Protokoll der Sitzung vom 22.01.2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne 33. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode und dazu begrüße ich Sie alle recht herzlich.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Heute hat das Mitglied des Landtages Herr Hans-Jürgen Poser Geburtstag. Wir können ihm leider nicht persönlich gratulieren, da er krank ist. Aber ich denke, dass wir ihm von hier aus Genesungswünsche, verbunden mit herzlichen Geburtstagsgrüßen, übermitteln können.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Ich informiere Sie jetzt über eine Änderung in Mandatsangelegenheiten: Mit Ablauf des 12. Dezember 2003 hat Herr Dr. Jürgen Heyer den Verzicht auf sein Abgeordnetenmandat erklärt. Der Präsident des Landtages hat gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 des Wahlgesetzes den Mandatsverzicht am gleichen Tage bestätigt. In diesem Zusammenhang verweise ich auf die Unterrichtung in der Drs. 4/1256. Widerspruch wurde nicht eingelegt. Herr Dr. Jürgen Heyer ist somit aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt ausgeschieden.

Wir hatten uns von ihm auch schon in der letzten Sitzung verabschiedet. Viele von Ihnen hatten es sich nicht nehmen lassen, Herrn Dr. Heyer bei der Landtagssitzung im Monat Dezember persönlich Dank zu sagen und ihm die besten Wünsche mit auf den Weg zu geben.

Mit Schreiben vom 23. Dezember 2003 teilte der Landeswahlleiter mit, er habe gemäß § 40 Abs. 5 Satz 2 des Wahlgesetzes als nächste noch nicht für gewählt erklärte Ersatzperson des Landeswahlvorschlages der SPD Herrn Hans-Christian Sachse festgestellt. Herr Sachse hat mit Datum vom 23. Dezember 2003 erklärt, dass er die Wahl angenommen hat. Die Mitteilung des Landeswahlleiters ist in der Unterrichtung in Drs. 4/1270 veröffentlicht.

Im Namen des Hohen Hause begrüße ich Sie, lieber Herr Hans-Christian Sachse, als neues Mitglied des Landtages herzlichst.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei der PDS)

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und Freude in der parlamentarischen Arbeit zum Wohle des Landes SachsenAnhalt.

Meine Damen und Herren! Es liegen uns Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung für die heutige und die morgige Sitzung vor.

Herr Minister Jeziorsky lässt sich für die Sitzung am 23. Januar 2004 wegen der in Leipzig stattfindenden Unterzeichnung zum Beitritt des Landes Brandenburg zur Sicherheitskooperation der Länder Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen, entschuldigen.

Herr Staatsminister Robra entschuldigt sich für seine Abwesenheit an beiden Sitzungstagen. Er nimmt an der in Potsdam stattfindenden Klausurtagung der Föderalismuskommission teil.

Nun zur Tagesordnung. Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung für die 18. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ergebnis der am gestrigen Tag

stattgefundenen Sitzung des Ausschusses für Recht und Verfassung ist gebeten worden, den Tagesordnungspunkt 11 c von der Tagesordnung zu streichen. Die Beschlussempfehlungen zu den Tagesordnungspunkten 11 a und 11 b liegen Ihnen zwischenzeitlich in den Drs. 4/1335 und 4/1336 vor, sodass darüber beraten werden kann.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 16, 17, 18, 19, 20 und 21 am morgigen Freitag zu behandeln.

Ich frage zunächst, ob es zur Tagesordnung Bemerkungen gibt. - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann können wir so verfahren.

Es ist noch anzumerken, dass im Ältestenrat vereinbart worden ist, die heutige Sitzung des Landtages gegen 19 Uhr zu beenden. Die morgige Sitzung beginnt dann wie üblich um 9 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Debatte

Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 - Bilanz und Konsequenzen für Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1329

Es ist in üblicher Weise eine zehnminütige Redezeit für jede Fraktion vorgesehen.

Ich bitte zunächst die Antragsstellerin, die PDS-Fraktion, das Wort zu nehmen. Es spricht Herr Dr. Eckert. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen ist Geschichte. Es begann mit vielen begründeten Hoffnungen auf reale Verbesserungen der Lebens- und Rechtssituation der behinderten Menschen und endete mit Ernüchterung. Weder auf Bundesebene noch im Land Sachsen-Anhalt wurden Ansätze für Verbesserungen sichtbar.

Dabei gab es viele gut besuchte, inhaltlich ausgereifte Veranstaltungen - bundesweit über 1 000, davon ca. 190, die mit Mitteln des Bundes oder der Europäischen Union gefördert worden sind. Herauszuheben sind hierbei die nationale Eröffnungsveranstaltung vom Februar 2003 in Magdeburg sowie sechs große thematische Veranstaltungen und die Sommeruniversität in Bremen.

Auch in Sachsen-Anhalt fand eine Vielzahl von Veranstaltungen statt, so zum Beispiel in Stendal, Tangerhütte, Haldensleben, Osterwieck, Magdeburg, Schönebeck, Weißenfels oder auch in Hettstedt.

Die PDS-Fraktion im Landtag forderte frühzeitig - schon im Sommer 2002 - die Landesregierung auf, ihre Vorstellungen und ihre Konzepte aus Anlass und mit Bezug zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 in den Ausschüssen darzustellen. Ziel der Berichterstattung war es, im aktiven Dialog zwischen Parlament und Landesregierung auf die Lebenssituation behinderter Menschen und die Verantwortung der Landes

regierung aufmerksam zu machen sowie für die Probleme zu sensibilisieren.

Rückblickend ist festzustellen: Die Berichterstattung der Landesregierung erfolgte ideenlos und inhaltsarm; selbst laufende Projekte und Vorhaben wurden von der Landesregierung nur nach Aufforderung und sehr zögerlich umgesetzt. Vergleicht man die ersten Berichterstattungen im November, Dezember 2002 mit dem im Februar 2003 vorgelegten schriftlichen Bericht, so stellt man fest: Die Landesregierung reagierte lediglich partiell auf die Kritik der Opposition.

Insbesondere problematisch ist: Nur zwei Ressorts, das Ministerium für Gesundheit und Soziales sowie das Ministerium für Bau und Verkehr, leisteten sich tatsächlich eigene Überlegungen. Die Landesregierung insgesamt, das Kabinett, blieb blass. Die Vorbereitung und die Gestaltung des Europäischen Jahres waren Ressortangelegenheit; ein Zusammenwirken der Ministerien hinsichtlich der Umsetzung der Ziele des Europäischen Jahres fand nicht statt.

(Zustimmung bei der PDS - Minister Herr Dr. Daeh- re: Ja!)

Was hat das Europäische Jahr den Menschen in Sachsen-Anhalt gebracht? - Zunächst den Versuch, die Lebenssituation, die Benachteiligungen, die Probleme, aber auch das Können behinderter Menschen mehr in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit zu rücken. Ich sage: Versuch, weil wir in Sachsen-Anhalt schon weiter waren und weil dies in Anbetracht der Haushaltslage nicht unbedingt mit mehr Geld, aber mit mehr Engagement aller Minister und der Ministerin, koordiniert durch den Ministerpräsidenten, wesentlich deutlicher gelungen wäre - wenn es politisch gewollt gewesen wäre. Das war und ist vor allem eine Frage der Prioritätensetzung und der Verinnerlichung des Querschnittscharakters von Behindertenpolitik.

Das Europäische Jahr hat außerdem den Wettbewerb des Bauministeriums „Barrierefreie Kommune“ gebracht. Man könnte kritisch fragen: Was soll ein Wettbewerb, mit dem die Kommunen dafür belohnt werden, dass sie die Landesbauordnung umsetzen, sich also gesetzeskonform verhalten? Wir aber sagen: Es ist anzuerkennen, dass mit diesem Wettbewerb versucht wurde, öffentlich die Verantwortlichen für Planung und Bau in den Kommunen zu sensibilisieren und auf die seit 2002 in Sachsen-Anhalt geltende neue Rechtslage hinzuweisen.

Noch besser wäre es gewesen, wenn die kommunalen Spitzenverbände, die nach eigener Einschätzung nur Tolles für behinderte Menschen umsetzen, aus eigenem Antrieb und aus Anlass des Europäischen Jahres Ideen entwickelt hätten und diese gemeinsam mit dem Ministerium propagiert und umgesetzt hätten.

Die PDS-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass dieser Wettbewerb auch in den nächsten Jahren fortgeführt wird, erwartet aber, dass dieser organisch mit dem Stadtumbauprogramm Ost verbunden wird.

Was hat das Europäische Jahr noch gebracht? - Seit dem September 2002 ist die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erneut rasant angestiegen. Gegenwärtig ist sie wieder um 15 % höher als im Oktober 2002.

Im Dezember 2003 erhöhte die Mehrheit der Abgeordneten dieses Hauses die Diäten, während ein Jahr zuvor beinahe die gleiche Mehrheit das Blindengeld um 20 %

reduzierte - weil angeblich kein Geld da sei - und damit Teilhabemöglichkeiten und Teilhabechancen behinderter Menschen erheblich verringerte.

Im Jahr 2003 wurde die Gesundheitsreform vorbereitet und beschlossen, die unsägliche Verunsicherungen und Probleme für chronisch Kranke und behinderte Menschen seit Anfang dieses Jahres zur Folge hat. Dabei handelt es sich zwar um ein Bundesgesetz, aber der Ministerpräsident dieses Landes hat diese Reformkatastrophe mit zu verantworten.

Die Situation gehörloser Menschen hat sich in Bezug auf die Aufnahme von Informationen aus dem Fernsehen nicht verbessert. Die Untertitelung ist nach wie vor ein großes Problem.

Als besonders problematisch ist das Agieren und Handeln des Kultusministeriums im vergangenen Jahr zu bewerten. Im Europäischen Jahr 2003 hätten sich viele Möglichkeiten geboten, um Bildungsmöglichkeiten und Teilhabechancen zu verbessern. Im Gespräch ist seit dem Sommer 2003 der Entwurf eines Konzeptes zur Bildung und Entwicklung von Förderschulzentren. Das, was uns davon bekannt geworden ist, dokumentiert keinen großen Reformwillen. Genau genommen wird auf das Schild „Sonderschule“ das neue Etikett „Förderschulzentrum“ geklebt und gehofft, dass irgendwann irgendwer integrativ beschult wird.

Obwohl ich keine großen Erwartungen in den Veränderungswillen des Kultusministers habe, würde ich mir zumindest eine öffentliche Diskussion über diesen Problemkreis wünschen. Aber das Ministerium beweist gegenwärtig sowohl hinsichtlich der Schulentwicklungsplanung als auch hinsichtlich des Hochschulgesetzes eine sehr starke Beratungsresistenz. In diesen Bereichen trifft vor allem zu, dass Aussonderung und Selektion besonders belohnt und finanziert werden und Integration und ein Mehr an Teilhabe möglichst verhindert werden.

Nur ein kleines, aber wichtiges Detail aus dem Konzept der Landesregierung sei angeführt. Als Ausgangspunkt für das vorgelegte Konzept werden Gesetze und Orientierungen, nicht jedoch der mit dem Landesgleichstellungsgesetz geänderte Paragraf des Schulgesetzes genannt.

Auch die Antworten der Landesregierung auf Fragen des Kollegen Radschunat zum Denkmalschutzschutz sind hoch interessant. In den Antworten dominiert die Überzeugung: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß und muss ich auch nicht ändern. Dies ist beschämend für ein Land, welches mit Kultur und Geschichte werben und Schlagzeilen produzieren möchte und zugleich öffentlich bekundet, keine Kenntnisse über die Zugänglichkeit der öffentlichen oder auch der privaten Denkmale zu haben.

(Zustimmung bei der PDS)

Analoges gilt für die Schulen. Das Kultusministerium weiß zwar noch, welche Schulen mit Landesmitteln grundlegend rekonstruiert oder neu gebaut worden sind. Es weiß aber nicht, ob mit diesen Steuermitteln auch Barrierefreiheit hergestellt wurde. Aus diesen Antworten kann ich nur einen Schluss ziehen: Das interessiert den Minister schlicht und ergreifend nicht; denn behinderte Kinder und Jugendliche gehören nach seiner Überzeugung in eine Sonderschule. Dafür wiederum ist dieser Landesregierung nichts zu teuer.

(Zustimmung bei der PDS - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

- Sehen Sie sich die Situation an: Wir nehmen im Bereich der integrativen Beschulung im bundesweiten Vergleich nach wie vor den letzten Rang ein.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Wenn ich die Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre bewerte, dann muss ich festhalten: Für behinderte Menschen hat sich in diesem Zeitraum wenig zum Positiven hin verändert. Insbesondere die Aktivitäten des Bauministers ändern nichts am Mainstream dieser Landesregierung. Die Landesregierung setzt auf Aussonderung und Fürsorge. Das ist nicht nur negativ für die Lebenssituation behinderter Menschen, das ist auch teuer für das Land und für die Familien.