Wenn ich die Entwicklung der letzten eineinhalb Jahre bewerte, dann muss ich festhalten: Für behinderte Menschen hat sich in diesem Zeitraum wenig zum Positiven hin verändert. Insbesondere die Aktivitäten des Bauministers ändern nichts am Mainstream dieser Landesregierung. Die Landesregierung setzt auf Aussonderung und Fürsorge. Das ist nicht nur negativ für die Lebenssituation behinderter Menschen, das ist auch teuer für das Land und für die Familien.
Wir fordern deshalb die Landesregierung erstens auf, nun endlich das Landesgleichstellungsgesetz umzusetzen und dabei die Beteiligung der Behindertenverbände zu organisieren und zu sichern. Das wäre nämlich die Umsetzung des Mottos des vergangenen Jahres: Nichts über uns ohne uns!
Zweitens fordern wir, in allen Ressort konkrete Maßnahmen zur Herstellung und Sicherung von Chancengleichheit behinderter und nicht behinderter Menschen zu ergreifen und entsprechende Konzepte zu entwickeln.
Drittens sollte sich die Landesregierung auf Bundesebene für ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz und für ein Bundesleistungsgesetz einsetzen, welches Assistenz und ein menschenwürdiges persönliches Budget sichert.
Viertens soll in der Finanzierung der Maßnahmen in der Behindertenpolitik eine Wende eingeleitet werden. Integration und Teilhabe sind zu finanzieren und zu fördern und nicht die Aussonderung.
Die PDS-Fraktion wird sich trotz der enttäuschenden Ergebnisse des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003 weiter für mehr Teilhabe und für mehr Chancengleichheit behinderter Menschen einsetzen und nicht aufgeben, die Landesregierung an ihre Verantwortung für Entwicklungschancen für alle Menschen in diesem Lande zu erinnern. - Ich bedanke mich.
Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Zunächst hat die Landesregierung um das Wort gebeten. Es spricht Herr Minister Kley. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rat der Europäischen Union hatte mit Beschluss vom 3. Dezember 2001 das Jahr 2003 zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen erklärt. Das gab die Möglichkeit, europaweit und öffentlichkeitswirksam auf die vielfältigen Formen von Behinderungen und die damit verbundenen Probleme aufmerksam zu machen.
Was war mit dem Europäischen Jahr verbunden? - Im Grunde genommen ein einziger Kerngedanke, nämlich die Nichtbehinderten auf die Belange der Menschen mit Behinderungen aufmerksam zu machen, um auf diesem Wege Ausgrenzungen von behinderten Menschen zu verhindern bzw. abzubauen und somit einen weiteren
Schritt auf dem Weg zu einer Gesellschaft zu tun, in der behinderte und nichtbehinderte Menschen gleichberechtigt miteinander leben.
Wenn wir an dieser Stelle darüber urteilen wollen, ob dieses Anliegen von Erfolg gekrönt war, so kann ich nur sagen: Ja. Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen war ein Erfolg; denn es hat die Öffentlichkeit für die Probleme Behinderter stärker sensibilisiert.
Den Kritikern muss ich allerdings darin Recht geben, dass wir messbare Ergebnisse im eigentlich Sinne kaum verbuchen können, weil es diese aus der Natur der Sache heraus schwerlich geben kann. So könnte ich zwar eine Statistik nach der anderen über die im vergangenen Jahr geschaffenen Maßnahmen zur Barrierefreiheit herunterbeten und neu angeschaffte Niederflurbusse an errichtete Rampen und diese an neu installierte optische Leitsysteme reihen - das alles ergäbe jedoch nur ein unvollkommenes, oberflächliches Bild.
Die Überwindung von Ausgrenzung bedeutet erheblich mehr als den Bau einer Rollstuhlrampe oder durchgängige Lautsprecheransagen in Bussen und Straßenbahnen. Ausgrenzung ist das, was in jedem Menschen vor sich geht, wenn er den Kontakt mit behinderten Menschen bewusst oder unbewusst vermeidet, aus welchen Gründen auch immer.
Gerade deshalb waren die zahlreichen Aktionen, wie die nationale Auftaktveranstaltung zum Europäischen Jahr in Magdeburg, die Ehrung engagierter Frauen und Mädchen mit Behinderung zum internationalen Frauentag oder der Tag der Begegnungen im Sozialministerium, und insbesondere die öffentliche Berichterstattung dazu notwendig und wichtig. Denn nur durch diese öffentliche Aufmerksamkeit kann der Abbau der größten und schwierigsten Barrieren, der Barrieren in den Köpfen der Nichtbehinderten, gelingen. Auch wenn dies in kleinen Schritten vonstatten geht, ist es dennoch für unsere behinderten Menschen ein wichtiges Ergebnis auf dem Weg zur allgemeinen Anerkennung ihrer Belange.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einige Beispiele aus der Politik unseres Landes nennen, die es nach meinem Dafürhalten verdienen, als messbarer Erfolg des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen gezählt zu werden.
Zum einen ist die Jobinitiative der Landesregierung Sachsen-Anhalts für ältere Schwerbehinderte und Alleinerziehende im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen um 5 Millionen € aufgestockt worden. Die berufliche Integration ist für Menschen der Dreh- und Angelpunkt, wenn es um ihre aktive Teilhabe, Gleichstellung und Selbstbestimmung geht. Mit diesem Sonderprogramm schaffen wir Anreize für Firmen, behinderten Frauen und Männern Chancen zu eröffnen. Dabei zeigt die Verlängerung des Programms um drei weitere Jahre, dass die Landesregierung die Schaffung von Arbeitsplätzen für schwerbehinderte Menschen über das Europäische Jahr hinaus fortsetzen will.
Zum anderen möchte ich nur einige der Projekte nennen, die durch das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen initiiert worden sind. Ich denke dabei zum Beispiel an den vorhin schon genannten, vom Ministerium für Bauen und Verkehr ausgelobten und durchaus erfolgreichen Wettbewerb „Barrierefreie Kommune“
oder die Broschüre „Tourismus für alle“, die im Jahr 2003 gemeinsam vom Wirtschafts- und vom Sozialministerium als Standortbestimmung zum barrierefreien Tourismus herausgegeben worden ist.
Auch die barrierefreie Gestaltung von Internetportalen, so unseres Kinderportals unter www.kinderministerium.de, oder die finanzielle Beteiligung des Landes am barrierefreien Umbau von Sportstätten, wie dem Halberstädter Friedensstadion, können in diesem Zusammenhang aufgezählt werden.
So wie diese ließen sich noch weitere Projekte erwähnen, die durch das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen initiiert wurden oder sich zumindest in diesem Europäischen Jahr einfacher realisieren ließen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2003 schrieben wir das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen und keineswegs für Menschen mit Behinderungen. Gerade das war die Zielsetzung der Europäischen Union: behinderte Menschen darin zu unterstützen, sich zu artikulieren, aktiv ihre Belange zu vertreten und sich einzubringen. So - und nicht anders - soll es auch weiterhin bleiben; denn der vollzogene Paradigmenwechsel ersetzt die bevormundende Fürsorge durch die Unterstützung zum aktiven Handeln.
Bereits anlässlich einer Sitzung des Ausschusses für Gesundheit und Soziales im vergangenen Jahr habe ich den Willen der Landesregierung bekundet, den Gedanken des Europäischen Jahres nicht etwa zum Ablauf des Jahres zum 31. Dezember 2003 zu den Akten zu legen, sondern ihn mit Nachhaltigkeit auszustatten. Die Sozialpolitik unseres Landes wird sich auch zukünftig an den Belangen behinderter Menschen ausrichten.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Eckert, nach Ihrem Redebeitrag war ich nahe dran, mein Redekonzept zu ändern und über den Umgang mit Behinderten zu DDR-Zeiten zu sprechen. Ich denke aber, dass dieses Thema keine Polemik verdient, und deshalb bleibe ich bei meinem Konzept.
Sehr geehrte Damen und Herren! Im letzten Jahr begingen wir das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen. Auch im Land Sachsen-Anhalt fanden - organisiert vom Land, von Kommunen und Verbänden - unzählige Veranstaltungen unter diesem Motto statt. Auch der Landtag und seine Ausschüsse beschäftigten sich in mehreren Sitzungen mit diesem Thema.
Erst in der letzten Sitzung des Ausschusses für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport wurde vereinbart, sich in der nächsten Sitzung mit der Bilanz und den Konsequenzen des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003 auseinander zu setzen. Insofern war ich schon überrascht, werte Kolleginnen
und Kollegen der PDS, dieses Thema als Aktuelle Debatte auf der heutigen Tagesordnung des Landtages zu finden. Nicht dass ich über diese Thema nicht sprechen will, aber es ist meines Erachtens wichtiger zu handeln als zu reden.
Ich hatte nach den bisher im Landtag und seinen Gremien geführten Debatten den Eindruck, dass die im Landtag vertretenen Parteien und die Landesregierung in ihren Positionen zur Situation von Menschen mit Behinderungen gar nicht so weit auseinander liegen. Die Landesregierung hat das meines Erachtens mit ihren Aktivitäten im letzten Jahr und den für die nächsten Jahre geplanten Aktivitäten bestätigt. Schauen wir auf das letzte Jahr zurück.
Das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen sollte europaweit die breite Öffentlichkeit für die Situation der Menschen mit Behinderungen sensibilisieren und den Weg zu ihrer wirklichen Teilhabe an der Gesellschaft ebnen helfen. Dazu reichen, wie ich bereits in einer Rede im letzten Jahr sagte, Gesetze allein nicht aus.
Die soziale Integration und eine wirkliche Teilhabe erreichen wir nur, wenn es gelingt, Vorurteile abzubauen, Verständigung zu suchen und Gedankenlosigkeit entgegenzuwirken - und das in den Köpfen aller Menschen. Die Menschen sind unterschiedlich, es muss in unserer Gesellschaft einfach normal sein, verschieden zu sein. Dafür setzen wir uns als CDU-Fraktion - ich denke, nicht nur wir - ein.
Ich möchte noch an einige für mich besonders beeindruckende Veranstaltungen im letzten Jahr erinnern. Zum einen gab es den „Tag der Begegnung“ im Sozialministerium, der übrigens auch in diesem Jahr wieder stattfinden wird, und es gab die Landessportspiele von und für Menschen mit Behinderungen und ihre Freunde in Haldensleben. Das war eine Veranstaltung, bei der Behinderte und Nichtbehinderte mit großer Begeisterung gemeinsam Sportwettkämpfe bestritten haben.
Hierzu muss ich allerdings eine Kritik anbringen. Ich hoffe, dass die Organisatoren der beiden Veranstaltungen in diesem Jahr verhindern, dass die Veranstaltungen wieder an demselben Tag stattfinden.
Beeindruckend war auch eine vom Kinder- und Jugendring organisierte Veranstaltung hier im Landtag unter dem Motto „Ich sehe was, was du nicht kennst“. Die Begeisterung und Freude, mit der körperlich, geistig und lernbehinderte Kinder dort ihre Wünsche und Vorstellungen erarbeiteten und artikulierten, werde zumindest ich nicht vergessen.
Auch auf der Abschlussveranstaltung der Stadt Magdeburg zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen wurde ein durchaus positives Resümee gezogen. Der Behindertenbeauftragte Herr Pischner - der übrigens auf der Empore sitzt - lobte die Anstrengungen der Stadt, eine barrierefreie Kommune zu werden. Beim Wettbewerb „Barrierefreie Kommune“ reichten die Aktionen allerdings vorerst nur für einen vierten Platz.
Damit wäre ich beim letzten Thema meiner nicht vollständigen Aufzählung: Ein besonderes Lob hat sich - Herr Dr. Eckert und Herr Minister Kley sagten es schon - das Bauministerium verdient. Der Wettbewerb „Barrierefreie Kommune“ hat mit den vorgestellten Projekten gezeigt, dass Behindertenfreundlichkeit in den Kommunen nicht
nur ein Schlagwort ist, sondern zum Beispiel bei stadtplanerischen Maßnahmen ständig Berücksichtigung findet. Von dieser Stelle noch einmal einen herzlichen Glückwunsch an Roßlau zum ersten Preis bei diesem Wettbewerb.
Dieser Wettbewerb - das wurde auch schon erwähnt - soll in zweijährigem Abstand fortgesetzt werden, also auch über das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen hinaus.
Ich könnte jetzt noch etwas zum barrierefreien Tourismus sagen, zu den paralympischen Projekten im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung Leipzigs usw. - alles Aktivitäten, die auch in den kommenden Jahren fortgesetzt werden und Politik und Gesellschaft in diesem und im kommenden Jahr beschäftigen werden.
Auch einige neue Aufgaben, die nicht direkt mit dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen zu tun haben, werden uns in diesem Jahr beschäftigen. Ich möchte hier beispielhaft nur anführen, dass auch die Einführung trägerübergreifender persönlicher Budgets als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 57 SGB XII im Jahr 2004 ein wichtiges Thema wird. Wir hoffen, dass dies zu einer weiteren Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen führt. Das ist ein Thema, das uns sicherlich auch in den zuständigen Ausschüssen des Landtages beschäftigen wird. Dies ist nur ein Beispiel dafür, dass Politik für und mit Menschen mit Behinderungen ein permanentes Thema ist und auch weiterhin sein wird.
Abschließend möchte ich Folgendes anmerken: Sicherlich wird das Ziel wirklicher Teilhabe, wirklicher Gleichstellung und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen - ich sagte es vorhin schon einmal - mit Veranstaltungen und einem besonderen europäischen Jahr allein nicht zu erreichen sein. Dazu ist kontinuierliches Handeln in Politik und Gesellschaft notwendig. Die CDU-Fraktion wird auch weiterhin alles Mögliche dafür tun, dass wirkliche Gleichstellung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen keine Vision bleibt, sondern möglichst schnell Realität wird. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Schwenke. - Bevor ich nun Herrn Bischoff das Wort erteile, freue ich mich, Schülerinnen und Schüler der Wundt-Sekundarschule aus Tangerhütte auf der Tribüne begrüßen zu können.