Protokoll der Sitzung vom 11.12.2003

Dennoch haben die Erfahrungen gezeigt, dass Arbeitslosigkeit in sozialer Hinsicht etwas außerordentlich Destruktives für den Einzelnen wie auch für die betroffenen Angehörigen hat. Es fällt schwer, diese Belastung zu verarbeiten, nicht nur materiell, sondern auch immateriell. Bisweilen fehlt sogar die Motivation, sich ausreichend um sich selbst zu kümmern, sich selbst Aufgaben zu stellen. Daher halten wir nicht nur Nachteilsausgleiche, sondern auch gezielte Förderungen der Gruppe der Betroffenen für immens wichtig, wollen wir nicht schon viele Kinder in ganz frühen Jahren verlieren.

(Beifall bei der PDS)

Mit dem Wort „verlieren“ ist gemeint, dass Bildungschancen formal zwar bestehen, diese aber nicht wirklich bei den Kindern ankommen. Die Ursachen sind, wie bereits angedeutet, im Einzelnen sehr vielschichtig. Natürlich fängt vieles mit dem Klima in der Familie an. Aber für manches Kind hört mit diesem Klima auch schon alles auf.

Es mag durchaus richtig sein, die Schuld dafür bei den Eltern zu suchen - manche tun nur das. Elternschulen wären auch nicht schlecht. Aber es ist gewiss keine Lösung, wenn ausgerechnet eine Oberstaatsanwältin uns während einer Diskussion am Rande einer Unterschriftensammlung zum Volksbegehren für das Kinderbetreuungsgesetz sagt, jenen Eltern, die sich nicht um ihre Kindern kümmerten, müssten die Kinder entzogen werden.

Wohl gemerkt: Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit der Herstellung eines Ganztagsanspruchs für Kinder von nicht erwerbstätigen Elternteilen gefallen. Sie fußte zudem auf der Auffassung, die Kindertagesstätten begünstigten die Möglichkeit der Abschiebung von Kindern. Diese Meinung widerspricht dem qualitativen Angebot dieser Einrichtungen für Kinder und zeugt von Unkenntnis.

(Beifall bei der PDS)

Was passiert eigentlich, wenn letztlich die Schuld bei den Eltern gefunden wurde und es nicht gelingt, diese Eltern zu aktivieren? Hat das Kind dann Pech gehabt? Damit kann man sich doch nicht abfinden.

Natürlich können auch Kindertagesstätten und Schulen das Problem nicht umfassend lösen. Aber sie sind über viele Jahre eine wichtige Kinderwelt. Sie können die Kinder am ehesten erreichen. Die Schulen und damit die Lehrer übernehmen immer mehr Aufgaben der Sozialhilfe und müssen viel intensiver schulpsychologische Betreuungsangebote machen. Die Landesregierung aber streicht genau an dieser Stelle.

Die schlechten Noten für Deutschlands Schulen in der Pisa-Studie sind vor allem auf die mangelnde Förderung sozial benachteiligter Kinder zurückzuführen. Deshalb müssen die Start- und Bildungschancen der Kinder vom Einkommen der Eltern entkoppelt werden. Ansonsten bleibt es dabei, dass in den Hochschulen vor allem Kinder aus einkommensstärkeren Elternhäusern ankommen.

Diese Tatsache ist dann die Begründung dafür, warum die besser Gestellten für die Bildung ihrer Sprösslinge zusätzlich aufkommen sollen. Das Geld soll aufgrund chronischer Finanzknappheit bei den Hochschulen bleiben. Das ist durchaus nachvollziehbar, vor allem aus der

Sicht der Hochschulen. Aber genau genommen muss die Politik andere Finanzentscheidungen für die Hochschulen fällen, und eben nicht kürzen.

Wenn die Gesellschaft wirklich will, dass endlich mehr Kinder aus einkommensschwächeren Elternhäusern zum Studium kommen, dann müsste das zusätzlich eingenommene Geld eigentlich in mehr Bildungschancen für diese Kinder, und zwar viel früher im Bildungssystem, investiert werden. Auch deshalb unterstützen wir das Volksbegehren.

(Beifall bei der PDS)

Der Minister kann, wie heute Morgen, davor weg- oder daran vorbeilaufen, aber früher oder später werden die damit verbundenen Probleme nicht nur diesen Minister, sondern uns alle einholen.

(Beifall bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Jegliche Kürzung im Bildungsbereich hat immer auch einen hohen symbolischen Wert für ein Land und seine Entwicklungsperspektiven. Die bundesweiten Studierendenproteste sind ein Beleg dafür. Es ist nicht so, dass sich eine Hochschule durchhungern könnte, bis es ist vielleicht einmal wieder mehr Geld gibt, was ohnehin in den Sternen steht. Bis dahin verlieren die Hochschulen Kernkompetenzen ihrer Leistungspotenziale.

Es trifft die Hochschulen im Land in einer Phase der Konsolidierung. Es trifft sie auch in einer Phase, in der sie die wichtigsten Kerne für die Innovationsbasis des Landesbildes bilden. Die qualitativen Wachstumsfaktoren bilden sich in und um die Hochschulen. Statt sich auf deren Qualifizierung zu konzentrieren, erfolgen jetzt auch noch Eingriffe in die Substanz.

Die letzten Wochen haben sehr wohl gezeigt, dass sich dabei gravierende Fehlentscheidungen anbahnen. Die Landesregierung ist demzufolge nach unserer Einschätzung drauf und dran, wenn sie nicht gegensteuert, Millionen investierter Steuergelder zu entwerten. Das müsste zumindest den Landesrechnungshof auf den Plan rufen. Er sollte die Frage untersuchen, ob sich die Investitionen unter diesen Entscheidungen überhaupt auszahlen können.

Mit den zusätzlichen Kürzungen der Mittel für die Hochschulen im vorliegenden Haushalt brechen Sie zudem Ihre Zusage, dass den Hochschulen in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt der gleiche Betrag zur Verfügung gestellt werden soll. Diese Aufrechnungsrechnung, die jetzt aufgestellt wird, hilft an dieser Stelle niemandem sonderlich weiter. Daher ist auch nach der Spezifizierung der globalen Minderausgabe beispielsweise auf die Hochschulen die Beibehaltung derselbigen beim Haushalt des Kultusministeriums nicht gerechtfertigt.

Meine Damen und Herren! Sie glauben, mit diesem Haushalt einen Wechsel auf die Zukunft zu ziehen. Warum - so frage ich Sie - unternehmen Sie dann nichts, was der Entwertung dieses Wechsels entgegen wirkt? Stattdessen findet ein Ausverkauf auf der ganzen Linie statt. Keine Leuchttürme, nur Irrlichter. Was Sie uns vorgelegt haben, ist ein Haushalt der verlorenen Illusionen.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion erteile ich nun

dem Abgeordneten Herrn Lukowitz das Wort. Bitte sehr, Herr Lukowitz.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Viele unserer Probleme entstehen dadurch, dass die öffentliche Hand grundsätzlich ihre Aufgabenstruktur - unabhängig davon, ob es sich dabei um Leistungsgesetze, um Personalausgaben oder um den Schuldendienst handelt - so gestaltet hat, dass jede Pause oder auch nur eine Verlangsamung im Wachstum der Einnahmeseite sofort zu einer Krise führt, weil Mindereinnahmen nicht geplant sind.

Das gesamte Ausgabenvolumen wird selbst in Hochkonjunkturphasen sofort der Einnahmeseite angepasst. Folglich haben wir keinerlei Rücklagen gebildet. Seit Jahren finanziert der öffentliche Gesamthaushalt 9 bis 10 % seiner Ausgaben aus dem Zuwachs der Schuldenstände. Damit wurde der gesamte Schuldendienst mittlerweile auf mehr als 10 % der Gesamtausgaben bzw. auf 4 % des Bruttoinlandsproduktes getrieben.

Die gesamtstaatliche Verschuldung nimmt kontinuierlich stärker zu, als in den mittelfristigen Finanzplanungen vorgesehen und der Volkswirtschaft zuträglich ist. Das betrifft nicht allein das Land Sachsen-Anhalt, sondern das hat etwas mit der Gesamtlage zu tun, in die wir eingebunden sind.“

Meine Damen und Herren! Sehr verehrte Abgeordnete! Diese Ausführungen waren nicht O-Ton Lukowitz - Herr Präsident, ich zeige das Zitat nachträglich an -, sondern sie waren ein Zitat meines geschätzten Kollegen Dr. Fikentscher aus dem Jahr 1999 zur Begründung des damaligen SPD-Haushaltes.

Was damals gegolten hat, das sollte auch heute gelten. Ich bitte darum, dass das auch für dieses Haus gilt. Damals lag das bundesweite Wirtschaftswachstum bei über 2 %, meine Damen und Herren. Die Mindereinnahmen des Landes Sachsen-Anhalt lagen nach den Steuerschätzungen bei rund 30 Millionen €. Wir haben heute Ausfälle von mehr als 300 Millionen € zu verkraften.

(Zuruf von Herrn Bullerjahn, SPD)

Schauen wir uns einmal die heutigen Rahmenbedingungen genauer an. Wir haben bundesweit die höchste Arbeitslosigkeit, ein Nullwachstum und die schlimmste Pleitewelle seit der Gründung der Republik. Beim Wachstum innerhalb Europas steht Deutschland auf dem letzten Platz. Deutschland verletzt in Folge die Stabilitätskriterien für den Euro. Im Bundeshaushalt 2004 sind die neuen Schulden höher als die Investitionen.

Die negativen Auswirkungen für unser Land sind enorm. Für den Landeshaushalt sind nach den Steuerschätzungen vom Mai und vom November Mindereinnahmen von mehr als 300 Millionen € zu erwarten. Hinzu kommen die Erbmassen. Ich möchte diesen Begriff eigentlich nicht weiter strapazieren, muss aber doch auf die Lehrerzeitkonten hinweisen und - einige werden das nachher noch ansprechen - auf die wenig glückliche Lösung bei der Finanzierung des Talsperrenbetriebes. Das sind hausgemachte Probleme, meine Damen und Herren, die in das Tal der Vergangenheit zurückreichen.

Lieber Herr Fikentscher! Meine Damen und Herren! Die aktuelle Gesamtlage ist ungleich dramatischer, als sie es in den Jahren von 1999 bis 2001 war. Deshalb erachte

ich es als einen wirklich beachtenswerten Erfolg der CDU-FDP-Koalition, dass wir diesem Haus einen verfassungskonformen Haushalt vorlegen konnten.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir sind damit im Gegensatz zum Bund, aber auch zu einer ganzen Reihe von Bundesländern, die mit großer Wahrscheinlichkeit an diesem Anspruch scheitern werden. Wir sollten deshalb dieses Ergebnis nicht kleinreden. Für das Image eines Landes ist nicht nur die Regierung verantwortlich, sondern auch die Opposition, meine Damen und Herren.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Ich erinnere nur an die Rote Laterne in der letzten Wahlperiode! Wer hat das Land schlecht geredet? Das war die CDU! - Frau Mittendorf, SPD: Haben Sie das alles vergessen? - Herr Dr. Püchel, SPD: Natürlich! - Weitere Zurufe von der SPD)

Es macht für mich wenig Sinn, wenn Kollege Gallert in einer Pressemitteilung vom 24. November erklärt - ich darf zitieren -:

„Die Landesregierung schaffe es sowieso nur mit Rechentricks, den Haushaltsentwurf für 2004 formell verfassungskonform zu halten.“

(Herr Gallert, PDS: Richtig!)

- Dazu habe ich, Herr Gallert - mit Verlaub - eine vollkommen andere Auffassung.

(Herr Gallert, PDS: Das überrascht mich nicht!)

Sie malen hier den Teufel an die Wand. Wir präsentieren unserem Land, meine Damen und Herren, einen ehrlichen, transparenten, verfassungskonformen und von Sparzwängen gekennzeichneten Haushalt.

(Widerspruch bei der SPD - Zuruf von der PDS: Lug und Trug! - Weitere Zurufe von der SPD und von der PDS)

Er hat einen klaren Konsolidierungsansatz und wir halten diesen Konsolidierungskurs auch für alternativlos.

Doch die eigentliche Richtungsdebatte, meine Damen und Herren, macht sich für mich vor allen Dingen an der Überschrift dieser Pressemitteilung fest, die lautet: „PDS für Lockerung der Schuldenaufnahme.“

(Herr Tullner, CDU: Hört, hört!)

Es gilt also über Grundfragen zu diskutieren, meine Damen und Herren. Wollen wir mehr eigenverantwortete Schulden und, wenn ja, zu welchem Preis? Kann sich dieses Land überhaupt noch eine überproportionale Schuldenentwicklung leisten? - Jeder weiß, dass wir schon heute die höchste Staatsverschuldung pro Einwohner in den neuen Bundesländern haben.

Die PDS beantwortet diese Fragen offensichtlich mit Ja. Sie zielt damit nicht nur auf zusätzliche Investitionen, wie wir eben gehört haben, sondern malt auch schöne Scheinhorizonte, vor allen Dingen im konsumtiven Bereich, vom Kindergarten bis zum Studenten, ohne zu sagen, dass genau diese Generationen über Jahre, vielleicht sogar über Jahrzehnte hinweg einen sehr hohen Preis dafür zu zahlen haben werden. - Das halte ich für verantwortungslos.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Herr Dr. Püchel, SPD: Wer hat denn bisher die meis- ten Schulden aufgenommen?)

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, zwei Fragen zu beantworten, eine vom Abgeordneten Herrn Gallert und eine vom Abgeordneten Herrn Bullerjahn?

Wenn meine Kollegen so nett sind und bis zum Ende meiner Rede warten können, gern.