Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 35. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu möchte ich Sie alle, sehr verehrte Anwesende, auf das Herzlichste begrüßen.

Zunächst stelle ich die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Es liegen mir mehrere Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung vor: Herr Staatsminister Robra entschuldigt sich für die heutige Sitzung des Landtages. Er nimmt an der in Berlin stattfindenden Besprechung der Chefs der Staats- und Senatskanzleien teil.

Herr Minister Dr. Daehre entschuldigt sich für beide Tage jeweils für die Zeit von 10 bis 15 Uhr. Am heutigen 4. März begleitet Herr Dr. Daehre den Bundespräsidenten bei dessen Besuch in Stolberg im Harz. Am 5. März eröffnet der Minister die Landesbaumesse im Magdeburger Herrenkrug.

Herr Minister Professor Dr. Olbertz entschuldigt sich für die Landtagssitzung am morgigen Tag aufgrund einer in Berlin stattfindenden wissenschafts- und bildungspolitischen Klausurtagung im Rahmen der Kultusministerkonferenz.

Die Tagesordnung für die 19. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, die Tagesordnungspunkte 26 und 27 vor der heutigen Mittagspause und die Tagesordnungspunkte 6 bis 9 als erste Punkte am morgigen Freitag zu behandeln. Dem Vernehmen nach haben sich die Fraktionen untereinander darauf verständigt, die Tagesordnungspunkte 16 und 18 zu tauschen. Damit wird Tagesordnungspunkt 16 erst am Freitag beraten werden.

Des Weiteren liegt mir ein Schreiben des Vorsitzenden der SPD-Fraktion vor, in welchem mitgeteilt wird, dass der Tagesordnungspunkt 12 b - das ist der Antrag „Regenerative Energien als Wirtschaftsfaktor für SachsenAnhalt stärken“ in der Drs. 4/1351 - von der Tagesordnung genommen und bis zur nächsten Sitzung Anfang April zurückgestellt werden soll. Die Fraktionen sind hierüber bereits gestern von der Landtagsverwaltung fernmündlich informiert worden. Gibt es dagegen Widerspruch oder gibt es dazu Bemerkungen? - Das ist nicht der Fall.

Gibt es weitere Bemerkungen zur Tagesordnung? - Das ist ebenfalls nicht der Fall. Dann werden wir entsprechend der vorliegenden Tagesordnung unter Berücksichtigung der beantragten Änderung verfahren.

Bevor wie in die Tagesordnung einsteigen, darf ich noch darauf hinweisen, dass im Ältestenrat vereinbart worden ist, die heutige Sitzung des Landtages wegen der parlamentarischen Begegnung mit den kommunalen Spitzenverbänden Sachsen-Anhalts im Haus der NordLB vor 19.30 Uhr zu beenden. Die morgige 36. Sitzung beginnt wie üblich um 9 Uhr.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nun zu Tagesordnungspunkt 1:

Aktuelle Debatte

a) Weiterer Umgang mit den Ergebnissen des Volksbegehrens zur Kinderbetreuung

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1398

b) Weiterer Umgang mit dem Volksbegehren zum Kinderbetreuungsgesetz

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1399

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, Ihre Gespräche etwas zu dämpfen.

In der Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: zunächst die SPDFraktion, dann die PDS-Fraktion, die CDU-Fraktion und am Schluss die FDP-Fraktion.

Für die antragstellende Fraktion erteile ich zunächst der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Diese Aktuelle Debatte ist wichtig und notwendig. Wie geht es weiter mit der Kinderbetreuung? Diese Frage beschäftigt die Menschen in unserem Land. Deshalb muss sie auch das Parlament beschäftigen.

Eines ist klar: Das erfolgreiche Volksbegehren stellt für uns alle eine neue Geschäftsgrundlage dar. An 275 000 Unterschriften kommt niemand vorbei, der die plebiszitären Instrumente unserer Demokratie ernst nimmt. Deshalb müssen wir alle, müssen die Fraktionen und die Landesregierung das Begehren ernst nehmen, die bisherige Haltung zum Thema Kinderbetreuung gründlich überdenken und diese ganz sicher auch - das darf ich vorweg nehmen - verändern.

Lassen Sie mich kurz in Erinnerung rufen, was die Landesregierung mit ihrer Gesetzesnovelle im Herbst 2002 vorhatte. Aus finanziellen Gründen hielt sie massive Einschnitte in das ursprüngliche Kinderbetreuungsgesetz für nötig, obwohl der zuständige Minister bis zuletzt das Gegenteil behauptete. Der Rechtsanspruch für die unter dreijährigen Kinder sollte abgeschafft werden. Das hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem flächendeckenden Krippensterben geführt.

Auch der Anspruch auf eine zehnstündige Betreuung sollte fallen. Das hätte für viele Betroffene ebenfalls gravierende Auswirkungen gehabt.

Um die schlimmsten Auswirkungen dieses Gesetzesvorhabens abzumildern und vor allem, um den Rechtsanspruch für alle Kinder zu sichern, hat sich meine Fraktion auf den Kompromiss eingelassen. Das ist uns nicht leicht gefallen, aber es erschien uns in der damaligen Situation der einzig gangbare Weg.

An den Kompromiss haben wir aber auch Erwartungen geknüpft, vor allem die Erwartung, dass das Gesetz vom zuständigen Minister professionell und fair umgesetzt werden würde. Aber dies war mitnichten der Fall.

(Zustimmung bei der SPD)

Herr Minister Kley, Ihnen reichte es offenbar, das Gesetz in der Tasche zu haben. Die Umsetzung hat Sie nicht mehr sonderlich interessiert. „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“, könnte man mit Bertolt Brecht sagen.

Heute ist klar: Es fehlte an einem klaren, für alle Beteiligten - Landesverwaltung, Kommunen, Träger und Eltern - nachvollziehbaren Konzept. Es hat sich bitter gerächt, dass Sie auf Durchführungsbestimmungen verzichtet haben. Diesen Mangel haben Sie bisweilen durch nassforsches Auftreten wettzumachen versucht; aber das ist nicht gelungen.

Zu viele Fragen blieben und bleiben auch heute noch offen, zum Beispiel: Was ist Erwerbstätigkeit und wie muss sie nachgewiesen werden? Wie geht man mit bestimmten Gruppen wie Schwangeren oder Studentinnen um? Dazu kamen weitere Stockfehler und Probleme: Das Sozialministerium verrechnet sich bei der Kalkulation der Landeszuschüsse. Die Ausgaben pro Kind sinken rechnerisch von 109 € auf 92 €. Viele Eltern müssen deutlich mehr für einen Kindergartenplatz bezahlen, ganz entgegen den vollmundigen Versprechungen des Ministers. Landesweit müssen über 1 600 behinderte Kinder erneut ein Prüf- und Anerkennungsverfahren durchlaufen.

Die Liste der Pleiten und Pannen ist lang. Die Realität holt den Sozialminister ein. Dabei hat er stets behauptet, das neue Gesetz müsse für die Eltern nicht teurer werden. Tatsache bleibt: Das Gesetz zwingt zu höheren Elternbeiträgen. Es hat Entlassungen verursacht und zu unbilligen Härten bei bestimmten Gruppen geführt.

Nicht nur der Wille vieler Menschen, keine Einschnitte bei der Ganztagsbetreuung zuzulassen, sondern auch die von mir beschriebenen Umsetzungsprobleme haben dem Volksbegehren so viel Zulauf gebracht. So konnte auch der Versuch von Sozialminister Kley, dem Volksbegehren in der Schlussphase durch das Angebot einer kostenlosen Halbtagsbetreuung im letzten Kindergartenjahr den Wind aus den Segeln zu nehmen, nur scheitern.

So stellen wir fest, dass zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Bürgerinitiative - so möchte ich das Bündnis bezeichnen - die zweite Stufe im schwierigen Verfahren der direkten Demokratie erfolgreich absolviert hat. Das gab es noch nie. Das dokumentiert, welchen hohen Stellenwert Fragen rund um die Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt haben.

Was muss man aber aus den Reihen der CDU hören? - Die Mittelstandsvereinigung der CDU spricht von - ich zitiere - „einem traurigen Schlussakkord weniger Unverbesserlicher“. - Herr Gürth, mit dieser Aktion haben Sie sich als Landesvorsitzender der Vereinigung ganz sicher keinen Gefallen getan.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Das war arrogant, das war überheblich und das war dumm. Damit haben Sie sich politisch diskreditiert.

Was sagt uns der erfolgreiche Ausgang des Volksbegehrens? - Erstens. Dieses Thema ist für die Menschen wichtiger als fast jedes andere, das vollständig in der Verantwortung der Landespolitik liegt. Da spielen Traditionen eine Rolle, aber vor allem zeigt sich der feste Wille, dass ein bewährtes System auch angesichts der Finanznöte nicht Stück für Stück zerbröselt werden darf.

Zweitens. Das Gesetz kann nicht so bleiben, wie es ist. Dem steht der überwiegende Wille der Bevölkerung entgegen und dem steht entgegen, dass dieses Gesetz zu viele Schwächen hat, dass es zu viele Kinder ausgrenzt und dass es zu vielen Müttern und Vätern Schwierigkeiten bringt. Das Gesetz muss also geändert werden.

(Zuruf von Herrn Schröder, CDU)

Wir haben mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass der Ministerpräsident das ebenso sieht. Also, Herr Ministerpräsident, nutzen Sie diese Möglichkeit. Hierbei können Sie die Zukunftsdebatte führen.

(Zustimmung bei der SPD)

Drittens. Setzen Sie sich mit den Vertretern des Volksbegehrens ohne ideologische Scheuklappen an einen Tisch. Finden Sie gemeinsam mit ihnen einen Kompromiss, der den Menschen und vor allem den Kindern im Land hilft. Vom Kindeswohl haben wir uns jedenfalls immer leiten lassen.

(Zustimmung bei der SPD - Widerspruch bei der CDU)

Viertens. Wenn die politischen Prioritäten durch 275 000 Unterschriften klar bekundet worden sind, dann muss das Auswirkungen auf die finanziellen Prioritäten haben. Natürlich hat sich die finanzielle Situation des Landes und der Kommunen seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes nicht verbessert. Die SPD ist jedoch der Auffassung, dass für die Kinderbetreuung wieder mehr Geld in die Hand genommen werden muss.

Fünftens. Die Menschen haben durch ihre Unterschrift dokumentiert, dass sie möglichst kurzfristig Veränderungen wollen. Das heißt, dass alle Beteiligten ein Interesse daran haben müssen, dass es jetzt zügig zu einer Lösung kommt. Warum sollte eine Lösung nicht darin bestehen, dass sich die Politik und die Initiatoren des Volksbegehrens verständigen und der Landtag im Konsens eine Gesetzesänderung beschließt? Ein Gang vor das Landesverfassungsgericht wäre in einem solchen Fall - hierbei möchte ich der PDS ausdrücklich widersprechen - nicht notwendig.

Lassen Sie mich zusammenfassen. Das erfolgreiche Volksbegehren muss und wird zu politischen Konsequenzen führen. Vor allem die Landesregierung ist jetzt gefordert. Sie muss ein kompromissfähiges Angebot auf den Tisch legen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grimm-Benne. - Meine Damen und Herren! Für die zweite antragstellende Fraktion, die Fraktion der PDS, erteile ich nun der Abgeordneten Frau von Angern das Wort. Bitte sehr, Frau von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sie können sich sicherlich vorstellen, dass es für mich eine wahre Freude ist, heute hier diese Rede zu halten.

(Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU)

In der letzten Landtagssitzung im Januar haben wir bereits über den Umgang mit verschiedenen Interessen

gruppen, konkret über den Umgang mit dem Bündnis für ein kinder- und jugendfreundliches Sachsen-Anhalt diskutiert. Herr Böhmer erwiderte auf meinen Redebeitrag, dass die CDU seiner Meinung nach bereits gezeigt habe, dass ihr die Betreuung von Kindern wichtig sei. Das habe ich aber vielleicht nicht wissen können, da ich bei In-Kraft-Treten des Kinderbetreuungsgesetzes im Jahr 1991 gerade einmal 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. - Richtig, Herr Böhmer, ich war zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Das sehe ich aber nicht als Defizit; denn bekanntlich gilt: Lesen bildet.