Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Trotz aller Kritik gilt grundsätzlich, dass es gut war, dass es das Europäische Jahr der Menschen mit Behinderungen gegeben hat; denn es hat die Situation dieser Menschen wieder ins Bewusstsein gerufen, und zwar europaweit.
Es gab viele Veranstaltungen und natürlich gab es noch mehr Erklärungen. Ob wir in Deutschland und speziell in Sachsen-Anhalt im Vergleich mit anderen europäischen Ländern und Regionen besser oder schlechter daste
hen, das kann heute nicht beurteilt werden, obwohl gerade diese Dimension meines Erachtens mehr Beachtung finden sollte. Eine Veranstaltung des Allgemeinen Behindertenverbandes im Herbst 2003 in Schönebeck hatte diese Ausrichtung zum Thema: Was können wir in der Behindertenpolitik von anderen lernen und was können andere von uns lernen.
Mich würde auch interessieren, wie viele Begegnungen zwischen Menschen mit Behinderungen innerhalb Europas stattgefunden haben und welche Erfahrungen die Betroffenen gemacht haben.
Schließlich würde ich das Resümee dieses Jahres mit den betroffenen Verbänden erörtern; denn deren Perspektive könnte eine andere sein.
Am Anfang meiner weiteren Anmerkungen möchte ich denen danken, die sich im letzten Jahr auf vielfältige Weise mit dieser Thematik beschäftigt haben.
Das gilt für die Verantwortlichen in den Verbänden, für die hauptamtlichen und ehrenamtlichen Behindertenbeauftragten, die ihre Arbeit darauf abgestellt haben, die in vielen Beiträgen auf die Situation von Menschen mit Behinderungen hingewiesen und die sich für diese eingesetzt haben.
Den Menschen mit Behinderungen möchte ich besonders dafür danken, dass sie sich ins Gespräch gebracht haben, was aus ihrer Situation heraus oft gar nicht so einfach ist, dass sie Kontakte geknüpft haben und dass sie mit ihren auch kulturellen Beiträgen manchmal auf Vergnügliches, aber natürlich viel mehr auf die Probleme hingewiesen haben, mit denen sie sich herumschlagen müssen.
Danken möchte ich schließlich auch denen, die sich um Menschen mit Behinderungen kümmern, die selbstverständlichen Umgang pflegen, die zur Integration beitragen und die sich nicht entmutigen lassen.
Wer von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einmal in Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in Werkstätten für Behinderte gewesen ist, wird feststellen können, welch gute Atmosphäre zwischen denen, die dort Verantwortung tragen, und denen, die dort wohnen, herrscht. Es ist heutzutage nicht selbstverständlich, sich für andere einzusetzen und sich um deren Belange zu kümmern. Das gilt auch für diejenigen, die in Ämtern und Behörden sitzen.
Resümee: Natürlich hätte ich mir mehr Initiativen im Land Sachsen-Anhalt gewünscht. Das Fest der Begegnung soll zwar weitergeführt werden - das ist richtig -, aber es darf nicht zum Alibiobjekt der Landesregierung werden. Es müssen wesentlich mehr Möglichkeiten zur Begegnung zwischen Menschen mit Behinderungen und denen, die nicht behindert sind oder nicht behindert werden, geschaffen werden.
Ich lese zum Beispiel in der „Volksstimme“ vom 14. Januar dieses Jahres, dass die Broschüre „Tourismus für alle“ das einzige sei, was vom Engagement des Wirtschaftsministeriums bei dieser Thematik übrig geblieben sei. Der Beirat „Barrierefreier Tourismus“ habe im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen ein- oder zweimal getagt. Es gebe in Sachsen-Anhalt nur fünf Pauschalreisen für Menschen mit Behinderungen. - Na toll. Ich lese dann weiter, im Vergleich zu SachsenAnhalt könne Mecklenburg-Vorpommern immerhin 42 Projekte und Brandenburg 110 Projekte aufweisen; Thü
Warum, so fragt meine Kollegin Bianka Kachel zu Recht, haben wir zum Beispiel den Schwung des Ottonenjahres nicht genutzt - in diesem Jahr waren sehr viele Menschen in Sachsen-Anhalt -, um weitere Angebote für einen barrierefreien Tourismus zu machen. Deshalb unterstützen wir die Initiative von Frau Kachel und Herrn Metke, die sagen, der Harz könnte zur Modellregion eines barrierefreien Tourismus entwickelt werden.
Mit solch einer Ausrichtung ist man auch zukunftsfähig; denn eine immer älter werdende Gesellschaft wird solche Angebote immer mehr wahrnehmen. Wer in diesem Geschäft die Nase vorn hat und besondere Angebote für ältere Menschen und für Menschen mit Behinderungen macht, der wird in Zukunft erfolgreich sein. Natürlich müssen dazu die öffentlichen Gebäude wie Kultur-, Freizeit- und Sporteinrichtungen sowie Hotels und Gaststätten für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. Hierbei bestehen noch erhebliche Reserven, die erschlossen werden müssen.
Aber nicht nur der Tourismus muss die Belange von Menschen mit Behinderungen besser berücksichtigen, sondern das gilt eigentlich für alle öffentlichen Gebäude. Ich bin im Internet auf die Untersuchung von Herrn Hoffmann gestoßen. - Er ist bestimmt manchen von Ihnen noch bekannt; er war in der vergangenen Legislaturperiode Mitglied des Landtages, ein Rollstuhlfahrer.
Er hat acht Städte daraufhin untersucht, ob die öffentlichen Gebäude, die die Landesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage genannt hat, tatsächlich barrierefrei seien. Er bemängelt zum Beispiel, dass die Amtsgerichte Zerbst und Naumburg für Rollstuhlfahrer nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen erreichbar seien. Obwohl in der Landesbauordnung für öffentliche Gebäude festgeschrieben ist, dass die Bauordnungsämter die Bauvorlagen nur genehmigen dürfen, wenn sie barrierefrei sind, gibt es erhebliche Mängel. Nachholbedarf und Informationen für die Bediensteten sind angezeigt. Ähnliches stellt Herr Hoffmann zum Teil für Hochschulen und Universitäten und für Einrichtungen der freien Träger fest.
Natürlich wurde mehrfach in unserem Ausschuss angemahnt, dass generell alle Ministerien ihren Beitrag im Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen leisten sollten. Der Wettbewerb des Bauministeriums ist auf dem Weg zur barrierefreien Kommune lobenswert, aber der Minister Daehre hat zu Recht selbst kritisch bemerkt, dass sich von 44 Kommunen nur elf daran beteiligt haben. Immerhin hatten die Kommunen, die sich beteiligt haben, gute Konzepte, die nachahmenswert sind. Nicht nur Roßlau und Merseburg, sondern auch die großen Städte, die Schwierigkeiten haben, haben gute Konzepte eingereicht.
Auf die Frage, warum die Resonanz so gering gewesen sei, wurde darauf hingewiesen, dass zwischen der Auslobung und dem Termin der Einreichung der Konzepte der Sommer gelegen habe und nur drei Monate zur Verfügung gestanden hätten. Das kann meines Erachtens keine Erklärung sein; denn es lässt darauf schließen, dass sich die Kommunen erst jetzt mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen. Eigentlich müssten diese Entwürfe zuhauf in den Schubladen der Bauverwaltungen liegen.
Kritisch ist auch anzumerken, Herr Minister, dass es schade ist, dass das Wohnraumanpassungsprogramm gestrichen wurde; denn es hätte Betroffenen direkt geholfen, die in ihrer Wohnumgebung darauf angewiesen sind.
Es wird aber auch deutlich, dass auch auf der kommunalen Ebene, von löblichen Ausnahmen abgesehen - dabei wurde auf Städte wie Magdeburg hingewiesen -, die Erkenntnis nicht selbstverständlich ist, wie wichtig und wie unverzichtbar der Abbau von Barrieren ist. Deshalb zum Schluss die wichtigste Bemerkung - das haben meine Vorredner schon gesagt -: die Barrieren sind in den Köpfen.
Es ist eben keine Selbstverständlichkeit, alle Bauvorhaben auf eine behindertengerechte Ausführung zu kontrollieren und zu überprüfen. Es gehört nicht zu den Selbstverständlichkeiten, in unseren Marketingbroschüren auf Barrierefreiheit hinzuweisen, und es gehört auch nicht zu den Selbstverständlichkeiten, Behindertenbeauftragte einzusetzen und sie mit den nötigen Kompetenzen auszustatten.
Zum Schluss kann ich mir aber in diesem Zusammenhang eine Bemerkung, die auf den ersten Blick nichts mit dem Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen zu tun hat, nicht verkneifen. Ihre Ankündigung, Herr Minister Kley, das letzte Kindergartenjahr für fünf Stunden täglich kostenfrei zu machen, bringe ich in Zusammenhang damit, dass Sie im Jahr der Menschen mit Behinderungen den Blinden genau 10 Millionen € weggenommen haben, also Menschen, die einen Nachteilsausgleich brauchen.
Es ärgert mich deshalb besonders, dass wir als Fraktion den Kompromiss wegen der fehlenden Finanzen mitgetragen haben. Dafür haben etliche von uns viel Kritik einstecken müssen. Und da kommen Sie anschließend und sagen, Sie hätten 10 Millionen € und könnten so das letzte Kindergartenjahr kostenfrei machen. In diesem Zusammenhang frage ich mich schon, weshalb wir den Kompromiss mitgetragen haben. Das hätten wir uns sparen können, wenn Sie jetzt auf einmal 10 Millionen € aus dem Hut zaubern.
Wenn man ehrlich ist, hätten diese 10 Millionen € den Behinderten und insbesondere den Blinden wieder zur Verfügung gestellt werden müssen, denn das Geld gehörte in diesen Bereich.
Wir müssen in den nächsten Jahren weitere Anstrengungen unternehmen; denn mit dem heutigen Resümee ist noch längst kein Schlussstrich zu ziehen. Deshalb bitte ich Sie alle, sich in Ihrer Umgebung für Menschen mit Behinderungen so selbstverständlich einzusetzen, dass sie nicht das Gefühl haben, sie seien etwas Besonderes, sie seien ein Objekt der Betreuung, sondern sie gehören ganz selbstverständlich zu uns. - Danke.
Herr Bischoff, möchten Sie eine Frage von Herrn Dr. Eckert beantworten? - Bitte schön, Herr Dr. Eckert.
Herr Bischoff, ich habe folgende Frage. Sie haben Beispiele aus den verschiedensten Bereichen angeführt. Der Minister hat seinen Beitrag mit der Feststellung beendet, dass er die Sozialpolitik an den Interessen behinderter Menschen ausrichten werde. Meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass der Hauptpunkt der Kritik an der Landesregierung darin besteht, dass sie ressortmäßig an dieses Jahr herangegangen ist und dass faktisch alles nur auf den Sozialminister fixiert war, dass also nicht das Kabinett als Kabinett dieses Jahr organisiert und durchgeführt hat?
Darin gebe ich Ihnen Recht. Das wurde in den Ausschussberatungen mehrfach angemahnt und war deshalb mehrfach Thema, weil man wissen wollte, was die anderen Ministerien leisten. Ich muss einfach feststellen, dass sich der Sozialminister im Kabinett anscheinend nicht so durchsetzen konnte, dass der Ministerpräsident die anderen Ressorts dazu verdonnert hat, mehr Beiträge in diesem Jahr zu bringen.
Vielen Dank, Herr Bischoff. - Zum Abschluss der Debatte hören wir den Beitrag der FDP-Fraktion. Es spricht Herr Rauls. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Ende einer solchen Debatte kann man sicherlich nicht allzu viel Neues sagen. Trotzdem hoffe ich, dass ich zu dieser aus meiner Sicht notwendigen Diskussion doch etwas beitragen kann.
Im EU-Ratsbeschluss wurden Ziele formuliert, die die Europäische Union mit der Durchführung des Europäischen Jahres der Menschen mit Behinderungen 2003 erreichen wollte. Haupttenor dieser Ziele war und - lassen Sie mich das an dieser Stelle betonen - bleibt die Sensibilisierung für das Recht der Menschen mit Behinderungen auf Schutz vor Diskriminierung und auf umfassende und gleichberechtigte Ausübung ihrer Rechte.
Menschen, die anders sind, in welcher Art und aus welchen Gründen auch immer, wollen gleichberechtigt teilhaben an allen Prozessen des Lebens. Dass sie dafür besonderer Hilfe und Unterstützung bedürfen, ändert nichts an dieser Tatsache. Es kann nicht um Bevormundung und Überregulierung und auch nicht nur um gesetzliche Regelungen gehen. Zuvörderst muss in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür entwickelt werden, dass die betroffenen Personen zwar ein Handicap haben, aber trotzdem oder gerade deshalb dazu gehören.
Herr Bischoff sagte es schon: Barrieren in den Köpfen abzubauen ist Bestandteil des geforderten Sensibilisierungsprozesses, der weder im Jahr 2003 begonnen hat noch mit dem 31. Dezember beendet war. Darauf haben auch schon die Vorredner hingewiesen.
Ein Grundsatz liberalen Denkens ist die größtmögliche Freiheit und ein Höchstmaß an Eigenverantwortung für jeden Menschen. Dies gilt auch für die Politik für Menschen mit Behinderungen. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weiterhin dafür Sorge zu tragen, dass unter anderem Diskriminierung bekämpft, eine ei
Zwar sind in den letzten Jahren Erfolge erzielt worden, aber sie reichen aus meiner Sicht bei weitem nicht aus.
Eine wesentliche Aufgabe bleibt: Durch bezahlte Arbeit mehr Menschen mit Behinderungen zu größerer Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Selbstsicherheit zu verhelfen. Sinnvolle Projekte für das Schaffen von realen Arbeitsplätzen für behinderte Menschen oder für deren Ausbildung dürfen nicht durch die Bundesagentur für Arbeit gekürzt werden.
Bürokratieabbau ist ein weiteres Stichwort. Oft ist es für Nichtbehinderte schon kompliziert, sich durch den Vorschriften- und Verwaltungsdschungel zu kämpfen. Behinderte Menschen und/oder ihre Angehörigen haben es diesbezüglich unverhältnismäßig schwerer, herauszubekommen, wer wofür zuständig ist. Transparenz, eindeutige Zuständigkeiten und klare Sprachregelungen könnten hierbei schon sehr helfen. Dies sollte nun wirklich nicht nur eine permanente Forderung bleiben müssen.
Meine Damen und Herren! Im Ausschuss für Gesundheit und Soziales wie auch in anderen Ausschüssen haben wir uns wiederholt mit dem Beschluss des Landtages vom 21. Juni 2002 beschäftigt. Die Berichterstattungen der Landesregierung waren für mich in manchen Fällen nur befriedigend. Manches hätte ich mir schneller und weniger halbherzig gewünscht. Ich denke beispielsweise an die zögerliche Zuarbeit zu den Projekten und die mangelnde Kreativität einzelner Ressorts.
Verdientermaßen große Aufmerksamkeit und große positive Resonanz hat der Wettbewerb des Ministeriums für Bau und Verkehr auf dem Weg zur barrierefreien Kommune, der hier schon mehrfach angesprochen wurde, hervorgerufen. Dieser Wettbewerb wird eine Fortführung erfahren.
Auch der Tag der Begegnung - ebenfalls schon mehrfach angesprochen -, der am 30. August 2003 im Sozialministerium durchgeführt wurde, fand großen Zuspruch und wurde von den Beteiligten sehr positiv aufgenommen, wenngleich der Behindertenbeauftragte im Ausschuss festgestellt hat, dass viel zu wenige Nichtbehinderte an dieser Veranstaltung teilgenommen haben. Das kann man natürlich nicht organisieren, aber das macht deutlich, dass dieses Thema in den Köpfen der Nichtbehinderten noch nicht ausreichend verankert ist. Dass auch in diesem Jahr ein derartiger Tag geplant ist - ich hoffe, dass das nicht der letzte wird -, halten wir für gut und richtig.