD-Antrag nicht für eine Alternative, sondern eher für eine Ergänzung unseres Antrages; denn auch die Ablehnung des Existenzgrundlagensicherungsgesetzes aus Hessen ist ein Anliegen der PDS. Ich würde also eher dafür plädieren, unseren Antrag durch die Punkte des SPD-Antrages zu ergänzen. Das können wir leider nicht tun. Das finde ich schade. Deshalb werden wir an unserem Antrag festhalten und den Alternativantrag der SPD zwar nicht ablehnen, aber wir werden ihm ganz bestimmt auch nicht zustimmen. - Ich danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Nun hat sich Frau Ute Fischer zu einer Zwischenbemerkung gemeldet.

Gestatten Sie mir folgende Zwischenbemerkung, Frau Dirlich. Wir haben uns in unserem Antrag nicht zur Ausgestaltung von ABM geäußert, weil dies im Bundesrat im Moment nicht zur Debatte steht. Im Bundesrat stehen

vielmehr das Existenzgrundlagensicherungsgesetz der CDU/CSU und die Hartz-Gesetze zur Debatte. Insoweit gibt es eigentlich keine Spielräume, über diese Dinge zu reden. Darüber müssen wir reden, wenn wir wissen, wie die Gesetze im Endeffekt aussehen und wie wir unsere Landesregierung später einbinden können, damit noch Maßnahmen zustande kommen.

Frau Fischer, Sie wissen aber auch, dass in das Vermittlungsverfahren im Grunde alle Punkte einbezogen werden können, weil die CDU darauf bestanden hat, auch die Teile zu beraten und mit in das Vermittlungsverfahren einzubeziehen, die nicht zustimmungspflichtig sind. Jetzt werden auch noch - ich nenne es einmal - Hartz zweieinhalb, also das Gesetz für Reformen am Arbeitsmarkt, bei dem es, wie gesagt, um Kündigungsschutz geht, die Gemeindefinanzreform, das Vorziehen der Steuerreform und alles Mögliche mit einbezogen. Warum dann ausgerechnet dieses Problem nicht?

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dirlich. - Damit ist die Debatte abgeschlossen und wir stimmen ab.

Ein Überweisungsantrag wurde nicht gestellt, sodass wir zunächst über den Antrag der PDS-Fraktion in der Drs. 4/1137 abstimmen. Wer stimmt zu? - Die PDSFraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? - Die SPD-Fraktion. Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt.

Wir können nun über den Alternativantrag der SPD in der Drs. 4/1196 abstimmen. Wer stimmt zu? - Die SPDFraktion. Wer stimmt dagegen? - Die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? - Die PDS-Fraktion. Damit ist auch dieser Alternativantrag mehrheitlich abgelehnt worden und die Beratung über Tagesordnungspunkt 16 ist beendet.

Ich rufe nun vereinbarungsgemäß den Tagesordnungspunkt 10 auf: